Archiv der Kategorie: Helden, Versager und andere Ikonen

In dieser Serie dreht sich alles um die wichtigsten und bedeutendsten Helden und Figuren der populären Kultur. Von Alice (im Wunderland) über Batman bis hin zu Zorro, dem mexikanischen Robin Hood. Hier werden sie eines Tages alle vertreten sein.

Sweeney Todd (Der teuflische Barbier)

Basiert Sweeney Todd auf einer wahren Geschichte oder ist er nur eine Figur, die sich ein Schriftsteller ausgedacht hat? Mit dieser Frage begrüße ich euch zum diesjährigen Halloween-Special, nachdem wir im letzten Jahr bereits die Legende des kopflosen Reiters und die Herkunft des herbstlichen Festes Halloween im Programm hatten.

Ich bin sicher, ihr habt alle schon einmal von ihm gehört. Sweeney Todd, der teuflische Barbier der Fleet Street. Sein Friseurstuhl war auf geniale Weise präpariert, denn nachdem Todd einem Kunden die Kehle durchgeschnitten hatte, bediente er einen Bolzen, der die Leiche rückwärts durch eine Falltür schickte, die in den Keller führte. Dort wurden die Opfer zu Fleischpastete verarbeitet, die in der angrenzenden Konditorei verkauft werden sollte. Geleitet wurde das Geschäft von einer Mrs Lovett, deren Vorname – je nachdem, wer die Geschichte erzählt – variiert.

Seinen ersten Auftritt hatte Sweeney Todd in “The String of Pearls” im Jahre 1846. Autor und Herausgeber: Edward Lloyd, auch wenn man hier und da etwas anderes liest. Etwa zur gleichen Zeit war bereits ein Bühnenstück aufgeführt worden, und das mit großem Erfolg. Die Bühnenversion hatte Dibdin Pitt verfasst und im Britannia Theatre in London aufgeführt. Seit der Konzeption von Sweeney Todd gibt es jedoch Stimmen, die behaupten, dass der Mann auf die ein oder andere Weise tatsächlich gelebt haben könnte. Einige sagen, dass die Figur auf einem historischen Psychokiller basiert, und wieder andere behaupten, dass er genau unter diesem Namen existiert hat. All diese Menschen betrachten Sweeney Todd als die Geschichte wahrer Begebenheiten. Zumindest bis zu einem gewissen Grad. Heute werden wir also versuchen, alle Beweise, die es da draußen gibt, zu präsentieren und so viel wie möglich über die Wahrheit herauszufinden.

Zu Beginn wollen wir Folgendes klarstellen: Es gibt keinen einzigen Beleg dafür, dass es jemals einen Menschen namens Sweeney Todd gab, der Verbrechen in der ihm zugeschriebenen Weise begangen hat. Die urbane Legende von Todd wurde schon in der viktorianischen Ära erzählt und ausgeschmückt. So wie man die Geschichte kennt, ist sie jedoch falsch, zumindest so lange, bis Historiker einen Anhaltspunkt dafür finden. Was sehr unwahrscheinlich ist. Es besteht jedoch immer noch die Möglichkeit, dass Sweeney Todd nach dem Vorbild eines echten Mörders, eines Verbrechers oder einer Legende geschaffen wurde; und genau das werden wir in dieser Folge untersuchen.

Aber bevor wir zu den interessanteren Dingen kommen, lasst uns kurz ein paar einfache Optionen besprechen. Die erste ist sehr prosaisch und wird von Michael Anglo in seinem Buch über Penny Dreadfuls – den viktorianischen Horror-Groschenheften – erwähnt, das heute etwas schwer zu finden ist. Er behauptet, dass ein Forscher nach einer gründlichen Suche in den Londoner Verzeichnissen von 1768 – 1850 entdeckte – es ist bezeichnend, dass der Name des Forschers nicht genannt wird – dass ein gewisser Samuel Todd, dessen Geschäft die Herstellung von Perlenketten war, in den 1830er Jahren in der Nähe der Fleet Street lebte. Anglo kommt zu dem Schluss, dass der Autor, während er über die Handlung einer neuen Penny Dreadful-Geschichte nachdachte, von diesem Namen inspiriert wurde und ihn einfach benutzte.

Die zweite Variante ist noch alltäglicher. Sie bezieht sich auf ein Fragment aus Charles Dickens Roman “Leben und Abenteuer des Martin Chuzzlewit”, der zwischen 1843 und 1844, also kurz bevor “The String Of Pearls” veröffentlicht wurde, in Fortsetzungen erschien. Es lautet so:

“Toms böses Genie führte ihn allerdings nicht in die Buden eines jener Hersteller von Kannibalengebäck, das in vielen gängigen ländlichen Legenden als gutgehendes Einzelhandelsgeschäft in der Großstadt dargestellt wird.”

Das soll nicht heißen, dass der Autor von “The String Of Pearls” genau dieses Fragment gelesen und als Grundlage für seine Geschichte verwendet hat, obwohl es eine interessante Hypothese ist, da eine große Anzahl von Dickens Werken sofort nach ihrer Veröffentlichung von Autoren der Groschenromane plagiiert wurde. Vielmehr war es im damaligen London eine ziemlich bekannte urbane Legende.

Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Geschichte über Sweeney Todd auf einen echten Mörder zurückzuführen ist, oder zumindest auf einen bestimmten Fall, der in den Zeitungen erwähnt wurde. Besagter Vorfall, der im Jahresregister gefunden wurde, weist einige Ähnlichkeiten mit der Legende auf. Hier der betreffende Ausschnitt vom Dezember 1784, Seite 208:

“Ein bemerkenswerter Mord wurde auf folgende Weise von einem Barbiergesellen begangen, der in der Nähe der Hyde Park Corner lebt. Lange Zeit war er Eifersüchtig auf seine Frau gewesen, aber es gelang ihm doch nie, ihr eine Verfehlung nachzuweisen. Zufällig kam ein junger Herr in den Salon seines Meisters, um sich rasieren und kleiden zu lassen, und als er redselig wurde, erwähnte er, einem feinen Mädchen in der Hamilton Street wiederbegegnet zu sein, von der er in der Nacht zuvor gewisse Gefälligkeiten erhalten hatte, und beschrieb gleichzeitig ihre Person. Der Friseur, der sie als seine Frau erkannte, schnitt dem Herrn, völlig wahnsinnig geworden, die Kehle von einem Ohr zum anderen auf und entwischte.”

Einige Verbinden die Geschichte von Sweeney Todd auch mit dem schrecklichen Fall von Sawney Bean, eines berüchtigten schottischen Kannibalen aus dem 16ten Jahrhundert. Meiner Meinung nach gibt es nichts, was Bean überzeugend mit unserem Barbier verbindet, außer vielleicht einer leichten Ähnlichkeit der Vornamen. Wenn Bean also tatsächlich der Mörder war, auf dem unsere Geschichte basiert, könnten wir Sweeney Todd überhaupt nicht als wahre Geschichte betrachten. Historiker haben die Legende von Sawney Bean längst entlarvt – was wir uns allerdings in einer anderen Folge etwas genauer ansehen werden.

War Sweeney Todd vielleicht ein Franzose?

Dies ist eine der Hypothesen, die aus mehreren Quellen gespeist wird. Es wurde vermutet, dass der Schriftsteller, der die Figur geschaffen hat, die Idee dazu bekam, als er mehrere ältere Ausgaben des Tell-Tale von 1824 durchging, wo er eine Geschichte über mehrere Verbrechen fand, die in der Rue de la Harpe (arp) in Paris begangen wurden. Diese Geschichte basiert auf einem früheren Bericht, der im Archiv der Pariser Polizei abgelegt wurde. Ich recherchierte selbst und ich fand tatsächlich ein Buch mit dem Namen “The Terrific Register: Or, Record of Crimes, Judgments, Providences, and Calamities”, das die gleiche Geschichte enthält wie das Tell-Tale, sozusagen Wort für Wort. Sie wurde 1925 veröffentlicht und enthält eine vollständige Darstellung der Verbrechen in der Rue de la Harpe, die ich im Folgenden zusammenfasse:

Zwei opulente Männer, begleitet von einem Hund, gingen in die Rue de la Harpe und betraten den Laden eines Frisörs, um sich rasieren zu lassen. Sie waren in Eile, also trennten sie sich, nachdem der erste Mann fertig war, der daraufhin einige Geschäfte in der Nachbarschaft erledigte, und danach zurückkommen wollte, bevor der Frisör mit seinem Freund fertig war. Als er jedoch zurückkam, informierte ihn der Frisör, dass sein Freund bereits gegangen sei. Dennoch blieb der Hund vor der Tür sitzen, also dachte der Mann, dass sein Freund nur für einen Moment weggegangen sein musste und bald zurückkehren würde. Das tat er nicht. Dann fing der Hund an zu jaulen und der Frisör bat den Mann, ihn zu entfernen. Er versuchte es, der Hund aber blieb hartnäckig. Mittlerweile hatte sich eine kleine Menge vor dem Laden versammelt und die Leute schlugen vor, hineinzugehen und nach dem verschwundenen Mann zu suchen. Als sie schließlich hineinstürmten, fanden sie niemanden. Der Frisör behauptete, er sei unschuldig, und in diesem Moment sprang ihm der Hund an die Kehle. Der Frisör wurde ohnmächtig, und er wäre gestorben, wenn man den Hund nicht angeleint hätte. Jemand schlug vor, das Tier freizulassen, um zu sehen, ob es seinen Besitzer finden könnte. Der Hund stürmte in den Keller. Bei näherer Untersuchung wurde eine Öffnung zum Nachbarhaus entdeckt, wo eine Konditorei lag. Und dort fanden sie die Leiche des vermissten Mannes. Während des Prozesses, bei dem auch die Besitzerin der Konditorei angeklagt wurde, gab der Barbier zu, dass er seine reichsten Kunden ermordete, um sie auszurauben. Die schreckliche Wahrheit wurde enthüllt.

Die Besitzerin der Konditorei, deren Laden so berühmt für herzhafte Pasteten war, dass die Leute aus den entferntesten Teilen von Paris in die Rue de la Harpe strömten, war die Komplizin dieses Halsabschneiders, und diejenigen, die vom Rasiermesser des einen ermordet wurden, wurden durch das Messer der anderen zu diesen Pasteten verarbeitet, mit denen sie – unabhängig von diesen Raubmorden – ein Vermögen verdient hatte.

Diese Geschichte wurde fast zwanzig Jahre vor der angeblich ersten Version von “The String of Pearls” auf englisch veröffentlicht. Daher müssen wir aufgrund der auffallenden Ähnlichkeit zu dem Schluss kommen, dass die Geschichte des teuflischen Barbiers aus der Fleet Street auf diesem oder einem ähnlichen Bericht basiert. Wenn die Fakten aus diesem Buch korrekt sind, hätten wir eine starke Basis, um Sweeney Todd als eine wahre Geschichte zu betrachten.

Aber – sind die Ereignisse in der Rue de la Harpe wirklich passiert? Ist Sweeney Todd eine wahre Geschichte, die zumindest teilweise auf diesen Verbrechen beruht? Es ist unwahrscheinlich, und ich habe noch keinen endgültigen Beweis dafür gefunden. Manche haben die Wahrhaftigkeit der Geschichte verteidigt, weil sie in den Memoiren aus den Archiven der Pariser Polizei von Fouché erschien, dem ersten Polizeipräsidenten der Stadt. Aber das Problem ist, dass kein anderes Dokument oder Register existiert, was angesichts der Art des Falles verdächtig erscheint.

Einige Quellen behaupten sogar, dass die Darstellung der Rue de la Harpe einer alten französischen Volkserzählung sehr ähnlich ist, die als “Geschichte des Barbiers und der blutigen Pastetenverkäuferin” aus dem Mittelalter bekannt ist. Theoretisch ist die Geschichte in einer alten Ballade nachweisbar, die folgendermaßen lautet:

Gegen Ende des 14. Jahrhunderts, das wissen wir,
da lebte dieser teuflische Barbier,
an einer Ecke in der Rue de Marmosette.
Er führte dieses schreckliche Handwerk fort
und niemand hielt ihn auf bei seinem Mord.
In seinem Keller machte er sie dann
bereit für die Arbeit nebenan.

Chor. Mit einem Kuchen, mit einem Wein, mit einem Gesang,
mit einem Kuchen, Wein, Gesang – Haha!

Die Geschichte erzählt uns auch genau
von seiner Komplizin, einer üblen Frau,
Kaltherziger als der schlimmste Landvogt.
Und all die armen Teufel, die er getötet hat
verwandelte sie in Fleischpasteten.

Und er sagte von seinen Kunden, als sie tot darniederlagen:
“Fort sind nun diese Schweinekreaturen”.

Obwohl viele Artikel im Internet sich auf diese Übersetzung beziehen, konnte ich die originale französische Ballade nirgendwo finden und niemand bietet eine seriöse Quelle dafür. Mir erscheint es auch seltsam, dass der Begriff “teuflischer Barbier” bereits in einer so frühen Version verwendet wird, und auch der Stil der Ballade ist mehr als ungewöhnlich.

In einem der Kapitel von Paul Févals “Le Vampire” wird die Rue de Marmosette vom Schriftsteller kurz erwähnt:

Paris hat schon immer Märchen geliebt, die ihr das köstliche Gefühl von Gänsehaut geben konnten. Als Paris noch sehr jung war, hatte es bereits viele Geschichten zu erzählen; von der schuldhaften Komplizenschaft zwischen dem Frisör in der Rue de Marmosette, vom Blutstrom der feinen Herren bis hin zu der galanten Metzgerei des Hauses in der Sackgasse Saint-Bernard, dessen abgerissene Mauern mehr menschliche Knochen als Steine beinhalten.

