Wenn hier von Lucky Luke die Rede ist, dann ist die Figur gemeint, die von 1955 bis 1977 von René Goscinny geschrieben und von Morris gezeichnet wurde. Alle modernistischen Eingriffe werden hier ignoriert, da sie der Figur selten gerecht werden, sondern sie im Gegenteil bis in die heutige Zeit hinein zerstören. Dasselbe Phänomen ist auch in den Asterix-Bänden zu beobachten.
Dieser Höhepunkt der französisch-belgischen Comic-Schule wurde 1946 vom Zeichner Morris (Maurice de Bévère) geschaffen, der zunächst sowohl zeichnete als auch schrieb. Lucky Luke begann als halbseidener Comic mit einem rauen Cowboy-Helden, vielen Schießereien und gelegentlichen Todesfällen.
Morris schickte seine Panels per Post von New York nach Europa, wo sie manchmal verloren gingen und Morris wieder von vorne anfangen musste. In solchen Fällen versuchte der Künstler nicht, das zu zeichnen, was er noch in Erinnerung hatte, sondern entwarf eine völlig neue Geschichte. Seine Recherchen waren so ergiebig, dass ihm die Ideen nicht ausgingen.
Erst als die Texte ab 1955 von Asterix-Erfinder René Goscinny übernommen wurden, wurde der Comic zu dieser unverblümten Parodie und zu einem der beliebtesten Comics überhaupt. Etwa zur gleichen Zeit ließen die Autoren alle Vorwände fallen, den Protagonisten als realistischen Cowboy darzustellen, und verwandelten ihn in einen Schießkünstler, dessen Ruhm und Geschick ihn oft zur letzten Rettung der amerikanischen Regierung in besonders schwierigen Situationen werden ließen (sehr zu seinem Ärger).
Eine Besonderheit dieser langen Erfolgsgeschichte ist die Begegnung mit vielen (um nicht zu sagen allen) großen historischen Persönlichkeiten der westlichen Welt. Manchmal werden sie parodiert, manchmal spielen sie sich selbst auf erstaunlich direkte Weise: Billy the Kid, Jesse James, Mark Twain, Wyatt Earp – sie alle sind dabei. Einzigartig ist auch die Fülle an originellen Figuren im Hintergrund (der Bürgermeister, der Sheriff, der Leichenbestatter, der Salonbesitzer, der chinesische Wäscher). Diese Figuren sind zwar in jeder Stadt, die Luke besucht, anders, aber sie sind sich oft so ähnlich, dass sie als wiederkehrende Figuren funktionieren.
Auch wenn Lucky Luke eine der herausragenden Figuren der belgischen Comic-Geschichte ist, dürfen wir seine Begleiter nicht vergessen: Rantanplan (eine Parodie auf Rin-Tin-Tin), der dümmste Hund der Welt, und Jolly Jumper, das besonders schlaue Pferd, mit dem Luke ab und zu eine Partie Schach spielt.
Die Dalton-Brüder als Dauergäste
Zu der Zeit, als Morris begann, seinen Lucky Luke zu zeichnen, war es schwierig, in Europa eine vernünftige Dokumentation über den Wilden Westen zu finden. Morris recherchierte vor Ort in den USA, vor allem in Bibliotheken. Dort stieß er auch auf die legendäre Familie Dalton. Schnell wurde Morris klar, dass das, was er in all den Dokumentationen las, eine seltsame Mischung aus Legenden und historischen Texten war. Vor allem die Daltons hatten es ihm so angetan, dass er sie mit ihrer überlieferten Persönlichkeit sozusagen für immer adaptierte. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die vier Brüder wohl kaum in Erinnerung geblieben wären, wenn sie nicht zu einem festen Bestandteil der Comicwelt geworden wären. Ähnlich wie den Panzerknackern aus Entenhausen war ihnen wenig Glück beschieden, obwohl sie in Wirklichkeit 1891 einen legendären Eisenbahnüberfall planten und durchführten. Doch der Überfall auf zwei Banken gleichzeitig führte zu ihrem Ende. Die anschließende Schießerei überlebte nur Emmet Dalton, der später die Biografie schrieb, die Morris so faszinierte.
Trotz der nachweislichen historischen Genauigkeit, die unter Goscinnys Feder noch zunahm, betonte Morris immer wieder, dass es trotz der Fülle an historischen Dokumenten, aus denen sich die Autoren bedienten, in erster Linie darum ging, eine unterhaltsame Geschichte zu schreiben.
Wie die moderne Literatur haben auch die Comics stark von der Filmtechnik profitiert. Morris hat sich intensiv mit diesem Genre auseinandergesetzt. Zusammen mit seinem Kollegen André Franquin (Spirou) stahl er sogar gelegentlich Filmplakate aus einem Kino. Seine Entscheidung, seine Comics in den amerikanischen Wilden Westen zu verlegen, war von Anfang an ungewöhnlich. Die meisten frankobelgischen Serien dieser Zeit waren eindeutig flämisch, sowohl im Stil als auch in den Charakteren.
Aber Lucky Luke ist sowohl ein westlicher Comic als auch eine brillante Parodie des Genres. Morris und Goscinny verstanden es, mit den vielen Klischees zu spielen, und das macht die Serie so einzigartig. Während das Motiv des einsamen Cowboys und seines treuen Pferdes in vielen westlichen Büchern und Filmen zu finden ist, sind die zynischen Kommentare von Jolly Jumper wirklich neu.
Anfang der 80er Jahre wurde Morris in Amerika für seine allgegenwärtige Zigarette kritisiert. Um Lucky Luke auf dem amerikanischen Comic-Markt zu etablieren, musste Morris aus kommerziellen Gründen die Tabakstange in einen Grashalm verwandeln. Doch schon zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Serie so sehr verselbständigt und war so beliebig geworden, dass sie heute nur noch ein Schatten ihrer selbst ist.
Die Frage nach dem Schatten
Natürlich zieht und schießt Lucky Luke schneller als sein Schatten. Dafür ist er berühmt geworden (na ja, nicht nur dafür, aber es ist eines seiner Markenzeichen). Daraus hat sich im Laufe der Zeit die Diskussion entwickelt, ob das physikalisch überhaupt möglich ist. Tatsächlich kann man immer wieder beobachten, dass Comics daraufhin untersucht werden, ob sie einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalten. Das bekannteste Beispiel sind sicherlich die Donaldisten, die davon ausgehen, dass Entenhausen wirklich existiert. Und nur so kann man überhaupt wissenschaftlich arbeiten. Wer sagt, das sei Quatsch, hat die Sache noch nicht verstanden.
Dabei ist es gar nicht so schwer. Jeder, der in Physik aufgepasst hat, weiß sowieso: Natürlich bewegt sich Luke scheinbar schneller als sein Schatten, denn der Schatten ist immer etwas langsamer als derjenige, der ihn wirft. Das Licht muss ja erst einmal dort ankommen, wo der Schatten entsteht. Das ist natürlich eine unglaubliche Geschwindigkeit, zu der kein Lebewesen fähig zu sein scheint, aber darum geht es nicht. Der Schatten beginnt seine Aktion also grundsätzlich etwas später als der Gegenstand, ist also nicht wirklich langsamer. Es spielt keine Rolle, wie schnell sich der Gegenstand bewegt. Die Aktion selbst dauert beim Schatten gleich lang.
Schlecht für Luke: Jeder zieht (so gesehen) schneller als sein Schatten.
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