Archiv der Kategorie: Echos aus dem Hades

Richard Gavin war einer unserer ersten Kolumnisten. Seine Artikel-Serie “Echos aus dem Haden” wurde komplett ins Deutsche übersetzt.

Diese Welt erdulden oder eine andere illuminieren? Über die Bedeutung und den Nutzen des Horrors

In seiner interessanten Abhandlung in Buchform, Danse Macabre (1981), stellte Stephen King die folgende Theorie über die grundlegende und beständige Anziehungskraft des Horrors auf:

Warum soll man sich schreckliche Dinge ausdenken, wenn es doch so viel wirklichen Schrecken in der Welt gibt?

Die Antwort scheint zu sein, dass wir uns Horror ausdenken, um mit dem wirklichen Übel fertig zu werden.

Ganz passend für jemanden mit einem so königlichen Namen gab uns der King in dieser Passage praktisch die Eine Theorie, um sie alle zu knechten, die eine Idee, die zur einfachen Antwort auf die Fragen nach dem inneren und beständigen Reiz des Grauens werden sollte. Unzählige Schöpfer und Konsumenten solcher Unterhaltung haben in den letzten drei Jahrzehnten die Logik des Kings so weit wiederbelebt, dass sie zu einem praktischen Bezugspunkt geworden ist, den jeder Horror-Fan auspacken kann, wenn seine oder ihre krankhaften Vorlieben in Frage gestellt werden. Warum Horror? Weil unsere Seelen ein Überlebenstraining brauchen, um sich für den Ernstfall zu wappnen, sobald der Ernstfall auf uns zukommt, versteht sich!

Ganz einfach? Ja. Einprägsam? Ja, sicher. Nützlich? Auf jeden Fall. Aber ist es korrekt?

Obwohl ich ein Bewunderer vieler Werke von Stephen King bin, gestehe ich, dass ich seine Logik hier zutiefst verdächtig finde. Diese Theorie schlussfolgert im Grunde, dass der Horror ein gesunder, ja sogar sozial verantwortungsvoller Zeitvertreib ist: Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, wenn Ihre Großtante Tilly bei der Auswahl der Filme Ihres Filmabends die Stirn in Falten legt. Informieren Sie sie einfach darüber, dass der kannibalische Rausch, den sie in den nächsten neunzig Minuten in reißerischen, extremen Nahaufnahmen aushalten muss, nur zu ihrem eigenen Wohl ist, denn er stählt ihre Nerven für das morgige Anstehen bei den Vergnügungen im Freizeitpark.

Der Verstand sträubt sich bei einer solch absurden Vorstellung. Und zwar so heftig, dass diese Erfahrung eine grundlegende Frage über die vorliegende Theorie aufwirft: Hilft uns die Horrorkunst in irgendeinem Medium wirklich bei der Bewältigung des Lebens? Und, was noch wichtiger ist, muss sie das? Erfordert sie einen Zweck, der über die köstliche Flut von Schauer und Grauen hinausgeht? Sicherlich können selbst die raffiniertesten Beispiele des Genres nicht wirklich als Lektionen des Lebens betrachtet werden. Oder etwa doch?

Ich habe den größten Teil meines Lebens Horror konsumiert, und doch kann ich keinen einzigen Fall nennen, in dem mich das Genre gegen die Schmerzen der Welt gestärkt hätte. An den Beerdigungen geliebter Menschen teilzunehmen, zu versuchen, sich finanziell über Wasser zu halten, zuzusehen, wie die Wetterverhältnisse in der Welt immer heftigere und schärfere Formen annehmen – nichts davon wurde durch postmoderne Geistergeschichten oder die in Öl gemalten Monstrositäten von Bosch erleichtert oder verständlicher gemacht. Aber wenn der Horror, obwohl er ein wenig vorhersehbarer ist als die meisten anderen Formen der Unterhaltung, doch sehr wenig zur Unterstützung der Lebensstrategien und Situationen seiner Leser und Zuschauer beiträgt, was genau tut er dann? Warum stürmen wir, seine Praktiker und Fans, Jahr für Jahr und Generation für Generation immer wieder seine Friedhofstore?

In seinem Essay “The Consolations of Horror” (1982; enthalten in The Nightmare Factory) betrachtet Thomas Ligotti die Theorie des Horrors als Vorbereitung auf  Leben und Tod und findet sie nicht nur entschieden unzureichend, sondern grundlegend daneben. Wenn die Menschen tatsächlich behaupten wollen, dass das Genre sie auf das Leben vorbereitet hat, fordert er sie auf:

Versuchen Sie doch einmal, Trost aus Ihrem halben Dutzend Durchläufen von The Texas Chain-Saw Massacre zu schöpfen, wenn man Sie gerade für eine Gehirnoperation vorbereitet.

Und da, Freunde, liegt der Haken. Denn es gibt keinen Trost für eine so schreckliche Erfahrung durch einen so schrecklichen Film. Die Formel bricht zusammen. Die Gleichung ist nicht auf Augenhöhe. Die Daten sind nicht berechenbar. Zwischen realem Horror und fiktionalem/künstlerischem Horror gibt es nicht nur das völlige Fehlen einer vorteilhaften symbiotischen Beziehung, sondern, wenn der Druck auf den Kopf zunimmt und das Skalpell auf Fleisch trifft, das völlige Fehlen jeglicher Art von sinnvoller Zuordnung.

Dies führt uns zu einer Variation unserer ursprünglichen Fragestellung: Wenn der Horror keine erkennbare Relevanz für etwas anderes als sich selbst hat, bedeutet das dann, dass er an sich überhaupt keine Relevanz hat?

