Archiv der Kategorie: Das Stephen-King-Multiversum

Stephen Kings Werk ist einzigartig. Er mag das Multiversum (innerhalb der Literatur) nicht erfunden haben (das war Michael Moorcock), aber er hat es populär gemacht. Irrtümlicherweise halten viele Leser ihn nach wie vor für einen Horrorschriftsteller und sind dann enttäuscht, wenn King etwas ganz anderes im Sinn hat. Um etwas Aufklärungsarbeit in Sachen King zu leisten, dafür dient diese Artikelserie.

Stephen King Re-Read: Nachtschicht

Zu Beginn seiner Karriere wollte niemand wollte eine Kurzgeschichtensammlung von Stephen King veröffentlichen. Als aber Shining, sein erster Hardcover-Schlager, gleich nach Carrie einschlug wie eine Bombe, begann seine Karriere auf Hochtouren zu laufen. Doubleday hatte King unter Vertrag und verlangte einen weiteren Roman im folgenden Jahr, aber King war mit einem Buch zugange, von dem es schien, als könne er es niemals beenden: Das letzte Gefecht. Ohne vorhersagen zu können, wie lange er noch brauchen würde, schlug er seinem Verlag vor, eine Sammlung mit Kurzgeschichten herauszugeben, die er für verschiedene Magazine wie Cavalier, Penthouse und Cosmopolitian geschrieben hatte, zusammen mit einem Vorwort von King selbst und vier neuen Storys. Zwanzig Geschichten also, die über mehr als ein Jahrzehnt hinweg geschrieben wurden, einige davon bereits als King erst 22 Jahre alt war. Das wurde widerwillig akzeptiert, und so erschien das Buch ohne Cover-Artwork in einer ersten Auflage von 12 000 Exemplaren. Das Buch beginnt und endet mit zwei Geschichten, die den in Brennen muss Salem etablierten Mythos ergänzen. Die erste, “Briefe aus Jerusalem“, kann man durchaus als Vorgeschichte zu Salem’s Lot lesen und ist eine Verneigung vor H.P Lovecrafts Cthulhu-Mythos. Der Schauplatz könnte durchaus auch Innsmouth sein. Angesiedelt im Jahre 1850 erzählt die Geschichte von einem uralten Übel, das in einer kleinen verlassenen Stadt gefunden wird, die der Vorfahre des Erzählers und sein Diener dort entdecken. Der Nachkomme, der uns die Geschichte erzählt, ist dazu verdammt, die Fehler seines Vorfahren zu wiederholen. King hat später oft und gerne “Pastiches” geschrieben, d.h. Erzählungen in Anlehnung an einen bekannten Stil. Ich denke da an Arthur Conan Doyle oder Raymond Chandler. Auch ist die Briefform ein beliebtes stilistisches Manöver des 19ten Jahrhunderts gewesen, um einem Sachverhalt den Anstrich von Realität einzuhauchen.

“Spätschicht” 1970, Cavalier

Eine der frühen Top-Geschichten Kings und seine erste verkaufte Geschichte überhaupt. Die atmosphärische Beschreibung der Spinnerei, das Arbeitsklima… bereits das ist Naturalismus pur. Gleichzeitig kann man hinter dem “Short-Shocker von Amerikas aufregendstem Autor” durchaus eine Gesellschaftskritik erkennen, die ja immer wieder mal in seinem Werk zu finden ist: Unachtsamer Umgang mit Natur und Umwelt. Hört sich auf den ersten Blick banal an, entfaltet aber bei King immer wieder eine immense Wirkungskraft. In seinen besten Erzählungen gibt es diesen doppelten Boden zwischen Horror und “Realismus” immer zu finden. Ohne moralischen Zeigefinger, völlig unterhaltsam. Aber das Unterbewusstsein weiß Bescheid.

“Nächtliche Brandung” 1974, Cavalier

Stephen Kings Erzählung Nächtliche Brandung kann man getrost als eine erste Skizze zu Das letzte Gefecht verstehen. Captain Trips, sprich; das Supervirus A6 dreht hier das erste Mal seine Runden. Wir begegnen einer handvoll Jugendlicher am Strand in einer bereits post-apokalyptischen Umgebung, die gerade Alvin Sackheim verbrannt haben, der sich diese Supergrippe eingefangen hat. Das ganze war gedacht als ein Menschenopfer, um die “Bösen Geister” davon abzuhalten, die Gruppe ebenfalls zu infizieren. Keiner glaubt natürlich diesen Humbug, aber alle machen mit, um mal etwas Neues auszuprobieren. Die Symptome zeigen sich trotzdem auch innerhalb der Gruppe.

Das ist dann auch schon die ganze Geschichte; und sie ist, wie sie da steht, lau. Allein dass sie zum Radius von The Stand gehört, macht sie etwas attraktiver, für sich allein genommen, bietet sie zu wenig.

“Ich bin das Tor” 1971, Cavalier

In der Sammlung findet sich auch Kings erster veröffentlichter Ausflug in die Science-Fiction und eine meiner ersten wirklichen Berührungen mit diesem Genre. “Ich bin das Tor” ist die Geschichte eines Astronauten, der mutiert, um einem Außerirdischen die Fähigkeit zu geben, durch seinen Körper zu sehen. Nur ist er ein schlechtes Medium, und die Bilder sind verzerrt; der Außerirdische, der mit den Schrecken der Erde konfrontiert wird, übernimmt seinen Körper und zwingt ihn, in seinem Namen zu morden. Der Tonfall ist fast wie bei Ray Bradbury, aber mit einem ausgeprägten King’schen Horror-Touch und einem echten Knaller am Ende.

Bekanntlich setzen Horror-Kurzgeschichten die höchste Kunstfertigkeit voraus. An ihnen ist vollumfänglich zu erkennen, was der Autor kann. So wie hier. Auch wenn King sich der Science Fiction zuwendet, tut er das, wie es Horror-Autoren tun. Diese Geschichte ist ein perfektes Kleinod, bei der, angefangen von der Grundidee, die gar nicht so spektakulär ist (ein Astronaut fängt sich während einer Venus-Expedition etwas ein, das ihn verwandelt) – bis hin zur Pointe der letzten drei Sätze (auch wenn der so infizierte einen vorübergehenden Sieg erringt, kann er das, was er mitgebracht hat, nicht aufhalten) alles stimmt.

“Der Wäschemangler” 1972, Cavalier

Das Groteske ist eine Urform des Horrors. Nicht zuletzt führt uns die was-wäre-wenn-Frage oder die grenzenlose Übertreibung auf die richtige Fährte. King spielte in seinen frühen Jahren konsequent durch, was geschähe, wenn sich uns vertraute Dinge oder Maschinen, die uns als Helfer dienen, plötzlich gegen uns wenden würden. Ich habe fast ausschließlich gelesen, dass diese Geschichte die lächerlichste sei, die King je schrieb, und ich kann nachvollziehen, woran das liegt. In Wirklichkeit sehe ich in ihr einen boshaften Humor. Eine Sache, die bei King in den letzten Jahrzehnten immer mehr verschwunden ist.

“Das Schreckgespenst” 1973, Cavalier

Es hat den Anschein, als seien in “Nachtschicht” alle grundlegenden Motive des King’schen Kosmos angelegt, zu denen freilich auch gehört, dass sich ‘etwas’ unter dem Bett oder – wie hier – im Schrank verbirgt. Ein Klassiker. Etwa zur gleichen Zeit geschrieben wie The Shining, ist auch dies hier eine Geschichte, in der ein Vater eine Bedrohung für seine Kinder darstellt.

“Graue Materie” 1973, Cavalier

Auch in diesem klassischen Verwandlungsstück über schlechtes Bier finden wir jenen Humor, der Kings Frühphase begleitet. Alkoholiker spielen bei King eine erhebliche Rolle, schließlich weiß er darüber bestens Bescheid. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass er selbst sich manches Mal wie diese Graue Materie fühlte.

Obwohl diese Geschichte sehr einfach gestrickt ist, kann man in ihr den hervorragenden Handwerker erkennen, der King nun eben ist. King beginnt diese Geschichte mit Blind Eddie, dem ‘permanenten Ladendieb’ der Nachteule, einem 24-Stunden-Laden, der das Zentrum der Geschichte ist. King wurde später oft dafür kritisiert, dass er Markennamen inflationär verwenden würde, während man ihn heute als verlässlichen Chronisten amerikanischen Lebens lobt, der es eben fertig bringt, diese für sein Schreiben wichtige Dimension bis heute durchzuhalten.

“Schlachtfeld” 1972, Cavalier

Ein ganz anderes Kapitel in dieser Sammlung sind die vom übernatürlichen Beeinflussten Action-Stories – oder Thriller wie eben “Schlachtfeld”, “Lastwagen”, “Der Mauervorsprung”, und sogar “Quitters Inc.” Sie bedeuten nicht mehr als das, was auf dem Papier steht. Man kann sie schlichtweg genießen wie man einen Marsriegel verschlingt. Die Idee – ein Auftragskiller bekommt eine Kiste von der Mutter des Konzerngründers einer Spielwarenfabrik, den er gerade umgebracht hat. Bei der Kiste handelt es sich um die “Vietnam – Ausgabe” einer Spielzeugsoldateneinheit. Natürlich geht es um Rache. Diese Idee also ist im Grunde so simpel und beweist nur eins: gute Autoren benötigen keine abwegigen Plots, um eine solide Geschichte zu generieren.

“Manchmal kommen sie wieder” 1974, Cavalier

In dieser Geschichte über Zombie-Schukinder, die auf Rache sinnen, treffen zwei von Kings Lieblingscharakteren zusammen. Der Hauptcharakter ist ein High-School-Lehrer, wie man ihn aus Carrie, Brennen muss Salem, Feuerkind, The Shining, Das letzte Gefecht, Christine oder Dead Zone, Es und Die Leiche kennt. Die bösen Jungs sind direkte Nachkommen Billy Nolans aus Carrie: das Haar mit Wachs zurückgekämmt fahren sie ein echtes Stück Detroit-Stahl durch die Gegend, immer höhnisch und bewaffnet mit Springmessern.
Dieses doch sehr auffällig wiederkehrende Szenarium deutet nicht zuletzt auf eine psychologische Verarbeitung Kings hin.

“Erdbeerfrühling” 1975, Cavalier

Diese Geschichte erschien zum erstenmal im literarischen Magazin der University of Maine, und wie alle Geschichten Kings aus dem Umfeld des Ubris Magazine (“Erdbeerfrühling” und “Nächtliche Brandung” aus dieser Sammlung, “Kains Aufbegehren” und “Achtung – Tiger!” aus Blut) ist auch diese mehr im Stil eines Schriftsteller-Workshops geschrieben als dass sie eine persönliche Note abgibt.

Auch hier treffen wir ein Motiv an, von dem King in seiner Anfangszeit besessen schien: ein Mann verwandelt sich in in etwas anderes. Angefangen von “Ich bin das Tor” zu “Graue Materie” oder “Das Schreckgespenst” bis “Shining”, treffen wir dieses Motiv immer wieder an. Aber auch in “Duddits” oder “Tommyknockers”, “The Dark Half” etc. Wer sich den Motivketten Kings öffnet, wird nahezu ein Aha-Erlebnis ernten können. Nehmen wir noch “Feuerkind” und “Dead Zone” dazu; hier sind es Charlie McGee und Johnny Smith, die durch die Ausübung ihrer psychischen Kräfte zu ganz anderen Menschen werden. Und dann wäre ja noch King selbst, der sich sozusagen in Richard Bachmann spaltete. Ein hinreißendes Thema, über das man lange spekulieren könnte.

“Der Mauervorsprung” 1976, Penthouse

Wie auch “Lastwagen” und “Schlachtfeld” gehört diese Story zu den straight-forward-Actionstories. Darin ist nicht mehr oder weniger enthalten als das, was auf dem Papier steht. Aber es sind meist die einfachen Geschichten, die der Technik bedürfen – und Kings Talent macht eine großartig effektive Geschichte aus der Tatsache, dass Stan Norris das 43. Stockwerk auf einem 13 cm breiten Mauervorsprung umrunden muss. Dass das natürlich nicht alles ist, versteht sich von selbst.

“Der Rasenmähermann”1975, Cavalier

Ich habe beim “Wäschemangler” bereits von der Groteske als Grund und Boden für Horror-Vibes gesprochen. Diese Geschichte hier ist allerdings reinrassig mit dem Grotesken verbunden und somit eine der Außergewöhnlichsten, die King je geschrieben hat. Stellen wir uns allein dieses Bild vor: ein dicker nackter Mann kriecht auf allen Vieren hinter einem knallroten Rasenmäher her, um das Gras, das dieser abschneidet, aufzuessen. Das hört sich lustig an und irgendwie bizarr – und das ist es auch, denn das Lachen bleibt einem dann später durchaus im Halse stecken. Wichtig in diesem Zusammenhang sind die Verweise auf die Griechische Mythologie, die man leicht überliest oder mit denen man zunächst vielleicht nichts anfangen kann. Es gibt nicht wenige Stimmen, die diese Geschichte für sinnfrei halten – das sind genau jene, die sie nicht verstanden haben und vielleicht nocheinmal lesen sollten.

“Quitters, Inc.” Bis dahin unveröffentlicht

Hier ist nach “Der Mauervorsprung” die nächste straight-forward-Actionstory. Gäbe es die Quitters wirklich, bin ich mir ziemlich sicher, dass die Tabakindustrie dicht machen könnte. Wie so oft bei Kings unglaublichen Short-Schockern, geht es auch hier um die simpelste Abhandlung psychologischer Fragen. An Effizienz mit Sicherheit nicht zu schlagen.

“Ich weiß, was du brauchst” 1976, Cosmopolitan

Eine Geschichte, wie man sie sich auch sehr gut in einem Frauenmagazin vorstellen könnte. Romantik, ein wenig “thrill” durch den Stephen King-Touch, fertig. Man täte der Geschichte unrecht, wenn man sie als schlecht bezeichnen würde, sie ist nämlich – wie immer – gut geschrieben. King – wie man früher behauptete – würde auch dann gelesen, wenn er das Benutzerhandbuch zu einer Kaffeemaschine schreiben würde. Das sagt viel aus.

“Kinder des Zorns” 1977, Penthouse

Mit seinen dunklen Maisgöttern und verdrehten religiösen Ritualen erinnert auch diese Geschichte an den Einfluss Lovecrafts. Es gibt nicht wenige, die sich diese Story als Roman gewünscht hätten. Das mag der Grund gewesen sein, warum so viele unsägliche Filme sich an diesem Thema abarbeiteten. Keinem davon gelang es auch nur in die Nähe des Geheimnisses zu kommen, das da zwischen den einzelnen Sätzen mitschwingt und die ungeklärt bleiben müssen.