Le Vampire stammt jedoch aus dem Jahre 1865, als der Bericht über die Verbrechen in der Rue de la Harpe bereits veröffentlicht war, und hilft uns daher nicht viel.

Einer Quelle am nächsten kommt das, was in einem Buch über Sweeney Todd von Peter Haining enthalten ist. Dort heißt es, dass er ein Lied in einem Buch mit alten französischen Balladen, das 1845 veröffentlicht wurde, gefunden hat. Er nennt sogar den Namen des Herausgebers, einen gewissen M. Lurin, aber ich konnte keine Notiz über ihn oder über sein Werk finden. Angesicht der Kritik, die Hainings Buch – zumindest teilweise – für eine Erfindung ohne historische Fakten hält, ziehe ich es vor, vorsichtig zu bleiben.

Und zusammengefasst kommen wir zu dem Schluss, dass jedes Argument, das für Sweeney Todd als eine wahre Geschichte sprechen könnte, keine Berechtigung hat. Festzustellen ist, dass seit der viktorianischen Ära eine Tradition existiert, die dieses Geheimnis gerne lüften möchte. Ich schätze, dass viele Webseiten, die sich mit diesem Thema befassen, nur auf den Zug aufspringen möchten. Doch wer weiß, ob eines Tages nicht neue Beweise auftauchen werden. In der Zwischenzeit können wir noch das Penny-Dreadful-Original “The String of Pearls” und das Musical über Sweeney Todd von Steven Sondheim genießen, auf dem der Film von Tim Burton basiert. Schließlich ist jede einzelne Geschichte auf eine bestimmte Weise wahr.

Dracula

Dracula (Der zeitlose Sauger)

In der Geschichte des Schauerromans gibt es einige Werke, die in der Vorstellung der Menschen lebendig geblieben sind. Eines davon ist Mary Shelleys Frankenstein von 1818; fast jeder ist mit der Handlung vertraut, unabhängig davon, ob er das Buch gelesen hat oder nicht. Im Jahr 1887 veröffentlichte der irische Autor Bram Stoker seinen gotischen Horrorroman Dracula. Er erzählt die Geschichte des Vampirs Dracula, eines Grafen, der versucht, von Transsylvanien nach England zu ziehen, um frisches Blut zu finden und den Fluch der Untoten zu verbreiten.

Die Geschichte von Dracula ging um die Welt und hat die menschliche Psyche seitdem nicht mehr verlassen.

Obwohl Stoker die Vampirlegende nicht erfunden hat, hat sein klassisches Werk den Mythos über Kontinente und Generationen hinweg definiert und populär gemacht. Ursrünglich hat Stoker seine Figur als eine Kombination aus einem Werwolf und einem Vampir geschaffen. Eine andere von Stoker geschriebene Geschichte, “Draculas Gast”, sollte das erste Kapitel des Romans werden, aber der Verlag strich sie, weil er der Meinung war, sie sei für die Handlung überflüssig. In diesem Kapitel ist der Werwolf, in den sich Dracula verwandelt hat, eine positive Figur, die Jonathan Harker – der hier namentlich nicht genannt wird – vor anderen übernatürlichen Kreaturen schützt.

Es ist offensichtlich, dass die Menschen düstere Geschichten über Untote lieben, aber die gab es schon lange bevor Stoker sein wichtigstes Werk schrieb.

Nachdem er Ármin Vámbéry, einen ungarischen Reisenden und Schriftsteller, kennengelernt hatte, interessierte sich Stoker für die europäische Mythologie und stieß dabei auf die Legenden der Vampire. Nach jahrelangen Recherchen veröffentlichte Stoker 1897 Dracula. Der aus Tagebucheinträgen, Briefen und Zeitungsausschnitten bestehende Roman erzählt die Geschichte eines Vampirs, der von Transsylvanien nach England reist, in der Hoffnung, neue, ahnungslose Opfer zu finden. Obwohl es kein überwältigender Erfolg war, fielen die Kritiken positiv aus. Die Daily Mail lobte Stokers Werke und stellte sie neben jenen von Edgar Allen Poe, Mary Shelley und Emily Brontë.

Er ließ sich bei Dracula von ziemlich vielen Personen inspirieren, unter anderem von dem berüchtigten Vlad, den man den Pfähler nannte, der Blutgräfin Bathory, und den volkstümlichen Überlieferungen über Vampire, die in Transsylvanien und den umliegenden Regionen weit verbreitet waren.

Interessant ist aber auch, dass Stoker die Figur des Dracula nach Henry Irving, dem berühmtesten Schauspieler der damaligen Zeit, gestaltete. Stoker war Irvings Geschäftsführer, und es scheint, dass er den Mann sowohl bewunderte als auch fürchtete. Tatsächlich wollte er, dass Irving die Rolle des Dracula auf der Bühne spielte, aber Irving lehnte ab, weil er vielleicht glaubte, dass es unter seiner Würde sei, “moderne” Figuren wie Dracula zu spielen.

Nach Stokers Tod galt das Originalmanuskript von Dracula als verschollen. Erstaunlicherweise wurde es jedoch in den 1980er Jahren in einer Scheune in Pennsylvania wiedergefunden. Die 541 getippten Seiten enthielten Stokers Korrekturen und den handschriftlichen Arbeitstitel “The Undead”, “Die Untoten”. Nach seiner Entdeckung wurde das Dokument von Paul Allen, dem Mitbegründer von Microsoft, erworben. Es befindet sich – so hört man – heute noch in seiner Privatsammlung.

Im letzten Jahrhundert der Popkultur ist Draculas Geschichte vor allem durch eine Vielzahl von verwässerten Verfilmungen bekannt geworden, präsentiert der Roman doch selbst eine verworrene und manchmal sogar ein wenig überambitionierte Handlung. Es gibt darin nicht weniger als neun Hauptfiguren. Außerdem scheint sich kein vernünftiges Lektorat der Sache angenommen zu haben. So gibt es zum Beispiel nur wenige Erläuterungen für bestimmte Verbindungen oder Ereignisse, und jede moderne kritische Ausgabe des Romans weist darauf hin, dass Stoker die Briefe und Tagebucheinträge seiner Figuren versehentlich falsch datiert hat. Kein Verlag würde das unausgegorene Manuskript heute in dieser Weise akzeptieren.

Abraham Stoker wurde am 8. November 1847 geboren und wuchs in einer Stadt außerhalb von Dublin, Irland, auf. Stoker war ein kränkliches Kind und verbrachte den Großteil seiner frühen Jahre im Bett. Während dieser Zeit entwickelte er ein Interesse an allem, was unheimlich war – er las irische Folklore und hörte Horrorgeschichten, die ihm seine Mutter erzählte. Im Alter von sieben Jahren erholte sich Stoker vollständig von seiner Krankheit und wurde sogar so etwas wie ein Sportler.

Stoker war ein hervorragender Akademiker und besuchte das Trinity College in Dublin, wo er Mathematik studierte und mit Auszeichnung abschloss. Während seiner Studienzeit trat er in den irischen Staatsdienst ein und arbeitete im Dubliner Schloss. Außerdem schrieb Stoker als freiberuflicher Journalist und Theaterkritiker für die Dublin Daily Mail. Durch seine schriftstellerische Tätigkeit lernte er den berühmten Schauspieler Henry Irving kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband.

1878 zog Stoker nach London, nachdem er eine Stelle als Manager am Lyceum Theatre angenommen hatte, wo er direkt mit Irving, dem Besitzer des Theaters, zusammenarbeitete. Diese neue Karriere brachte Stoker in Kontakt mit einigen der einflussreichsten Persönlichkeiten seiner Zeit, darunter: Theodore Roosevelt, Walt Whitman und Hall Caine, dem er später Dracula widmete. Im Jahr 1878 heiratete Stoker Florence Balcombe, eine Schauspielerin, die zuvor mit Oscar Wilde verlobt war.

Das Leben in der Welt des Theaters, inmitten berühmter Persönlichkeiten, inspirierte Stoker zu seiner literarischen Karriere. 1872 veröffentlichte die London Society seine Kurzgeschichte The Crystal Cup, und 1875 erschien sein erster Roman The Primrose Path, der in einer Reihe von Fortsetzungen in der irischen Zeitschrift The Shamrock veröffentlicht wurde. Nach diesem ersten Erfolg schrieb er weiter fleißig. Es dauerte jedoch über zwanzig Jahre, bis er Dracula schrieb.

Die Handlung ist natürlich der Schlüssel zu jeder Geschichte. Aber in Dracula wird die Handlung auf eine andere Weise erzählt. Das Buch besteht nur aus Tagebucheinträgen und Briefen. Es ist, als würde man etwas lesen, das man nicht lesen dürfte.

Die Geschichte folgt den Abenteuern eines jungen britischen Anwalts, der nach Transsylvanien reist, um Graf Dracula bei der Rechtsberatung in Bezug auf einige Londoner Anwesen zu helfen. Der Graf, der als mächtiger, intelligenter und mysteriöser Gentleman dargestellt wird, zeigt gleich zu Beginn des Romans seine übernatürlichen Kräfte, hält Harker in seinem Schloss gefangen und führt ihn in eine geheimnisvolle Welt ein.

Die mittelalterliche Landschaft Siebenbürgens ist voll von gotischen Schlössern, und viele Touristen ziehen Parallelen zwischen der Landschaft und der magischen Atmosphäre von Fantasy-Filmen. Obwohl Draculas berühmtes Schloss in Wirklichkeit nicht existiert, ließ sich Stoker von der Architektur und der Lage des Schlosses Bran inspirieren, um die geheimnisvolle Atmosphäre um den Vampirgrafen zu gestalten.

Damals war Rumänien ein Land, das vielen Ausländern nicht bekannt war, meist ländlich geprägt, mit einem starken Glauben an die Kreaturen der Nacht. Ein Land, das noch immer die Erinnerung an einen seiner gefürchtetsten Anführer, Vlad den Pfähler, lebendig hält. Der Name Dracula hat seinen Ursprung im Namen seines Vaters, Vlad Dracul, auch bekannt als Vlad der Drache, ein Name, den er erhielt, nachdem er Mitglied des Drachenordens wurde. Dracula ist die slawische Genitivform des Wortes Dracul (Drache) und bedeutet “Sohn des Drachen”. Im modernen Rumänien bedeutet drac “Teufel”, was zu dem berüchtigten Ruf von Vlad III. beitrug.

James Bond (Die Lizenz zum Erfolg)

Jede Epoche hat ihren Bond

Ian Flemings James Bond ist eine der bekanntesten und erfolgreichsten Ikonen der modernen Populärkultur. Die Romane haben sich über 100 Millionen Mal verkauft, und das Film-Franchise ist das zweiterfolgreichste der Geschichte, nachdem es durch die Harry Potter-Reihe abgelöst wurde. Für die meisten Leser und Zuschauer ist 007 nur eine westliche Pop-Ikone. In den Romanen und Filmen gibt es jedoch tiefere Unterströmungen, Themen, Symbole und Botschaften, die als psychologische Kriegsführung und Propaganda in eingehenden semiotischen Analysen bestätigt wurden und die vor allem der Semiologe und Autor Umberto Eco akribisch untersuchte. Erst ab diesem Zeitpunkt wurde Bond zum Gegenstand des akademischen Interesses und der literarischen Seriosität.

Die meisten kennen Bond nicht gerade als Feinschmecker. Aber in den Büchern ist der Superspion ein regelrechter Gourmet. Luxuriöse Mahlzeiten, die bis ins kleinste Detail beschrieben wurden, gehörten für die britische Öffentlichkeit ebenso zu Bond wie Sex und Spionage.

Casino Royale bei Penguin

Fleming wusste, dass merkwürdige Speisen die Leser an die exotischen Orte brachte, die er in den Romanen beschrieb. Er gab Bond einen extravaganten Geschmack und ließ den Doppelagenten Steinkrebse und ein Fleischgericht namens “Brazzola” schlemmen (das es nicht wirklich gibt). Dennoch wird schnell klar, warum man Bonds gastronomische Zwänge in den Filmen weg ließ. Zu hören, dass Bond von Schalentieren besessen ist, ist nicht ganz so cool wie zu sehen, wie er seine Martinis auf die allen bekannte Weise bestellt.

Laut Adam Howard von der National Broadcasting Company ist jeder Bond ein interessanter Spiegel seiner Zeit. So spiegelte Sean Connery zum Beispiel die sanfte Kraft wider, die die Kultur während des Kalten Krieges benötigte. Wer hat schon Angst vor Kommunisten, wenn es so elegante Operateure wie Bond gibt? Nach Watergate war jedoch Roger Moores pingeliger Bond ein großer Gegenpol zur Ernüchterung der damaligen Zeit.

Was Timothy Dalton betrifft, so tauchte sein weniger sexualisierter 007 auf der Leinwand etwa zur gleichen Zeit auf, als Amerika anfing, sich mit der zunehmenden AIDS-Krise auseinanderzusetzen. Und mit seinem Schwerpunkt auf Gadgets und extravaganten Stunts repräsentierte Pierce Brosnan den Tech-Boom der 90er Jahre. Heutzutage hat Daniel Craig uns eine Post-9/11-Version gegeben.