Die Frage stellt sich gerade angesichts der Tatsache, dass das Genre weiterhin Themen aufgreift, die im herkömmlichen Sinne relevant erscheinen, wie etwa – um nur ein Beispiel zu nennen – die vielen klugen Angebote verschiedener Filme, Geschichten und Bücher, die scheinbar politische Subtexte hervorbringen. Und tatsächlich haben viele Veröffentlichungen in diesem Genre den Anschein, als ob sie solche Lektionen für ihr klügeres Publikum bereit hielten. Aber ich vermute, dass selbst diese Elemente kaum mehr als Kulissen sind: ein falscher Subtext, den der Autor (vielleicht unwissentlich) eingefügt hat, um sich selbst davon zu überzeugen, dass die ganze Übung mehr ist als nur ein leeres Schwelgen in reichlich Morbidität.

Aber ich denke, eine genaueres Verständnis der Situation erfordert es, den Verfasser als jemanden zu betrachten, der als Platzanweiser fungiert, der uns sanft in eine Welt stupst, die zunächst im Grunde genommen mimetisch ist. Es ist unsere Welt. Wir kennen diesen Ort. Und doch gibt es einen Hauch des Unheimlichen, der von den Dingen ausgeht. Die Szenerie hängt leicht schief. Vielleicht beobachten uns Augen. Dieser Hauch von Unheimlichkeit verändert die Mischung kaum; wenn überhaupt, dann dient er als Leichenduft, der unseren inneren Ghul berauscht. Und wenn solche Spekulationen fragwürdig erscheinen, dann bedenken Sie Folgendes: Wann haben Sie, vermutlich ein Leser von Horrorliteratur, das letzte Mal ein Buch zugeschlagen, weil Ihre Liebe zu dieser Welt zu groß war, als dass Sie das Chaos ertragen konnten, das unweigerlich auf die Figuren zukommt?

In den meisten Fällen ist unsere Reaktion das genaue Gegenteil, nicht wahr? Wir lesen weiter oder sinken noch genussvoller in unsere Kinosessel und folgen dem immer dichter werdenden Faden des Grauens wie Hunde auf der Fuchsjagd. Wir haben den Geruch der Andersartigkeit gleich hinter der Kurve eingefangen, und so warten wir mit angehaltenem Atem darauf, wie der Autor seine Offenbarung vor uns entfaltet. Wie wird diese spezielle Erzählung die blutleere Haut der scheinbaren Realität wieder aufreißen? Wann werden wir in einer Symphonie von Sargdeckeln, die von innen knarren, von Kronleuchtern, die in leeren Villen klirren, vom Heulen eines mondbeschienenen Waldes mitgenommen werden?

Und wenn diese Offenbarung erst einmal beginnt, ist sie dann nicht herrlich? Wir wissen, dass wir für eine gewisse Zeit von dieser Musik des Schreckens mitgerissen werden, und durch dieses Wissen wird eine uranfängliche Ahnung befriedigt: die Ahnung, dass diese Dramen nichts wirklich mit der Welt zu tun haben, die wir für uns selbst geschaffen haben. Stattdessen enthüllt die übernatürliche Geschichte eine größere Welt, eine numinose und verwirrende Welt, eine Welt, die nie dazu bestimmt war, uns zu dienen. Wir sonnen uns in einem Entwurf dieser Welt, der unter oder hinter der Welt, die wir erkennen, verläuft, und wir beobachten in einem Beinahe-Delirium, wie diese größere Welt, die wir zwar erkennen, aber so selten durch etwas anderes als der subtilsten Andeutung erfahren, plötzlich ihr hässliches Haupt erhebt und unsere bequeme, vertraute Welt als Ganzes verschlingt.

Vielleicht könnte dies eine ehrlichere Aussage über die Wechselbeziehung zwischen dem Horror und der Welt sein: nicht, dass der Horror uns etwas darüber sagt, wie die Welt funktioniert, sondern dass er uns die paradoxe Erleichterung und Furcht erleben lässt, wenn wir sehen, wie unsere Zivilisation von der größeren Welt, die sie verdrängen sollte, zerrissen wird. Denn sind wir im Prinzip so anders als die Puritaner, die Zäune errichteten, um die Zivilisation von der ungezügelten, verwirrenden, seelenlosen Wildnis zu trennen, die so wenig Bereitschaft zeigt, unseren Wünschen nachzugeben?

Aber all dies beantwortet noch immer nicht die übergeordnete Frage, die sich daraus ergibt: Warum?

Kehren wir zu Thomas Ligottis Essay zurück, genau zu dem Punkt, an dem er dieses Thema aufgreift:

Aber wozu, wozu?

Nur um es zu tun, das ist alles. Nur um zu sehen, wie viel ungemilderte Verrücktheit, Trauer, Verwüstung und kosmische Angst das menschliche Herz verkraften kann und noch genug Herz übrig bleibt, um diese Qualen in künstlerische Formen zu übersetzen.

[…] Dies ist also der ultimative, das heißt einzige Trost: dass jemand einige Ihrer eigenen Gefühle teilt und daraus ein Kunstwerk gemacht hat, das Sie mit der Einsicht, Sensibilität und – ob Sie es wollen oder nicht – mit einer Reihe von Erfahrungen ausstattet, um es würdigen zu können.

Das ist also der Fall. Kings Theorie mag die erfreulichere sein, aber die von Ligotti ist meiner Meinung nach die solidere. In ihrer reinsten Form ist die Geschichte des übernatürlichen Horrors kein Angebot für Lebenslektionen, die Ihr Gehirn entschlüsseln und dann für eine produktivere und weniger schmerzhafte Existenz nutzen kann. Vielmehr ist sie eine Verstärkung jener privaten, selten geäußerten Eindrücke eines lauernden Albtraums, den Sie selbst irgendwann einmal gehabt haben. Es geht nicht darum, eine Einweihung in die Welt unseres Schaffens zu erfahren. Es ist ein Abstieg oder Übergang in den nichtmenschlichen Bereich der nächtlichen Wildnis, selbst wenn diese Wildnis nur in unseren Schädeln existiert.

Unsere privaten Ängste auf ein schreckliches Ausmaß ausgedehnt zu sehen, unsere privaten Wünsche gegen die fernen Mauern des eisigen Kosmos geschrien zu haben, ist vielleicht so ziemlich der einzige Trost, der einzige “Wert”, den der Horror bieten kann.