“Die letzte Sprosse” Bis dahin unveröffentlicht

Dies ist keine Horrorstory, aber ohne Zweifel die beste und engagierteste Geschichte der ganzen Sammlung. Hier zeigt King eindrucksvoll, welch herausragender Autor er eigentlich ist. und dass ihn bereits in seiner Frühphase kaum einer das Wasser reichen konnte, was sorgfältig ausgewählte Details, die Beherrschung des Spannungsbogens oder die fesselnde Atmosphäre betrifft. Vertrauen, Einsamkeit, Liebe. Das sind die zentralen Schlagworte – eine Episode aus der Kindheit eines Geschwisterpaars, die mit dem Selbstmord der Schwester als Erwachsene endet. King wird stets aufs neue den Beweis antreten, dass er das Übernatürliche dem Menschlichen unterordnet. Hier hat diese Formel einen ersten Höhepunkt zu verzeichnen.

“Der Mann, der Blumen liebte” 1977, Gallery

Eine simple Geschichte, die wohl mehr einer Fingerübung ähnelt. Eine, in der der Leser bis zum entscheidenden Moment getäuscht wird – oder besser, auf eine falsche Fährte geführt wird, bis der erzählerische Klimax der ganzen Erzählung seinen literarischen Effekt ausspielt.

“Einen auf den Weg” 1977, Maine

“Einen auf den Weg”  spielt – anders wie “Briefe aus Jerusalem” nach den Ereignissen, die in Brennen muss Salem geschildert werden. Es ist eine einfache Geschichte über eine Familie, die sich während eines Schneesturms in die mittlerweile verlassene Stadt verirrt, und wäre ein effektiver und sauberer Abschluss des Romans gewesen, der Hinweise darauf gibt, dass Ben und Mark ihre Mission am Ende von Brennen muss Salem erfüllt haben. Die Familie in dieser Geschichte trägt den Namen Lumley, und wenn wir uns jetzt “Briefe aus Jerusalem” noch einmal ansehen und mit Brian Lumleys Geschichte “Sie lauern in der Tiefe”, vergleichen, die drei Jahre vorher – also 1974 – erschienenen ist, entdecken wir Kings kleine Geste in Richtung des englischen Kollegen. Die Hauptfigur Booth scheint ein Probelauf für Stu Redman aus “The Stand” zu sein. An diesem Roman arbeitete King zeitgleich.

“Die Frau im Zimmer” Bis dahin unveröffentlicht

Den Schluss bildet eine weitere ambitionierte Geschichte über einen Mann, der seine krebskranke Mutter vergiftet. Ob sie es so will, bleibt dabei unentschieden. King sah seine eigene Mutter sterben und fing diese Details perfekt ein. Auch hier ist zu erkennen, dass es King in erster Linie um die Figuren geht und erst in zweiter Instanz um das Übernatürliche.

Mit seinen ganzen Höhen und Tiefen ist diese Sammlung Kings Kurzgeschichten-Klassiker schlechthin. Unter den ganzen epochemachenden Romanen, die er schrieb, ging stets fast ein wenig unter, dass King ein Meister dieser wichtigsten aller literarisch-phantastischen Formen ist. Zwischen echten Höhepunkten finden sich immer wieder einige B-Stories, die aber dennoch von einem erstaunlichen Handwerk zeugen. Und über Kings Fantasie müssen wir uns ohnehin nicht unterhalten.

Fairy Tale

Stephen King: Fairy Tale

Stephen King - Fairy Tale
Heyne

Hallo Freunde draußen an den Radiogeräten und willkommen zur Buchbesprechung von Stephen Kings neuestem Roman mit dem märchenhaften Titel “Fairy Tale”. Und wenn ein Roman in jüngster Zeit sich gut in das hier besprochene Stephen-King-Multiversum einfügt, dann ist es dieser, den man am ehesten im King-Kanon in eine Reihe mit “Die Augen des Drachen”, die Romane um den dunklen Turm, dem Talisman oder “The Wind through the Keyhole” (bei uns “Wind”) stellen kann.

Die alternative Märchenwelt des Buches kombiniert Grimmsche Märchenelemente mit Lovecraftschem kosmischem Horror, aber es dauert eine Weile, bis man dort ankommt. Charlie Reade, der Protagonist des Buches, beginnt seine Reise durch den Weltbrunnen erst nach etwa einem Viertel des Buches. Zunächst aber baut King das sorgfältige Porträt von Charlies Leben in der kleinen Stadt Sentry in Illinois auf. Dann aber fließt alles von Rumpelstilzchen bis zu den drei kleinen Schweinchen über Star Wars und den Hunger Games in diese mitreißende Coming-of-Age-Geschichte, die eine Erzählung von menschenfressenden Riesen, elektrischen Zombies, Duellen auf Leben und Tod, einem grausamen Herrscher und einer schönen Prinzessin umspannt.

Es sind jedoch ein Junge und sein Hund, die sich in die große Riege der unvergesslichen Protagonisten einreihen werden.

Als Charlie 8 Jahre alt ist, geht seine Mutter los, um Brathähnchen für die Familie zu holen, und wird von einem Lastwagen getötet, der auf einer vereisten Brücke ins Schleudern gerät. Sein Vater, ein Versicherungssachverständiger, ertränkt seinen Kummer in Alkohol, und auch Charlie selbst gerät für eine Weile auf die schiefe Bahn, indem er anderen gelegentlich grausame Streiche spielt. Sein Vater verliert seinen Job, die Rechnungen stapeln sich, und Charlie beginnt sich zu fragen, ob sie am Ende in ihrem Auto oder unter einer Brücke werden leben müssen.

In seiner Verzweiflung bietet der ansonsten kirchenferne Junge Gott einen Handel an, damit sein Vater aufhört zu trinken: “Wenn du das für mich tust, wer auch immer du bist, werde ich auch etwas für dich tun.” Kurze Zeit später schaut ein ehemaliger Kollege im Hause Reade vorbei und überredet Charlies Vater, bei einem Treffen der Anonymen Alkoholiker vorbeizuschauen. Charlie hält die anhaltende Nüchternheit seines Vaters für ein “Wunder”, und er selbst hat jetzt eine Schuld zu begleichen.

Er hilft freiwillig bei der Straßenreinigung und sammelt Spenden für UNICEF, aber er wird das Gefühl nicht los, dass dies alles nicht genug ist, bis er als Teenager den einsiedlerischen alten Mann entdeckt, der die Straße hinauf wohnt und mit einem gebrochenen Bein am Fuß einer Leiter liegt.

Das Unheimliche in das Alltägliche einzubringen ist ein Markenzeichen von Stephen King – ein gutes Beispiel dafür sind die unheimlichen Botschaften, die ein Geist in “Bag of Bones” (dt. “Sara” von 1998 mit Buchstabenmagneten auf einen Kühlschrank buchstabiert. Hier haben wir es allerdings nicht mit dieser Art von King-Romanen zu tun. Abgesehen von einigen seltsamen Geräuschen, die aus dem Geräteschuppen des alten Mr. Bowditch dringen, geht es in diesem ersten Teil des Romans um Charlies Beziehung zu seinem Vater und seine wachsende Freundschaft mit dem schrulligen Kauz, die durch ihre gemeinsame Liebe zu Mr. Bowditchs alternder Schäferhündin Radar gefestigt wird. Manch einer mag dies als ziemlich langsamen Anfang für eine Abenteuergeschichte bezeichnen, dabei zieht er sich jedoch kein bisschen in die Länge. Im Gegenteil lässt gerade dieser ausführliche erste Teil viel Raum für Kings Paradedisziplin: der Figurenzeichnung.

Charlie ist ein grundguter Junge, aber er ist sich seiner Fähigkeit, sich auch anders verhalten zu können, nur allzu bewusst. Er verlässt das Baseballteam der Schule, um sich um Mr. Bowditch zu kümmern, sobald der alte Mann aus dem Krankenhaus entlassen wird, aber ein nicht unwesentlicher Grund dafür ist sein Wunsch, mehr Zeit mit Radar zu verbringen, die sich dem Ende ihres Lebens nähert.

Als Charlie herausfindet, dass Mr. Bowditch in dem Holzschuppen ein Portal zu einer anderen Welt verbirgt, rückt die Absicht des Romans in den Mittelpunkt. Das Königreich Empis am anderen Ende eines langen Tunnels voller Fledermäuse und gelegentlicher übergroßer Kakerlaken ist ein Reich mit windschiefen Häuschen, Gänsemägden und großen bösen Wölfen, denen man nachts nicht begegnen möchte. Es ist ein märchenhafter Ort, aber einer, der eindeutig in den älteren, dunkleren und gewalttätigeren Versionen der Märchen verwurzelt ist. Charlie findet viele Gelegenheiten, darüber nachzudenken, wie sehr es mit den Disney-Versionen kollidiert, selbst als sein braunes Haar blond wird, seine braunen Augen blau werden und die Einheimischen beginnen, von ihm als dem Prinzen zu sprechen, der dazu bestimmt ist, sie vor einem schrecklichen Fluch zu befreien. Es gibt eine gefährliche Suche in einer Geisterstadt, eine schöne Prinzessin im Exil, menschenfressende Riesen, einen Aufenthalt in einem Kerker, der von elektrifizierten Skelettsoldaten bewacht wird, und ein abscheuliches Wesen aus einer anderen Dimension, das nicht nur Empis, sondern auch Charlies Welt korrumpieren könnte.

In der Widmung von Fairy Tale lesen wir die Kürzel REH, ERB und HPL. Die meisten Leser werden sich nicht schwer damit tun, sie als Robert E. Howard (Schöpfer von Conan), Edgar Rice Burroughs (Tarzan) und H.P. Lovecraft zu identifizieren.

Moderne Märchenerzählungen lassen in den meisten Fällen die Erdverbundenheit der Originale vermissen, während Abenteuergeschichten aus der Pulp-Zeit zwar oft sehr unterhaltsam sind, aber in der Regel mit keiner emotionale Tiefe aufwarten. Fairy Tale hingegen bietet sowohl fleischliche menschliche Schwächen als auch ein voll funktionsfähiges Herz. Die Handlung wird nicht von dem Wunsch des Helden angetrieben, sein Glück zu finden, sondern von etwas so Starkem wie der Liebe eines Jungen zu seinem Hund.

Diese Liebe ist kindlich und einfach, und Charlie ist bereit, sein Leben zu riskieren, um Radar zu retten. Jeder Hundeliebhaber kann Charlies überschwängliche Hingabe an ein Geschöpf, das ihn anbetet, verstehen. Es ist diese Liebe, die ihn nach Empis zieht, aber es ist Charlies komplexe Liebe zu seinem Vater, die ihn wieder zurückbringt. Die Bindung, die Charlie zu seinem Vater empfindet, ist zum einen das elementare Band zwischen Eltern und Kind und zum anderen der hart erkämpfte Lohn für das, was sie gemeinsam durchgemacht und füreinander getan haben. Weder der Junge noch der Mann zögern, ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen, da sie beide nur zu gut wissen, wie plötzlich die Menschen, die wir lieben, aus dem Leben gerissen werden können. Die ersten Seiten, die King mit der Darstellung ihrer Beziehung verbringt, wirken den ganzen Roman hindurch nach und vertiefen ihn.

Es gibt Momente in Fairy Tale, in denen Charlie gezwungen ist, den dunklen Brunnen anzuzapfen, den er als Kind entdeckt hatte, als sein Vater entschlossen schien, das Andenken an seine Frau, Charlies Mutter, zu ehren, indem er abstürzte. Er hatte ihn eine Zeit lang gehasst, und er hasste sich selbst dafür, dass er seinen Vater hasste.

Der Hass ist in diesem Roman ist eine ebenso große Kraft wie die Liebe, und er erweist sich als die Wurzel von Empis’ Fluch. Ein durchgängiges Thema in Kings Werk ist, dass jeder Mensch das Potenzial hat, Böses zu tun, und dass wir nur dann auf ein moralisches Leben hoffen können, wenn wir dies anerkennen und wachsam bleiben. (Vor allem Lovecraft war ein Schriftsteller, der sich nie mit seiner eigenen Neigung zum Hass auseinandergesetzt hat, und sein Werk ist deshalb tatsächlich weniger gut als ständig behauptet wird).

Aber Hass ist auch eine Art von Macht, vor allem für einen Geschichtenerzähler. Das Gute, das Böse, ein Königreich, das es zu retten gilt, Monster, die es zu erschlagen gilt – das ist der Stoff, aus dem phantastische Bücher gemacht sind. Die Striche sind hier breiter und publikumswirksamer als in den letzten großen King-Werken wie “Das Institut”, einem Roman, in dem es zum Teil darum geht, wie Menschen sich selbst davon überzeugen, dass lohnenswerte Ziele unsägliche Mittel rechtfertigen. Und es handelt sich nicht um einen Kriminal- oder Detektivroman wie “Billy Summers” oder seine Holly-Gibney-Bücher. Fairy Tale ist sowohl weitreichend als auch in sich geschlossen, komisch und gruselig, berührend und düster. Am Ende des Romans muss Charlie eine Entscheidung treffen, die ebenso unvermeidlich wie schmerzhaft ist. Er tut schließlich das Richtige, aber das weiß er nur, weil er die Erfahrung darüber besitzt, wie leicht es ist, falsch zu handeln

Stephen King wird 75

Stephen King wird 75

Seit Carrie, seinem ersten Roman, stellt Stephen King eine Gewissheit auf, die ihn durch sein gesamtes Werk begleiten wird: Wahrer Horror ist in der Realität verankert. Das Übernatürliche – Telekinese, das Monströse, das Unheimliche, das Außerirdische – fungiert oft als eine Art Ruhepol in einer stets klaustrophobischen Handlung. Der wahre Horror erscheint dann in Form von Alkoholismus, häuslicher Gewalt, Ehrgeiz, Obsessionen, Trauer, religiösem Fanatismus.

Von Anfang an hatte es King darauf angelegt, den großen amerikanischen Roman zu schreiben. Das ist der Traum eines jeden Schriftstellers seit dem 19ten Jahrhundert. Daran versuchten sich Autoren wie Philip Roth, Ernest Hemingway oder William Faulkner und natürlich viele mehr. Aber es ist Stephen King, der dieses ehrgeizige Ziel wirklich erreicht hat. Der Grund ist relativ simpel: Der Horror ist das Genre, das alles Tun der Menschheit am besten erklärt.

