13. Dezember 2024

Blutlust

Anmerkung

Vielleicht fehlte der Gräfin eine annehmbare Liebesgeschichte, um nicht von Dracula überholt zu werden. Elisabeth Bathory (orig: Báthori Erzsébet) wird zwar oft ebenfalls als Vampirin bezeichnet, aber sie war doch viel mehr eine Massenmörderin. Wo in ihrer schrecklichen Geschichte die Fakten enden und die Fiktion beginnt, lässt sich heute nicht mehr feststellen.

Musik

  • Forgotten Deity
  • The Necronomicon

Im Abendlicht bog sich das nur schemenhaft zu erkennende Gebäude in die Länge. Das im Nebel liegende Anwesen selbst verlor sich im Nichts der Karpaten. Der Horizont wurde beherrscht von einer drohenden, schwerfälligen Masse unbestimmter Formen, die kaum mehr von einer vergeblichen Sonne durchdrungen werden konnte. Jahrmillionen alte Berge bissen in das weiche, fahle Himmelsfleisch und bildeten einen Klumpen konzentrierter Bösartigkeit.

Durch das darunter liegende Schloss zog die Karawane der Träume, angeführt von allerlei absonderlichen Gestalten, Gauklern und Scharlatanen in dunklen Kleidern.

Dieser abscheuliche Traum entsprang dem Schlaf der Gräfin Báthory, die, vollgestopft mit Opiaten, auf ihrem ausladenden Plüschbett lag. Der Träumenden entrann ein Bach, der sich mit blutigen Tränen füllte. In den Blutkristallen sah sie Gesichter aus längst vergangenen Tagen – und sie wusste nicht, dass es bereits die Gesichter des Wahnsinns waren.

Die osteuropäische Geschichte ist voll von Adeligen, deren Hang zu Mord, Grausamkeit und Blutvergießen beispiellos ist. Manche, wie die Gräfin, sollen sogar Vampire gewesen sein. Zu ihren abscheulichen Verbrechen, die schließlich aufgedeckt wurden, gehörten Folter, Mord und angeblicher Blutkonsum.

Die 1560 geborene „Erzebet“ Bathory war eine wohlhabende und privilegierte Tochter, deren nächste Verwandte Kardinäle, Premierminister und Könige wurden. Aber es gab auch andere Mitglieder ihrer großen Familie, die den schwarzen Künsten, dem Teufel, dem Lesbianismus und der gewohnheitsmäßigen Promiskuität verfallen waren. Es scheint, dass der beeindruckenden Elisabeth in ihrer Kindheit keiner dieser „Zeitvertreibe“ vorenthalten wurde. Ihre berühmte Schönheit und Statur machten sie zu einer wertvollen Ware für politische Allianzen. Mit 11 Jahren wurde sie verlobt und mit 15 heiratete sie den gleichaltrigen Grafen Ferencz Nadasdy.

Nadasdy hatte sich den Ruf eines wilden Kriegers erworben und war im Volksmund als „Schwarzer Held Ungarns“ bekannt. Unmittelbar nach der Hochzeit entführte der Graf seine Braut nach Nordungarn und in Elisabeths neue Heimat, die abgelegene Burg Schächtitz tief in den Karpaten. Die Täler um die Burg waren fruchtbares Ackerland, das von abergläubischen Bauern bewirtschaftet wurde. Das Wenige, was es an Unterhaltung und Zerstreuung gab, fand sich unten im winzigen Dorf.

Begierig nahm sie zur Kenntnis, wenn der Gatte ihr den Sinn einiger Foltermethoden erklärte. Sie wohnte der Bastonade bei, wo dem Gefangenen die Fußsohlen fortwährend mit einem Stock geschlagen wurden, und wunderte sich über die scheinbare Humanität der Prozedur, bis sie zum ersten Mal den Wahnsinn in den Geist eines Gefolterten fahren sah.

Elisabeth war dennoch von ihrem Eheleben und ihrer völligen Isolation wenig beeindruckt. Nadasdy blieb nur lange genug bei ihr, um den Fortbestand seines Geschlechts zu sichern, und zog dann wieder in den Krieg. Im Laufe der Jahre, zwischen den sporadischen Besuchen ihres Mannes und der Geburt ihrer vier Kinder, etablierte sich Elisabeth als grausame Mätresse. Sie schien es zu genießen, dass die Bauern Angst vor ihr und ihrem aufbrausenden Temperament hatten. Sie vertrieb sich die Langeweile mit zahllosen Liebhabern, von denen die Dorfbewohner einen für einen Vampir hielten, weil er so schlank war, einen sehr blassen Teint und scharfe Zähne hatte. Sein plötzliches und völliges Verschwinden bestätigte den düsteren Verdacht der Einheimischen, die sich nun noch mehr davor hüteten, die Gräfin zu verärgern.

