Nebelsirene unter Wasser

Lüge und Manipulation, das sind die Stoffe, aus denen wir die Welt gemacht haben, quasi der Stoff aus dem die Träume nicht sind. Kaum hat Zarias die Augen aufgeschlagen, denkt er wieder an die Veranda. Das kommt in den letzten Tagen wieder häufiger vor. Hat er wirklich daran gedacht, das ganze sei überstanden? Manche Erinnerungen machen einfach für unbestimmte Zeit Urlaub, hängen ihr Tagwerk für unbestimmte Zeit an den Psycho-Nagel und gehen surfen, vielleicht liegen sie in Cancún am Strand, um neue Kraft bei einer Mexican Colada zu sammeln (oder um weiteren Anlauf zu nehmen), aber sie kamen immer wieder zurück. Es gab nichts Verlässlicheres als eine eingesperrte Obsession. Kurz nach der Ankunft seines Bewusstseins im heutigen Tag, hat er das Gefühl, die Träume ziehen weiter, auch wenn er sie nicht mehr mitmachen kann, zu vergleichen mit dem Leben, aus dem man herausstirbt.

Die Träume – das Jenseits? Levke hätte das gewusst. Auch an ihn muss er wieder häufiger denken, aber noch nie ist ihm das direkt nach dem Aufwachen passiert, mehr am Abend, an dem sich stets eine philosophische Stimmung breitmacht, der Herbst des Tages. Vielleicht deshalb. Wenn etwas vergeht, schießt Schwarze Galle in den Bauchraum, verbindet sich mit Dung, Schleim und fermentierten Bazillen und schickt das ganze Gemisch ins Oberstübchen, um Melancholia auszulösen, eine Nebelsirene unter Wasser, ein nicht-ortbares Rufen aus einer geisterhaften Ferne. Zarias erhebt sich, aber wach ist er eigentlich nicht. Normalerweise gönnt er sich das Viertelstündchen (nichts ist so trüb in die Nacht gestellt / der Morgen leicht macht’s wieder gut), bevor er in die Möglichkeit vorstößt, die ihm ein neuer Tag anbietet, aber heute kann er nicht mehr richtig liegen. Die Stellungen sind abgenutzt: Bauch, Rücken, Embryo.

Komm jetzt, du Faulfleck! Es ist schönstes Wetter! Aber auch wenn es nicht so wäre, das Liegen sollte den nächsten Schritt täglicher Entwicklung tun und zumindest zu einem Sitzen werden.

Töpfchen koch!

Im obersten Stock des Cafés gingen die Rinderhälften einher; getragen wurden sie von mächtigen Rücken, denen der Skrupel fehlte, zusammenzubrechen. Filet auf Filet, die Füße auf dem ausgewalkten Teppich; auf dem Tisch: Kaffeeflecke ringelten sich wie die Jahreskreise eines gefällten braunsaftigen Baums, olympisch, Zelle für Zelle; ein Tag. Am Abend sangen sie alle „Wish You Where Here“, wozu sie Jim Beam aus einer Dreiliterflasche soffen und den Tränen immer näher kamen; aus der Kneipe herauf quoll der Blues wie Hirsebrei aus dem Topf.

„Töpfchen koch!“

Oh, ihr Gäste, ihr fremden Menschelgen, heute Abend schob ich keine Pizzableche in den Feuerschein, verzupfte nicht Salat, schlug keine Filets, zerstieß kein angetrocknetes Mehl, heute versoff ich das Geld, das ich gestern in der Küche verdient hatte, vor Feuerschein und Gurke. Setzt euch doch!

„Setzen wir uns doch!“

Auf die Stühle, die ich mir borgen musste, genauso wie den Tisch, den wir nicht brauchten, weil wir alles auf den Boden schmissen; oh Hasi, Hasi, der feiste Bass : „Töpfchen steh!“

Dann unten : alles voll, die lange Theke : nur noch für mich ein Platz zwischen den rauchenden, schwelgenden Leibern. Du unnahbares Objekt meiner Begierde, mit Augen wie Bambi (Bam Bam Bambi), du Körper der Lust, du Heizdecke (ich widdere dich), rauchiges Universum (der Blues).

Now I left home this mornin’, I swore I’ve stopped and think
Made my friends a promise, I wouldn’t even take a drink
Of that bad, bad Whisky.

On dem Grab

Ein seltenes und schönes Stück Wohnkultur,
einfach lecker handgemachte Spitze,
in feines Leinen eingeführt
mit scrollenden Schnittblumen und Laub.