Aufmerksamkeit um jeden Preis

Bevor es die Filme gab, gab es die Romane. Die 14 Bond-Bücher, die von Ian Fleming geschrieben wurden, waren eine Art Fantasy-Version von Flemings realen Erfahrungen als Mitglied des britischen Marinegeheimdienstes. Der Autor war jedoch völlig unbekannt, als “Casino Royale” Veröffentlicht wurde, aber er war entschlossen, das Buch zu einem Erfolg werden zu lassen. Das will im Grunde zwar jeder, aber Fleming hatte die nötige Durchsetzungskraft. Zunächst schrieb er Briefe an Zeitungsredakteure und legte jedem Schreiben ein signiertes Buch bei. Er wandte sich sogar an den angesehenen Autor Somerset Maughan, der ihm mitteilte, dass ihm das Buch sehr gefallen habe. Als Fleming fragte, ob er seine freundlichen Worte verwenden dürfte, antwortete Maugham mit einem schlichten Nein.

Dennoch war Fleming kein Mann, der aufgab, und als das Buch einen Verlagsvertrag in Amerika bekam, erhöhte Fleming den Druck. Er schrieb an jeden Freund, den er kannte und versuchte, in die Vogue oder Time zu kommen, kurz: er meldete sich bei allem und jedem, der ihn in irgendeiner Weise bekannt machen könnte. Trotzdem verkauften sich seine Bücher weiterhin schlecht. Das änderte sich aber, als Fleming den gesundheitlich bereits sehr angeschlagenen Raymond Chandler traf. Natürlich bat Fleming den Todkranken, seinen Roman zu promoten.

Und Fleming ging noch weiter. Als Anthony Eden, der britische Premierminister von der Belastung der Suez-Krise krank wurde, bot Fleming dem Politiker eifrig einen Ort zum entspannen an: ein abgelegenes Haus in Jamaika, das ihm gehörte und das Fleming “Goldeneye” nannte. Der Ort verfügte jedoch weder über ein Telefon, heißes Wasser oder ein Badezimmer. Schlimmer noch, es liefen Ratten auf dem Dach herum. Es war nicht gerade ein großartiger Ort für einen kranken Mann, aber Fleming war begeistert von dem Besuch, in der Hoffnung, dass Edens Aufenthalt in Goldeneye seinen “amerikanischen Umsatz” steigern würde. Und ob Sie es glauben oder nicht, das verrückte PR-Wagnis funktionierte und Fleming wurde in der Öffentlichkeit wahrgenommen.

Doch der eigentliche Bond-Kult begann 1963, als der amerikanische Präsident John F. Kennedy erklärte, dass Flemings Bücher seine Bettlektüre seien. Kennedy hatte Fleming 1960 auf einer Dinnerparty kennengelernt und ihn gefragt, wie man Fidel Castro stürzen könnte. Fleming erfand für Kennedy eine bizarre Handlung, in der es darum ging, dass man Castro davon überzeugen müsse, dass sein Bart Strahlung auf sich zog, damit er sich den Bart abrasiere, was dazu führen würde, dass Castro sein Glück völlig verlassen würde.

The Crow

The Crow (Liebe, die zu Wut wurde)

Stell dir vor, du bist verliebt, und es ist diese alles verzehrende Liebe, die dich völlig durchdringt. Stell dir die Freiheit vor, die damit einhergeht, dass es jemanden gibt, der dich vollständig kennt, und die damit verbundene erstaunliche Offenbarung, dass dein Gegenüber dich für all die Dinge liebt, die dich ausmachen.

Nun stell dir vor, dass diese Liebe im Nu gewaltsam von dir genommen wurde. Du hast von einem Augenblick auf den nächsten alles verloren. Was würdest du tun? Würdest du verzweifeln? Drogen und Selbstzerstörung über dich stülpen? Jeden, den du triffst, deinen Hass spüren lassen? Oder würdest du etwas anderes machen? Dich etwa in Kunst ausdrücken?

Sein Name ist James, und ihr Name war Bethany. 1978 wurde sie von einem Fahrzeug erfasst und getötet. Laut dem Archiv einer James O’Barr / The Crow-Fanseite war “Beth allein auf einem Bürgersteig in Detroit unterwegs, als ein betrunkener Fahrer in einem Lieferwagen sie erfasste und sie durch mehrere Vorgärten schleifte.” Dieses Ereignis prägte James O’Barr so gewaltig, dass das Ergebnis Comicgeschichte geschrieben hat und bei all jenen auf Widerhall stieß, die ein Exemplar des Comics The Crow von 1989 besitzen oder den gleichnamigen Film von 1994 sahen oder, wenn alles gut läuft, dem Neustart des Films in naher Zukunft entgegenfiebern. Über all die Jahre hat es fünf Filme über The Crow gegeben, und lange schon kursieren Gerüchte über einen weiteren. Das Projekt, das jetzt von Regisseur Corin Hardy (Hallow) geleitet wird, sichtete für die Rolle der zentralen Figur Eric Draven bereits eine Menge möglicher Darsteller.

Bild von ARIELAkris

Nachdem O’Barrs Welt zerbrochen war, wechselte er in die Welt des Militärdienstes, trat den Marines bei und wurde in Deutschland stationiert, wo er begann, Kampfhandbücher zu illustrieren. Tagsüber zeichnete er fleißig für sein Land, aber abends suchte er sich heftige Konfrontationen. Die oben genannte Fanseite bemerkt, dass er sich „während des Feierabends kopfüber in Schlägereien stürzte. Im Nachhinein war sein Verhalten offensichtlich selbstzerstörerisch, und es ist es ein Wunder, dass er noch am Leben ist.”

O’Barr erreichte seine frühe Entlassung aus seinem Militärdienst und entschied sich, nach seiner Heimkehr, die Person zu suchen, die für den Tod der Frau verantwortlich war, die er liebte, und sich zu rächen. Stattdessen erfuhr er, dass der Fahrer bereits gestorben war, angeblich unter natürlichen Umständen.

James O’Barrs Geburtstag wird am 1. Januar gefeiert, aber er selbst ist sich nicht sicher, ob es wirklich sein Geburtsdatum ist. Er kam in einem Wohnwagen zur Welt und wurde erst etwa eine Woche später in ein Krankenhaus gebracht. Sein Vater war, während er das Licht der Welt erblickte, betrunken, und weder er noch seine Mutter konnten sich an das tatsächliche Datum seiner Geburt erinnern. Von diesem Zeitpunkt an drehte sich für O’Barr das Karussell der Pflegefamilien bis er ungefähr sieben Jahre alt war.

Zu zeichnen begann er schon früh; desinteressiert an den Illustrationen, die er in seinen Bilderbüchern vorfand, kreierte er seine eigenen. Er zeigte sie niemanden, wollte die negative Aufmerksamkeit seiner Pflegefamilie nicht auf sich ziehen. Trotz des Trostes, den er beim Zeichnen fand, behielt er seine Arbeiten für sich und isolierte sich sozial.

Durch das Zeichnen entdeckte er jedoch einen Weg, seine Gedanken und Gefühle auszudrücken.

Ohne sich jemals einer Kunstschule angeschlossen zu haben lernte O’Barr, instinktiv Bilder zu schaffen, die von Emotionen durchtränkt waren. Die Charaktere, die seine Geschichten bevölkern, scheinen aus echtem Fleisch und Blut zu bestehen und rufen tiefe Reaktionen des Publikums hervor. Durch seinen künstlerischen Ausdruck entfernte sich O’Barr von den typischen Figuren der meisten Comic-Bücher und wandte sich der Renaissance-Skulptur, lebenden Modellen und der Stillleben-Fotografien zu. Statt einer übertriebenen Helden- und Schurkenanatomie nahm sich O’Barr die Formen von Michelangelos Kunst vor, und dieser Realismus zeigt sich in jedem Bildstrich, besonders aber in The Crow.

O’Barr erhält im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern kein Drehbuch und bringt es dann als Bild auf Papier. Stattdessen hat er sein gesamtes künstlerisches Leben als Schöpfer und Illustrator verbracht und wird nur dann in Projekte involviert, wenn er einen persönlichen Bezug dazu hat. Jede Linie in jedem Bild rührt von einer tiefen Emotion, sei es Liebe, Hass, Wut oder Trauer. Jedes Bild hat eine Lebenskraft, die auch das Publikum betrifft. Für O’Barr ist Zeichnen Therapie. The Crow, sowohl die Graphic Novel als auch der Film, drücken den rohen Schmerz von Liebe und Verlust aus, wie ein kaltes Rasiermesser, das über einen Nerv gezogen wird, inklusive der zerstörenden Wut, die daraus folgen kann. Hier wird der Schmerz in das Licht gedrängt und das Publikum wird gezwungen, ihn als das zu betrachten, was er ist: ein Lehrer. In seinem ersten Auftritt wird The Crow auf die Straße gestoßen, registriert den Schmerz aber kaum und sagt: “Ich kenne den Schmerz auf molekularer Ebene. Er zieht an meinen Atomen und singt in einem Alphabet der Angst zu mir.” The Crow illustriert all denen Gerechtigkeit, die Mut brauchen, um ins Angesicht der Angst zu blicken. In den Köpfen des Publikums wird die Idee des Antihelden als jemand verfestigt, dessen Handlungen gerechtfertigt sind, der aber genauso viel Angst und Schrecken erzeugen kann wie die Schurken der Geschichte selbst.

The Crow verkörpert Liebe, die zur Wut geworden ist, Verzweiflung, die sich zum Wahnsinn wandelte. Mit krass-weißer Haut, einem schwarzen Haarschopf und dem verräterischen Schwarz über seinen Augen und seinem Mund, das ein nie endendes Grinsen erzeugt, war The Crow eine neue Art von Held der unerbittlichen Rache und äußersten Brutalität, jene Art von Held, die Batman wäre, wenn er ganz seiner Dunkelheit nachgeben würde. Das soll nicht heißen, dass The Crow einfach ein hirnloser Killer ist, der auf Rache sinnt. Weit davon entfernt. Eric Draven ist trotz der Verwandlung immer noch derjenige, der er einst war. Wir erhaschen einen flüchtigen Blick auf ihn, wenn er sich an die schönen Dinge erinnert, die er mit seiner verlorenen Liebe teilte. Obwohl die Geschichte einen düsteren, unbeugsamen Blick auf den sintflutartigen Einbruch der Tragödie bietet, zeigt sie auch, was Gerechtigkeit und Erlösung leisten können. In den Worten von The Crow im Film von 1994:

“Es kann nicht die ganze Zeit regnen.”

Robert Arthur: Die drei Fragezeichen

Im Grunde gibt es zwei aus Amerika stammende popkulturelle Phänomene, die allerdings erst in Deutschland so richtig zur Geltung kamen. Es scheint so, als hätte es die amerikanische Initialzündung zwar gebraucht, mehr aber auch nicht, denn ihr eigentliches Zuhause war hier bei uns. Man könnte jetzt natürlich noch ein drittes Phänomen hinzufügen, und das sind die Edgar-Wallace-Filme, die eine Aneignung des englischen Krimis betrifft, aber das ist eine gänzlich andere Geschichte.

Bei den beiden angesprochenen Phänomenen handelt es sich einmal um Donald Duck, gezeichnet von Carl Barks und übersetzt von Erika Fuchs, und natürlich um die drei Fragezeichen, um die es hier heute gehen soll.

Es gibt wohl kaum einen Hörer oder Leser, dem die drei Fragezeichen kein Begriff sind. Gerade die sogenannten Kassettenkinder, die heute schon etwas älter sind, verbindet eine ungeheure Treue mit den berühmten Hörspielen von Europa, die seit 1979 laufen. Natürlich ist es nicht so, dass die Serie nur bei uns bekannt wäre, aber irgendwie scheint es, dass Robert Arthur sie hauptsächlich für uns erfunden hätte, aber das wusste er natürlich nicht; und erfahren würde er es ohnehin nicht, denn er starb im Jahre 1969. Zu diesem Zeitpunkt hatte er elf Bücher der Serie geschrieben und Dennis Lynds, der insgesamt 14 Bände unter dem Pseudonym William Arden beisteuerte, zwei weitere.

Auch wenn Robert Arthur Hunderte von Kurzgeschichten für zahlreiche Pulp-Magazine geschrieben hatte, die in den 30er, 40er und 50er Jahren florierten, ist er doch hauptsächlich für seine drei jugendlichen Detektive bekannt.

Arthur arbeitete in den 1940er Jahren und bis in die frühen 1950er Jahre hinein hauptsächlich für das Radio und schrieb Hunderte von Drehbüchern. Im Jahr 1959 zog er nach Hollywood, um sich als Drehbuchautor für Fernsehsendungen wie “Alfred Hitchcock Presents” und Boris Karloffs “Thriller” zu versuchen. Seine Verbindung zu Alfred Hitchcock führte zu einer Zusammenarbeit mit Random House bei den verschiedenen Alfred-Hitchcock-Kurzgeschichten-Anthologien für Erwachsene und Jugendliche, die Arthur herausgab oder als Ghost-Editor betreute, und schließlich zu seiner Kreation der “Alfred Hitchcock and the Three Investigators Mystery Series”.

Seit 1927 gab es vor allem eine Jugendbuchserie, die über allen stand: die Hardy Boys.

In Zusammenarbeit mit dem Lektor Walter Retan bei Random House schuf und entwickelte Robert Arthur eine Serie, die in mancher Hinsicht den Hardy Boys ähnelte. Der Unterschied bestand darin, dass die Qualität des Schreibens und der Charakterisierung im Allgemeinen höher war als in den meisten Serienbüchern, ob nun für Jugendliche gedacht oder nicht.