Für eine Weile können Bilder von Furcht und Andersartigkeit frei Amok laufen … zumindest bis die Geschichte erzählt wird, und dann schmiegen sich unsere wölfischen Instinkte wieder in die kühlen, dunklen Höhlen unseres Unterbewusstseins. Wir erheben uns von unseren Lesesesseln oder verlassen unser klimatisiertes Nachbarschaftskino und kehren in die Welt zurück, nicht viel klüger, aber ein bisschen zufriedener, denn wir wissen, dass da draußen jemand schreit, jemand weiß, dass, um einen Text von Leonard Cohen zu zitieren, es ein mieses Geschäft ist. Wir sind uns schmerzlich bewusst, dass in der Wildnis, die wir hinter unseren Zäunen und unter unseren Rasenflächen halten, noch etwas anderes vor sich geht. Aber dieses Etwas ist oft unbeschreiblich. Es ist nicht “für” uns da. Wir haben es nicht erschaffen, und es ist nicht dazu da, den Menschen zu dienen, egal wie sehr wir es auch wollen. Alles, was wir haben, ist die Welt, die wir für uns selbst geschaffen haben, die hellgraue Scheinwelt, von der wir wissen, dass sie nur eine Fassade ist.

Und so kehren wir in diese Welt zurück, an den Ort, den wir in unserer jüngsten Horrorparade gerne zerstört, verseucht und vergiftet gesehen haben. Aber keine Sorge, unsere Ängste werden schon bald wieder den Siedepunkt erreichen, und dann können wir nach dem schwarz gebundenen Buch greifen oder die passende DVD aus unserer alphabetisch geordneten Bibliothek des Chaos auswählen.

Genießen wir unseren

Horror als Transzendenz der Dunkelheit

Werke der Dunkelheit

Während der NecronomiCon 2013 – einer Konferenz über alles, was HPL in seinem geliebten Providence veranstaltet hat – nahm ich an einem Panel über Weird Fiction teil. Während der lebhaften und interessanten Diskussion wurde die Meinung geäußert, dass viele seltsame- oder Horrorgeschichten aus einer “düsteren existenzialistischen Perspektive” heraus geschrieben zu sein scheinen. Das mag zwar durchaus zutreffen, aber ich war dennoch erstaunt darüber, wie sehr diese Perspektive mir selbst selbst stets ein Gräuel war.

Ein Überblick über das Genre mag durchaus die Vorstellung unterstützen, dass diejenigen, die Horror schaffen oder konsumieren, eine Minderheit von verbitterten Realisten sind, die sich mit dem unzähligen Elend des Lebens auf der Erde abgefunden haben und sogar darin schwelgen. Ihre Kunst könnte als ein Schrei gegen eine Gesellschaft angesehen werden, die von der Sonnenseite des Lebens verwöhnten Optimisten beherrscht wird, die unbekümmert durchs Leben walzen, überzeugt von der angeborenen Ordnung und Angenehmheit des Lebens.

Aber ich vermute, dass die Wahrheit weitaus vielschichtiger ist.

Ich persönlich schreibe nicht aus einer düsteren Perspektive heraus, denn dies impliziert einen Zustand ohnmächtiger Frustration über eine Reihe von Natur- und Gesellschaftsgesetzen, die die menschliche Spezies in ihrem Bann halten. Meine Fiktion ist eine Feier der Überschreitung aller Gesetze, der Transformation und letztlich der Transzendenz. Sie ist kein nihilistisches Klagelied.

Ich sage schon lange, dass ich zur Dunkelheit stehe und dass meine Arbeit ein Loblied auf sie ist. Bedeutet das, dass ich in Grausamkeit, Gewalt und Elend schwelge? Nicht mehr als jeder andere, könnte ich mir vorstellen. Aber meine Interessen, sowohl künstlerisch als auch philosophisch, reichen über die niederträchtigen destruktiven Verhaltensweisen der Unwissenden und Machthungrigen hinaus.

Mein Werk ist die Fiktion der Wildnis, nicht der Zivilisation. Wenn ich “Wildnis” sage, beziehe ich mich nicht ausschließlich auf die natürliche Landschaft, obwohl diese sicherlich ein wesentlicher Bestandteil davon ist. Mit Wildnis meine ich die größere Welt, die nicht vom armseligen Homo sapiens entworfen wurde; eine Welt, die, wie ich hinzufügen möchte, auch nicht für uns entworfen wurde.

Reduziert man die Frage auf grundlegende Prinzipien, kann man sagen, dass die Zivilisation das Produkt des männlichen Bewusstseins ist, das Kind der linken Gehirnhälfte (die die rechte, dominant geschickte Hand regiert). Sie ist das Vorbild des Tageslichts und der Logik, der klaren Ordnung und der beobachtbaren Ursache-Wirkungs-Phänomene, die für die physikalischen Wissenschaften Beweise liefern. In der esoterischen Lehre ist die rechte Hand die aktive Hand. Dies ist die Strömung der solar-phallischen, berechnenden und oft utilitaristischen Aktivität, die die Aufklärung, die industrielle Revolution, die Wirtschaft und die Politik fördert. Wann immer man eine Person hört (ob ihr physisches Geschlecht männlich oder weiblich ist, ist irrelevant), die sich damit brüstet, dass sie nur an das glaubt, was sie sehen und berühren kann, begegnet man einem Ausdruck männlichen Bewusstseins, dem Typus, der nur die Tagesseite des Daseins erkennt.

Aber daneben gibt es natürlich auch die erforderliche entgegengesetzte Polarität: das weibliche Bewusstsein. Dies ist der Bereich der Intuition, der Empfänglichkeit und des mythischen Träumens, der Nacht, des Geistes und des Unterbewusstseins. Dies ist die wahre Wildnis, in der die Manifestation spontan ist, der Bereich der linken (oder “unheimlichen”) Hand, die große Dunkelheit, die die Quelle der größten aller Energien ist: der geheimnisvollen.