In Kings Romanen finden wir das Grauen auf die schrecklichste Art und Weise dargestellt. Es sind jene Dinge, die ihn selbst erschrecken. Betrachtet man das von der Basis seiner Autorenschaft her, macht ihn das zum interessantesten Autor überhaupt. Nehmen wir als Vergleich Mary Shelly, die mit ihrem Frankenstein-Roman den eigentlichen Horror-Boom auslöste. Sie spricht da über den Schrecken jener Zeit, über den Fortschritt der Wissenschaft; aber das Erschreckende in diesem Roman ist nicht das grüne Monster, das im Billigkino über die Leinwand flimmerte, sondern das, was mit den Menschen geschieht. Und genau das tut Stephen King in seinem Werk, in dem er selbst auch immer präsent ist. Wenn er über Schriftsteller mit Alkoholproblemen schreibt, erkennt man immer den großen Erzähler aus Maine. In vielen seiner Geschichten. In “Misery” gibt es einen Bestseller-Autor und einen fanatischen Fan, eine ehemalige Krankenschwester, die ihn entführt. Es gibt häufig eine King-ähnliche Figur in seinen Romanen. Er schrieb einen sehr schönen Roman mit dem Titel “Lisey’s Story” (dt. “Love”), in dem wir lesen, was mit der Witwe eines Horrorschriftstellers passieren kann. Diese Witwe ist natürlich Tabitha, seine Frau. Jemand, der in seinem Werk ebenfalls sehr präsent ist.

Merkwürdigerweise wird King nach wie vor von Leuten in die Horror-Schublade gesteckt, die sehr wenig von Literatur verstehen, und wahrscheinlicher noch weniger von King selbst. Bedenkt man, dass César Aira, also jemand, der immer wieder für den Nobelpreis nominiert ist, King ins argentinische Spanisch übersetzt hat, wird diese Kluft erstaunlich offenbar.

King baut mit jedem einzelnen Roman an einem Kanon. Das gelingt ihm, weil er nicht nur ein großer Schriftsteller, sondern auch ein großer Leser ist, ein Kulturkonsument. Er interessiert sich für Serien, Filme und Musik und referiert fleißig auf all diese Dinge. Er macht Musik, spricht über Musik, und bezieht Musik auf sehr interessante Weise in seine Erzählungen ein.

Viele seiner Geschichten drehen sich um das Erwachsenwerden. Es gibt eine Geschichte, die später verfilmt wurde und an die wir uns alle erinnern. “Stand by me” ist ein Initiationsfilm, in dem es um eine Gruppe von Jungen geht, die sich auf ein Abenteuer begeben, um die Leiche eines Toten zu suchen. Die Geschichte heißt natürlich “Die Leiche”, und darin geht es auch um eine andere, introspektive Reise. Erzählt wird sie von einem erwachsenen Schriftsteller, der sich an den Moment des Erwachsenwerdens erinnert. Im Grunde geht es um die Traurigkeit, die Unschuld zu verlieren. Stephen King ist heute 75 Jahre alt geworden und wie jeder große Geist immer noch ein Kind. In vielen seiner Bücher sind Kinder die wahren Protagonisten.

Der Phantastikon-Podcast widmet sich auch in Zukunft dem Gesamtwerk, beginnend bei Carrie, einem Roman, der über Mobbing spricht, lange bevor Mobbing überhaupt auf die Tagesordnung gesetzt wurde, über religiösen Fanatismus in der Figur der Mutter, über Ignoranz und darüber, wie man aus der Norm ausbricht, die Gewalt gegenüber demjenigen erzeugt, der sich outet, der aber später so erzählt wird, als wäre das Opfer die eigentliche Gewalttätige. Alles begann 1974 mit Carrie und es ist ein unglaublicher Roman mit Rekonstruktionen von Zeitungen, Nachrichten, Fragmenten von Gerichtsakten. Das Erschreckende an dem Roman ist nicht das telepathische Mädchen, sondern alles, was sie diesem armen Mädchen antun. Er macht uns mit der Gewissheit vertraut, dass wir alle irgendwann für andere das Monster sind. Darum geht es in Kings Werken.

Ich gratuliere dem King aufs herzlichste und in jahrzehntelanger Verbundenheit

Cujo

Stephen King Re-Read: Cujo

Das Buch, das King nach Firestarter angehen sollte, bekam den Namen Cujo, und es handelte nicht von Gespenstern oder übernatürlichen Machenschaften. Ähnlich wie damals, als er nach Colorado zog, um Shining und Das letzte Gefecht zu schreiben, war er auf der Suche nach Inspiration. Im Herbst 1977 besuchte er zu diesem Zweck England und schrieb dort einen experimentellen Thriller, der bis heute seines gleichen sucht. Und obwohl er in einem Interview sagte, dass er verrückt würde, wenn er ständig über Maine schriebe, siedelte er Cujo in Maine an, in einem Sommer, der äußerst heiß daher kam.

Obwohl die internationalen Cover hier auch nicht immer solide waren, schoss Heyne – wie man den Verlag eben kennt – wieder einmal den Vogel ab.

England war jedoch nicht das, was King erwartet hatte. Seine ganze Familie hatte dort keine gute Zeit, und er selbst brachte kein Wort zu Papier. Er fühlte sich ausgebrannt und uninspiriert. Das Haus, in dem sie lebten, war nicht warm zu bekommen, und so brachen sie ihren Aufenthalt, der ein ganzes Jahr dauern sollte, ab und kehrten nach bereits drei Monaten nach Hause zurück. Allerdings hatte King das entscheidende Detail zu Cujo in England erhalten. Dort nämlich las er einen Artikel in der Zeitung, der davon handelte, wie ein Kind in Portland von einem Bernhardiner getötet wurde. King war schon immer ein Meister darin gewesen, die Dinge miteinander zu verknüpfen, und so dachte er an seinen Motorradausflug, den er im Jahr davor unternommen hatte, als sein Motorrad im Nirgendwo plötzlich stehen blieb. Ihm gelang es gerade noch, das Bike zu einem Mechaniker in der Nähe zu bewegen, bevor es endgültig den Geist aufgab. Von der anderen Straßenseite hörte er ein unheimliches Knurren und sah einen riesigen Bernhardiner, der sich gerade bereit machte, ihn anzugreifen. Der Hund gab nur nach, weil der Mechaniker zu ihm hinüberschlenderte und ihm einen Schlag mit dem Steckschlüssel gegen die Hüfte verpasste.

Als nächstes dachte King an den zerschundenen alten Pinto, den er und Tabitha sich von seinem Vorschuss für Carrie gekauft hatten. King fragte sich, was wäre, wenn diese alte Karre im Nirgendwo den Geist aufgegeben hätte? Was, wenn seine Frau den Pinto gefahren hätte? Was, wenn sie eines ihrer Kinder dabei gehabt hätte, und wenn niemand gekommen wäre, um den Bernhardiner zu besänftigen? Tja, und was wäre, wenn der Bernhardiner tollwütig gewesen wäre?

Relativ schnell spielte King das Szenario durch: die Mutter sollte gebissen werden und sich mit Tollwut anstecken. Dann sollte sie darum kämpfen, nicht ihrerseits ihren Sohn anzugreifen. Er hatte bereits die ersten siebzig Seiten geschrieben, als er herausfand, dass die Inkubationszeit für Tollwut bei dieser Idee nicht ganz mitspielte. Aber King brannte förmlich, und ehe er sich versah, hatte er die ersten hundert Seiten seines neuen Buches vor sich liegen, das heute als das „Suffbuch“ bekannt ist.

In Das Leben und das Schreiben verewigt er Cujo mit folgenden Worten:

„Am Ende meiner Abenteuer trank ich einen Kasten Bier am Abend, und daran, Cujo geschrieben zu haben, kann ich mich gar nicht erinnern. Ich mag das Buch, ich wünschte, ich könnte mich daran erinnern, wie ich die guten Stellen schrieb.“

Was Schriftsteller trinken ist manchmal denkwürdiger als das, was sie schreiben – und diese Aussage hat die Virtuosität des Romans vielleicht für immer überschattet. King hat eine Menge hineingepackt in dieses für ihn schlanke Buch.

Jeder kennt das Hauptthema – eine Frau und ein Kind, in einem liegen gebliebenen Auto gefangen von einem tollwütigen Bernhardiner – aber das Buch selbst hat eine sehr seltsame Unterströmung. Viele Thriller arbeiten mit zwei oder drei Handlungssträngen, die sich dann irgendwo treffen. Cujo hat drei Handlungsstränge, und in jedem von ihnen unterschiedliches Personal, und keiner von ihnen hat etwas mit dem anderen zu tun.

Im Mittelpunkt stehen Donna Trenton und ihr vierjähriger Sohn Tad, die gemeinsam zu Joe Camber hinausfahren wollen, um den alten Pinto reparieren zu lassen. Als sie an der Werkstatt ankommen, ist bereits das halbe Buch rum, und als der Pinto mit letzten Zuckungen in der Einfahrt stehen bleibt, kennen wir Donna ziemlich gut. Sie ist selbständig, nicht all zu pfiffig, und verhält sich passiv innerhalb ihrer Beziehungskrise mit Tad.

Tad selbst ist ein Kind, das in sich eine Menge Wut angestaut hat und Angst vor seinem eigenen Schatten hat. In einer langen Beschreibung zeigt King, dass Tads Bewältigungsstrategien aus sinnlosen Tätigkeiten bestehen, weil er sich nur allzu bewusst über die Probleme seiner Eltern ist. King hat hier wieder einmal seine Parademomente, denn wenn man ihm eins nicht absprechen kann, dann ist es sein fast schon unheimliches Verständnis gegenüber seinen Figuren und deren Innenleben.

Der kleine Pinto wird zum Schauplatz einer psychologischen Studie, in dem sich Donna in eine Kriegerin verwandelt, für die es allerdings zu spät ist, jemanden außer sich selbst zu retten.

Handlung Nummer zwei erzählt die Geschichte von Donnas Ehemann Vic, dessen kleine Werbefirma gerade seinen größten Kunden dank verunreinigter Frühstücksflocken verloren hat. Vics Werbeagentur wird zum Sündenbock im folgenden PR-Desaster. Er und sein Partner Roger müssen nach New York fliegen, um zu retten, was noch zu retten ist. In der Nacht, bevor er fliegt, entdeckt er, dass Donna eine Affäre mit einem lokalen Tennisprofi hatte.

Der dritte Handlungsstrang gehört Joe Camber, dem Besitzer Cujos, selbst. Camber ist ein übler Hinterwäldler, der seine Frau mit einem Gürtel schlägt und für den es das Größe ist, am Wochenende nach Boston zu fahren, um dort die Zeit mit Nutten, Schnaps und Baseball zu verbringen. Er hat ein Händchen für Maschinen, aber das ist auch das einzig Gute an ihm. Die wirklich eindrucksvolle Figur jedoch ist seine Frau Charity. Sparsam, fromm, sittsam und gerecht. Normalerweise wäre sie eine von Kings bösartigen Christinnen, aber hier versetzt sich King in ihre Lage und schafft nach Cujo selbst den charismatischsten Charakter.

Nichts an diesen Plots ist neu, aber King wäre ja nicht einer der besten Erzähler aller Zeiten, wenn er nicht einige Kühnheiten in der Hand hätte. Hier besteht sie aus Parallelmontagen. Im Augenblick der höchsten Spannung im alten Pinto, als es so aussieht, als würde Tad an Dehydrierung sterben, schwenkt King auf eine Szene mit Charity und ihrem Sohn Brett, die bei Charitys Schwester gemeinsam frühstücken. Oder er zeigt uns, wie Vic und Roger sich überlegen, wie sie ihre Firma retten können. Außerdem ist es bemerkenswert, dass sich die Handlungsfäden nicht berühren. Trotzdem sind überall Spannungsmomente erster Güte eingebaut, und alles zusammen ergibt das Gesamtbild.

Seltsamerweise sind die beiden anderen Plots zwingender als der eigentliche Hauptteil, obwohl darin Donna und Tad um ihr Leben kämpfen. Vielleicht liegt das an der vorzüglichen Kontrastierung der Figuren. Charity ist da aktiv, wo Donna passiv ist, stark dort, wo sie schwach ist. Alle Figuren stehen vor überwältigenden Problemen, aber Donna hat keine Wünsche über den Tag hinaus. Vic und Charity wollen beide ihre Umstände ändern – und das führt sie in unerwartete Situationen.

King teilte Cujo ursprünglich in Kapitel ein, aber er wollte, dass sich das Buch anfühlt wie „ein Ziegelstein, den jemand durch die Scheibe wirft, wie ein wirklicher Angriff. Es ist anarchisch, wie eine Punkrock-Scheibe.“ Das Ergebnis ist ein Buch, in dem die Worte ununterbrochen dahinfließen, und sich einen Weg bahnen, den physischen Schmerz bei Lesen spüren zu können.

Was wir von der Geschichte um Donna und Tad bekommen sind lange innere Monologe Donnas. Ihre Handlungsabschnitte im Buch werden immer weniger, während sich der Text in ihrem Kopf mehr und mehr entwirrt und auf etwas – irgendetwas – wartet. Man eilt schneller und schneller durch ihre Absätze, King verzögert die Spannungsmomente so stark, dass man sich fast persönlich in Bedrängnis fühlt. Als Cujo dann seine Attacken startet, scheinen sie in Zeitlupe abzulaufen, weil endlich die Spannung der vorherigen Passagen abfällt. Das ist eine Filmtechnik – und King hat diese schon immer unbewusst benutzt.

Cujo selbst ist der tragische Held, ein guter Hund, der nichts dafür kann, dass er aufgrund der Tollwut durchdreht. Es ist diese Hilflosigkeit, die das ganze Buch durchzieht. Aufwand wird nicht belohnt, stattdessen kommen die Belohnungen zufällig.

Billy Summers

Stephen King: Billy Summers

In einer begeisterten Rezension schrieb John Dugdale von der Sunday Times: “Diszipliniert, aber abenteuerlich, gleichermaßen gut in Actionszenen und tiefgründiger Psychologie, zeigt King mit diesem Roman, dass er mit 73 Jahren ein Schriftsteller ist, der wieder auf der Höhe seines Könnens agiert.”

Random House

Neil McRobert vom Guardian nannte es Kings “bestes Buch seit Jahren” und lobte seine “eigene Art eines kräftigen, übersteigerten Realismus”.

Seit fünf Jahrzehnten dominiert Stephen King das literarische Erzählen und mit Billy Summers wandert dieser einzigartige Autor weiter auf jenem Pfad, der schon länger vorhanden ist, den er aber mit “Mr. Mercedes” eindeutig eingeschlagen hat.