(c) Harry Kane

Die phänomenale Cover- und Innengestaltung durch Harry Kane und Ed Vebell war ein weiterer entscheidender Faktor für den Erfolg, und es hat auch nicht geschadet, dass der bekannte und hoch angesehene Filmregisseur Alfred Hitchcock eine Figur in den Büchern war. Später, als es mit seiner Gesundheit bergab ging, beauftragte Robert Arthur Dennis Lynds mit der Fortsetzung der Serie. Und damit gab es einen renommierten Krimiautor, der vielleicht am besten bekannt ist unter dem Namen Michael Collins.

Jupiter Jones, Peter Crenshaw und Bob Andrews heißen die drei Detektive im Original, bei uns blieb nur Bob Andrews erhalten, Jupiter wurde zu Justus Jonas und Peter Crenshaw zu Peter Shaw. In den Hörspielen spricht man Justus Jonas als einzigen falsch aus. In Wirklichkeit hieße er nämlich Tschastes Tschones.

Arthur hat sich selbst als Bob Andrews in die Serie eingeschrieben, zumindest hat er einige Attribute von sich auf Bob übertragen. Das fängt beim Vornamen – Robert – an und geht über den Journalismus weiter. Bob Andrews’ Vater ist Reporter bei der Zeitung in Rocky Beach und Arthur hatte einen Master in Journalismus. Außerdem sind beide schlank und unsportlich.

Man darf nicht vergessen, dass die Hörspiele – so beliebt sie sind – eigentlich immer nur ein Abklatsch der Bücher sind. Es liegt in der Natur der Sache, dass vieles umgeschrieben und weggelassen werden muss. Ein Beispiel ist “Das Gespensterschloss”, das erste Buch der drei Fragezeichen, das 1964 als “The Secret Of Terror Castle” erschien und 1968 bei uns. Sehen wir mal davon ab, dass es in der Hörspiel-Reihe erst an elfter Stelle kommt, gibt es im Buch eine Szene, wo sich Justus und Pete dem Schloss zum ersten Mal nachts nähern und plötzlich etwas über ihre Köpfe hinwegfliegt

Pete duckt sich und schreit, dass es eine Fledermaus sei, und Justus antwortet: “Fledermäuse fressen nur Insekten, niemals Menschen”. Das ist für die Handlung nicht von Belang, aber hier steckt der Schlüssel zur ganzen Serie, denn Robert Arthur hatte eine Vorliebe für Fledermäuse. Die meisten Menschen wussten damals noch nicht, wie wichtig Fledermäuse für das Gleichgewicht eines jeden Ökosystems sind und Arthur sah es als seine persönliche Mission, sie aufzuklären.

In dem Haus, das er zehn Jahre lang in Yorktown Heights in New York bewohnte – ein Haus im Wald, das auch am Croton Reservoir lag – lebte eine große Fledermauskolonie auf dem Dachboden. Arthur nahm seine kleine Tochter tagsüber, wenn die Fledermäuse schliefen, regelmäßig mit hinauf, damit sie sie bewundern und die Zuneigung ihres Vaters zu ihnen teilen konnte. In dem Haus in Yorktown Heights – das drei Stockwerke, einen Dachboden und einen Keller hatte – befand sich Arthurs Arbeitszimmer im dritten Stock, und es kam vor, dass die Fledermäuse nachts verwirrt waren und nicht durch die Dachschindeln nach draußen flogen, sondern durch die Tür vom Dachboden hinunter in den dritten Stock. Da Arthur oft nachts arbeitete, pflegte er den Leuten zu sagen, dass es nichts Besseres gäbe, als einen Krimi oder eine Geistergeschichte zu schreiben, während ein paar Fledermäuse gesellig um den Kopf herumschwirrten.

(c) Harry Kane

Sicher wäre die Serie auch ohne diesen markanten Ort entstanden, aber vielleicht wäre nicht das Gespensterschloss der erste Fall der drei Detektive geworden.

Auch für “Die flüsternde Mumie”, im Original von 1965 der dritte Fall, ließ sich Arthur von seinem Umfeld inspirieren, hier nämlich von seiner Frau Joan, die von 1935 bis 1940 in Ägypten lebte.

Joan war die Tochter von Louis Vaczek, einem ungarischen Diplomaten, der 1935 von Montreal nach Ägypten versetzt wurde, als Joan Studentin an der McGill Universität war. Sie veröffentlichte ebenfalls eine Reihe von Erzählungen, die in Ägypten spielten. Als Robert Arthur und Joan Vaczek heirateten, teilte sie mit ihm ihr Interesse an der Ägyptologie.

Ich selbst bin ein Freund der amerikanischen Originalcover von Harry Kane, aber ich verstehe natürlich, dass diese in unseren Breitengraden vermutlich nicht so gut funktioniert hätten wie die, die Aiga Rasch angefertigt hat. Heute sind die drei Fragezeichen weit von ihrem Ursprung entfernt, unendlich modernisiert und nicht mehr annähernd so originell wie in ihren Anfängen. Aber sie funktionieren vor allem durch die Hörspiele und sind ein großer Teil der deutschen Popkultur geworden, indem man sie quasi eingedeutscht hat.

Zorro

Zorro (Der mexikanische Robin Hood)

Zorro, “der Fuchs”, wurde 1919 von dem Schriftsteller Johnston McCulley für seine Pulp-Serie “The Curse of Capistrano” erschaffen. Diese ungemein erfolgreiche Geschichte war die erste von 65, in denen der romantische Held im spanischen Reina de Los Angeles in Kalifornien gegen Ungerechtigkeiten aller Art kämpfte.

McCulley war ein ehemaliger Zeitungsmann und schrieb von Krimis bis Western alles. Er stellte Zorro am 9. August 1919 in der Zeitschrift Argosy‘s All-Story Weekly vor. The Curse of Capistrano endete nach der fünften wöchentlichen Folge mit der Enthüllung seines Helden. Das gesamte Dorf wusste von da an, dass Zorro Don Diego de la Vega war. Und das Publikum verlangte noch mehr Zorro-Geschichten, nachdem es Douglas Fairbanks Stummfilmadaption gesehen hatte. The Further Adventures of Zorro wurde 1922 veröffentlicht und McCulley schrieb die Zorro-Geschichten bis zu seinem Tod im Jahre 1958.

Hundert Jahre später wirkt der maskierte Held aus dem spanischen Kalifornien ähnlich antiquiert wie die drei Musketiere, man sollte aber nicht vergessen, dass er nicht zuletzt Bob Kane und Bill Finger zu ihrem Batman inspirierte, und auch Hollywood niemals ganz von ihm lassen konnte. Ein Edelmann, der den Bedrängten gegen Ungerechtigkeiten aller Art beisteht, nicht ein „dunkler“, sondern ein Western-Ritter, der nicht einfach nur mit dem Degen fuchtelt, sondern auch eine Pistole benutzt, was zu der Zeit, in der Zorro spielt, seine Überlegenheit garantiert. Das erinnert doch stark an einen Milliardär, der sich moderne Technologie zu eigen macht, um Gotham vor allerlei Gefahren zu schützen.

Tatsächlich waren die Helden der Vergangenheit einzigartig. Im Gegensatz zu ihren zeitgenössischen Kollegen besaßen sie nur ein sehr spärliches Arsenal. Genauer gesagt, hatten die herausragenden und renommierten Helden der Vergangenheit kaum etwas anderes als sich auf ihre eigenen körperlichen Fähigkeiten und ihren geistigen Erfindungsreichtum zu verlassen.

Darüber hinaus ist es besonders denkwürdig, dass sie den Kampf gegen Ungerechtigkeit und soziale Ungleichheit stets beibehielten, während moderne Helden routinemäßig gegen Naturkatastrophen und außerirdische Invasoren und Monster zu Felde ziehen.

Einer der herausragenden Helden der bewegten amerikanischen Vergangenheit ist dann auch Zorro. Das Ziel seiner Existenz und seiner heldenhaften Taten war der Schutz der armen Menschen und all jener, die seinen Schutz, seine Verteidigung und seine Unterstützung brauchten. Das spanische Wort Zorro wird dabei ganz allgemein mit “Fuchs” übersetzt. Johnston McCulley nutzte diesen Namen, um eine sehr wichtige Botschaft an seine Zielgruppe zu vermitteln: Die Hauptfigur der Geschichte ist bereit, all ihre Fähigkeiten und Kenntnisse einzusetzen, um ihre Ziele zu erreichen: Klugheit, Täuschung und Beweglichkeit; um zu vermeiden, von den Behörden der Regierung verfolgt zu werden und um alle seine Feinde zu besiegen, sowohl erklärte als auch latente.

Die Geschichte von Zorro hat wesentlich zur Entstehung und Entwicklung des kulturellen Erbes der Vereinigten Staaten von Amerika beigetragen. Zorro war nicht nur ein Symbol für diejenigen, die gegen Ungerechtigkeit und soziale Ungleichheit kämpften, sondern auch für die ganze Union und die Umsetzung ihrer freiheitlichen Ziele (und all jener, die eine ähnliche Vision verfolgten). Der Autor hat in Zorro die texanische, kalifornische und amerikanische Folklore verpackt, mit anderen Worten, die Entstehung Zorros entsprang nicht allein der Fantasie, sondern war ein Sammelsurium der Hoffnungen und Sehnsüchte der einfachen Menschen, die wirklich einen Helden benötigten, der sich um ihr Wohlergehen kümmerte. Und weil es so einen Helden nun einmal nicht gab, wurde er von McCulley erschaffen.

Dennoch bleibt unklar, woher Zorro wirklich stammt. Verschiedene Wissenschaftler und Anhänger seiner Geschichte geben unterschiedliche Antworten auf diese Frage. Bis zum heutigen Tag steht eine gründliche Untersuchung aller über Zorro veröffentlichten Werke noch aus, und Kritiker sind sich einig, dass es aus diesem Grund (noch) unmöglich ist, eine verbindliche Antwort zu geben.

Historisch gesehen ist Zorro als eine geschickte und sehr treffende Zusammenfassung der Helden und Persönlichkeiten der Vergangenheit zu betrachten, die eine ähnliche Funktion wie er hatten. Seine Heldentaten und Leistungen sind in erster Linie dem legendären Joaquin Murrieta (1829 – 1853) nachgezeichnet, dem Beschützer der Armen und Unterdrückten der Gesellschaft.

Eine weitere Parallele, die häufig zwischen Zorro und seinen Kollegen gezogen wird, ist jene zum berühmten englischen Robin Hood. Obwohl ihre Taten durch Jahrhunderte getrennt sind, sind sich die Handlungen und der Charakter der beiden Protagonisten ziemlich ähnlich.

Beide sehen sich als Verteidiger der Armen und jener, die von der Gesellschaft marginalisiert werden. Die beiden haben ähnliche Wurzeln in der Gesetzlosigkeit (Robin Hood wiederum wird formell sogar zu einem Gesetzlosen erklärt, im Gegensatz zu seinem amerikanischen Kollegen, der nur dann außerhalb des Gesetz steht, wenn er seine Maske trägt und wenn er die Staatsgewalt herausfordert, während er seine heldenhaften Taten begeht).

Insgesamt lässt sich jedoch zusammenfassen, dass der Beginn der Zorro-Legende die Zusammenfassung der nationalen Folklore der Menschen in Kalifornien und in Texas ist.

Die Figur Sherlock Holmes

Sherlock Holmes ist neben Dracula jene fiktive Figur, die in der Popkultur am meisten adaptiert und inszeniert wurde. Dass der Detektiv auf der ganzen Welt bekannt ist, liegt aber nicht an den kongenialen Originalgeschichten, sondern an den unzähligen Filmen, Theaterstücken, Musicals und Comics. Fast alle Symbole und Sätze, die aus den vielen Fernseh-, Film-, Theater- und anderen grafischen Reproduktionen stammen und die heute scheinbar zum Kanon gehören – wie etwa der Deerstalker-Hut – kommen in den Texten überhaupt nicht vor. Aber während diese dazu neigen, mit der Mode zu wechseln, scheinen die Originalgeschichten von Sir Arthur Conan Doyle, die immer wieder bearbeitet werden, sich in unserem kollektiven Bewusstsein festzuhalten wie nichts vor oder nach ihnen.

Der Reichenbach-Schock

1893 stieß der Autor Sir Arthur Conan Doyle den Detektiv Sherlock Holmes von einer Klippe. Die Klippe befand sich in der Schweiz. Es sind die berühmten Reichenbachfälle, die unter ihr dahinbrausen. Aber Conan Doyle war gar nicht vor Ort, er erledigte die Drecksarbeit von seinem Haus in London aus, in dem er schrieb.

“Ich nehme schweren Herzens meine Feder in die Hand, um diese letzten Worte zu schreiben, mit denen ich die einzigartigen Gaben festhalten werde, mit denen mein Freund Sherlock Holmes ausgezeichnet wurde”,

sagt der Erzähler Dr. John Watson in Conan Doyles Geschichte Das letzte Problem, die im Dezember 1893 im Magazin “The Strand” erschien.