In meiner Fiktion versuche ich, diese Finsternis zu verehren und auszudrücken. Meine Erzählungen haben mehr mit dem weiblichen als mit dem männlichen Bewusstsein zu tun. Sie sind keine Warnungen vor den beängstigenden Gefahren, die die ursprüngliche Ordnung der Gesellschaft kontaminieren können, wenn wir nicht den Kampf für die Erhaltung unserer Lebensweise aufnehmen. Sie sind Offenbarungen in der Wildnis, Medien, durch die man für das Verborgene, das Schemenhafte, das Andere empfänglich werden kann.

Tantra, der alte und oft missverstandene Korpus esoterischer Lehren aus dem Osten, legt nahe, dass viele wirksame Schriften nicht nur auf die schwarze Göttin Bezug nehmen, sondern tatsächlich etwas von ihrem Wesen enthalten. Nach dieser Doktrin stimuliert das Lesen von Worten über beispielsweise die Göttin Kali – Avatar des finsteren, linken oder dunklen Pfades – tatsächlich den dunkel-weiblichen Strom im Bewusstsein des Lesers.

Ich glaube, dass viele übernatürlich angehauchte Literatur auf diese Weise funktioniert. Es ist kein logischer Prozess. Es ist ein Abstieg in den Schoß der Schwarzen Göttin. Es ist ein Blitz des vollständigen Seins, in dem die regressive Dunkelheit ihren vollen Ausdruck findet. Und das ist außerordentlich wertvoll, weil die Menschheit heute mehr denn je Maßnahmen – und sei es auch nur der relativ passive Ritus, als Publikum für beunruhigende Kunstwerke zu fungieren – benötigt, die uns mit dem Unlogischen, dem Nicht-Rationalen und dem Abgründigen konfrontieren.

John Whiteside Parsons, der legendäre amerikanische Okkultist des zwanzigsten Jahrhunderts und einer der Gründer des Jet Propulsion Laboratory der NASA, schrieb Folgendes:

Wir leben ein Symbol dessen, was wir [vom Leben] wissen und werden, indem wir das Symbol schließlich transzendieren, eins mit ihm. Das ist die Weisheit der Höhlenmenschen, die wir verloren haben. Es war ihr Verstand; der Mangel daran ist unser Wahnsinn. Wir wissen nicht mehr, wie wir handeln sollen, und da wir das Symbol verloren haben, haben wir die Realität verloren.

Nicht durch Logik, nicht durch Verstand oder Vernunft können wir sie zurückgewinnen, sondern durch wilde Tänze, feierliche Riten und Gesänge in unbekannten Zungen. Nur in der irrationalen und unbekannten Richtung können wir wieder zu ihr gelangen.

Vielleicht wurde die Menschheit mit dem Aufkommen der Zivilisation, mit all ihren unzähligen Annehmlichkeiten und Verdiensten, von diesem “Symbol”, das Parsons beschreibt, weggelockt. Aber das bedeutet nicht, dass wir es ganz verloren haben oder dass die Zivilisation physisch zerstört werden muss, um es wiederzuerlangen. Hier sind Schrecken und rituelle Kunst am wertvollsten.

Meiner Meinung nach besitzt jede Frau und jeder Mann die Fähigkeit, sein oder ihr eigenes Symbol wiederzuerlangen. Ich glaube, sie wird wiederhergestellt, indem man ein tiefes Leben führt, indem man lernt, die Stimme der eigenen Instinkte und des eigenen Körpers zu hören, Vertrauen in den Sinn der eigenen Träume zu investieren, die Tatsache zu akzeptieren, dass die innere Erfahrung der Eisberg ist und dass die quantifizierbaren Methoden der Wissenschaft und Logik nicht auf jede Facette der eigenen Existenz anwendbar sind.

In dieser Hinsicht ist Horror vielleicht Parsons “wilder Tanz” und “Gesang in einer unbekannten Sprache”. Im übertragenen Sinne setzt er die Zivilisation in Brand und lässt so das dunkle Symbol, das durch zu viel blendendes apollinisches Licht verdunkelt wird, zum Vorschein kommen, wenn auch nur für wenige Augenblicke.

Um es noch einmal zu wiederholen: Mein eigenes Grauen ist also weit entfernt von Finsternis. Ich versuche, Geschichten zu schreiben, die frohlockend von einer großen, grauenhaften Schönheit erfüllt sind. Ja, sie sind durchtränkt von Schatten und Unruhe und Horror, aber das gilt auch für die schwarze Göttin Kali mit ihrer Halskette aus abgetrennten Menschenköpfen und ihren blutverschmierten Handflächen. Dennoch wird Kali oft mit ihrer spielerisch heraushängenden Zunge dargestellt. Lachend taucht Kali in das Lila (“göttliches Spiel”) des gesamten Universums ein, mit all seinen Schattierungen von Licht und Dunkel, die sie umarmt.

Ich denke gern, dass diese Darstellung von Kali vielleicht in gewisser Weise auch die Funktion meiner eigenen Horror-Fiktion beschreibt: den Lesern die Möglichkeit zu geben, am Lila des Lebens jenseits der scheinbaren Starrheit unserer tristen Zivilisation teilzuhaben.

Ich würde sagen, das ist Funktion genug.

Münzen für den Fährmann: Das Entsetzen als Schlüssel zu unseren inneren Tiefen

Die Analyse des Horrors ist, wie fast alles, was mit diesem Genre zusammenhängt, paradox. Da das Genre so stark von archetypischen Bildern und Tabuthemen geprägt ist, scheint jeder Versuch, es rein intellektuell zu betrachten oder zu verstehen, wirkungslos oder zumindest unzulänglich zu sein. Während die meisten anderen künstlerischen Ausdrucksformen vom Scharfsinn der Kritiker profitieren, die das Publikum über mögliche kryptische Anspielungen, Subtexte usw. aufklären, funktioniert der Horror offensichtlich etwas anders. Es ist ein gänzlich erfahrungsorientiertes Genre und wird daher zu einem großen Teil nach seiner Wirkung, genauer gesagt nach seinem Effekt, und nicht nach seiner Struktur beurteilt.