Stephen King kennt das Verbrechen. Er ist mit Pulp-Legenden wie Richard Stark und John D. MacDonald aufgewachsen. Um die Wahrheit zu sagen: er war schon immer ein wirklicher Noir-Fan.

Als MacDonald sich bereit erklärte, das Vorwort für Kings Erzählband “Nachtschicht” zu schreiben, hätte er sich vor Freude fast in die Hose gemacht. Wenn King über seine frühen Inspirationen spricht, fallen unweigerlich die Namen zahlreicher Hardboiled-Autoren. Seine Bücher sind voll mit Verweisen auf seine schriftstellerischen Helden. Ohne Kriminalromane gibt es keinen Stephen King.

Sie haben seine Wut auf das System und seine Haltung gegenüber bestimmten politischen Zuständen inspiriert. Man muss sich fragen, wie Kings Herangehensweise an das Schreiben aussehen würde, wenn er nicht mit dem Verschlingen von Groschenromanen aufgewachsen wäre. Zumindest besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sein Schaffen nicht so überschwänglich gewesen wäre. Das Leben eines Autors von Groschenromanen bestand darin, zu tippen, bis die Finger bluteten, und manchmal ganze Romane in weniger als einem Monat fertigzustellen. Sie schrieben Geschichten über schreckliche Menschen, die schreckliche Dinge taten, und die Leser können bis heute nicht genug davon bekommen. In Kings Romanen ist niemand perfekt. Jeder hat seine Macken. Die Protagonisten begehen oft Verbrechen, nehmen das Gesetz selbst in die Hand und tun alles, was nötig ist, um etwas zu erreichen.

Es stimmt zwar, dass die meisten von Kings Werken übernatürliche Elemente enthalten, aber es lässt sich nicht leugnen, dass viele, wenn nicht alle seiner Bücher, auch als Thriller eingestuft werden können. Nur weil man einen Geist oder ein kinderfressendes unterirdisches Monster hinzufügt, heißt das noch lange nicht, dass man nicht auch einen Thriller vor sich hat. Belletristik ist nicht auf ein bestimmtes Genre beschränkt, und das ist vielleicht der Grund, warum Stephen King eine so erfolgreiche Karriere gemacht hat. Er hat sich von Anfang an nie festlegen lassen und ständig verzweigt, Elemente aus verschiedenen Genres aufgenommen und etwas völlig eigenes daraus gemacht.

Die beiden größten Genres sind sicherlich der Horror, aber auch Krimis. Seine Bücher sind vom Ethos des klassischen Thrillers durchdrungen.

Billy Summers ist ein ziemlich gelungenes und gutes Beispiel für einen echten King mit Thriller-Elementen. Im Wesentlichen ist das Buch erneut und wie so oft eine Charakterstudie. Obwohl dieser Roman viele klassische – für King typische – Marksteine enthält, darunter Rache, einen Schriftsteller-Helden, unwahrscheinliche Freundschaften, Traumata, Gerechtigkeit -, macht hier vor allem seine Hingabe an den Realismus und die intensive, fast meditative Konzentration auf die titelgebende Hauptfigur “Billy Summers” zu einem herausragenden Werk.

Billy ist ein Auftragskiller. Aber er hat seine Prinzipien. Er tötet nur schlechte Menschen. Einige der Männer, die er getötet hat, waren in der Tat sehr üble Zeitgenossen. Beim Militär hat er sein Talent als Scharfschütze unter Beweis gestellt, und als er entlassen wurde und keine wirkliche Zukunft vor sich sah, beschloss er, die erlernten Tötungsfähigkeiten beruflich zu nutzen. Als wir ihm begegnen, hat er jedoch genug davon. Er ist bereit, sich zur Ruhe zu setzen. Aber vorher nimmt er noch einen letzten Job an.

Die Bezahlung für diesen letzten Auftrag ist astronomisch, und die Zielperson hat ihr Schicksal zweifellos verdient, aber was Billy wirklich überzeugt, den Job anzunehmen, ist die Tarnung, die er annehmen soll: Er muss sich als Schriftsteller ausgeben, der sich in einem Bürogebäude einmietet, um seinen ersten Roman fertigzustellen. Und genau dort wird Billy auch seinen Schuss abgeben.

Sein potenzielles Opfer wird auf den Stufen des Gerichtsgebäudes in der Nähe des gemieteten Büros abgeliefert, in dem Billy seiner Tarngeschichte als Schriftsteller nachgeht.

Billy verbringt Wochen in der Stadt, bevor die Mühlen der Justiz den Mann schließlich in seine Nähe bringen. Während dieser Zeit hält er sich strikt an seine Tarnung, indem er sich tatsächlich im Schreiben versucht. Er beschließt, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, aber um der Rolle des etwas dümmlichen Typen, die er im Laufe der Jahre perfektioniert hat, treu zu bleiben, nimmt er die Stimme von Benjy Compson an, William Faulkners “idiotischem” Kind aus “Schall und Wahn”. Dies ist nur eine von mehreren literarischen Anspielungen, die King in diesem Buch macht. Er erwähnt auch Dickens, Wordsworth, Shakespeare, Thomas Hardy und Cormac McCarthy, um nur einige zu nennen. Billy ist sehr belesen, und während des gesamten Buches ist er in die Lektüre von Emile Zolas “Therese Raquin” vertieft. Überraschenderweise, oder vielleicht auch nicht, stellt er fest, dass ihm das Schreiben Spaß macht und dass er ein Talent dafür hat. In einer Umkehrung von “Shining”, wo ein Schriftsteller zum Mörder wurde, wird hier der Mörder zum Schriftsteller. Tatsächlich bezieht King sich in seinen literarischen Referenzen letztendlich auch auf sich selbst!

King hat im Laufe der Jahre so viele Autoren-Protagonisten geschaffen, dass dies nicht mehr nur ein Running Gag ist, sondern einfach zur Hintergrundstrahlung seines Werks gehört. Aber selten hat er so viel Zeit und Energie in die Darstellung der eigentlichen kathartischen Arbeit des Jobs gesteckt, bis hin zum Verfassen ganzer Kapitel, in denen Billy seine missbrauchte Kindheit und seinen Militärdienst verarbeitet, um das Netz von Identitäten zu entwirren, das er um sich herum aufgebaut hat. Die Begeisterung, mit der Billy erkennt, dass er endlich hinter den Masken hervorschauen und mit seiner eigenen Stimme sprechen kann (wenn auch nur zu sich selbst), hätte in einem anderen Buch kitschig wirken können, aber in Kings Händen wirkt es ansteckend echt. Neben diesen hochtrabenden Ideen sind diese Auszüge auch eine Gelegenheit für King, ein wenig metafiktionale Spielerei zu betreiben und einen Text zu verfassen, der sich wie das Werk eines begabten Anfängers liest und sich von dem vertrauten Ton im Rest des Buches unterscheidet.

Kurz vor dem Abschluss seines Auftrags macht sich Billy Sorgen darüber, dass es einen Plan geben könnte, ihn nach der Tat abzuservieren, und er schmiedet alternative Fluchtpläne. Er verschanzt sich in einer Kellerwohnung in der Stadt und verlässt sie zunächst nicht, wie es sein Auftraggeber vorgesehen hatte. Als er sich eines Nachts in dieser Wohnung aufhält, sieht er, wie drei Männer in einem Lieferwagen ein schlimm zugerichtetes Mädchen auf der Straße abladen. Er geht hinaus, um nach ihr zu sehen, findet sie gerade noch so lebendig und bringt sie ins Haus. Sie wurde von den drei Männern unter Drogen gesetzt und vergewaltigt. Hier beginnt der zweite Teil des Romans, den nachzuzeichnen diese Besprechung hier sprengen würde.

Ich möchte zum Ende nur darauf hinweisen, dass es das Schreiben ist, das Billy Summers rettet – sowohl die Prosa selbst als auch die Darstellung der Handlung. Zusammen geben sie dem Buch die Rettungsleine, die es braucht, wenn sich das aus den Schlagzeilen gerissene Ende abzeichnet. Selbst in den abgedroschensten Verbrechensszenarien schafft es King, aus der kleinsten Abweichung vom Plan eine Flutwelle der Spannung aufzubauen, die seine “Dauerleser” tief in die schweißnasse Unsicherheit seiner Helden eintauchen lässt, während sie beobachten, wie eine Situation möglicherweise außer Kontrolle gerät. Indem er Billys Sühne in Kommunikation und Schöpfung und nicht in Gewalt verortet, gelingt es King, einen Raum für Erlösung zu finden, der andernfalls vielleicht hohl geklungen hätte. Für ein Buch, dessen einziges übernatürliches Element die gelegentlich auftauchende Ruine des weit entfernten Overlook Hotels ist – wo ein anderer King-Schriftsteller-Stellvertreter einst weitaus schlechter mit seiner Isolation und seinen “Gaben” zurechtkam -, ist Billy Summers auf gewinnende Weise optimistisch gegenüber des kreativen Geistes. Mehr als fast jedes andere King-Buch der jüngeren Vergangenheit ist es ein Produkt seiner Zeit.

Stephen King Re-Read: The Stand

Das letzte Gefecht (The Stand) war ein Meilenstein für Stephen King, und das nicht nur, weil die Größe und das Gewicht des Buches einem tatsächlichen Meilenstein in nichts nachsteht. Es war das letzte Buch für den Verlag Doubleday und brachte ihm seinen ersten Agenten ein, der Stephen King von einem reichen Autor zu einem sehr, sehr reichen Autor machte. In schreibspezifischer Hinsicht gibt es jedoch einen anderen Punkt, der das letzte Gefecht über alles stellt, was der Autor bis dahin geschrieben hatte: es ist lang. Sehr lang. Und das ist wichtiger als man zunächst annehmen mag.

Nachdem King seinen Roman Shining beendet hatte, dauerte es einen Monat, bis er mit seinem nächsten Buch begann: The House on Value Street. Darin sollte es um die Entführung der Verleger-Tochter Patty Hearst gehen. King war der Meinung, dass diese Entführung nur für einen Romancier Sinn ergeben könnte. Doch nach sechs Wochen Arbeit schaffte er nur ein paar Zeilen. Was aber noch schlimmer ins Gewicht fiel für einen charakterbasierten Schriftsteller wie King: seine Figuren fühlten sich leblos an und aus anderen Büchern entlehnt. So saß er vor seiner toten Schreibmaschine, umgeben von Recherchematerial und dachte an den Dugway-Vorfall von 1968. In diesem Dugway-Areal kam es zu einem Unfall: die Army hatte bei einem Nervengas-Test zufällig 3000 Schafe getötet. Er dachte auch über George R. Stewards Buch Leben ohne Ende nach, in dem eine Pandemie fast die ganze Menschheit auslöscht. Außerdem erinnerte er sich an etwas, das er vor kurzem bei einem christlichen Radiosender gehört hatte: “Einmal in jeder Generation wird die Plage über sie kommen.”

Diese drei Ideen wirbelten durch seinen Kopf und manifestierten sich in dem Konzept des “Dunklen Mannes” Randall Flagg. Die Figur basierte auf dem Symbionese Liberation Army-Anführer Donald DeFreeze. King begann mit dem, was er selbst Automatisches Schreiben nennt – und zwei Jahre später war The Stand geboren.

King beschrieb Das letzte Gefecht als sein sehr persönliches Vietnam, einen endlosen Konflikt, den er manchmal regelrecht hasste, den er aber – wie es aussah – nie beenden würde können. In der Zwischenzeit galt es noch, seine hungrigen Verleger bei Doubleday mit der Sammlung Nachtschicht zufriedenzustellen, die aber einen neuen Roman von ihm forderten. Als King mit The Stand fertig war, war er außerordentlich stolz darauf. “Das Buch scheint alles zusammenzufassen, was ich zu diesem Zeitpunkt zu sagen hatte”, erklärte er in einem Interview. Es war genau das, was er wollte: ein Epos von epischer Ewigkeit.

“Ich wollte den Herr der Ringe mit einem amerikanischen Hintergrund machen!”

behauptete er später, und er fügte hinzu, dass er sich zu dieser Aussage vorher nicht hatte hinreißen lassen, falls das Buch nämlich zu einem Desaster werden würde. Denn zu Beginn sah alles danach aus.

Das ursprüngliche Buch war nahe an 1200 Seiten, aber die Doubleday Druckwerke konnten nur 800 Seiten drucken. Also stellte ihm der Verleger ein Ultimatum: Doubleday würde das Buch nicht akzeptieren, es sei denn, es würde um ein Drittel gekürzt. Entweder er nähme selbst 400 Seiten raus oder sie würden es machen. King entschloss sich dazu, die Kürzung selbst vorzunehmen, aber das war der sprichwörtliche Tropfen zu viel. The Stand war das letzte Buch, das bei Doubleday erscheinen würde, denn Kings Vertrag lief damit aus. Sofort heuerte King den Agenten Kirby McCauley an und forderte einen Vertrag über 3 Bücher und 3,5 Millionen USD. Doubleday weigerte sich, über 3 Millionen zu gehen, und das war genau das, was King sich erhofft hatte. Er hatte sich schon längst darüber beklagt, dass ihn der Verlag nicht genügend respektierte, obwohl er dessen Taschen füllte. Von McCauley wurde nun Kings “Umzug” zu New American Library, Kings Taschenbuch-Verlag, in die Wege geleitet, die die Hardcover-Lizenz an Viking übergaben. In der Folge feuerte Doubleday den King-Entdecker und Verleger Bill Thompson.

Auf den ersten Blick ist Das letzte Gefecht kein allzu vielversprechendes Buch. Es ist ein Lobgesang auf ein ländliches Amerika und hat eine fast kindisch-schematische Handlung. Versehentlich entfesselt das Militär eine biologische Waffe (mit dem Spitznamen “Captain Trips”) und räumt damit Amerika ab. Der Rest der Welt wird in einem kurzen Kapitel entsorgt. Ein paar tausend Amerikaner sind natürlich immun gegen die Seuche, und das Buch folgt einigen von ihnen, wie sie sich aus den Trümmern graben. Geleitet von prophetischen Träumen versammeln sich die “Guten” auf einer Farm in Boulder, wohin sie von Mutter Abigail, einer heiligen 108-jährigen Afroamerikanerin, geführt werden. In der Zwischenzeit werden die “Bösen” von Randall Flagg angezogen und haben ihr Lager in Las Vegas eingerichtet.