Die Seiten mit gewellter Spitze und Pom-Poms getrimmt.
Viele Stunden mühsamer zarter Arbeit
haben dieses schöne Stück geschaffen.
Das Stück ist frisch gewaschen und liebevoll gebügelt,
gebrauchsfertig auch.

Ein schönes und spezielles Gelegenheitstuch in gutem,
selten gebrauchtem, antikem Zustand. Ein paar
blasse Flecken, die nicht ablenken,
mit einem Keks-Engel, die meiste Zeit
in einem Zink-Container on dem Grab.

Katholische Tradition. Voll
mit alten kleinen Perlen.

Die erste Nacht

Sie starb in deiner Welt weil du erwacht bist
Stirb du in ihrer, schlafe ein

-Die Geschichte endet nie
-Geht immer weiter.
-Sie findet in einem Haus statt.
-Draußen ist die Luft so klar.
-Man kann die Geschichte verlassen
-Um in eine andere Geschichte hineinzugehen.

Die Blume, erfroren
Der Träumer weiß nichts mehr von ihr

Das Zierkurat wurde geknüpft
Und unter Dornen gestellt
Darüber wurde in Flocken gespuckt
Ein Tanz aus dem Äther entnommen

-Liebster, nimm treu meine Hand
Und führe sie an deine Lippen!

Es kann klarer nicht sein
Wenn Pergamentzungen kräuseln
Wo die Winde im Takt sich verliern

In den Fugen der Nacht
Sucht ein Mund deine Wangen
Die nur Traum, die nur körperschwer 
Liegen im Moos

So steigt die Göttin aus dem Bade
Glitzernd wie der Abendmond 
Vom Tau des Diamantenatems 
Noch umkränzt und niemand sieht: 

Wie sie sich schiebt durch Sommernächte
Ewig weit den Mund aufspreizt
Sie pisst Fontänen eines Wunders 
Sie masturbiert feinstofflich nur 

Geh nicht fort

Man muß wissen: Der Träumer wurde nicht mehr gesehen
Man muß denken: Der Träumer floh
Man muß wissen: Der Träumer trägt nun eine Narbe
Man muß denken, daß es nichts ausserhalb gibt

Dann kann man folgende Stimme entstehen lassen,
vielleicht spricht sie der Bach:

Geh nicht fort in dieser Stille, die geschaffen
Am Horizont die Perspektive zu betrachten
Talgemünd und Augenbogen
Geh nicht fort durch wallend Nebel
Sehnsuchtsmesser stechen dort

Gehst du fort, nimm den Gedanken
Aus den Furchen dieser Nacht
Und halte Blüten vor dir her
Sie schützen grob auf diesem Weg

Geh nicht fort wenn ich dich brauche
Geh nicht fort wenn du es musst

Gehst du fort, bedenke Quellen
Gedanken speisen sich von ihr
Träume sind ein Ort der Weisheit
Manches Glück ward dort betrachtet
Wie ein Bild das sich bewegt

-Das hat der Bach gesprochen.
-Der Bach? Nein. Ihre Seele wars.

Der gezeichnete Träumer

Sternsplitternd zerbirst die Pforte
Rasend durch die endlose Nacht
Hervorgetummelt übertritt
Der Zorn der Zeit die Schwelle

(Die Gesichter erblinden)

-Ich sehe ihn nicht mehr.
-Ich sehe ihn nicht mehr.

Ich weiß nicht mehr in welcher Folge
Nun die Dinge vor sich gingen
Gab einen Sturm
Gab einen Winter
Mit Schnee die Blumen eingedeckt
Mit Eis die Luft durchwebt
Aus kalten Nüstern blies der Nebel
Den man gern - Vergessen – nennt

Sie jagten über Taumelburgen
Einzufangen den, der schon
In ihre Welt entglitten war
Im Holz, im edlen Wiesengrund
Zerbarst die Nacht aufs Neue

Den der sie sah
Den, der sie ganz erkannte
Den, der sie aus den Blumen rief

dem Herzen nicht entließ 

Durch reißende Spreißel 
Spreißelndes Reißen
Narben gewähren der Haut Fetzentage
Wenn Weltzerwürfnisse wedelnd wenden
Wurmsonden, Liebherzen und Traumkadaver

Die Gesichter befreien sich aus Magnesiumgefängnissen

-Wir, die beobachtenden Augen
Sind die Zeugen, nicht berichten
Wir und nicht handeln wir
Nicht drängen wir dem Ende zu.

-Nicht chronisieren wir ekstatisch
Tanzen nicht, wenden uns nicht
Ab der Szenerie in Mähren
Aufgeschrieben sind auch wir.