Conan Doyle selbst wirkte etwas weniger emotional. “Tötete Holmes”, schrieb er in sein Tagebuch. Man kann sich Conan Doyle vorstellen, sein glattes Haar, das im Kerzenschein schimmert, wie er seinen üppigen Schnurrbart vor Freude dreht. Später sagte er von seiner berühmten Figur: “Ich hatte eine solche Überdosis von ihm, dass ich mich ihm gegenüber fühlte wie gegenüber der Leberpastete, von der ich einmal zu viel gegessen hatte, so dass allein der Name mir bis heute ein kränkliches Gefühl gibt.”

Conan Doyle mag zu diesem Zeitpunkt noch gedacht haben, dass er sich seiner Figur damit entledigt hätte, aber damit unterschätzte er die Fans. Die öffentliche Reaktion auf Holmes’ Tod war anders als alles, was die Welt der Fiktion jemals vorher erlebt hatte. Mehr als 20.000 Strand-Leser kündigten ihre Abonnements, empört über Holmes’ vorzeitigen Tod. Das Magazin überlebte kaum. Selbst die Mitarbeiter bezeichneten Holmes’ Tod als ein “absolut schreckliches Ereignis”.

Der Legende nach trugen junge Männer in ganz London schwarzes Trauerflor. Leser schrieben wütende Briefe an die Redaktion, es wurden Clubs gegründet, in denen es ausschließlich um die Rettung von Holmes’ Leben ging.

Das erste Fandom

Und Conan Doyle war schockiert über das Verhalten der Fans. Das hatte es vorher noch nicht gegeben. (Sie wurden zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal als “Fans” bezeichnet. Der Begriff – eine Kurzform für “Fanatiker” – wurde erst vor kurzem für amerikanische Baseballbegeisterte verwendet). In der Regel akzeptierten die Leser, was in ihren Büchern geschah. Jetzt begannen sie, ihre Lektüre persönlich zu nehmen und zu erwarten, dass ihre Lieblingswerke bestimmten Erwartungen entspräche.

Die begeisterten Leser von Sherlock Holmes waren es, die das moderne Fandom erschufen. Interessanterweise setzt sich Holmes’ intensive Fangemeinde bis heute fort und läutet endlose Neuerungen ein, wie etwa die US-Serie Elementary und BBCs Sherlock. (Es darf angemerkt werden, dass das bekannte Zitat: “Elementar, mein lieber Watson!”, nachdem die Elementary-Serie benannt ist, gar nicht in den Originaltexten auftaucht).

1887 erschien die erste Novelle mit dem Detektiv: Eine Studie in Scharlachrot. Von Beginn an war er so beliebt, dass Conan Doyle bald darauf bereits zu bereuen begann, ihn überhaupt erschaffen zu haben. Denn diese Geschichten überschatteten alles, was Doyle für sein “ernsthaftes Werk” hielt, etwa seine historischen Romane.

An Veröffentlichungstagen standen die Leser an den Kiosken Schlange, sobald eine neue Holmes-Geschichte in The Strand erschien. Wegen Holmes war Conan Doyle, wie ein Historiker schrieb, “so bekannt wie Queen Victoria”.

Die Nachfrage nach Holmes-Geschichten schien endlos. Aber obwohl The Strand Conan Doyle gut für seine Geschichten bezahlte, hatte dieser nicht vor, den Rest seines Lebens mit Sherlock Holmes zu verbringen. Als er 34 Jahre alt war, hatte er genug. Also ließ er Professor Moriarty Holmes die Wasserfälle hinunterstoßen. Acht lange Jahre widerstand Conan Doyle dem Druck, der allerdings mit der Zeit so groß wurde, dass er 1901 eine neue Geschichte schrieb: Der Hund von Baskerville. Aber an diesem Fall arbeitete Holmes noch vor dem verhängnisvollen Sturz. Erst 1903, in Das leere Haus ließ er Sherlock Holmes mit der Begründung auferstehen, nur Moriarty sei in diesem besagten Herbst gestorben, während Holmes seinen Tod nur vorgetäuscht habe. Die Fans waren zufrieden.

Sherlock – Ein Leben nach dem Tode

Seitdem sind die Fans allerdings noch wesentlich obsessiver geworden. Der Unterschied zu damals besteht ledigich darin, dass wir uns an ein starkes Fandom gewöhnt haben. Maßgeblich beteiligt an der Glut der Leidenschaft ist die BBC-Serie Sherlock, die von 2010 – 2017 in 180 Ländern ausgestrahlt wurde. Hier spielt Benedict Cumberbatch in einer atemberaubenden Performance den zwar modernen, aber besten Holmes, den es je zu sehen gab, begleitet von Martin Freeman als Watson. Seitdem pilgern unfassbare Scharen in den von Holmes und Watson bevorzugten Londoner Sandwich-Shop, oder in Speedy’s Café. Während der Produktion der Serie kam es sogar zu Problemen, weil sich Tausende Fans am Set tummelten, die dann in die Baker Street weiter zogen, die in Wirklichkeit die Gower Street ist.

Bemerkenswert ist, dass sich die Fans von Sherlock Holmes seit mehr als 120 Jahren intensiv mit dem fiktiven Detektiv beschäftigen, unabhängig davon, in welches Medium er übertragen wurde (es dürfte kein einziges fehlen).

Mark Gatiss, der Mitgestalter der Sherlock-Reihe, hat darauf hingewiesen, dass Holmes einer der ursprünglichen fiktiven Detektive ist – die meisten anderen danach geschaffenen Ermittler waren Kopien oder eine direkte Reaktion auf ihn:

“Alles in allem ziehen die Leute eine Linie unter Sherlock und Watson. Agatha Christie kann ihren Poirot nur klein und rundlich machen – im Gegensatz zu groß und schlank. Auch er braucht einen Watson, also erschafft sie Captain Hastings. Wenn man sich umsieht, ist das immer das gleiche Modell. Es ist unverwüstlich.”

Nun, selbst Sherlock Holmes hatte einen Vorgänger, und der stammt aus der Feder von Edgar Allan Poe. Dessen Auguste Dupin trat erstmals 1841 in der Erzählung Der Doppelmord in der Rue Morgue und dann in zwei weiteren Erzählungen auf. Conan Doyle hat ihm Refernz erwiesen, indem er ihn in Eine Studie in Scharlachrot auftreten lässt. Dass er sich bei Poe bediente, bedeutet aber nicht, dass sich Sherlock Holmes nicht in eine völlig eigene Richtung entwickelte. Hier wurde der Detektiv in eine definitive Form gegossen.

Sherlock-Mitgestalter Steven Moffat sollte nun das Schlusswort haben:

“Sherlock Holmes ist ein Genie, deshalb ist er ein bisschen seltsam. Ich weiß nicht, wie oft das im wirklichen Leben vorkommt, aber in der Fiktion kommt es doch oft vor. Und das haben wir Sherlock zu verdanken”

Weiterführende Sendungen:

Arthur Conan Doyle – Spiritist und Gentleman

Musik von Kevin MacLeod.

Calvin

Calvin (und Hobbes) – Ein Herz und eine Seele

Wieso allein durch die Welt gehen, wenn man sie sich mit einem guten Freund teilen kann? Diskutiert und philosophiert es sich zu zweit doch leichter. Das wird sich vielleicht Calvin, der Junge der ewig 6 Jahre alt bleibt, irgendwann einmal gedacht haben. Gemeinsam mit seinen beiden Eltern lebt er in einer kleinen Vorstadt in den USA. Calvin ist kein gewöhnliches Kind, er ist wahnsinnig phantasiebegabt, aufmüpfig, neugierig, und vor allem nicht auf den Mund gefallen. Sein bester Freund, Spiel- und Lebenskamerad ist Hobbes, ein (Stoff-)Tiger mit dem er “durch dick und dünn” geht. Während für den Jungen kein Zweifel an der Lebendigkeit seines Freundes besteht, sehen alle anderen in ihm nur ein Stofftier (bis auf Rosalyn, seine Babysitterin, die ihn hin und wieder als echten Tiger wahrnimmt). Allein diese Tatsache verrät uns, dass Calvin im Gegensatz zu seinen Mitmenschen über ein völlig eigenes Wahrnehmungsspektrum verfügt. Bissig und nicht selten auch zynisch sind seine Verbalitäten. Während er vorlaut und am liebsten nicht selbst für seine Taten verantwortlich sein will (er glaubt an Vorherbestimmung), übernimmt Hobbes die reifere Rolle von beiden, wirkt teils weise und fungiert als die moralische Instanz. Zudem ist er stolz darauf ein Tiger zu sein, und nicht zur Spezies Mensch zu gehören. Calvin hingegen verfügt über mehrere Alter Egos, die bekanntesten sind wohl: der Raumfahrer “Spliff”, der Superheld “der Unfassbare” (Stupendous Man) und der Privatdetektiv “Tracer Bullet”.

Die gewählten Namen der beiden sind selbstverständlich kein Zufall: Calvins Namenspatron ist hierbei Johannes Calvin und Hobbes’ ist Thomas Hobbes. Und so ist, wie man bereits ahnen kann, das jeweilige Wesen der beiden zu einem nicht geringen Teil auch von den Lehren und Ansichten ihrer Namenspatrone eingefärbt.

Let’s go exploring!

Die beiden zeichnen sich zudem durch gewisse Eigentümlichkeiten aus, die in den Strips immer wieder aufgegriffen werden. So hasst es Calvin z.B., baden gehen zu müssen, und versucht durch diverse Tricks seiner Vorherbestimmung zu entfliehen. Des Weiteren interessiert er sich für prähistorische Tiere, wie Dinosaurier. Häufig wird er von Dingen attackiert, wie z.B. einem Mathebuch oder Spinat. Auffallend ist, es sind stets Dinge, die er nicht mag. Sobald Schnee liegt, baut Calvin am liebsten morbide und zynisch-kritische Schneemänner (häufig im Garten der Eltern), die aufgrund ihrer dramatisch-spektakelhaften Erscheinungen in der Nachbarschaft für Furore sorgen.

Calvin und Hobbes sind die Erfinder einer Zeitmaschine, eines Duplikators, sowie eines Zellumwandlers. Das Geniale hierbei ist, alle drei sind aus dem selben Pappkarton gebaut. Während Hobbes am liebsten Thunfisch-Sandwiches isst, liebt Calvin Zucker- und Schokoladenhaltiges. Die Kochkünste seiner Mutter schmäht er regelmäßig, rümpft die Nase oder schaut angewidert. Beide haben einen eigenen Club, der im Original “Get Rid Of Slimy girlS” heißt (G.R.O.S.S.). Getagt wird im Baumhaus. Häufige waghalsige Fahrten mit dem Schlitten sind im Winter für beide keine Seltenheit, während der restlichen drei Jahreszeiten muss der Zugwagen “Radio Flyer” herhalten. Besonders gern spielt Calvin das selbsterfundene Spiel Calvinball, bei dem die Spielregeln erst während des Spiels entworfen werden. Beide kabbeln sich immer wieder in verschiedenen Situationen.

Calvins größter Gegner ist seine Lehrerin Fräulein Wurmholz (witzigerweise benannt nach Wormwood, dem Unterteufel aus C. S. Lewis’ Buch “Dienstanweisung für einen Unterteufel”). Und obwohl er dem Nachbarsmädchen Susi Derkins häufig Streiche spielt, vermutet Watterson, dass Calvin insgeheim in sie verliebt ist. Sein Vater, ein Patentanwalt, erklärt ihm des Öfteren die Welt aus wissenschaftlicher Sicht, allerdings recht falsch. Er liebt das Fischen, Fahrradfahren, und Zelten. Alles Dinge, bei denen sich Calvin in höchstem Maße langweilt.

Kein Ausverkauf von Calvin und Hobbes

Bill Watterson heißt der geniale und zurückgezogen lebende Erfinder dieser beiden Figuren, der sich stets geweigert hat, seine Figuren vermarkten zu lassen. Selbst Steven Spielberg hat eine Absage von ihm erhalten. Peanuts-Fan Watterson ist ein Idealist und großartiger Denker, der seine Figuren somit “retten” wollte. Geld und Ruhm bedeuten ihm wenig bis nichts. Der erste Strip wurde am 18. November 1985 veröffentlicht, der letzte am 31. Dezember 1995. Sie wurden in diversen Zeitungen gedruckt (grob überschlagen handelt es sich um mehr als 2400). Mittlerweile wurden weit über 45 Mio. Bücher von ihnen verkauft. Seit 2013 gibt es im Carlsen Verlag sogar eine herrliche Gesamtausgabe von Calvin und Hobbes. Am 12. August 2017 änderte der Browserhersteller Mozilla das bekannte Firefox-Icon, statt dem Fuchs umschmiegte nun Hobbes die Weltkugel.

Calvin und Hobbes sind ein Fingerzeig auf die Welt der Erwachsenen. Besonders verantwortlich ist hierfür das unverblümte Mundwerk des phantasiebegabten Eskapisten Calvin, mit dem auch Hobbes immer wieder überstimmt wird. Kein Erstklässler ist derart zynisch und von solch einem schnellen messerscharfen Verstand. Kein Blatt wird von ihm vor den Mund genommen, selbst dann nicht, wenn er Gefahr läuft, andere damit vor den Kopf zu stoßen. Calvin setzt sich durch, in allen Belangen, er hat die Welt der der Kindheit Entwachsenen durchschaut, er entzieht sich ihr, kehrt ihr den Rücken, wo er nur kann, um sich in seine vor Abenteuer wimmelnden Welten zu stürzen. Absolut liebenswert haben es Calvin und sein Tiger Hobbes geschafft, die Welt zu erobern. Nicht umsonst ranken sie in den Listen der weltbesten Comics ganz weit oben. Wer sich in diese beiden nicht verliebt, dem ist nicht mehr zu helfen.