Der Rest des Buches folgt den glaubensbasierten “Guten” der freien Zone Boulder, die zu ihrer mystischen Reise aufbrechen, um das technokratische Las Vegas und deren Gruppe um Randall Flagg zu zerstören. Die hat sich mit Kampfjets und Nuklearwaffen eingedeckt. Am Ende berührt die Hand Gottes eines dieser nuklearen Geräte und jeder vor Ort stirbt. Die letzten 60 Seiten haben wirklich etwas von Tolkiens “Rückkehr des Königs”. Drei der Helden (zwei Männer und ein Hund) kehren nach ihrem Abenteuer nach Boulder zurück. Allerdings finden sie ihr Zuhause so verändert vor (oder sie selbst haben sich durch ihre Erlebnisse so verändert), dass sie dort nicht bleiben können. Um wirklich ihren Frieden zu finden, schlagen sie sich in die Wildnis.

“Ich litt unter einem regelrechten Karriere-Jetlag”, sagte King über die zwei Jahre, in denen er an dem Buch schrieb.

“Vier Jahre zuvor hatte ich noch in einer Wäscherei für 1 Dollar 60 die Stunde Laken zusammengelegt und Carrie im Hinterzimmer eines Wohnwagens geschrieben. Plötzlich dachten all meine Freunde, ich sei reich. Das war schlimm genug; das Schlimmste an der Sache war, dass es vielleicht sogar stimmte. Die Leute begannen mit mir über Investitionen zu sprechen, über Steueroasen, über den Umzug nach Kalifornien. Das wären genug Veränderungen gewesen, die ich zu meistern hätte, aber ganz zuoberst gab es das Problem eines Amerikas, in dem ich aufgewachsen war und das nun unter meinen Füßen zu zerbröckeln schien.”

Bedrängt von finanziellen und lebenstechnischen Komplikationen, von denen er noch nicht einmal zu träumen wagte – angefangen damit, dass er sich überlegen musste, was er mit dem ganzen Geld anfangen wollte, bis zu der Frage, wie er mit den Legionen neuer “Nummer-eins-Fans” umzugehen gedachte – lebte King ja auch in einer Welt mit wachsender Inflation und steigenden Ölpreisen, willkürlichen Terrorakten, dem Aufkommen der Legionärskrankheit, Plünderungen, die es in New York während eines Stromausfalls gab. Es war ein kompliziertes Leben für einen Mann, der vor 5 Jahren noch in einem Wohnwagen hauste. Ein kompliziertes Leben in einer immer komplizierter werdenden Welt. Aber er konnte diese verworrene Welt und ihre Probleme nicht lösen. Also hat er das Nächstbeste getan: Er blendete alles aus und begann von vorne. Man kann den Spaß, den King dabei hatte, alles auszulöschen, förmlich spüren. Die schiere Freude an der ungezügelten Zerstörung zieht sich durch die erste Hälfte des Buches, vor allem in einem langen Kapitel über den pyromanischen “Müllmann”, der darin einige Öltanks abfackelt und eine ganze Stadt in Brand setzt.

Aber es gab da ein Problem mit der Handlung: wenn die ganze Welt endet, wird es noch genügend Ressourcen für die Überlebenden geben? Wie konnte er seine Figuren dazu bringen, etwas Sinnvolles zu tun? Es würde natürlich postapokalyptische Plagen geben, die Bevölkerung wäre völlig verstreut und würde sich möglicherweise mit ein paar kriminellen Mutanten herumärgern müssen. Aber was sollte der große Aufhänger für die Menschen sein, sich zusammenzufinden, um sich an diesem Konflikt zu beteiligen? Das Problem war, dass King nicht wollte, dass alles aussichtslos erschien. Seine Apokalypse sollte eine epische über einen Krieg der Seelen sein. Und die Lösung die er fand, war wohl eine der gebräuchlichsten in der gesamten Literatur: Träume.

Das organisierende Prinzip in der zweiten Hälfte des Buches sind also nicht die Plagen, sondern die Träume, die die “Guten” nach Boulder leiten und die “Bösen” nach Las Vegas. Schließlich musste er seine Figuren in Bewegung setzen, wo sie doch hätten bleiben können, wo sie gerade sind. Immer wenn King Gefahr lief, in dieses Fahrwasser zu geraten, streute er ein quasi-mystisches Erlebnis ein. Ob es sich um das Verschwinden Mutter Abigails handelt, den “Müllmann”, der eine nukleare Waffe entdeckt, Mutter Abigail, die ihre Gefolgschaft auf die Reise schickt, Nadine, die sich dazu entschließt, Boulder zu verlassen, um mit Randall Flagg ein Kind zu haben, Harold, der eine Bombe einsetzt – stets hat man das Gefühl, dass die Hand Gottes die Figuren in Bewegung hält. Sogar das Ende ist ein klassisches Deus ex machina, denn da taucht die Hand Gottes ja tatsächlich auf und greift in das Geschehen ein.

Die unaufhörliche Einmischung “von oben” ist eine der generellen Schwächen des Buches. Eine andere ist die stereotype Einteilung in gut und böse, schwarz und weiß, nett und gemein. Es gibt die guten Jungs in Boulder und die bösen Jungs in Las Vegas. Es gibt Menschen, die an das Gebet glauben und Menschen, die an Technik glauben. Und es hilft auch nicht gerade, dass die Figuren zu Beginn des Buches zweidimensional sind. Fran ist ein nettes, schwangeres Mädchen. Stu Redman denkt, er sei das Salz der Erde. Larry Underwood ist ein egoistischer Rockstar. King gerät hier in Gefahr, die Fehler aus Brennen muss Salem zu wiederholen – er scheint sie nur auszuweiten. Aber das täuscht. Je länger das Buch andauert, desto tiefer wird die Charakterzeichnung, die King ja ohnehin wie kein anderer beherrscht. King gibt seinen Figuren den Raum, den sie brauchen, um ihn selbst zu überraschen. Und damit überraschen sie natürlich auch den Leser. Am Ende ist nichts mehr übrig von den Gestalten, die sie zu Beginn noch waren. Selbst Mutter Abigail verliert ihre Gnade aufgrund ihres Stolzes. Und Larry Underwood wird zum Helden.

Das letzte Gefecht ist schließlich ein Buch, das durch seine epische Länge King in die Hände spielt, und der nutzt diese Länge nicht so sehr für eine eigentliche Handlung, sondern um seine Charaktere altern und reifen zu lassen. Wer das Buch zu früh abbricht, wird kaum in den Genuss kommen, diesen extremen Wandel und diese hervorragende Figurenzeichnung zu erleben. Für den ist das Buch bereits in seinen Anfängen viel zu lang. Doch King benötigt jede Seite seines Romans, um seine Figuren überzeugend in eine dritte Dimension hineinwachsen zu lassen, und um seine Leser von seinem genreübergreifenden Konzept zu überzeugen.

Die deutsche Version ist bei Heyne erhältlich.

Stephen King – Der amerikanische Meister

Im Phantastikon, dem Magazin, gab es eine spezielle Abteilung für Kingmania. Die Kontroverse um seinen literarischen Wert muss an dieser Stelle nicht wiederholt werden (obwohl wir es im Laufe dieser Rubrik tun müssen), der Autor selbst hat sich seine Falle von Anfang an selbst gestellt: Wer seine eigene Arbeit als literarisches Äquivalent eines Burgers mit Pommes bezeichnet, wird schließlich von einer wenig gebildeten Öffentlichkeit auch so wahrgenommen. Das Problem an der Sache: es stimmt nicht, aber das bemerken jene, die tatsächlich nur Burger mit Pommes lesen ohnehin nicht, und die Kettenhunde der elitären Maskerade rümpfen oftmals die Nase, ahnungslos von allem, was nicht auf der Liste steht, die ihnen ihre Eltern, ihre Lehrer und später die guten Kreise, in denen sie verkehren, in die Hand und ins Hirn gedrückt haben. Dabei ist es nicht verkehrt, King nicht zu mögen oder lesen zu wollen (man pflegt seine Abneigungen – begründet oder unbegründet), aber eine wirkliche Kritik kann sich nur dann entspinnen, wenn man eine Ahnung hat, wovon man redet.

Obwohl meine Lieblingsautoren sich in gewisser Weise aus der sogenannten Hochliteratur speisen, habe ich selbstverständlich immer auch King gelesen, einen Meister der Erzählkunst und tatsächlich einer der begnadetsten Autoren, die Amerika je hervorgebracht hat. Denis Scheck, einer der wenigen deutschen Kritiker, die nicht von ihrer Ignoranz zerfressen werden, hat King einmal den Charles Dickens unserer Zeit genannt. Jetzt darf man natürlich wissen, dass auch Dickens wegen seiner Popularität angeklagt wurde, was heute niemanden mehr interessiert. Und ähnlich wie Dickens wird auch King in einigen Hundert Jahren (insofern unsere substanzlose Rasse soweit kommt) gelesen werden, was auf einige der Lieblinge der Gralshüter garantiert nicht zutrifft, weil sie tatsächlich nichts Ewiges zu verkünden haben.

Stephen King hat die Geschichte oft genug erzählt, in der ein Fan ihn erkannt hat und sagt: “Du bist Stephen King! Ich liebe all deine Filme!” Anfangs hatte King den Leuten noch erklären müssen, dass er ein Schriftsteller sei und diese Filme seine Bücher als Vorlage hatten. Diese kleine Anekdote hört sich zwar überzogen an, zeigt aber durchaus die Tendenz, Literatur nicht mehr als solche wahrzunehmen, sondern von vornherein die Auswahl zu treffen, ob ein Buch als Vorlage für einen Film geeignet ist oder nicht. Da King der meist verfilmte Autor überhaupt ist, entsteht das eigentliche Dilemma. Die überwältigende Mehrheit dieser Filme sind künstlerischer Müll – und das rekurriert in der öffentlichen Wahrnehmung auf Stephen King, den Autor, den man dann natürlich auch kaum mehr als jenen Meister wahrnehmen kann, der er ist, weil sein eigentliches Können von der Popkultur – in der Literatur ohnehin nur eine untergeordnete Rolle spielt – ausgeblendet wird. Kings Ideen schwingen somit frei und weniger begabte Künstler machen sich über seinen Stoff her wie Schmeißfliegen, adaptieren ihn und zerstören damit eigentlich ein erstaunliches literarisches Vermächtnis.

Von Anfang an sprachen Kings dunkle Parabeln die Ängste des späten zwanzigsten Jahrhunderts an. Als stellvertretender Erzähler in “Der Nebel” erklärt King seine Mission:

“Wenn die Technologien versagen, wenn… religiöse Systeme versagen, müssen die Menschen etwas haben. Selbst ein Zombie, der durch die Nacht taumelt”, ist ein “heiterer” Gedanke im Angesicht einer “sich auflösenden Ozonschicht”.

Kings Fiktionen beginnen mit Räumlichkeiten, die von Amerikanern der Fernsehgeneration akzeptiert werden und in den Vorstädten oder Kleinstädten Amerikas eröffnet werden – in Derry, Maine, oder Libertyville, Pennsylvania – und haben die Vertrautheit des Hauses nebenan und des 7-Eleven-Ladens. Die Figuren haben die vertraute zweidimensionale Realität des Kitsches: Sie entstammen Klischees wie dem High-School-“Streber” oder dem weisen Kind. Von solchen Räumlichkeiten aus bewegen sie sich filmisch durch eine Atmosphäre, die einer populären Mythologie nachempfunden ist. King wendet naturalistische Methoden auf eine von der Populärkultur geschaffene Umgebung an. Diese bereits vermittelte Realität lässt sich leicht in übernatürliche Begriffe übersetzen, die eine alptraumhafte Qualität annehmen. Kings Phantasie ist vor allem archetypisch: Seine “Pop”-Vertrautheit und sein jugendlicher Humor schöpfen aus dem kollektiven Unbewussten.

In “Danse Macabre”, einer Studie über das zeitgenössische Horrorgenre, die die gegenseitige Befruchtung von Fiktion und Film betont, unterteilt er sein Thema in vier “Monster-Archetypen”: den Geist, das “Ding” (oder von Menschenhand geschaffene Monster), den Vampir und den Werwolf. Wie bei seiner Fiktion sind seine Quellen die klassischen Horrorfilme der 1930er Jahre, die von der Pulp- und Filmindustrie der 1950er Jahre übernommen wurden. Er weist auf ihre Ableitungen aus dem Schauerroman, dem klassischen Mythos, den Brüder-Grimm-Volksmärchen und der mündlichen Überlieferung im Allgemeinen hin. In einem Zeitalter der Angst, in der man dem Mythos gleichzeitig skeptisch und hungrig gegenübersteht, ist das Grauen grundsätzlich beruhigend und kathartisch; der Geschichtenerzähler verbindet die Rollen des Arztes und des Priesters als Hexendoktor, als “Sündenesser”, der die Schuld und Angst seiner Kultur auf sich nimmt. Im Neoprimitivismus des späten zwanzigsten Jahrhunderts haben diese alten Rollen und die alten Monster eine neue Mystik angenommen.

In “Kinder brauchen Märchen” (1976) sagt der Psychologe Bruno Bettelheim, dass die Magie und die Schrecken des Märchens existenzielle Probleme in Formen darstellen, die Kinder verstehen können. Kings paranormale Schrecken haben für Erwachsene eine ähnlich kathartische und erzieherische Funktion; sie externalisieren die Traumata des Lebens, insbesondere die der Adoleszenz.

Die etwas ermüdende Meinung vieler geht dahin, King als Schreiber von Horrorgeschichten abzutun, obwohl er längst als Chronist der amerikanischen Gegenwart bekannt ist (und außerdem jedes literarische Genre beherrscht und schreibt). Dass er dabei auf übernatürliche Phänomene als Stilelement zurückgreift, kann nichts daran ändern, dass er einer der besten Figurenzeichner der Literaturgeschichte ist; und einer der besten Erzähler. Überhaupt gibt es nur zwei literarische Genres: den weniger umfangreichen bürgerlichen Realismus und die gewaltige Welt der phantastischen Literatur. King verbindet beides auf nicht immer makellose Weise, was ihm wiederum zugute zu halten ist und nicht etwa Kritik heraufbeschwören sollte.

Das Unvollkommene ist das Ehrliche, das jedem großen Schriftsteller anhaftet. In seinen Niederungen kann man also den Burger mit Pommes tatsächlich aufstöbern. Ich will beides tun. Die Filetstücke hervorheben und über das Fastfood schmunzeln.