Zu Elisabeths weiteren Aktivitäten gehörte das Schlagen und Foltern ihrer jungen weiblichen Bediensteten, zunächst mit grausamen Methoden, die sie von ihrer lesbischen Tante gelernt hatte, später mit verschiedenen Folterwerkzeugen, die ihr Mann in den Kerkern von Schloss Schächtitz hinterlassen hatte. Dann versammelte sie ihre treuen Gefolgsleute, Diener, ihre eigene ihr ergebene Amme und verschiedene schwarze Künster um sich. Sie und ihre Enklave wurden zu eifrigen Schülern der Hexenkunst.

Elisabeth war schon immer ein eitles und egozentrisches Kind, das seine natürliche Schönheit schätzte und schützte. Als sie Mitte zwanzig war, wurde deutlich, dass ihr Äußeres zu verblassen begann. Ihr Temperament wurde noch unberechenbarer und ihre Grausamkeit gegenüber ihren weiblichen Bediensteten nahm zu. Junge Mädchen wurden in die Kerker geschleppt und erbarmungslos, manchmal nach einem satanischen Ritus, gefoltert. Niemand wagte es, eines der Dienstmädchen zu schützen, aus Angst, selbst von der Gräfin misshandelt zu werden.

Um 1600 war Elisabeths Mann gestorben, und sie wurde die eigentliche Herrin ihres abgelegenen Herrschaftsgebietes. Nachdem sie sich ihrer Kinder, die zu Verwandten geschickt wurden, und ihrer Schwiegermutter entledigt hatte, konnte die Gräfin noch freier schalten und walten. In dieser Zeit soll sie auch ihre Vorliebe für Blut entdeckt haben. Elisabeth war nun Anfang 40 und suchte verzweifelt nach einem Weg, jung zu bleiben. Keines ihrer dunklen Rituale hatte bisher ihre schwindende Schönheit wiederherstellen können. Eines Tages verärgerte Elisabeths jüngstes Dienstmädchen sie, und in einem Anfall von Wut schlug die Gräfin dem unglücklichen Mädchen ins Gesicht, packte sie an den Haaren und biss ihr in die Wange. Blut floss aus dem Mundwinkel auf ihre Hand.

Blut ist ein ganz besonderer Saft. Als Odysseus den Seelen Blut zu trinken gab, indem er dieses in eine eigens dafür gegrabene Grube rinnen ließ, gewannen diese an Lebenskraft. Im iranischen Mythos entstammen die Weintrauben dem Blut des erschlagenen Urstiers Goshurun. Zu Blut wird die Materie während der alchimistischen Wandlung zum Stein der Weisen – und Elisabet Bathory hatte entdeckt, dass da, wo das Blut einer Jungfrau ihre Haut berührte, diese ein rosiges Aussehen angenommen hatte. Sie verlor keine Zeit und befahl ihrem Diener, die Magd zu töten und ihr Blut in eine Wanne zu gießen, damit Elisabeth sich damit waschen konnte.

Der Morgen drückte sich über den Gebirgskamm, scheuchte die Wolken hinter sich. Schloss Schächtitz aber blieb ein Fleck der Dunkelheit, das Licht verdunstete an seinen Wänden. Elisabeth Bathory kehrte aus ihrer eigenen Schwärze zurück, Stimmfetzen baumelten an ihren Nerven, hingen über dem Bett. Ohne zu zögern läutete sie nach den Mädchen, die ihr Tag für Tag den großen Spiegel vors Gesicht halten mussten. Sie hatte Angst, sich eines Tages nicht mehr darin sehen zu können und beäugte sich kritisch.

Bald darauf befahl Elisabeth, weitere unverheiratete Mädchen in die Kerker zu bringen. In den folgenden zehn Jahren taten ihre treuen Helfer genau das, unter dem Vorwand, den Bauernmädchen eine gute Arbeit zu sichern. Sie halfen ihrer Herrin auch bei der grausamen Prozedur des Blutabzapfens und beerdigten dann die Leichen der Mädchen mitten in der Nacht irgendwo in einem Dickicht. Doch der Vorrat an Jungfrauen reichte nicht ewig. In ihrer Verzweiflung ersannen Elisabeth und ihre Schergen eine neue Methode, um frisches Blut in ihr Versteck in den Bergen zu bringen. Aristokratische Familien waren immer auf der Suche nach Lehrern, die ihre Töchter in Etikette und guten Manieren unterwiesen. Die Gräfin Bathory mit ihrer langen und untadeligen Ahnenreihe war die perfekte Wahl. Es dauerte nicht lange, bis Elisabeth die nächste Gruppe von Opfern fand.