Die Gesichter, zwei Gesichter, Dual
Nicht wahr? -erweitern sich um den Geruch

-Orchidee, du Königin der Strunke
Duftest Schmerz hinaus
Und webst Herbarien herbei.

Das Schwert des Wortes richtet

Das Lied der Nachtigall

-Ein Vogel.
-Eine Nachtigall.

(verwandelt/ eine Perlmuttochter
sticht die heiße Luft entzwei
sie trägt ganz regenbogenfiedern
nicht das Zeichen ihrer Zunft)

Der Dichter sieht:

Schallen Klänge auf und nieder
Ringen sich im bodenlosen
Staub der Atmosphären bloßer 
Winde, die im Kessel raunen

Setzt sich dieser Ton hernieder
Findet ihn die Nachtigall
In einem Korn aus alten Mühlen
Die am Seelenwasser stehn

Schon webt sich in ihr bunt Gefieder
Geigenspiel und zarter Sang
Sie trillert hoch aus ihrem Schnabel
Den Necktar einer Melodie:

Sag kein Wort in diesem Augenblick
Die Nacht gehört uns und der Mond trägt dein Gesicht
Wenn alle Schatten brennend über Steppen rennen
Und mein Pulsschlag kann nur deinen Namen nennen

Dann erhebt sich lautlos ein Gespinst aus Wolken
Und der Regen sagt wohin wir fliehen sollten
Vor der Zeit, die keine Wunden wirklich heilt
Weil nicht die Ewigkeit in unserer Liebe weilt

-Sag, Vogel, hast du sie gesehn
Wie sie da lag im hellen Gras
Und wie sie ohne Atem schlief
Am Bach, aus dem du trinkst?

(Die Nachtigall verlässt ihr Kleid
der Träumer steckt es sich ins Haar)

-Was tut er?
-Er zeichnet sich.

Das Bankett

Timber spielt mit allen Blumen
Spielt Erkennen, Los und Tanz
Streichelt ihre zarten Lippen
An den Kelchen, glitzerbunt

-Und wo ist sie gewesen?
-Fern im Blütenholoskop.

Du, Timber, bist erträumt nur
Bist weniger als der Schatten Bewegung
Entspringst den feingesponnenen Sinnen
Eines Träumers, der dich sehnt

Wenn du fühlst, fühlt dich ein Traum
Wenn du sprichst, spricht Fantasie
Dein Erleben ist ein Bild
Niemand kennt es ganz genau

-Der Dichter spricht sie an.
-Sie hört ihn nicht, gehört ihm nicht.
-Ist Timber nicht sein Märchen?
-Ein Märchen lebt für sich allein.

Wer will, so spricht das Unterholz
Den Menschen noch mehr Träume senden?
Wer läd sie ein an diese Tische
Deren Speis es nirgend gibt?
Die Mädchen mögen auswärts schwärmen
Doch hüten sich vor Trieben derer
Die Besitz so gerne sehn
Der Traum ist jeder Fessel Frei
Er ringelt sich vor aller Augen
Und verpufft, wenn man ihn greift

(Da zogen aus, alle, aus und kehrten 
Mit Gästen aus dem Menschenland, wieder)
-Nur Timber blieb zurück.
-Sie kam aus ihrer Blume ganz.
-Gekrochen.
-Und starb.

Tot fand sich sie am Waldesrand
Ein Sommerspiel auf ihren Lippen
Sie wär die Liebste mir gewesen
Ein Elfenkind mit scheuem Blick

Die Pforte zu den Hintermännern

Perlmuttropfen starren ins Theater
Nattern nisteln symboledel
Schwänzeln um ein Tanzbein, luftig
Drachen tragen Trachten feingewoben
Spinnen riesig über Mauern
Ihren Flug

Unendlichkeit
Kann durchaus etwas heißen
Namen-arama, Pano-Kartei
Liebende sind stets verzeichnet
In Kladden größter Wonnen

(Die Perlmuttöchter verstecken ihr Tuch
Und zücken geschälte Herzen am Stil)

Schaut, Schwestern, jener Träumer will
Zur Pforte hin und auch hindurch
Als wäre unser Traum für ihn
Ein Nemeton ohne Verbot

Und sagt ihr mir, der Jüngling liebt
Antworte ich mit Schmunzellippen
Nie gedacht für Menschenbrust
War diese unverstandne Kraft
Die Pforte zu den Hintermännern
Halten wir so lang schon dicht
Als wie die Welt für uns besteht

Man kennt, daß man jetzt sprechen muß
Ein weises Wort in diese Stille
Dann öffnet sich von Zauberhand
Der Riegel der die Welten trennt

Doch diesmal führt die Antwort nicht
Den Schlüssel in der Hand

Die beobachtenden Gesichter:

-Sie lassen ihn dort nicht hinein.
-Und wir verfolgen weiter.