Erwähnen möchte ich noch die Arbeit von Michael Collins, einem Professor für englische Literatur, weil er einer der erste war, die wissenschaftliche Studien über Kings Arbeit verfassten. Anfang der 1980er Jahre wurde King als nicht geeignet als Lektüre ernsthafter Literaturstudenten angesehen. Dieser Snobismus, den es also auch in einem literarisch aufgeschlossenen Land wie den USA gab, war für Collins inakzeptabel (für Deutschland gilt er wohl für alle Zeiten). Ein Grund, warum Collins mit Kings Werk arbeiten wollte, war der kolportierte Unterschied zwischen Literatur und Trivialliteratur. Seine Studien über das Schreiben im Mittelalter und in der Renaissance hatten ihm gezeigt, dass die Leser und Gelehrten während des größten Teils der Geschichte des geschriebenen englischen Wortes keine solche Unterscheidung getroffen hatten. Der Glaube, dass ein kommerziell erfolgreicher Autor auch künstlerisch verdächtig sein müsse, war ein ziemlich neues Konstrukt. Wir hatten es vorhin von Charles Dickens, aber Collins behauptet in einem seiner Artikel sogar, dass Shakespeare der King seiner Zeit gewesen sei. Das war natürlich ein starkes Stück für die Fundamentalisten, die nicht begreifen, wie Literatur wirklich funktioniert und was sie tatsächlich ist.

Collins ist es zu verdanken, dass King zu einer Institution mit einem eigenen wissenschaftlichen Gerüst wurde. Heute kann jeder fortgeschrittene College-Abschlüsse in spekulativer Literatur erwerben, oft mit dem Schwerpunkt King.

Doch nicht nur Collins allein ist zu erwähnen, sondern auch eines der ersten Bücher, die Kings Werk mit frühen Meistern vergleicht: Tony Magistrales einflussreiches “Landscape of Fear” aus dem Jahre 1988. Dieses Buch trug dazu bei, King in das Gespräch der Hochkultur mit einzubeziehen. Verlage wie Cemetery Dance haben ebenfalls eine lange Geschichte an kritischen, literarischen Schriften über King, und in jüngerer Zeit Pennywise Dreadful (eine von Fachleuten betriebene Online-Präsenz mit King-Exegesen) haben Magistrales Vermächtnis verinnerlicht. All diese King-Chronisten haben bewiesen, dass King mehr Fleisch auf den Knochen hat als von Ignoranten angenommen. Mit Hilfe literarisch-linguistischer Theorien wollte Magistrale beweisen, dass Kings Werk einen Grad sprachlicher Komplexität aufweist, der ihm oft nicht zugestanden wird, und das ist ihr auch gelungen.

King hat es sich selbst nicht immer leicht gemacht, von einem spießigen Establishment ernst genommen zu werden, wenn er zum Beispiel in einer albernen Werbung für American Express als er selbst auftritt und, in ein rauchumwölktes Jacket gekleidet in einem Spukhaus herum turnt. Bis zur Jahrhundertwende hatte King Alkoholismus, Drogenabhängigkeit und einen fast tödlichen Unfall im Jahr 1999 überlebt, bei dem er bei einem Spaziergang entlang der State Route 5 in Maine von einem Lieferwagen angefahren wurde.

Im Jahr 2000 erschien mit “Das Leben und das Schreiben” eine reifere und nüchterne Version des Mannes, der seine Bücher einmal mit Big Macs verglichen hatte. Diese Memoiren waren ein Beichtstuhl und ein Führer zu seinem Handwerk, wahrscheinlich eines der besten Arbeiten über das Schreiben neben Mario Vargas Llosas “Briefe an einen jungen Schriftsteller”. Es fiel selbst dem standhaftesten Kritiker des King schwer, darauf zu bestehen, dass es keine klugen Ratschläge enthielt. Es war auch unmöglich, so zu tun, als sei King nicht in der Lage, in mehr als einem Genre einen Beitrag zu leisten. King erhielt von Präsident Obama die National Medal of the Arts 2014, was gut zu seinem National Book Award 2003 (eine Seltenheit für einen “populären” Schriftsteller), seinem O. Henry Award 1996 und einer langen Liste anderer literarischer Lorbeeren passte. “King hat das erreicht, was ich die Trilogie des Erfolgs als Schriftsteller in Amerika nenne”, sagt der langjährige King-Chronist Stephen J. Spignesi, der Kings Karriere mit der von John Steinbeck vergleicht:

“Er ist erfolgreich im akademischen Bereich, im populären Bereich und begehrt bei den Sammlern”.

Blutige Nachrichten

Stephen King: Blutige Nachrichten

Es kam in den letzten Jahren immer wieder vor, dass vor allem jene Fans, die Stephen King wegen seiner Horror-Element lieben, enttäuscht waren von dem, was er ihnen zu bieten hatte; nicht weniger als eine Perfektion seiner Prosa und eine meisterliche Beherrschtheit seiner Themen, die sich hauptsächlich um Sterblichkeit und Freundschaft drehen (während ein noch größeres Thema die Opferbereitschaft war und ist). Obwohl King schon immer ein außergewöhnlicher Autor war, legt er mittlerweile eine Perfektion an den Tag, die aus schierer Erfahrung resultiert. Stephen King beherrscht als Schriftsteller alles. Seine Romane können ausufern und mäandern, sie können kontrolliert sein, erschreckend, phantastisch, ungehobelt und fein gesponnen. Und wenige Romanciers beherrschen zudem noch die kurze Form, oder die Novelle. Nimmt man es genau, ist in “Blutige Nachrichten” vom titelgebenden Kurzroman über die längere Erzählung bis zur Kurzgeschichte alles vertreten, und es ist nach Frühling, Sommer, Herbst und Tod und Four Past Midnight die dritte Sammlung, in der vier Perlen auf einer Schnur aufgereiht sind.

Warum also sollten viele Fans davon enttäuscht sein? Weil sie oft genug vergessen, dass Kings Werk vermuten lässt, dass Freundlichkeit oder eine kurze Phase der Zufriedenheit an den schrecklichsten Orten zu finden ist. Viele seiner Erzählungen, gerade der älteren, sind schwarz bis auf die Knochen, oft gab es dort keine Illusion der Hoffnung, aber meistens interessiert sich King dann doch für die Warmherzigkeit und das Mitgefühl, die der Dunkelheit am Rande der Grauzone trotzen. Sein Werk hat einen sowohl warmen Charakter als auch eine beruhigende Vertrautheit, die das Grauen im Innern mildert. Und das hat sich über die Jahre nicht unbedingt verstärkt, aber noch präziser herauskristallisiert.

Und damit begrüße ich euch zu einem weiteren Beitrag in unserer Rubrik “Das Stephen-King-Multiversum”. Heute geht es um die 2020 bei Random House erschienenen “blutigen Nachrichten”.

Jede der in “Blutige Nachrichten” versammelten Geschichten ist für King-Leser eine Rückkehr auf bekanntes Gebiet, aber zum größten Teil sind sie mit einem solchen Charme geschrieben, dass das Altbekannte in seiner Aufrichtigkeit erfrischend wirkt. Und in der Tat ist Aufrichtigkeit ein Schlüsselelement dieser Geschichten.

Blutige Nachrichten

Die Titelgeschichte, in der Holly Gibney, die Privatdetektivin, die sich in der Bill-Hodges-Trilogie und in The Outsider vom einer Handlangerin zur Heldin entwickelt hat, erneut auftritt, ist die längste Geschichte der Sammlung.

Das erste Soloabenteuer von Holly wurde aus verschiedenen Gründen mit Spannung erwartet. Dabei handelt es sich zwar nicht um eine direkte Fortsetzung von The Outsider, die geschilderten Ereignisse knüpfen jedoch direkt daran an. Hollys Detektei Finders Keepers konzentriert sich gewöhnlich auf entlaufene Hunde und Kautionsflüchtlinge, und das ist für Holly genau das richtige Umfeld, denn sie ist alles andere als eine Action-Heldin. Ihre Schrullen sind es, die sie zu einer so brillanten Figur machen, sensibel gezeichnet und realistisch durchdacht. Wie ihre Diagnose genau lautet, wissen wir nicht, nur so viel, dass sie höchst ängstlich ist. Mehr müssen wir aber auch nicht wissen, denn tatsächlich laufen die meisten Menschen, die an einer psychischen Grunderkrankung leiden, jahrelang undiagnostiziert durchs Leben, und wenn, sind die Diagnosen meistens falsch.

Häufig gehen die Neurosen oder Kämpfe der Menschen auf Ereignisse in ihrer Kindheit und auf die Beziehungen zu ihren Eltern zurück. King zeigt, dass er wie kein anderer weiß, was seine Aufgabe als Schriftsteller ist. Wir erhalten Einblicke in Hollys frühere Welt und erfahren mehr über die Beziehung zwischen ihr und ihrer Mutter, die ein Haupteinfluss für Hollys Problematiken ist. Die Figurenzeichnung ist präzise und emotional, und das ist ein Hauptmerkmal der ganzen Erzählung, die in der Tat kein Feuerwerk ist, sondern eher eine Vitrine, in der man einem Großmeister bei seiner Arbeit zusehen kann.

King beherrscht Komplexität gekonnt. Holly mag als eine verletzliche Figur erscheinen, als wäre sie aus Glas, aber die Tapferkeit und der Mut, den er ihr zugesteht, sind das, was die Dinge wirklich antreiben. Man will ihr die Hand reichen und sie beschützen, sie abschirmen; aber King schreit den Leser an: “Wagen Sie es nicht, sie ist die Heldin und beschützt Sie vor den Monstern”. Herauszufinden, ob es ihr gelingt, ist die ganze Freude bei der Lektüre dieser Geschichte.

Mr. Harrigans Telefon

“Mr. Harrigans Telefon” verdankt den EC-Comics und den Twilight-Zone-Episoden, die der Autor immer wieder als seine frühen Inspirationen bezeichnet hat, offensichtlich sehr viel. Und wieder zeigt King, dass er auch Figuren in der ersten Person brillant zeichnen kann. Manchmal ist es so, als würde man einer Autobiographie folgen, so gut kennt er seine Charaktere, die man – und das wiederhole ich immer wieder – nirgendwo authentischer finden wird. Es ist nicht die einzige Geschichte mit einem gewissen Maß an Nostalgie (die nächste ist es nicht weniger), wenn der Meta-Kommentar darin enthalten ist, wie schnell sich die Dinge innerhalb von 15 Jahren verändert und entwickelt haben.

Die Hauptfigur, Craig, erzählt die Geschichte als Erwachsener. Die Wahl, die Geschichte in der jüngsten Vergangenheit anzusiedeln, zeigt, wie ernst King jeden Teil seines Handwerks nimmt. Wir denken, dass wir uns an ein, zwei Jahrzehnte spielend erinnern können, aber wenn es darum geht, die Tatsachen zu überprüfen, würden wir uns wahrscheinlich schwer tun. King bleibt relevant, weil er ein geschärftes Auge auf die Dinge wirft; diese Erzählung zeigt, dass er nicht so sehr ein Satiriker ist (für ihn steht die Geschichte immer an erster Stelle), sondern ein Mensch, der genug Veränderungen erlebt hat, um uns davon zu erzählen. Die Geschichte spielt in den frühen Jahren der mobilen Technik, hat aber eine so zeitlose Stimme, dass das mobile Telefon bereits ein unheimliches, anachronistisches Objekt zu sein scheint, noch bevor der überkandidelte Blödsinn, den wir heute haben, einsetzt.

Chucks Leben

Wenn “Mr. Harrigans Telefon” an Kings frühe Romanen erinnert, dann ist “Chucks Leben” eine angemessene Darstellung seiner späteren literarischen Experimente. Die Geschichte wird in drei verschiedenen Teilen erzählt, von denen jeder in einem anderen Genre angesiedelt ist, durch die King den Leser auf eine umgekehrte Tour durch Momente in Chucks Leben von der Schwelle zur Sterblichkeit zurück in seine Kindheit führt. Der erste Teil ist ein apokalyptischer Alptraum, der durch einen netten metaphysischen Trick mit Chucks bevorstehendem Tod verbunden ist, während der letzte Teil einen Blick auf seine Kindheit in einem einzigartigen Spukhaus wirft. Aber es ist der Mittelteil, der am hellsten strahlt, als ein Stück emotional getriebener, nostalgischer Charakterarbeit, die Art von Schreiben, die King am häufigsten dann gelingt, wenn er gerade außerhalb des Horror-Genres arbeitet.

Hier begegnen wir Chuck im frühen mittleren Alter, als sich sein Weg mit einer einsamen jungen Frau und einem Straßenmusiker kreuzt. Ihre kurze Begegnung ist nicht lebensverändernd oder gar besonders bedeutsam, aber es ist die Vergänglichkeit des Augenblicks, die der Vignette eine solche Schärfe verleiht. Die Regeln von Chucks Welt sind vorübergehend außer Kraft gesetzt, und die Geschichte bietet einen vorbehaltlos positiven Moment des menschlichen Engagements. King ist in der Lage, aus so kleinen Begebenheiten Freude zu zaubern, dass sich der Leser fragt, wie der Trick zustande kam.

Ratte

Und wenn das Schreiben eine Art Magie oder seltsame Alchemie ist, dann erforscht die letzte Geschichte in Kings Sammlung sowohl die hellen als auch die dunklen Hälften dieser Verzauberung. Die titelgebende Ratte sieht die Version des treuen (und wiederkehrenden) fiktiven Stellvertreter des Autors in einer Hütte im Wald für kurze Zeit sein Domizil errichten. Drew ist dort, um einen Roman zu schreiben, etwas, das ein erhebliches Risiko birgt, da frühere Versuche ihn fast in den Wahnsinn getrieben haben. Während anfangs alles gut läuft, ziehen bald (sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne) Gewitterwolken auf. Ein unkluger Handschlag und die Anwesenheit einer seltsam gesprächigen Ratte verwandeln die Geschichte von der Angst eines Schriftstellers in ein faustisches Schnäppchen.

“Ratte” ist Kings bester Versuch, den Druck und die Klaustrophobie des Schreibprozesses seit Misery (Sie) zu vermitteln. Wir spüren Drews Aufregung über das leere Blatt und die endlosen Möglichkeiten, die es bietet. Es ist eine Aufforderung zu den (kreativen) Waffen. Die ersten 30 Seiten lassen vielleicht Sehnsucht nach einer eigenen Hütte im Wald aufkommen, um frei von den Verpflichtungen eines normalen Lebens zu sein. King schreibt mit absoluter Klarheit über die schriftstellerische Frustration und vergleicht sie in einem denkwürdigen Bild mit Drews Sohn Brandon, der fast an einer Tomate erstickt: “So ähnlich ist es bei mir”, sagte er. “Nur dass es bei mir im Hirn steckt statt im Hals. Ich ersticke zwar nicht richtig, aber ich bekomme nicht genügend Luft. Deshalb muss ich das Ganze zu Ende bringen.”