Kermit der Frosch (Es ist nicht einfach, grün zu sein)

Kermit der Frosch ist ein internationaler Star von höchster Bedeutung und die berühmteste Amphibie der Welt, begann aber ganz bescheiden.

Diesem grünen Gesellen widmen wir uns heute zum Auftakt der zweiten Staffel in diesem Podcast.

Von der Handpuppe zum Frosch

Lange bevor Kermit zum ersten Mal auf der Leinwand auftauchte, begann er seine Karriere 1955 in der lokalen Fernsehsendung “Sam and Friends”, was ihm seinen ersten Emmy einbrachte.

Seitdem ist Kermit buchstäblich an die Spitze des Unterhaltungspantheons gesprungen, eine Leistung, die 2002 gewürdigt wurde, als der Frosch mit seinem eigenen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame ausgezeichnet wurde. Es war das erste Mal, dass ein Frosch mit diesem hochkarätigen Preis geehrt wurde (nachdem es bereits eine Maus und eine Ente geschafft hatten).

Sam Henson erklärte 1977:

“Wir haben den ersten Kermit aus einem der alten Mäntel meiner Mutter gemacht und nahmen Tischtennisbällen für seine Augen.”

Kermit wurde zwar im März 1955 geschaffen, urheberrechtlich geschützt wurde er aber erst 1956.

In den frühen Tagen der Figur war Kermit noch kein Frosch – er war eher ein eidechsenartiger, abstrakter Charakter. Wie Henson erklärte:

“Kermit begann als eine Art Überzug, der meine Hand bedeckte und dadurch einen Mund erhielt. Kermit war nichts anderes als ein Pappstück und der Stoffarm war sein Kopf. Das ist eine der einfachsten Arten, eine Marionette herzustellen. Aus diesem Grunde ist er sehr flexibel, was ihm eine Reihe von Ausdrucksmöglichkeiten ermöglicht.”

In späteren Jahren sagte Henson, dass Kermit erst 1971 mit der speziellen Version von “Der Froschkönig” ein Frosch wurde. Dass Kermit ein Frosch ist, setzte sich jedoch schon 1965 durch, als Johnny Carson ihn bei einem Auftritt am 31. Dezember abends als “Kermit, den Frosch” bezeichnete. Der Montgomery Wards-Katalog von 1966, in dem die Ideal-Muppet-Marionetten zu sehen waren, nannte Kermit darin einen “fantasievollen Frosch”. Und nicht zuletzt bezeichnet sich Kermit in der Spezialausgabe “The Muppets on Puppets” von 1968 selbst als Frosch. Im selben Jahr wurden seine runden Füße durch Flossen ersetzt und er bekam einen Fransenkragen. Als Kermit in der Sesamstraße erschien, war er ein ausgewachsener Frosch.

Kermit in der Sesamstraße

Kermits berühmteste Rollen in der Sesamstraße waren seine Auftritte als Nachrichtenreporter, bei denen er Charaktere, die aus Kinderreimen und Märchen stammten, interviewte.

Eines seiner einprägsamsten Werke war der Song “Es ist nicht einfach, grün zu sein”. Einige seiner anderen berühmten Sesamstraßenlieder sind “Ich bin froh, ein Frosch zu sein”, “Hier am Teich” und “Caribbean Amphibian”.

Er hat auch viele Vorträge zu einfachen Themen gehalten. Einige von Kermits Vorträgen waren über den “Buchstaben W”, “Hände” und “Groß und Klein”. Er trat im Segment “Monsterpiece Theater” im Segment “Vom Winde verweht” sowie in einem “Miami Mice”-Sketch auf.

Die Muppet-Show

Sieben Jahre später gewann Kermit in der überragenden Fernsehserie “The Muppet Show” eine Legion erwachsener Fans hinzu und katapultierte den sanftmütigen Frosch in mehr als 100 Ländern zum Superstar. Kermits Erfolg in der Muppet Show führte zu einer Reihe von Spielfilmen wie “Muppet Movie”, “Der große Muppet Krimi”, “Die Muppets erobern Manhattan”, “Die Muppets-Weihnachtsgeschichte” (wo er die Schlüsselrolle übernahm), “Muppets – Die Schatzinsel”, und “Muppets aus dem All”. Im Jahr 2011 trafen sich Kermit und der Rest der Muppets wieder, um “Die Muppets” zu drehen, einen der meistgesehenen Filme des Jahres.

An Kermits 50. Geburtstag veröffentlichte der United States Postal Service eine Reihe von Briefmarken mit Fotos von Kermit und einigen seiner Kollegen. Der Hintergrund des Stempelblattes zeigte die Silhouette des Schöpfers Jim Henson, der in einem Fenster saß, während Kermit auf seinem Schoß verweilte und ihn ansah.

Before You Leap

Kermit mag klein, grün und ein Muppet sein, aber das hat ihn nie davon abgehalten, während seiner berühmten Karriere einige wirklich phänomenale Auszeichnungen zu erhalten. Eines der weniger bekannten Werke des Frosches sind seine literarischen Leistungen, insbesondere die vier Bücher, die seinen Namen tragen. Eines davon ist die 224-seitige Autobiographie von seiner Geburt im Sumpf bis hin zum echten Filmstar.

Und als ob ein Quartett von Büchern nicht beeindruckend genug wäre, erstrecken sich die Bücher auch noch über einige verschiedene literarische Genres. Seine Autobiographie “Before You Leap: A Frog’s-Eye View of Life’s Greatest Lessons” wurde 2006 veröffentlicht und ist damit die jüngste Veröffentlichung des Autors.

“Kermit’s Garden of Verses” ist eine Gedichtsammlung über Kermits Muppet-Freunde. Die Gedichte wurden aus seiner eigenen – ganz besonderen – Sicht geschrieben. Sein zweites Buch “For Every Child, A Better World” wurde mit Hilfe der Vereinten Nationen veröffentlicht, um auf die Bedürfnisse von Kindern auf der ganzen Welt aufmerksam zu machen. Dieser talentierte Frosch schrieb 1993 sogar ein Selbsthilfe-Buch, wenn auch ein humorvolles, mit dem Titel “One Frog Can Make a Difference: Kermits Leitfaden für das Leben in den 90ern.”

Woher stammt der Name?

Viele Menschen werden den Namen Kermit ausschließlich mit dieser amphibischen Puppe in Verbindung bringen, tatsächlich aber ist das ein zur damaliger Zeit eher gebräuchlicher Name gewesen. Jim Henson kannte einige Leute mit diesem Namen. Da wäre zum Beispiel sein Schulfreund Kermit Scott oder der berühmte Marionettenschöpfer Kermit Love. Der wahrscheinlichste Kandidat für die Namensgebung ist jedoch Kermit Cohen. Laut dessen Tochter benannte Jim Henson den Frosch nach ihrem Vater, als er die Show “Sam and Friends” moderierte und hinter den Kulissen auf Joy’s Vater traf.

Wahr ist aber auch, dass es keine offizielle Version davon, wie Kermit zu seinem Namen kam, gibt. Dennoch ist es bemerkenswert, dass Henson so viele interessante Menschen kannte, die ebenfalls Kermit hießen.

Es mag vielleicht überraschen, dass Kermit nicht in jedem Land diesen Namen trägt (das gleiche Phänomen haben wir etwa bei Donald Duck oder Micky Maus). In Portugal nennt man ihn “Cocas, o Sapo”, wobei “Sapo” Kröte bedeutet. In vielen Teilen Lateinamerikas wurde aus Kermit dem Frosch “la rana René”, was mit “René, der Frosch” übersetzt werden kann.

Spanien übersetzte seinen Namen in Gustavo, Ungarn in Breki, und für arabischsprachige Länder wurde aus Kermit Kamel, was “perfekt” bedeutet. In der Türkei behielt er seinen Namen Kermit für die Muppet Show bei, wurde aber in der Sesamstraße zu “Kurbağacik”, was übersetzt “kleiner Frosch” bedeutet.

Seit der Veröffentlichung von “Die Muppets” im Jahr 2011 ist Kermit jedoch mittlerweile weltweit als Kermit bekannt.

Der Tramp (Ein mittelloser Jedermann)

Chaplin City Lights, United Artists 1931

Charlie Chaplin war auf eine Art und Weise berühmt, wie es noch niemand zuvor war; wahrscheinlich war seitdem niemand wieder jemals so berühmt. Auf dem Höhepunkt seiner Popularität galt seine schnurrbärtige Interpretation des „Tramp“ als das bekannteste Bild der Welt.

Sein Name stand an erster Stelle in den Diskussionen über das gerade aufkommende neue Medium „Film“ als populäre Unterhaltung und in seiner Verteidigung als eigenständige Kunstform – eine kulturelle Position, die danach nur noch von den Beatles eingenommen wurde, deren eigene, die Popkultur bestimmende Ära, der Chaplins allerdings nie entsprach. Er kommt dem, was man unter dem universellen kulturellen Maßstab des 20. Jahrhunderts versteht, am nächsten.

Und damit begrüße ich euch zu einer neuen Folge unserer Rubrik Helden, Versager und andere Ikonen.

Filmhistoriker werden nicht müde zu betonen, dass Chaplins Massenpopularität der Art und Weise geschuldet war, wie der Tramp einen mittellosen Jedermann darstellte. Seine Filme verwandelten Hunger, Faulheit und das Gefühl, unerwünscht zu sein, in eine Komödie. Er war ein Einzelkünstler, ein Darsteller mit einer unheimlichen Beziehung zur Kamera, der den frühen Teil seiner Karriere damit verbrachte, seine Bildschirmpersönlichkeit zu verfeinern und den übrigen Teil davon zu dekonstruieren.

Hinzu kommt die Frage nach Chaplins tatsächlichem Verhältnis zum Zeitgeist – und die Tatsache, dass seine Popularität mehrere Perioden eines tiefgreifenden kulturellen Wandels überlebte. Seine Filme nach der Stummfilm-Ära – zu denen seine beiden beliebtesten Filme “Moderne Zeiten” und “Der große Diktator” gehören – reflektieren seine eigenen Einstellungen mehr als die Gefühle des damaligen amerikanischen Publikums. Sein reifes Werk ist bewusst künstlich angelegt und spielt in einer Welt, die noch nie zuvor aus Stücken der europäischen und amerikanischen Vergangenheit, Gegenwart, und sogar der antizipierten Zukunft zusammengesetzt wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte noch niemand versucht, eine konsistente Realität darzustellen. Mit seinen zarten Gesichtszügen und seinem sauberen Schnurrbart war der “Tramp” allerdings nie mit einem echten Landstreicher, Flüchtling oder Goldsucher zu vergleichen. Ist es denn wirklich so, dass nichts das tägliche Leben des Publikums besser widerspiegelt als die bittersüßen, episodisch aufgezeichneten architektonischen Fantasien eines englischen Pazifisten? Die Antwort ist eine Kombination aus Ja und Nein.

Der erste Film mit dem “Tramp” war “Kid Auto Races At Venice”, bekannt durch eine Vielzahl von alternativen Titeln, darunter “Kids’ Auto Races”, “Kid Auto Races In Venice Beach” und “The Pest” (deutscher Titel: “Seifenkistenrennen in Venice”). Chaplins dritter Film wurde bereits am 7. Februar 1914 veröffentlicht – nur fünf Tage nach “Wunderbares Leben”. Die Branche bewegte sich in diesen Tagen schnell.

“Kid Auto Races” ist eine freie Found-Footage-Komödie ohne vorheriges Skript, die als Wochenschau des Junior Vanderbilt Cup präsentiert wurde, einem echten Seifenkistenderby, das am 10. Januar dieses Jahres stattfand. Während die Kamerateams dabei sind, das Rennen aus verschiedenen Blickwinkeln einzufangen, versucht ein Gaffer – der Tramp – immer wieder, vor die Kamera zu kommen. Die ganze Sache wurde vor Ort improvisiert, wobei Chaplin seinen Charakter beibehielt; er weicht echten Rennfahrern nur knapp aus, wird von einem echten Polizisten angeschossen (der erste der vielen unfreundlichen Begegnungen des “Tramps” mit der Polizei) und bekommt missbilligende Blicke von echten Zuschauern zugeworfen.

Es liegt eine ordentliche Portion Poesie darin, dass der „Tramp seine Karriere damit beginnen sollte, die Realität zu zerstören. Er springt ungeschickt ins Bild, folgt der Kamera, während sie schwenkt, und gibt immer wieder vor, nur beiläufig in die Szene zu wandern. Er fleht buchstäblich darum, gefilmt zu werden.

Technisch gesehen markierten “Kid Auto Races” den zweiten Auftritt der Figur; Chaplin benutzte sie zunächst für “Mabel in peinlicher Lage”, das früher gedreht, aber erst einige Tage später veröffentlicht wurde. Der ikonische Schnurrbart des “Tramps” wurde dazu genutzt, um Chaplin älter aussehen zu lassen; er war ein Leichtgewicht und hatte glatte Wangen, und ohne Make-up sah er etwa wie 19 aus. In den frühen Filmen wurde sein Gesicht mit künstlichen Falten bemalt, aber als Chaplin den Charakter verfeinerte, ließ er diese Falten weg. Infolgedessen scheint der “Tramp” rückwärts zu altern. Schon früh sieht er aus, als könnte er Ende 30 sein; als Chaplin anfing, Features zu machen, nahm die Figur ein bewusst unbestimmtes Aussehen an – eine Art Zeitlosigkeit, die die absichtlich im Diffusen gelassenen Schauplätze seiner späteren Filme widerspiegelt. Es passt auch hervorragend zu Chaplins Verwendung von Kauderwelsch anstelle von Sprache in seinen ersten drei Filmen aus der Tonzeit. Das beginnt bei den Kazoos, die für die Darstellung anstelle von Stimmen in “Lichter der Großstadt” verwendet wurden, und reicht bis zu den gefälschten deutschen Reden in “Der große Diktator”, seinem ersten dialoglastigen Film.