Die Blume spricht

Im Traum: Da fliegt er, Traumflügel flattern in 
Pneumatischer Melasse /in
Ektoplasma Psychotrop
Wurzelwege wettern knotig

Die Blume zwischen den Falten der Zeit
Öffnet ihre flackernd blühenden Lippen
Um Worte zu verduften

Der Träumer öffnet sie

Er schält sich aus dem Gas des Denkens
Und blickt in ihr Geflecht aus Zartheit

(Die Elfenwelt verkündet donnernd,
daß hier etwas geschehen ist,
das nie auch nur geahnt, gekannt)

Daraufhin beginnt es zu regnen
Marmeladetropfen beschmieren
Einen unruhigen Schlaf

Doch die Rede, die sie teilten,
bewortet sich in diesem Stück
Der Auszug kann nur wiedergeben
was der Dichter hat vernommen:

-Diese Blumen sind giftig
Weil sie schmecken wie der süße Tau
Bienenkelche, Honigwaben
Doch sie heilen auch die Sehnsucht
Wenn sie brennt und nicht vergeht
Der Preis jedoch: ein stilles Herz

Jetzt hast du mich gefragt, und:
Ja, ich habe mich verirrt
Durch diese Blume begegne ich dir
Du darfst sie nur nicht pflücken!

Bist du das Mädchen, das ich sah
als ich die Augen Ächtens schloss?
Bis du der helle Herzenstich
Der Mond auf üppig Flur?

Die Blume, die du mir geraten
Nicht zu knicken, werde ich
Mit Blicken meiner Sorge streifen
Und suchen will ich, wo du bist

-Das nicht! Du sollst mich niemals finden
denk dir: Die Welt ist unvereint
Ich mag wohl schwärmen wenn du Schläfst
Doch halten können wir uns nicht

Perlmutt

Prismatisches Schimmern, Stiegen hinan 
Dort gehe ich mit geschlossenen Augen 
Über dunkle Türme spähend
Unendlichkeit wolkt zwischenhin

Deine Augen führen mich in ein
Kaleidoskop der Windungen
Zugiger Wurmlichter

Deine Halluzinationen peitschen
Nach meinen Wünschen
Narbendotter kostend

Gesichter beugen sich hinab:

-Ist das der Träumer?
-Er ist es.
-Was träumt er?
-Uns.

(Ein unsichtbares Ohr hört Sphärenmusik, 
leise gedrehter Orkan, 
Phonverkürzt)

-Kann er schon die Pforte sehen?
-Noch ist er auf Meeresgrund.

Deine Gedanken wirbeln um den Kelch 
Aus dem ich schluckwärts nasche
Und Träufel fahren fern zu dir

-Er spricht.
-Er nippt.
-Er flüstert.
-Redet.
-Schon zu ihr?

(Die große Dunkelheit betupft einen Gong)

Ihr Perlmuttöchter!
Gebt mir die Pforte frei!

(Die Perlmuttöchter kichern in choreographisch hervorgeholte Taschentücher
dann tanzen sie Figuren
schweben sie im Saal der Welt
berühren sich sinnlich mit den Fingerspitzen)

-Da sind die Perlmuttöchter!
-Und sie geben das Tor nicht frei.

Die Gesichter entfernen sich:

-Schon?
-Komm.

Timber

Gelehrt haben mich Feen eine Sprache des Mooses
Gesprochen wird sie liegend im Farn
So klingen märchenhafte Vibrationen
Noch lange nach und stimulieren die verkümmerte Sicht
Der Menschensöhne

Tot fand sich sie am Waldesrand
Ein Sommerspiel auf ihren Lippen
Sie wär’ die Liebste mir gewesen
Ein Elfenkind mit scheuem Blick

Ich frage den Bach nach ihrem Namen:

Siehst du nun das Unheil an?
Der Traum hat sich dir eingemischt
Und offenbart dir unvereint
Wie er das Leben schmähen wird

Wie sie dort liegt
Bedeckt sie nur der Sonnenstaub

Bedeckt sie nur ein Trauerblick

Bedeckt sie nicht mein Antlitz
Kannst du mir sagen, wer sie war?

Sie war und ist ein Traumgespinst
Ihr Name ist ein Stachelband
Weil sie dir angetan
Du träumst den Tag, du lebst die Nacht
Sie bietet dir ihr Leben bar

Wie sollte ich es nehmen?

Sie starb in deiner Welt weil du erwacht bist
Stirb du in ihrer, schlafe ein