Wenn Bauernmädchen spurlos verschwanden, stellte niemand allzu viele Fragen und man erfand Ausreden. Wenn aber junge Frauen aus dem Adel verschwanden, dauerte es nicht lange, bis die Familien Verdacht schöpften. Elisabeths zunehmende Sorglosigkeit machte es den Behörden nur noch leichter, herauszufinden, was auf Schloss Schächtitz wirklich vor sich ging. Anstatt die Leichen zu begraben, warfen sie und ihre Gefolgsleute die ausgemergelten Körper der jungen Mädchen einfach den Wölfen zum Fraß vor. Es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand über die grausamen Überreste stolperte. Die Nachricht von Elisabeths Gräueltaten erreichte bald König Matthias II. Graf Gyorgy Thurzo, ein naher Verwandter der Gräfin, wurde sofort mit der Untersuchung des Falles beauftragt.

In der Nacht des 30. Dezember 1610 bot sich Thurzo und seinen Soldaten ein Anblick, der selbst ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ: ein halbes Dutzend toter oder sterbender junger Frauen, alle grausam gefoltert. Dutzende weitere Leichen wurden in und um die Burg gefunden. Elisabeth und ihre Komplizen wurden sofort festgenommen. Mit einer Ausnahme wurden alle vor Gericht gestellt und hingerichtet, einige auf eine Weise, die der Grausamkeit ihrer Taten entsprach.

Elisabeth selbst konnte nicht vor Gericht gestellt, geschweige denn hingerichtet werden. Nach ungarischem Recht war es illegal, einen Bürger adeliger Abstammung vor Gericht zu stellen oder zu verurteilen. Um zu verhindern, dass die Gräfin mit der Ermordung von über 600 jungen Frauen davonkam, verabschiedete das Parlament ein Übergangsgesetz und verurteilte sie zu lebenslanger Haft in einem winzigen Turmzimmer der Burg Schächtitz. Ihr einziger menschlicher Kontakt waren die Wächter, die ihr das Essen durch einen schmalen Spalt in der verschlossenen Tür reichten. Vier Jahre später fand einer der Wächter ihre Leiche auf dem Boden liegend. Die blutrünstige Gräfin Elisabeth Bathory war im Alter von 54 Jahren gestorben. Während ihrer Gefangenschaft hatte sie kein einziges Wort der Reue über ihre schrecklichen Verbrechen geäußert.

Graf Thurzo überlebte den Tod der Blutgräfin, wie sie fortan genannt wurde, keine sieben Tage. Man fand seine Leiche ausgeblutet im Glockenstuhl einer Kirche liegen.

Sein Tagebuch mit der Berichterstattung, sowie den Anklagepunkten und dem Verlauf des Schuldspruches, tauchte erst im 19. Jahrhundert wieder auf, und wurde von einem französischen Händler in Gewahrsam genommen. Bis heute ist nicht geklärt, ob der anonyme Besitzer der Handschrift wusste, worum es sich bei der Aufzeichnung handelte. Dem Schriftstück fehlten einige Seiten, die herausgerissen waren.

Die Mitglieder des Gerichts überlebten kein Jahr. Ein Landarbeiter mit dem Namen Johann Zàpolya berichtete auf einem losen Blatt Papier, das zusammengefaltet in einer Chronik Siebenbürgens als Lesezeichen einer Seite, welche die Genealogie des Adelsgeschlechts der Familie Bathory enthielt, folgendes:

»Wunderliche Wesen jagten einen einzelnen Mann vor sich her und umtanzten ihn mit lautem Geschrei. Wie einen wildgewordenen Zirkus sah ich da Zwerge, sah ich (solche), die sich verbogen, sah ich wiederum (andere) Feuer erbrechen. Als der so Gejagte mehrfach zu Boden fiel, traten sie mit Stelzen auf dessen Leib und hieben auf ihn ein mit Waffen, die ich nicht benennen kann, die mir aber keine Stöcke zu sein schienen. Ich verriegelte schnell die Türe, und mein Herz wollte mir vor Angst zerspringen, und so war ich überzeugt, der leibhaftige selbst war mit seinen Schergen über die Erde gegangen, um einsame Wanderer in den Höllenschlund zu entführen!«

Auf dieses Papier wurde später der Schriftsteller Bram Stoker aufmerksam.

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