Dauerhafte Werke der Nichtgenre- (oder “literarischen”) Fiktion haben unzählige Autopsien von Kritikern und Möchtegern-Kritikern durchlaufen, die alle zuversichtlich scheinen, dass sie genau herausgefunden haben, wie diese oder jene Geschichte funktioniert. Der Horror dagegen schlüpft fast immer unter unserem Mikroskop durch. Oh, er mag die Erklärungen, die wir ihm aufdrücken, noch eine Weile ertragen, aber seien Sie versichert, der Horror wird immer einen Weg finden, seine alte Haut abzuwerfen, die in diesem Fall aus einer beliebigen Anzahl von nachträglichen Erklärungen darüber besteht, was wir lesen und warum. Und wie die Schlange geht der Horror aus dieser Häutung als eine noch lebendigere und gesündere Kreatur hervor als zuvor.

Vielleicht ist diese trickreiche Umgehung der üblichen Literatur- oder Filmkritik zu erwarten, denn jedes Werk des Grauens, das sein Salz wert ist, bezieht seine Kraft aus dem tiefsten Quell. Selbst Werke, die sich in einigen technischen Bereichen, die von den Kritikern oft als das Wesen der “guten Kunst” hervorgehoben werden, als Ungeeignet zeigen, können ein Publikum dennoch erschrecken oder verunsichern und sind daher wirksame Modelle auf diesem Gebiet. Das Ziel des Horrors ist es, das Unaussprechliche in Worte zu fassen, sein Publikum bis an die Grenzen (und oft darüber hinaus) mitzunehmen, die das Genre benutzt, um sich selbst zu definieren.

In seinem 1985 erschienenen Buch Dreadful Pleasures: An Anatomy of Modern Horror, stellt der Literaturwissenschaftler James B. Twitchell folgende These auf:

“Die Kunst des Grauens ist … die Kunst, einen Zusammenbruch zu erzeugen, bei dem Signifikant und Signifikat nicht mehr getrennt werden können, bei dem keine Unterscheidungen mehr getroffen werden können, bei dem alte Masken fallen und neue Masken noch nicht gemacht wurden. Wenn Bilder des Grauens oft keinen intellektuellen Sinn ergeben, dann gerade deshalb, weil sie zum Teil Bilder des Unheimlichen sind, Bilder aus dem Unterbewusstsein, voller Übertreibung und Verzerrung.”

Wie kann man angesichts dessen überhaupt anfangen, diese Bilder aus dem Unterbewusstsein zu kodifizieren? Im Laufe der Jahre habe ich eine recht umfangreiche Sammlung von Horrorstudien zusammengetragen und festgestellt, dass eines der häufigeren Symptome, die zu viele von ihnen plagen, der Hauch einer Entschuldigung ist. Da die Motive und Auswirkungen des Horrors eine Konstante in der menschlichen Kultur von den Anfängen der Zivilisation bis zu unserer glitzernden Postmoderne sind, meinen einige Kritiker, dass der Horror einfach einen positiven Zweck haben muss. Aus Platzgründen kann ich nicht alle Theorien aufzählen, aber der Löwenanteil davon lässt sich auf ein gemeinsames Mantra reduzieren: “Die Kunst des Grauens mag uns erschrecken oder verstören, aber ein rationales Studium dieser Kunst nach der Erfahrung wird uns helfen, zu ‘verstehen’, was wir ertragen mussten. Und wenn wir unsere Ängste erst einmal verstanden haben, können wir sie überwinden.”

Ich finde solche Versuche, den Horror zu legitimieren, völlig sinnlos. Es bedarf keiner Kunst, um utilitaristisch zu sein, und insbesondere die Kunst des Horrors muss nicht mit einer bequemen Daseinsberechtigung gebrandmarkt werden, damit wir die Schuldgefühle lindern können, die wir nach dem Genuss einer kühlen Portion unbewussten Grausens empfinden. Und als zugegebener Skeptiker gegenüber dem allgemeinen Glauben, dass sich die Menschheit jemals auf ein strahlendes neues Morgen hin entwickelt, halte ich die Vorstellung, dass die unterbewusste Muse des Horrors eines Tages kodifiziert und “erobert” werden könnte, für äußerst lächerlich. Der Horror, zusammen mit der höllenartigen Tiefe, die ihn nährt, ist unseren ordentlichen Rationalisierungen immer entgangen. Ich vermute, dass dies auch immer so bleiben wird, dass er immer wie eine große, schattenhafte Motte davonflattern wird, bevor wir ihn auf eine Nadeln stecken und in unserem Labor gefangen nehmen können.

Wenn also die Macht des Horrors tatsächlich aus jenem Zwischenraum entspringt, in dem Signifikant und Signifikat nicht mehr getrennt sind, wie Twitchell vorschlägt, wie kann man dann überhaupt anfangen, sie zu analysieren? Und noch wichtiger: Warum sollte man sich überhaupt die Mühe machen, das zu untersuchen?

Ich selbst glaube, dass der Wert solcher Studien nicht in ihrer Fähigkeit liegt, ein Post-Horror-Verständnis zu vermitteln, sondern vielmehr in ihrem Potenzial, noch tiefere Schrecken aufzudecken, Schrecken, die noch gar nicht umgesetzt worden sind. Denn wenn diese Erfahrung aus den untersten Schichten des Bewusstseins aufblüht, dann bedeutet jeder Versuch, sie zu definieren, sie zu verdünnen, die geringste Menge von ihrer Oberfläche abzuschöpfen und anzunehmen, dass dieses winzige Exemplar das Ganze einkapselt. Eine solche Praxis ist eine Praxis einer Andersbezeichnung, nicht des Verstehens. Um den Horror wirklich zu verstehen, müssen wir zuerst akzeptieren, dass ein solches Verständnis unmöglich ist. Erst dann, in diesem Zustand des Paradoxons, in diesem Zustand des Wunsches, das zu wissen, was wir als unwissend kennen, beginnen wir, die Reichweite des Unterbewusstseins zu erkennen.