Als Drew anfängt, “seine Worte zu verlieren”, und seine Möglichkeiten sowohl kreativ als auch in Bezug auf das Überleben eingeschränkt werden, verwandelt sich “Ratte” in eine poetische Geschichte von Wahnsinn, Isolation und Besessenheit. Jeder, der jemals all seine Bemühungen in ein persönliches, kreatives Projekt gesteckt hat, wird Drews Perspektivenverlust erkennen, sobald der Roman damit beginnt, allumfassend zu werden.

Musik von David Fesliyan

Stephen King Re-Read: Shining

Inspiriert von einem Alptraum, den Stephen King während eines kurzen Aufenthalts im Stanley Hotel in Colorado hatte, das am nächsten Tag seine Pforten für die Saison schließen sollte, ist The Shining sein erstes Buch, das er aus einer finanziellen Stabilität heraus auf den Weg brachte. Die Folgeauflagen von Carrie und Brennen muss Salem waren beschlossene Sache, die Taschenbücher verkauften sich gut, ein Vertrag mit Doubleday über weitere Bücher war unterschrieben, und er konnte es sich nun leisten, mit seiner Familie nach Boulder zu gehen. Stephen King war also bereit. Und was tat er? Er öffnete sich gänzlich und blutete förmlich über alle Seiten, die er schrieb.

Wenige Bücher zelebrieren derart die Innenschau wie Shining. Die Situation war folgende: Ein dem Alkohol zugetaner Lehrer, der eine Familie zu versorgen hat, schreibt sich also zunächst in eine finanzielle Sicherheit hinein, um dann über einen dem Alkohol zugetanen Lehrer zu schreiben, der eine Familie zu versorgen hat und daran scheitert, sein Talent sinnvoll einzusetzen und in der Folge seine Familie umbringen will.

„Ich verfasste Shining, ohne zu begreifen, dass ich über mich selbst schrieb.“

sagt King in seinem Sachbuch „Das Leben und das Schreiben.“ Er hatte schon vorher über seine Wut gesprochen, die er in den Jahren des Existenzkampfes empfand, und auch darüber, dass er oftmals einen regelrechten Zorn auf seine Kinder entwickelte. All das kommt in Jack Torrance zum Vorschein, einem nicht gerade liebevollen Vater, der seinem Sohn den Arm bricht als er wieder einmal betrunken ist (King gestand später, dass er zu dieser Zeit fast ausschließlich besoffen war). All die Jahre der Scham, der Angst, er könnte seine Familie nicht versorgen, des Gefühls, als hinge ein Mühlstein um seinen Hals. Das alles schüttelt King jetzt dank seines Erfolges ab. Als Folge wirft er seinen Erzähl-Motor an und taucht genau dort noch einmal ein. Er überträgt seine schlechteren Verhaltensweisen auf Jack Torrance, so wie man eine Kopfschmerztablette nimmt, wenn man verkatert ist.

Unterbewusst schrieb King seinen Jack Torrance als einen Akt des Exorzismus, stellte sich seinen Ängsten, die darin bestanden, die Kontrolle zu verlieren und das alles eines Tages an seinen Kindern auszulassen. All das floss nun zu Papier. Aber das geschah nicht bewusst. Es sind die stillen Passagen des Buches, die das verdeutlichen. King hat oft davon gesprochen, dass der Schreibprozess für ihn auf eine gewisse Weise dem automatischen Schreiben gleicht, von einem Gefühl, dass er das Gefäß sei und die Geschichte zu ihm käme und nicht von ihm. Die Voraussetzungen, unter denen er The Shining zu Papier brachte, waren also optimal dafür geeignet, um sein Unterbewusstsein offen legen zu können.

Da er nicht in dem Haus schreiben konnte, das seine Familie in Boulder bewohnte, mietete er sich ein Zimmer von einer Frau, die er niemals zu Gesicht bekam. Jede Woche ließ er dort einen Scheck unter einer Kaffeetasse in der Küche zurück. Hier schrieb er dieses Buch in einem Zeitraum von sechs Wochen. The Shining ist im Original ungefähr 200 000 Worte lang, was bedeutet, dass er ein tägliches Pensum von 5000 Wörtern absolvierte. Das ist eine Geschwindigkeit, bei der man nicht mehr weiß, was man zu Papier bringt. Dabei ist es egal, wie oft man das Skript später bearbeiten muss. Das Material, das auf diese Weise zum Vorschein kommt, hat Priorität. King schrieb über das, was er am besten kannte, über Alkoholismus, einen perversen Hang zur Selbstzerstörung, und – am allerwichtigsten – über die Angst, so zu werden wie sein Vater.

King wurde nicht nur von seinem Vater verlassen, als er zwei Jahre alt war, er war außerdem ein gescheiterter Schriftsteller. Und das hing während des Schreibens stets über King. In einem verworfenen Prolog zu The Shining, mit dem Titel „Before the Play“, wächst Jack Torrance heran und missbraucht seinen Sohn, weil er ebenfalls von seinem Vater missbraucht wurde. Eine Stimme flüstert ihm zu: „Was du siehst ist, was du sein wirst.“

Es ist das lastende Thema eines jeden Elternteils, seine Kinder besser erziehen zu wollen als man selbst erzogen wurde, und es scheint, als wäre dies das permanente Echo in Kings Kopf. Von Randal Flagg in „Das letzte Gefecht“ bis Bob Anderson in „Eine gute Ehe“ finden wir monströse Männer vor, die ihre Familien ruinieren oder ihre Kinder töten. Wir finden das also überall in Kings Büchern. Aber der eine, der alle in den Schatten stellt ist Jack Torrance.

Jack ist der geborene Alptraum eines jeden Schriftstellers. Gerade talentiert genug, um sich selbst in Schwierigkeiten zu bringen, gelang es ihm, einige Geschichten an große Verlagshäuser zu verkaufen. Aber er war noch nie fähig, sich an grundlegende Vereinbarungen zu halten. Er investiert sein Geld in Schnaps, wird Trocken, weil er im Suff fast ein Kind tot fährt. Eines Tages geht sein Temperament mit ihm durch. Er schlägt einen seiner Schüler, wird als Lehrer entlassen und von einem letzten verbleibenden Freund aus der Armut gerettet, der ihm einen Job als Hausmeister im Overlook Hotel in Colorado verschafft. Das ist die Horror-Version von Kings Leben, der sich zwar an seine Vereinbarungen und Versprechen stets gehalten hat, der allerdings zu diesem Zeitpunkt nicht trocken war. Aber er führte seine Familie in den Reichtum und nicht etwa ins Verderben.

Als die Familie Torrance in Colorado ankommt, werden dem Leser sofort zwei Dinge bewusst. Erstens, dass es sehr schwer ist, Shining zu lesen, nachdem man Kubricks Filmadaption gesehen hat. Diese beiden Werke sind völlig unterschiedlich. Es ist schwer, nicht die Gesichter von Jack Nicholson, Shelley Duvall oder Danny Lloyd vor sich zu sehen, wenn man über diese Familie liest, oder sich das Overlook Hotel vorzustellen, ohne die endlos langen Korridore vor Augen zu haben, die Kubrick verwendete.

Das Problem daran ist, dass sich daraus falsche Erwartungen ergeben. Die Aussage des Buches ist eine radikal andere als im Film, die Höhepunkte unterscheiden sich in beiden Medien völlig. Da es nicht einfach ist, sich von dem einen Medium zu lösen, während man sich dem anderen hingibt, stellen sich hier echte Hindernisse ein. Aber es ist schließlich die Kraft, die in Kings Buch steckt, die sich gegen den Film behaupten kann. Kubrick hatte für seinen Film natürlich das richtige getan, als er wesentliche Elemente aus dem Buch eben nicht verfilmte. Die Effekte in jenen Tagen wären nicht dazu in der Lage gewesen, Kings Vision vernünftig umzusetzen.

King kritisierte Kubrick zurecht dafür, dass er jegliche übernatürlichen Elemente ausklammerte, die im Overlook Hotel am Werk sind. Er habe die Geister „psychologisiert“ und sie zu einer bloßen Vorstellung Jacks werden lassen. Kubrick beschrieb den Film als „Nur eine Geschichte über einen Mann und seine Familie, die gemeinsam verrückt werden.“ Für King aber ging es darum, aufzuzeigen, dass das Overlook von einer übernatürlichen Macht heimgesucht wird. Alles hier ist übernatürlich, nicht psychologisch. Und während Jack auf seinen Zusammenbruch zusteuert, ist es nicht sein Wahnsinn, der das Overlook zu einem bösen Ding macht, es ist umgekehrt: das Overlook treibt Jack in den Irrsinn. Und doch sind es in Kings Buch nicht so sehr die Erscheinungen, die Phantasmen oder wankenden Untoten, sondern ein psychologischer Spuk, bestehend aus bösartigen Gefühlen, psychischen Blitzschlägen, und unerklärlichen Momenten emotionaler Not.

Selbstverständlich ist da eine Frau im Bad in Zimmer 217, aber weitaus erschreckender ist der Betontunnel auf dem Spielplatz, in dem ein totes Kind umgeht, von dem man nur den Hauch einer winkenden Hand mitbekommt. Die Formschnitt-Tiere (aus den Hecken geschnitten) greifen Menschen an, aber mindestens genauso verstörend sind die Visionen vergangenen Blutvergießens. Und als Danny seine Begegnung mit einem Feuerpferd hat, dauert dies mehrere alptraumhafte Seiten lang an, und doch geschieht nicht mehr, als dass er von der Mauer fällt.

Als zweites wird beim Lesen von Shining sofort ersichtlich, dass es um Geldsorgen geht. Der Hausmeisterjob ist Jacks letzte Chance, und mehrfach weigert er sich, das Hotel zu verlassen, während der gesunde Menschenverstand längst sagt, dass es höchste Zeit ist, die Familie zu schnappen und aus dieser Hölle zu verschwinden. Warum? Weil Jack das Geld dringend nötig hat.

Zu Beginn des Buches hängt die Ehe von Jack und Wendy aufgrund der finanziellen Not an einem seidenen Faden. Das hat beide sehr verändert. Wären sie nicht so sehr gescheitert, hätten sie eine Wahl gehabt, aber die Ehe ist kaputt und so können sie sich nur dem Overlook Hotel zuwenden, in der Hoffnung, dass sie das retten wird. Eine Wahl zu haben, das ist etwas für reiche Leute, nicht für eine Familie wie die Torrances. Es ist diese Hoffnungslosigkeit, die King, der in extremer Armut aufwuchs, kenntnisreich schildert. Die Familie ist dabei zwei Gefahren ausgesetzt: einer übernatürlichen und einer ökonomischen. Die eine Angst unterfüttert dabei die andere.
King gelingt es hier, seinen literarischen Anspruch geltend zu machen, er hat etwas, was der meisten Genre-Literatur abgeht. Er zeichnet seine Figuren lebendig und gibt ihnen Zeit, sich zu entwickeln. Betrachtet man Kings Begriff „shining“ als eine Gefühlsübertragung, als ein Wissen, was der andere denkt, ohne Worte formulieren zu müssen, dann kann man das Buch ebenfalls als eine Art telepathisches Shining bezeichnen, das King auf jeden seiner Leser überträgt.

Aus vier Positionen heraus erzählt (die drei Torrances und Dick Halloran) ist das Buch eine ausführliche Reise in deren Köpfe, um dahinter zu kommen, wie sie sich – fern eines Dialoges – fühlen.

Danny und Jack kommt dabei die meiste Innenschau zu, während hingegen Wendy, bei der King davon ausging, dass sie dem Publikum ohnehin sympathisch erscheint, die wenigste Zeit zugedacht bekommt. Diese erzählerische Rotation auf die vier Figuren gelingt King ausgezeichnet. In den meisten Horror-Romanen kann man eine Szene, in der sich die Ehepartner in ihre getrennten Betten legen und einschlafen, lässig überfliegen, aber Kapitel 21: Nachtgedanken in Shining ist eines der packendsten des ganzen Buches. Während sich King zwischen Danny, Wendy und Jack bewegt, als diese nach einem langen Tag gerade in den Schlaf finden, erkennen wir die ersten Sprösslinge von Jacks drohendem Zusammenbruch. Wendy beschließt, mehr Rückgrat zu zeigen und etwas zu unternehmen, und Danny wird klar, dass es zu spät für sie ist, dem zu entkommen, das da im Overlook Hotel auf sie lauert.

In Jack Torrance wird Kings furchtbarste Angst lebendig: ein alkoholkranker mittelmäßiger Schriftsteller zu sein, der kurz davor steht, seine Familie zu zerstören. Allerdings wird der Unterschied zwischen King und Torrance spätestens in Kapitel 32 klar. Das ist der Punkt, an dem Jack endgültig die letzte Grenze zum Wahnsinn überschreitet. In diesem Kapitel liest er noch einmal das Manuskript, an dem er die ganze Saison gearbeitet hat und wird sich bewusst, dass er seine Figuren verachtet, er will sie leiden lassen. Sollte bis dahin noch irgend ein Leser daran gezweifelt haben, dass Jack verrückt wird, ist hier der Augenblick gekommen, an dem das völlig klar wird. Für King ist der Verlust der Sympathie gegenüber den eigenen Figuren ein Zeichen verdorbener Fantasie. Es ist Kings größtes Tabu, und eines, das er niemals brach. Ganz egal, wie übel die Figur ist, er findet stets einen Weg, sie zu mögen. Sogar Jack Torrance.

Diese Herangehensweise, selbst für den Teufel Verständnis aufzubringen, mag Kings Weg sein, sich selbst darüber klar zu werden, dass er kein Jack Torrance ist. Trotz all seiner selbstzerstörerischen Tendenzen, trotz all seiner Wut, die er hin und wieder auf seine Familie empfand, trotz all der Leiden, der Zweifel, hörte er niemals auf, seine Figuren zu lieben, selbst die ganz üblen. Und in Shining schrieb er über die schlimmste Figur, die er sich vorstellen konnte: sich selbst.