Mit anderen Worten, Chaplins “Trampfilme” (zu denen im Grunde auch “Der große Diktator” gehört) sind darauf angelegt, kulturelle Grenzen zu durchbrechen und zu überschreiten. Chaplins Sinn für Design, der von der elementaren Person des “Tramps” bis zum eigentlichen Filmemachen reicht, ist anmutig und direkt.

Nehmen wir zum Beispiel das erste Treffen des “Tramps” mit dem blinden Blumenmädchen (Virginia Cherrill) in “Lichter der Großstadt”, das eine der elegantesten Szenen der gesamten Filmgeschichte ist. Der “Tramp” entdeckt einen Motorrad-Cop und kriecht durch ein geparktes Luxusauto, um auf der anderen Seite des Bürgersteigs wieder aufzutauchen. Das Mädchen hört, wie sich die Autotür öffnet, und bietet ihm unter der Annahme, dass der “Tramp” der Besitzer des Autos sei, an, sich eine Blume für sein Revers zu kaufen. Als sie ihm die Blume reicht, schlägt er sie ihr aus Versehen aus der Hand. Er hebt sie auf, bemerkt, dass sie noch immer auf dem Boden nach ihr sucht, und erkennt, dass sie blind ist. Er gibt ihr die Blume zurück. Sie setzt sie sanft in das Knopfloch seines Revers. Er bezahlt sie mit seiner letzten Münze, aber bevor sie ihm sein Wechselgeld zurückgeben kann, kommt der Besitzer des Luxusautos zurück. Die Tür knallt, das Auto fährt weg, und der “Tramp” steht neben dem Blumenmädchen, das glaubt, sein Kunde wäre in aller Eile verschwunden. Anstatt die Illusion zu zerstören, bleibt er still. Für einen Moment war er in der Vorstellung von jemandem ein respektabler Mann.

Conan

Conan (Der Verteidiger der Literatur)

Conan hat stets im Unterbewusstsein der Popkultur gelauert, er ist von dort nicht mehr wegzudenken. Manch einer wird – zum Leidwesen vieler Conan-Fans – unweigerlich das Bild von Arnold Schwarzenegger vor Augen haben. Manche mögen Arnold in dieser Rolle sogar, aber das zeigt im Grunde nur, dass Conan eine der unterschätzten Figuren der amerikanischen Literatur ist (dicht gefolgt von Lederstrumpf). Schwarzeneggers Conan-Darstellung mag spaßig sein, aber es fehlt ihr eindeutig an jener Tiefe, die Howards literarische Figur tatsächlich hat.

Und damit begrüße ich euch zu einer weiteren Ausgabe unserer Rubrik “Helden, Versager, und andere Ikonen”.

Wenn es um die Darstellung unreflektierter trivialer Kunst geht, braucht man sich nur die Meinung der Allgemeinheit über Conan anzusehen. Fragen wir jemanden auf der Straße nach Conan, wird er wohl oder übel Geschichten über Lust und Gewalt im Sinn haben. Conan wird einige halbnackte Mädchen aus den Klauen tollwütiger Bestien befreien, die dann ohnmächtig zu seinen Füßen liegen. Tatsächlich gibt es nicht wenige Persiflagen, die genau auf dieser einfachen Formel beruhen. Das Problem mit solchen Darstellungen ist, dass sie nicht richtig sind. Gibt es denn solche Geschichten im Conan-Werk etwa nicht? Doch, aber es gibt dort auch Geschichten von erstaunlicher visionärer Kraft.

Wie bei den meisten Autoren spiegeln Robert E. Howards Schriften seine eigenen Gedanken, Erfahrungen, und nicht zuletzt seine Bildung. Das Schreiben spiegelt den ästhetischen Geschmack des Autors oder sein Verständnis von dem, was ein von ihm bedientes Publikum lesen möchte. Das Bedürfnis, etwas wieder und wieder lesen zu wollen, entsteht durch die Befriedigung unterbewusster Triebe, wenn diese mit etwas angereichert werden, das den Leser zum Nachdenken anregt. Und Howard ist da keine Ausnahme. Tatsächlich wird man in der (chronologisch) ersten Conan-Geschichte “Im Zeichen des Phönix” (1932) eine Anspielung über den Wert der Literatur und ihre Rolle in der Gesellschaft finden können.

Howards hyperboreisches Zeitalter ist eine mystische Welt voller Magie und Wunder, aber es ist auch mit unserer realen Welt verknüpft. Howard kombiniert mehrere Epochen miteinander, so dass Gesellschaften, die in der “realen Historie” durch Jahrhunderte getrennt sind, koexistieren. Conans Volk, die Cimmerier, basieren auf realen historischen Völkern. Die beiden Historiker Herodot und Plutarch erwähnten sie in ihrem Werk (bei Plutarch heißen sie Kimbern; sie bilden zusammen mit den Teutonen einen Ur-Germanenstamm). In der Geschichte “Im Zeichen des Phönix” scheint Howard von seinem Publikum zumindest ein wenig Kenntnis für die historischen Kimbern vorauszusetzen.

Was war nun also die Natur der Kimbern? Laut Plutarch waren sie ein Volk von Plünderern und Räuber, aber keine Herrscher.

Ein Volk von Plünderern

Der Einfall der Kimbern in Ionia, der noch vor dem des Krösus stattfand, war nicht dazu gedacht, die Städte zu erobern, sondern um zu plündern. — Herodotus, Historien I,6

Wie sahen sie aus? Sehen wir bei Plutarch nach:

Ihre immense Größe, ihre schwarzen Augen, und ihr Name, Kimbern, welche die Germanen für Briganten verwenden, lässt uns vermuten, dass sie einer jener Germanenstämme sind, die am Ufer des westlichen Ozeans gelebt haben. Es gibt Aussagen darüber, dass sich die große Fläche der Kelten vom äußeren Meer der westlichen Regionen bis hin zum Asowschen Meer (Palus Maeotis) an die Grenze der asiatischen Skythen erstreckt; dass sich diese beiden Nationen zusammentaten und ihr Land verließen… und obwohl jedes dieser Völker seinen eigenen Namen hatte, wurden ihre Armeen Kelto-Skythen genannt. Nach wieder anderen Aussagen, wurden die Kimbern, die ersten, die den alten Griechen bekannt waren, von den Skythen von ihrem Land vertrieben und ergriffen die Flucht. — Plutarch, Leben des Marius, XI

Was für ein Temperament hatten sie? Laut Homer:

Allda liegt das Land und die Stadt der kimmerischen Männer.
Diese tappen beständig in Nacht und Nebel; und niemals
Schauet strahlend auf sie der Gott der leuchtenden Sonne;
Weder wenn er die Bahn des sternichten Himmels hinansteigt,
Noch wenn er wieder hinab vom Himmel zur Erde sich wendet:
Sondern schreckliche Nacht umhüllt die elenden Menschen. — Homer, Odyssee, XI,14

Es ist Homers Beschreibung, die Howard im Phönix verwendet, um die Stimmung der Menschen zu beschreiben, und um Conan von seiner Sippe zu trennen. Wenn Conan gefragt wird, warum die Cimmerier solche brütenden Menschen sind, antwortet er:

“Das liegt vielleicht an dem Land, in dem sie zu Hause sind”, meinte der König. “Ein düstereres Land gibt es nicht. In seinen rauen, teils schroffen, teils dunkel bewaldeten Bergen unter einem fast immer grauen Himmel pfeift täglich der Wind klagend durch die öden Täler.” — Das Zeichen des Phönix (in der Übersetzung von Lore Strassl bei Festa)

Der durchschnittliche Cimmerier ist ein mürrischer, hochaufgeschossener Barbar, der Zivilisationen zerstört, und dann wieder in seine düstere Heimat zurückkehrt, um den Prozess von vorne zu beginnen. Howards Cimmerier ist dem der klassischen Gelehrten ähnlich, er präsentiert hier eine Figur, die wenig dazu geeignet ist, die literarischen Künste zu fördern. Aber das eben unterscheidet Conan von seinen Verwandten. In “Im Zeichen des Phönix” ist Conan ein älterer Mann, der gegen die größten Nationen des hyperboreanischen Zeitalters gekämpft hat, um sie von der Tyrannei zu befreien. Er eroberte, um zu regieren, und um ein unterdrücktes Volk zu befreien. Weit entfernt also von einem typischen Barbaren. Während Howard Conan also von seiner Sippe separiert, erhöht er damit gleichzeitig die Sympathie des Publikums für den Barbarenkönig. Durch diese Trennung bringt er allerdings seine literarische Theorie auf Kurs.

“Im Zeichen des Phönix” ist die Geschichte von einem Komplott, um König Conan zu ermorden, ein Komplott, das von einer machiavellischen Figur namens Ascalante organisiert wird, der den Thron zu übernehmen wünscht. Ascalante ist ein Produkt der Zivilisation, aber er ist auch der Antagonist der Geschichte, also nutzt Howard seine Meinung über die Künste, um ihn von der Sympathie der Leser zu distanzieren. Als Ascalante einen Dichter beschreibt, der in seine Machenschaften verwickelt ist, tut er das mit abwertenden Begriffen. Diese Begriffe entwickeln sich im Laufe der verschiedenen Fassungen der Geschichte. Ascalante drückt seine Verachtung für Rinaldo (den Dichter) in einer Beschreibung so aus:

“Rinaldo – ein irrer Dichter voller beschränkter Visionen und altmodischer Ritterlichkeit. Er ist der , weil er mit seinen Liedern die Herzen der Menschen anrührt. Seine Beliebtheit können wir für uns nutzen.” —Ascalante in Im Zeichen des Phönix, Erste eingereichte Fassung (in der Übersetzung von Jürgen Langowski bei Festa)

Als die Erzählung veröffentlicht wurde, wurde auch diese Beschreibung gestrafft: “Rinaldo, dieser schwachsinnige Minnesänger.”

In der veröffentlichen Fassung schmälert Howard Rinaldos Teilnahme am Handlungskonstrukt, weil sie in Anbetracht der späteren Ereignisse überflüssig wird. Wenn Ascalante gefragt wird, welchen Wert Rinaldo als Verschwörer hat, ist seine Antwort zwar die gleiche, aber sein Hass auf Rinaldo wird in der unveröffentlichten Fassung deutlicher.

“Rinaldo hat als Einziger keine keine persönlichen Ambitionen. Er sieht in Conan den rauen Barbaren mit den blutigen Händen, der aus dem Norden gekommen ist, um ein zivilisiertes Land auszuplündern. Er idealisiert den König, den Conan der Krone wegen tötete. Er erinnert sich nur, dass er dann und wann die Künste förderte, und hat alle Ungerechtigkeit und Misswirtschaft seiner Herrschaft vergessen – und er sorgt dafür, dass auch das Volk es vergisst. Schon singt man offen das Klagelied für Numedides, in dem Rinaldo diesen Gauner in alle Himmel hebt, und Conan, ‘den Wilden mit dem schwarzen Herzen aus der finsteren Hölle’, verdammt. Conan lacht, aber das Volk murrt.” — Ascalante in Im Zeichen des Phönix, veröffentlichte Version.

“Rinaldo – pah! Ich verachte den Mann und bewundere ihn zugleich. Er ist ein echter Idealist. Als Einziger von uns allen hat er keinen persönlichen Ehrgeiz. Er betrachtet Conan als ungehobelten brutalen Barbaren, der aus dem Norden kam, um ein friedliches Land auszuplündern. Er fürchtet, auf diese Weise könne die Barbarei m Ende über die Kultur triumphieren. Er idealisiert jetzt schon den König, den Conan getötet hat. Er vergisst die wahre Natur dieses Schurken und weiß nur noch, dass der Mann gelegentlich die Künste gefördert hat. Die Untaten, unter denen das Land in seiner Herrschaftszeit gestöhnt hat, hat er selbst vergessen und macht er die Menschen vergessen. Sie singen jetzt schon in aller Öffentlichkeit das ‘Trauerlied für den König ‘, in dem Rinaldo den heiligen Schuft lobpreist und Conan als ‘den Wilden mit dem rabenschwarzen Herzen’ beschimpft. Conan lacht darüber, aber zugleich wundert er sich, warum sich die Menschen gegen ihn wenden.” — Ascalante in der unveröffentlichten Version

In beiden Versionen wird der Dichter als blinder Idealist beschrieben. Rinaldo, so scheint es, kann nicht über die Klischees um das Cimmerische Volk des Plutarch und Herodot hinaussehen. Für Howard ist es nicht erforderlich, dass seine Leser diese Vorurteile teilen, aber wer davon Herodot und Plutarch kennt, für den werden die Passagen erhellend sein. Selbst die bearbeitete Fassung, ob nun freiwillig oder auf Wunsch des Verlegers, vertraut noch auf das Publikum, aufgrund einer historischen Bildung zum richtigen Schluss zu kommen. Vergebens!