Es ist, als stünde man am Rande eines großen Abgrunds. Direkt vor unseren Zehen ist der Abgrund schwindelerregend. Wenn wir uns zurückziehen, finden wir vielleicht eine Fülle von Gründen und Erklärungen dafür, warum der Anblick uns so beeindruckt hat, wie er uns betroffen gemacht hat, aber keine davon kann unsere Erinnerung an das schiere Schwanken, das Schwindelgefühl, den Schwindel auslöschen. In diesem Moment, als wir in den Abgrund hinunterblickten, brauchten wir unser linkes Gehirn nicht, um den möglichen Sturz in Zoll, Fuß und Meter zu quantifizieren, denn wir spürten seine Tragweite tief und kraftvoll in der elektrischen Unmittelbarkeit jedes borstigen Haares und jedes kribbelnden Nervs.

Diese Kolumne kann als eine ständige Meditation über diesen Moment am Abgrund gesehen werden. Ich biete diese Gedanken nicht an, um vergangene Ängste zu archivieren, sondern um mich und auch Sie, lieber Leser, für mögliche zukünftige Ängste zu öffnen. Denn durch das Nachdenken über das, was uns das Gefühl vermittelt hat, an diesem Abgrund zu stehen, hoffe ich, dieses Gefühl nicht zu überwinden, sondern wieder einen Weg dorthin zu finden. Ich meditiere über den Horror der Vergangenheit, um neue und noch stärkere Auslöser zu entdecken, die zu zukünftigen Schrecken führen können.

In der Sphäre der Zeremonialmagie ist es allgemein anerkannt, dass kein Ritual Ergebnisse garantiert. Richtig durchgeführte Rituale bieten jedoch das Potenzial für Ergebnisse. Diese Ergebnisse sind vielleicht nicht immer die vom Praktizierenden gewünschten, aber der Akt des konzentrierten Sprechens und Handelns wird eine “Lichtung” in Raum und Zeit schaffen, die sonst nicht existieren würde.

Dasselbe kann man von der Kunst des Horrors sagen. Täuschen Sie sich nicht: Der Akt, sich in den Lesesessel zu setzen oder beim Verlöschen der Lichter des Kinos einen tiefen Atemzug zu tun, ist nur die Eröffnung eines Rituals. Bei der Durchführung dieser einfachen Handlungen öffnen wir uns dem Erzähler und nehmen an einer Beschwörung der Bewohner der Dunkelheit in uns selbst teil.

Vielleicht sind die “Ergebnisse” des Horrors auch ähnlich wie die der Magie: Sie können nicht vorausgesagt werden. Alles, was die Menschen tun können, ist, die Risiken abzuwägen und sich dann, wenn sie es wünschen, für eine Begegnung mit Kräften zu öffnen, die entschieden außerhalb der Parameter unserer alltäglichen, unfreiwilligen “Meditation” von Arbeit, Sozialisierung, Ärgern, Essen, Rechnungen begleichen usw. bleiben. Wir beschwören das Dunkle und müssen akzeptieren, dass es sich so manifestiert, wie es will.

Manchmal wird es uns in der Weise beeinflussen, wie wir es erhoffen. Ein anderes Mal wird es das nicht. Aber diese Kräfte können wir nicht kontrollieren, und nur weil wir uns – ob gewollt oder ungewollt – dafür entschieden haben, sie “außerhalb” unserer Definition der Realität zu platzieren, bedeutet das nicht, dass sie dort bleiben werden. Unser Tanz mit diesen unbändigen, unterwürfigen Bildern und Empfindungen wird niemals enden, weil wir untrennbar mit ihnen verbunden sind. Die Kunst des Horrors spielt nicht nach unseren, sondern nach ihren Regeln. Wir mögen versuchen, den Horror zu definieren, aber am Ende ist es der Horror, der uns definiert. Er erlaubt uns, Zäune aufzustellen, um “sauber” von “unrein”, “richtig” und “falsch” zu unterscheiden, aber sie wird diese Grenzen nach Belieben überschreiten. Die Grenzen sind formbar, und ich glaube, dass die “Verunreinigung”, die wir durch den Horror erfahren, zu unserem Vorteil ist. Ohne sie würde die Menschheit noch selbstgefälliger werden, als sie es bereits ist. Je mehr Zeit man im Grenzland verbringt, wo sich das “Ich” mit dem “Anderen” überschneidet, desto mehr reißen die Masken auf und die Definitionen beginnen zu verblassen.

So wandern “Echos aus dem Hades” weiter durch dieses Schattenland. Ich schreibe diese Kolumne nicht, weil ich das Gebiet kartographieren möchte. Stellen Sie sich diese Meditationen wie die Münzen vor, mit denen die Alten Charon Gebühr bezahlten. Wenn wir als willige Kunden am Ufer des Flusses Styx stehen, nimmt uns der Fährmann vielleicht auf sein Floß und rudert uns in jene seltsamen Tiefen, die unsere Lichter der Vernunft niemals erhellen können.

Ein Lob dem Horror, der wirklich erschreckt

Das Horrorgenre kann beim Publikum ein ganzes Kaleidoskop der Emotionen hervorrufen. Grauen, Lust, Angst, Schwindel und sogar Freude gehören dazu, manchmal in paradoxen Kombinationen. Eigenartigerweise scheint es so zu sein, dass die eine Emotion, von der sich das Genre ableitet, am seltensten hervorgerufen wird. Im Klartext: Das Genre ist selten wirklich beängstigend. Tatsächlich scheint der Großteil des zeitgenössischen Horrors seinen Fokus auf andere Effekte gelegt zu haben. Viele zeitgenössische Künstler in diesem Bereich sind offenbar mehr daran interessiert zu verstören, als beängstigend zu sein.