Stephen King Re-Read: Brennen muss Salem

Kings zweiter veröffentlichter Roman – Salem’s Lot – erschien 1975, die deutsche Übersetzung – Brennen muss Salem – allerdings erst im Jahre 1979 in stark gekürzter Fassung und einer miserablen Übersetzung. Erst 1995 erschien die ungekürzte und neu übersetzte Fassung bei Heyne. Es gibt noch eine Ausgabe des Zsolny-Verlags von 2006, die man sich nur besorgen sollte, wenn man das neu geschriebene Vorwort von King – und die ursprünglich gestrichenen Passagen – lesen möchte. Von der Neuübersetzungen der beiden Geschichten “Briefe aus Jerusalem” und “Einen auf den Weg”, die dem Buch als Prolog beigefügt wurden, sind ebenfalls sehr schlechte Übertragungen von Silvia Morawetz und Jerry N. Uelsmann

In den agnostischen und sexuell befreiten 1970er Jahren war der Vampir bereits seiner Mythologie beraubt worden und zu dem verkommen, was Stephen King “die Bedrohung durch das Lächerliche” nannte. In signifikanter Abweichung von der Tradition hat er den sexuellen Aspekt des Vampirs reduziert und den Archetyp eine völlig neue Bedeutung zugesprochen, indem er die Anziehungskraft des Vampirs auf den menschlichen Wunsch richtete, seine Identität innerhalb der Masse aufzugeben.

In Anlehnung an Richard Mathesons düster-naturalistischen Roman “I Am Legend” (1954) und Jack Finneys Roman “The Body Snatchers” (1955) konzentrierte sich King auf die Problematik der Fragmentierung und gab dem Vampir eine zeitgenössische Bedeutung.

King erklärte, dass der gesellschaftspolitische Subtext von Brennen muss Salem die allgegenwärtige Desillusionierung in der Watergate-Ära als Ausgangspunkt hatte. Wie Gerüchte und Krankheiten breitet sich der Vampirismus nachts heimlich aus, von Nachbar zu Nachbar, infiziert Männer und Frauen, die Verrückten und die Senilen, den mündigen Bürger und das Kleinkind gleichermaßen, und absorbiert die menschliche Bevölkerung, bis nur noch eine zombieartige Masse übrigbleibt.

Besonders gekonnt zeigt King, wie sich der kleinstädtische Konservatismus in sein Gegenteil verkehren kann, wie die gehegten Verdächtigungen und offenen Geheimnisse allmählich entzweien und isolieren. Verstärkt wird dieses Bild durch den Namen der Stadt, “Salem’s Lot”, eine degenerierte Form von “Jerusalem’s Lot”, die suggeriert, dass die Stadt der Auserwählten in einen Kult dunkler Riten zurückfällt.

Kings andere Neuerung war, paradoxerweise, eine Wiederholung. Er machte seinen “Königsvampir”, Barlow, zu einer offensichtlichen Reinkarnation von Stokers Dracula, die irgendwo zwischen Klischee und Archetyp angesiedelt ist. King benutzt die Mythologie der Vampire, um die Frage zu stellen, wie die Zivilisation ohne den Glauben an traditionelle Autoritätssymbole existieren kann. Seine Antwort ist pessimistisch und dreht sich um die Abdankung von Pater Callahan, dessen Stärke durch heimlichen Alkoholismus und oberflächliches Festhalten an der Norm untergraben wird. Die beiden Überlebenden, Ben Mears und Mark Petrie, müssen ihre Talismane und Rituale teils neu suchen, teils neu erschaffen, wobei sie auf das Kompendium der Vampirüberlieferung zurückgreifen – die einzige Alternative in einer kulturweiten Glaubenskrise gegenüber konventionellen Systemen. (An einer Stelle hält Mears einen Vampir mit einem aus zwei Zungenspateln gebastelten Kreuz zurück.) Die Utensilien, so stellen sie fest, funktionieren nur dann, wenn derjenige, der sie benutzt, daran glaubt.

Es ist bezeichnend, dass die beiden Überlebenden jeweils ein “frühreifes Kind” (Petrie) und ein Romanautor (Mears) sind; nur sie haben die nötigen Mittel. Selbst Susan Norton, Mears’ Geliebte und die klassische Gothic-Heldin, erliegt dem Bösen. Wie in “The Shining”, “The Dead Zone” und “Firestarter” verfügt das Kind (oder der kindliche Erwachsene) über Kräfte, die zum Guten oder zum Bösen eingesetzt werden können. Mears ist der fantasievolle, nostalgische Erwachsene, der von der Vergangenheit heimgesucht wird. Das Kind und der Mann teilen ihre Naivität, die gotische Ikonographie und den Glauben an das Böse. Der zwölfjährige Mark hat ein schreiartiges Tableu mit Plastik-Monstern angehäuft, die “im Dunkeln grün leuchten, genau wie der Plastik-Jesus”, den er in der Sonntagsschule für das Auswendiglernen von Psalm 119 bekommen hat. Mears ist in die Stadt seiner Kindheit zurückgekehrt, um ein Bild des Marsten-Hauses wiederzubeleben, das vor seinem mythischen geistigen Auge lauert. Als spiritueller Vater und Sohn erschaffen sie aus den “poppigen” Überbleibseln der amerikanischen Kultur eine Gemeinschaft zu zweit.

Wie im Märchen und in den Romanen von Dickens sind Kings Protagonisten Waisenkinder auf der Suche nach ihren wahren Eltern, nach Gemeinschaft. Seine Fiktion spielt hier Kings eigene Suche nach dem verschwundenen Vater, der eine Kiste mit Weird Tales-Heften zurückgelassen hat, nach.
Das ersehnte Band zwischen Eltern und Kind, eine Beziehung, die eine Einheit des Seins bedeutet, taucht in seinem gesamten Werk auf. Die Schwäche oder der Verrat eines vertrauten Elternteils ist dementsprechend die ultimative Angst. So ist der Vampir Barlow der verschlingende Vater, der sich hier eine ganze Stadt einverleibt.

Den Großteil des Manuskripts zu Brennen muss Salem schrieb King, bevor er Carrie verkaufen konnte, als er sich noch über einen Schultisch im Wäscheschrank seines Wohnmobils krümmte, ein wenig an der High School unterrichtete, völlig am Ende, verzweifelt und ohne Hoffnung.

Teilweise inspiriert von den auf seinem Lehrplan stehenden Werken wie Thornton Wilders “Unsere kleine Stadt” und Bram Stokers “Dracula” bezeichnete er sein Buch als “eine eigenartige Mischung aus Peyton Place und Dracula”, oder als “Vampire in unserer kleinen Stadt”.

Nachdem er Carrie verkauft hatte, überbrückte er die Wartezeit bis zum Erscheinen seines Debüts mit der Weiterarbeit an Brennen muss Salem. Er polierte das Manuskript etwas auf und schickte es zusammen mit “Roadwork” (das später unter seinem Pseudonym Richard Bachmann als “Sprengstoff” erscheinen sollte) an seinen Verleger Bill Thompson, der zwischen den beiden entscheiden sollte. Thompson war der Auffassung, dass “Sprengstoff” zwar das literarischere Manuskript sei, dass aber Brennen muss Salem, nach einigen Veränderungen, wohl eher die Chance auf kommerziellen Erfolg haben würde.

Thompson verlange jedoch einige Änderungen.

Erstens: King solle die grausame Beschreibung eines Todes durch Ratten entfernen. Dazu schrieb er später:

“Ich ließ sie wie einen wütenden pelzigen Teppich über das Opfer hereinbrechen, beißend und kauend. Und als der so Überfallene eine Warnung an seine Gefährten im Obergeschoss rufen will, schlüpft eine von ihnen in seinen offenen Mund und windet sich in Ekstase, während sie ihm die Zunge zerkaut”.

Des weiteren sollte King den Anfang der Geschichte ausweiten, um die Plage, die diese kleine Stadt befällt, zweideutiger zu gestalten. King protestierte mit dem Argument, dass jeder Leser von Anfang an wüsste, dass es sich hier um Vampire handelte und ihm diese Zurückhaltung als literarische Anbiederung übel nehmen würden. Thompson erwiderte, dass King mit “jeder Leser” nur eine sehr kleine Leserschaft meinen könne. Jetzt aber schreibe er für ein Mainstream-Publikum, und das Letzte, was dieses erwarten würde, wären Vampire.

Und er hatte Recht. Zu dieser Zeit erwartete niemand Vampire in einem fein aufgemachten Hardcover-Bestseller. Heute allerdings, und aufgrund des Erfolges, ist “Salem’s Lot” quasi ein Synonym für Vampire.

Brennen muss Salem entwickelt einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann, wirft seine Angel aus, an der man unweigerlich festhängt. Das Buch ist voller grandioser Actionmomente. Die “Bösen” sind dermaßen arrogant, dass es ein wahres Vergnügen ist, wenn jemand des Weges kommt und ihnen das Grinsen aus dem Gesicht wischt, und seine “Guten” lässt King nicht ohne eine gewisse Vehemenz sterben.

Stark beeinflusst von Bram Stokers “Dracula”, Grace Metalious’ erfolgreichem Kleinstadt-Skandalroman “Die Leute von Peyton Place” und Shirley Jacksons großem Horror-Roman “Spuk in Hill House”, kommt “Brennen muss Salem” nicht von diesen Einflüssen los. Der Roman überführt Dracula in ein modernes Amerika.

Der Roman ist von der ersten Seite an ein Höllenloch. Hier hat jeder ein schreckliches Geheimnis und die Stadt ist voller bösartiger Leute: eine Klatschbase, heimliche Trinker, einen kinderhassenden Schulbusfahrer, chauvinistische Stadträte, einen Frauenkleidertragender Ladenbesitzer, unentdeckte Mörder, pädophiler Priester. Jeder ist entweder ein Idiot, ein Quälgeist oder Schlimmeres, und alle miteinander sind verbittert oder hasserfüllt. Sogar der Milchmann hasst es, täglich die Milch auszuliefern.

Kings Herzlosigkeit gegenüber seinen Figuren erlaubt es ihm, sie mit größtem Vergnügen um die Ecke zu bringen (tatsächlich sind die Todesarten von exklusiver Qualität).

Einer der unvergesslichsten Protagonisten ist Mark Petrie, ein frühreifer Horror-Nerd, dessen lebenslanger Hang zur Popkultur ein Ausbildungslager für die bevorstehende Vampirapokalypse war. Er ist vorbereitet durch seinen Konsum an Horrorfilmen, Comics und Gruselgeschichten. Mark ist der Prototyp aller heutigen Nerds. Für diese Jungs macht ihr Interesse sie nicht zu Außenseitern, es macht sie zu Überlebenden.

Aber es ist Kings Verehrung für Shirley Jackson, die ihn hier reitet. Jackson war eine begnadete Stilistin, und auch für heutige Verhältnisse ist “Spuk in Hill House” als außerordentliche Leistung anzusehen. In seinem Sachbuch “Danse Macabre” bezeichnet King Jacksons Buch als “Ur-Roman” über den “bösen Ort” und widmet ihr ein ganzes Kapitel.

“Es ist weder meine Absicht noch der Platz, um meine eigene Arbeit hier zu besprechen, aber Leser meiner Bücher wissen, dass ich mit dem Archetyp des “bösen Orts” mindestens zweimal liebäugelte. Einmal indirekt in Brennen muss Salem, und einmal direkt in Shining.”

In Brennen muss Salem ist es das Marsten-Haus, über das King auch in Danse Macabre schreibt:

“Es gab dieses Haus, aber es hatte nicht mehr zu tun, als für die Atmosphäre zuständig zu sein.”

Und das legt den Finger genau in die Wunde. Nach der kurzen, gemeinen und schnell abgehandelten Carrie war Brennen muss Salem voller endloser Passagen in lilafarbener Prosa (gespickt mit unzähligen idiomatischen Extravaganzen).

1974 hatte der Horror noch keine Ambitionen, aber Brennen muss Salem war bereits ein literarischen Roman, der auch zufällig Vampire enthielt. Das Buch ist wichtig als eine Standortbestimmung, ein Manifest.

Die Handlung ist geradlinig und wird in einer erhellenden Vielzahl von Perspektiven erzählt, aber die Geschichte dessen, was in Jerusalem’s Lot schief läuft, ist nicht die einzige Geschichte in diesem Roman. Um die Haupthandlung herum gibt es eine Miniaturgeschichte darüber, was Ben und ein Mark tun, nachdem sie die Stadt verlassen haben. Der erste Teil des Buches folgt also ganz unchronologisch zwei Überlebenden, der Hauptteil des Romans erzählt dann, wie die beiden zu Überlebenden wurden, und der letzte Teil kehrt zu diesen beiden Figuren zurück.

Brennen muss Salem unterscheidet sich von vielen anderen Horrorromanen dadurch, dass die Ermordung des Vampirkönigs nicht das Ende des Konflikts darstellt.

Tatsächlich ist die Vernichtung von Barlow nur eine Etappe, die am Ende des Buches stattfindet, der Haupterzählung, aber nicht das Ende des Romans. Nachdem sie Barlow vernichtet haben, lässt das Paar Jerusalem’s Lot und eine Schar von Barlows Geschöpfen hinter sich, und der zentrale Text ist zu Ende. Im Epilog kehren Ben und Mark in die Stadt zurück. Sie legen dann am Stadtrand ein Feuer. Die Flammen wachsen und fressen das verdorrte Gras, und obwohl die Helden von dem bevorstehenden Abenteuer sprechen, die Vampire, die dem Feuer entkommen sind, zu jagen und zu töten, steigen sie in ihr Auto und fahren weg, bevor das Feuer richtig ausgebrochen ist und bevor alle Monster getötet wurden.

In einem sehr realen Sinne ist die Erzählung unvollständig. Wir dürfen nicht sehen, wie das Feuer auf die Stadt niedergeht. Wir werden nicht Zeuge, wie einige der Vampire in ihren Verstecken verbrennen.

Der Prozess der Tötung der Vampire ist noch nicht abgeschlossen, aber die Erzählung endet für alle Erstleser mit einem erfolgreichen Gefühl der Gewissheit.

Für die Geschichte der Vampire ist allerdings eine andere Figur zuständig, von der man es zum Zeitpunkt des Erscheinens des Romans gar nicht gedacht hätte: Pater Callahan, der – gebrochen – aus Salem’s Lot verschwindet. Wir sehen ihn in einem Bus nach New York City reisen, bevor sich die Spur vorerst verliert, und dann im fünften Band der Dunklen-Turm-Saga wieder auftaucht. Dort nämlich treffen Roland und sein Ka-tet sowohl auf Callahan als auch auf den Roman Brennen muss Salem von Stephen King. Callahan erzählt seine Geschichte, die die Ereignisse von Brennen muss Salem noch einmal Revue passieren lässt, um dann zum Kern von Kings Multiversum zu kommen. Dort erfahren wir mehr über die Vampire und über Pater Callahans Kampf gegen sie

Die brennende Stadt mag für heute hinter uns liegen, aber die Ereignisse haben sich in das Multiversum geschlichen – wir werden ihnen wieder begegnen.