Das Interessante an Rinaldo ist, dass er zwar ein Verschwörer, aber kein Bösewicht ist, sondern ein Antagonist. Er ist ein blinder, törichter Idealist, der nicht aus Eigennutz handelt. Ascalante beschreibt Rinaldos Motivation so:

“Schon immer hassen Poeten jene, die an der Macht sind. Für sie liegt die Vollkommenheit stets hinter der letzten Ecke – oder der nächsten. Sie entfliehen der Wirklichkeit in ihren Träumen von der Vergangenheit oder der Zukunft. Rinaldo brennt vor Idealismus. Er glaubt, einen Tyrannen stürzen und das Volk befreien zu müssen.”

Der Verteidiger der Literatur

Ascalante spezifiziert hier, welcher Art idealistische Dichter sind. Sie träumen von einer idealen Gesellschaft, unabhängig davon, wie gut die Gesellschaft, in der sie tatsächlich leben, beschaffen ist. Aber das ist eben des zivilisierten Ascalantes Vorstellung über den Wert der Dichter. Für ihn ist der Dichter eine leicht zu manipulierende Puppe. Was ist nun mit dem Barbaren, der König geworden ist, und der häufig für eine Alter Ego Howards gehalten wird?

Conan liebt den Dichter und versteht die Kritik. Er ist sich darüber bewusst, dass viele der Lieder des Dichters dafür verantwortlich sind, dass die Menschen ihn hassen, aber er ist auch vom Bedürfnis nach Gerechtigkeit durchdrungen. Als sein Berater, Prospero, seine Verachtung für Rinaldo äußert, verteidigt Conan den Dichter (und die Poesie im Allgemeinen). Die Passage ist sowohl in der veröffentlichten und unveröffentlichten Version nahezu identisch:

“Dafür ist zum größten Teil Rinaldo verantwortlich”, antwortete Prospero und schnallte den Waffengürtel enger. “Er singt Hetzlieder, die die Menschen aufwiegeln. Lass ihn doch in seinem Narrenkostüm am höchsten Turm aufhängen. Dann kann er Reime für die Geier schmieden.”
Conan schüttelte die Löwenmähne. “Nein, Prospero, das hätte keinen Sinn. Ein großer Poet ist mächtiger als ein König. Seine Lieder vermögen mehr als mein Zepter. Ich spreche aus Erfahrung, denn ich spürte es tief im Herzen, als er sich herabließ, für mich zu singen. Ich werde sterben und man wird mich vergessen, aber Rinaldos Lieder werden weiterleben.”

Für Conan, den untypischen Cimmerier, haben Gedichte und Kunst mehr Macht als Waffen oder königliche Autorität. Nicht nur das, aber es ist richtig und wichtig, dass dem so ist. Hier sehen wir Conan, den Barbar als Verteidiger der Literatur, während der zivilisierte Ascalante Literatur nur als ein Werkzeug benutzt, um die Törichten zu manipulieren. Conan würde mit dem Dichter über Idealismus, Vergangenheit und Zukunft diskutieren, während Ascalante Rinaldo dazu benutzen würde, zu bekämpfen, was er ablehnt. Conans Konflikt zwischen dem Wunsch nach einer “freien Presse” und schneller Gerechtigkeit und dem sich vielleicht daraus entwickelnden Kampf – weil er eben die Presse bevorzugt – findet im Prolog des letzten Kapitels der Erzählung Ausdruck:

Ich weiß nichts von eurem kultivierten Leben,
von Lug und Trug und falschem Schein.
Ich kam zur Welt in einem wilden Land,
wo es galt, rasch und stark zu sein.
Es gibt keine Arglist, kein Intrigenspiel,
das nicht letztlich das Schwert gewann,
So greift an, ihr Gewürm – auch im Mantel des
Königs empfängt euch ein Mann! — Die Straße der Könige in “Im Zeichen des Phönix“

Überraschenderweise ist Conans Liebe zur Literatur und Kunst so stark verwurzelt, dass er sich zunächst weigert, Rinaldo zu töten, selbst als dieser ihn angreift. Er glaubt noch immer, dass er mit dem Dichter auf eine Linie kommen kann. Erst als dieser ihm keine Wahl mehr lässt, tötet er ihn. (Die Texte der unterschiedlichen Fassungen sind wieder identisch). Interessant daran ist, dass keiner der insgesamt zwanzig Verschwörer Conan so verletzten kann wie der Dichter.

Was sagt uns das über Howards Auffassung über Kunst? Wir wissen, dass Conan die Kunst liebt, aber wir wissen auch, wie sehr sie zur Manipulation der Menschen benutzt wird und wie Conans Liebe zu ihr ihm fast das Leben gekostet hätte. Versucht Howard hier mit uns über die Kritik Platons an der Dichtung zu diskutieren? (Platon hat in seiner Politeia der Dichtung keinen Platz in einem idealen Staat eingeräumt). Will er Platons Kritik gegen jene des Aristoteles stellen? (Aristoteles verteidigt die Dichtung in seiner Rhetorik). Eine schwierige Frage, die nicht zufällig gestellt wird. Auffallend ist jedoch der Zufall, dass ausgerechnet die erste Conan-Erzählung eine literarische Theorie entwirft.

Es sei noch darauf hingewiesen, dass diese Erzählung zunächst als Kull-Geschichte gedacht war. Die Kull-Geschichte wurde vom Weird Tales Magazine endgültig abgelehnt, um dann zum ersten Auftritt eines kulturellen Phänomens zu werden.

Tarzan (Der Affenmensch)

Edgar Rice Burroughs’ “Tarzan of the Apes” erschien zuerst im All Story Magazine und wurde 1914 als Buch veröffentlicht, das sofort die Bestsellerlisten anführte. Für Ray Bradbury war es eines der besten Bücher, die er kannte.

Wir sind alle nur Tiere

In den folgenden Jahren forderten die Leser etwa fünfundzwanzig Fortsetzungen von Burroughs. Die Statistiken sind erstaunlich: Bis 1970 gab es zum Beispiel mehr als sechsunddreißig Millionen Tarzan-Bücher in einunddreißig Sprachen; außerdem gab es mehr als fünfzig Tarzan-Filme (von den unzähligen Samstagsmatineen, in denen Johnny Weissmuller seinen berühmten Tarzan-Schrei ausgab, bis hin zu den jüngsten Inkarnationen wie “Greystoke” und “Legend of Tarzan”). Der Gelehrte Russel Nye hörte sich in der gesamten amerikanischen Kultur um und kam zu dem Schluss: “Tarzan bleibt die größte populäre Schöpfung aller Zeiten.” Die Strahlkraft mag in Europa nicht ganz so bedeutend sein (man träumt auf dem alten Kontinent anders), und dennoch bleibt Tarzan auch hier ein Phänomen.

Gold Key Comics 1966

Burroughs’ privater Traum sprach Millionen von Lesern an und wurde dann zu einem gemeinsamen Traum, einem öffentlichen Traum, einem Mythos. Burroughs tat nicht weniger, als uns zum wilden Ursprung zurückzubringen. Das bedeutete Lendenschurz und Nacktheit. Entfernte Überreste unseres Werdegangs. Der Text spricht die Wahrheit aus, dass wir im Grunde genommen Tiere sind – Konkurrenten, allein mit dem eigenen Überleben beschäftigt. Noch über unserer Kultur und den angeblich guten Manieren liegen Gier und der Wunsch nach Macht. Rationales Denken ist nur ein zerbrechlicher Deckel, der einen stärkeren und tieferen Eintopf aus Trieben, Impulsen und Leidenschaften bedeckt. Denn was sind wir am Ende? Wie würden wir uns in der Wildnis verhalten, wenn alle Annehmlichkeiten nicht mehr vorhanden wären? Burroughs findet am Ende eine Antwort. Bei Darwin und Freud.

Der Traum von Afrika

So sehr Burroughs sich von Legenden über das Wolfskind und von Kiplings Dschungelbuch inspirieren ließ, so sehr wich er von dieser Tradition ab, als er Tarzan anstelle von Wölfen von Affen aufziehen ließ. Allerdings waren das keine Gorillas, wie das wahrscheinlich die Mehrheit noch immer glaubt, weil es in vielen Filmen falsch dargestellt wurde.

Tatsächlich wurde Tarzan von einer der Wissenschaft unbekannten Affenart aufgezogen. Diese Kreaturen ähneln Gorillas in Größe und Stärke, aber sie unterscheiden sich eben auch. Diese Menschenaffen gehen oft aufrecht, jagen Tiere, essen Fleisch und haben eine wirkliche Sprache. Sie nennen sich selbst die “Mangani”, und Burroughs beschreibt sie als “riesig”, “heftig” und “schrecklich”. Er fügt hinzu, dass sie “eine Spezies sind, die eng mit dem Gorilla verwandt ist, aber noch intelligenter.” Dank ihrer Intelligenz und Stärke sind die Mangane “die furchterregendsten Vorfahren des Menschen”.

Burroughs folgt in seinem “Affenkind-Mythos” nur lose den Darstellungen in Darwins “Über die Entstehung der Arten”. Vielmehr hält er sich an jene Artikel des Naturforschers, die in Zeitschriften erschienen sind und die sich um das Überleben des Stärkeren, Evolution und niedere Ordnungen drehten.

Auf den Erfolg von von Tarzan angesprochen sagte Burroughs:

“Jeder will den engen Grenzen der Stadt entkommen, den Beschränkungen, Hemmungen und künstlichen Gesetzen, die uns die Gesellschaft auferlegt hat.”

Burroughs machte Afrika zum Schauplatz seiner Phantasien. Es ist natürlich ein Afrika, das es so gar nicht gibt. In einer Szene zum Beispiel schlägt Tarzan einen Tiger (der nur auf dem indischen Subkontinent zu finden ist) mit einer Ananas (einer Frucht, die in der Karibik wächst). Trotz dieser enormen Freiheiten, die sich diese Geschichte gönnt, richtete der damalige Kaiser von Äthiopien – Hailie Selassi – die Bitte an Hollywood, man möge ihm doch alle Tarzan-Filme schicken, denn Burroughs’ Bücher sind zwar nicht wahr, aber sie stellen den Traum von Afrika dar.

Ein Afrika, das Freud das “absolute Anderswo” genannt hätte, den dunklen Kontinent.

In der Welt von Edgar Rice Burroughs haben die Menschenaffen ihre eigene, einzigartige Sprache. Und nach diesem Primatendialekt bedeutet “tar” “weiß” und “zan” “Haut”. Fügt man diese beiden Silben zusammen, bekommen wir “Tarzan”. In den Romanen gibt ihm Tarzans adoptive Affenmutter Kala diesen Namen, als sie seine blasse, haarlose Haut sieht.

Aber Burroughs fiel dieser Name nicht aus heiterem Himmel ein. Während er 1910 in Chicago lebte, verliebte er sich in die Gemeinde Tarzana. Er kaufte sogar etwas Land dort. Einige Jahre später, als er einen Namen für den von Affen aufgezogenen menschlichen Jungen brauchte, dachte er an Tarzana. Er ließ den letzten Vokal vom Ende weg und eine Legende war geboren. Interessanterweise gab es den Namen “Tarzana” nicht offiziell. Erst 1930, als sich der Stadtteil sozusagen gründete und eine Poststelle bekam, wurde der Name amtlich. Dies führte zu der Legende, dass die Stadt nach dem Affenmenschen benannt wurde, obwohl es in Wahrheit umgekehrt war.

Zusätzlich zu den Tarzan-Büchern schrieb Burroughs mehrere andere Serien, darunter die Pellucidar-Romane. In diesen Geschichten bauen die Abenteurer David Innis und Abner Perry eine experimentelle Bohrmaschine und entdecken, dass die Erde hohl ist. Tatsächlich wird sie sogar von einer inneren Sonne beleuchtet. Diese Welt wird von Dinosauriern, primitiven Menschen und einer Vielzahl intelligenter, nicht-menschlicher Rassen bewohnt.

In “Tarzan am Mittelpunkt der Erde” machen sich der Affenmensch und eine kleine Gruppe von Begleitern auf die Suche nach Innis und Perry. Tarzan verwendet sein Vermögen, um den Bau eines speziellen Luftschiffs namens O-220 zu finanzieren. Mit dieser riesigen Flugmaschine reisen sie durch ein gigantisches Loch am Nordpol und landen im Zentrum der Erde

Die Idee einer hohlen Erde ist eine pseudowissenschaftliche Idee, die es seit dem 18. Jahrhundert gibt. Es ist nicht klar, ob Burroughs diese Idee ernst nahm, aber er fand sie sicherlich nützlich für seine Literatur.

In “Tarzans Suche” gerät der Affenmensch in Konflikt mit den Kavuru, einem feindlichen Stamm, der den Dschungel terrorisiert und Frauen stiehlt. Sie haben sogar Jane entführt. Es stellt sich auch heraus, dass die Kavuru unsterblich sind, da sie eine Pille entwickelt haben, die ihnen ewige Jugend gewährt.

Nachdem Tarzan Jane gerettet hat, kehren sie mit einer Schachtel der Unsterblichkeitspillen nach Hause zurück und teilen sie unter ihren Verbündeten auf. Sie ließen sogar Tarzans Affenbegleiter Nkima etwas von ihrer Medizin nehmen. Vor diesem Hintergrund ist es merkwürdig, dass Tarzan und Jane nicht daran gedacht haben, ein paar Pillen für ihren Sohn Korak und seine Frau Meriem zu bekommen. Aber sie spielten in diesem Buch keine Rolle, also zum Teufel mit ihnen.