Nun, ich bin ganz und gar für verstörende Kunst, für Werke, die einen beunruhigt zurücklassen. Das ist sicherlich dem aktuellen Trend der hippen, postmodernen Distanz vorzuziehen, einem kreativen Modus, der suggeriert, dass die Motive des Grauens am besten als bloße Spielzeuge eingesetzt werden, die sich geschickt neu arrangieren lassen, um zu veranschaulichen, wie sich die Angst im letzten Jahrtausend entwickelt hat. Hier gilt Raffinesse als tugendhafter als jeder Versuch, das Blut des Publikums gefrieren zu lassen.

Man könnte sagen, dass diese selbstreferentiellen und distanzierten Werke Symptome des anhaltenden Prozesses der menschlichen Verfeinerung sind. Schließlich sind die Chancen, dass wir, geschützt von unseren iPhones, satellitengestützten Sicherheitssystemen zu Hause, und sprachgesteuerten Geländewagen, vor der Vorstellung eines an den Fenstern kratzenden schwarzen Mannes zittern, doch recht gering, nicht wahr?

Ja, sehr gering.

Gering … aber nicht undenkbar.

Ich vermute, dass der Grund, warum sich eine gewisse Form des Horrors für das Philosophische, das Gruselige, das Alberne oder das rein Merkwürdige entscheidet, weniger mit einem Genre zu tun hat, das über sich selbst hinauswächst, als vielmehr mit einer einfachen, uralten Tatsache: ein Publikum zu erschrecken ist außerordentlich schwierig.

Bitte bedenken Sie, dass es nicht meine Absicht ist, die verschiedenen anderen emotionalen und intellektuellen Qualitäten des Genres zu verwerfen. Je größer die emotionale und intellektuelle Bandbreite, desto stärker ist das Werk, glaube ich. Aber abgesehen davon ist das Erreichen des Ziels, dem Leser ein angenehmes Unwohlsein zu bereiten, in seine oder ihre Knochen vorübergehend einen Schrecken fahren zu lassen, das aufzutischen, was M.R. James treffend als “angenehmen Schrecken” bezeichnet hat, eine seltene und schöne Sache.

Vielleicht ist das der Grund dafür, warum das Feld oft mit zerstückelten Überresten und reichlich mit Grausamkeiten überhäuft ist: Wenn du sie nicht erschrecken kannst, dann schockiere sie. Oder in diesem Fall:  stoße sie ab. Ich verweise noch einmal auf einen Kommentar von M.R. James, diesmal in Bezug auf die ziemlich blutgetränkte britische Anthologie-Serie Not at Night: “Es ist nicht schwer, eklig zu werden”.

Meiner Meinung nach sollte ein Genre nicht nach seinen Fehlschlägen oder Beinahe-Fehlschlägen beurteilt werden (denn diese werden immer häufiger auftreten), sondern eher nach seinen Meisterwerken. Ein Ratschlag, den ich allen aufstrebenden Horror-Autoren geben möchte, ist, nicht der starken Versuchung zu erliegen, den Abschaum des Genres zu überblicken und zu denken: “Das kann ich besser machen”. Studieren Sie stattdessen die großen Klassiker, die bleibenden Werke, die seit Generationen die Wirbelsäule zum Kribbeln bringen, und versuchen Sie dann, Ihr eigenes Werk zu gestalten, das die Wirkung dieser Marksteine erreicht oder sogar übertrifft.

Während meine eigene Arbeiten bei emotionalen und philosophischen Themen ebenfalls auf einer ziemlich breiten Palette fußen, liebe ich es dennoch auch, Nackenschläge zu verteilen. Es hat etwas so Feines, so vollkommen Reines, wenn ein Werk der phantastischen Literatur einen Schauer hervorruft. Welch ein Zeugnis für die hart erarbeitete Kunstfertigkeit der Autoren ist es, wenn die Leser – in manchen Fällen Jahrhunderte nach dem Tod der Schriftsteller  – auf körperlicher Ebene auf die von ihnen vermittelten Visionen reagieren. Es ist ein wunderbar gelungenes Gleichgewicht zwischen Wortwahl, Handlung, Bildern, der Denkweise des Lesers und persönlichen Ängsten, die vielleicht unter dem Radar der bewussten Wahrnehmung schwelen.

Charles Lamb bietet in seinem Aufsatz “Witches and other Night-Fears” von 1821 eine prägnante Erklärung für die anhaltende Kraft der übernatürlichen Bilder:

Gorgonen und Polypen und Chimären – die schreckliche Geschichten von Kelaino und den Harpyien – mögen sich in den abergläubischen Gehirnen fortsetzen – aber sie waren schon vorher da. Sie sind Kopien, Modelle – die Archetypen sind in uns, und zwar ewig. Wie sonst sollten uns die Darstellungen, von denen wir wachen Sinnes wissen, dass sie falsch sind, überhaupt beeinflussen?

Also, ja, Horror kann mehr als nur Angst machen. Aber gleichzeitig glaube ich, dass es wichtig ist, “furchterregend” zu sein, wie kindisch das auch klingen mag. Und erhaben. Ich wette sogar, dass ein Teil der Leser sich in den meisten Fällen diesen “angenehmen Schrecken” wünscht, sobald er einen Horrorroman in die Hand nimmt.

Was uns erschreckt, ist natürlich immer sehr unterschiedlich. Aber zu Ihrem eigenen Vergnügen, lieber Leser, gestatten Sie mir, dreizehn Werke aufzuzählen, die mir die seltene Freude des Hochdramatischen, des Über-die-Schulter-Schauens, der Angst davor, das Licht auszumachen bereitet haben:

  1. “Der Strid” von Gertrude Atherton
  2. “Die Züge” von Robert Aickman
  3. “Die Affenpfote” von W.W. Jacobs
  4.  “Julia” von Peter Straub
  5. “Petey” von T. E. D. Klein
  6. “Negotium Perambulans” von E. F. Benson
  7. “Again” von Ramsey Campbell
  8. “Der andere Flügel” von Algernon Blackwood
  9. “Der menschliche Stuhl” von Edogawa Rampo
  10. “Tauben aus der Hölle” von Robert E. Howard
  11. “Die obere Koje”” von F. Marion Crawford
  12. “Die Erscheinung” von Guy de Maupassant
  13. “Eine Schulgeschichte” von M. R. James

Viel Spaß beim Lesen, ihr Leichenfledderer.

Tiefe Schatten und lichter Schrecken: Auftakt zu “Echos aus dem Hades”

Die Frage, ob ich den Horror gefunden habe oder ob der Horror mich gefunden hat, ist eine sehr langlebige, und trotz vieler Überlegungen bin ich einer endgültigen Antwort nicht näher gekommen. Vielleicht gibt es keine. So oder so hat sich der Horror zweifellos schon früh und mit unauslöschlicher Macht in meine Welt eingeschlichen.

Mein Name ist Richard Gavin. Ich bin ein kanadischer Autor von Horrorgeschichten mit übersinnlichem Gehalt, und obwohl dies seit fast zwei Jahrzehnten meine Berufung ist, reicht meine Beziehung zum Horror noch weiter zurück, bis in meine prägenden Jahre. Ich hielt es für das Beste, diese ersten Ausgabe von “Echos aus dem Hades” erst einmal als eine Art Einführung vor diesem Hintergrund und einen Ausblick auf solche Themen zu verwenden.

Eine meiner ersten Erinnerungen an Filme ist Tod Brownings Version von Dracula aus dem Jahre 1931. Ich habe ihn damals im Nachmittagsfernsehen gesehen. Der Film hat mich unmittelbar und stark beeinflusst. Monster und das Makabre wurden schnell zu einer Konstante in meinem Leben. Und im Gegensatz zu so vielen Leidenschaften, die in der Kindheit zum Vorschein kommen, verlor der Horror für mich nie seinen Glanz.

Ich glaube nicht, dass ich unehrlich bin, wenn ich sage, dass mein junger Geist, wenn auch nur vage, intuitiv erkannt hat, dass das Grauen etwas Großartiges, etwas Wichtiges an sich hat. Das ganze Feld fühlte sich wie ein Eisberg an: Seine wahre Bedeutung befand sich unter der Oberfläche, brodelte irgendwo unter einer Latexverkleidung und einer gotischen Prosa.

Heute ist der Horror für mich immer noch so wichtig, dass ich das Wort immer mit einer Initiale schreibe, um es von den alltäglichen Empfindungen des Ekels und der Art und Weise des Boulevardjournalismus zu unterscheiden, in der das Gefühl des Grauens mit menschlicher Gräueltat gleichgesetzt wird. Denn während diese Tragödien der realen Welt eindeutig emotionalen Gehalt haben, lehne ich die Vorstellung ab, dass ein Interesse oder sogar eine Besessenheit für den Horror gleichbedeutend ist mit einer sabbernden Faszination für die unzähligen Grausamkeiten, die Menschen einander, Tieren oder dem Planeten selbst antun. Ich betrachte solche Dinge als Travestie und habe den Begriff des Horrors, ob zu Recht oder nicht, aus jeder Verbindung mit ihnen entfernt. Ich entscheide mich stattdessen dafür, den Begriff des Horrors sowohl als erhöhte emotionale Reaktion als auch als die Reize zu unterscheiden, die ihn hervorrufen; Reize, die künstlerisch, rituell, paranormal, philosophisch oder eine Kombination davon sein können.

Als ich mich durch die Adoleszenz bewegte, vertiefte sich mein Interesse am Horror nicht nur, sondern wurde noch vielfältiger. Ich begann, über die etwas engen Grenzen des Horror-als-Unterhaltung-Genres hinauszugehen und an den Rändern zu suchen, wo sich diese Kunstform mit Mythos, Religion und Philosophie überschneidet. Tatsächlich war ein Großteil meines Erwachsenenlebens zu gleichen Teilen mit dem Schreiben von originellen Horrorgeschichten und der Erforschung zeitloser Motive verbunden, die sich durch viele der beeindruckendsten und beständigsten Werke des Genres ziehen.

Die Entdeckung H. P. Lovecrafts war ein Wendepunkt für mich (was vermutlich auch auf viele andere Leser zutrifft). Im Gegensatz zu einigen der treuen Leser Lovecrafts begegnete ich seiner Fiktion jedoch nicht im “richtigen Alter”, nämlich von der späten Kindheit bis zur frühen Jugend. Obwohl ich viele der übernatürlichen Klassiker gelesen hatte, als ich in die High School kam, begegnete ich HPL irgendwie erst mit siebzehn Jahren, als ich zufällig auf eine Del Rey-Taschenbuchausgabe von “The Tomb and Other Tales” mit der auffälligen Michael Whelan-Cover-Illustration stieß.

Heute frage ich mich, ob meine, ähm … “Reife” mich vielleicht gegen den jugendlichen Fallstrick immunisiert hat, Lovecraft nur wegen seiner Monster zu bewundern oder wegen seiner scheinbar endlosen Faszination für alles, was grau und degeneriert ist. Denn was mich an der Arbeit des Mannes reizte, war der überirdische Schwung, der seine schönsten Erzählungen färbte.

Obwohl ich schon immer ein Interesse an dem hatte, was man als “Okkultismus” bezeichnen könnte, war es Lovecraft, der mir als wahres Portal diente und mein Interesse an den anspruchsvolleren Werken des Kosmismus, der Philosophie (sowohl der östlichen als auch der westlichen), der Anthropologie und der Magie weckte. Mein Studium in diesen Bereichen hat mein Verständnis und mein allgemeines Interesse am Horror verfeinert, was mich zur Existenzberechtigung dieser Kolumne bringt:

Meiner bescheidenen Meinung nach sind einige der Erklärungen über das Warum und Weshalb des Horrors unbefriedigend. Zum Beispiel ist die oft beschworene Analogie, dass der Horror einer Achterbahnfahrt gleicht, eine der oberflächlichsten und unzugänglichsten Erklärungen der ganzen Populärkultur. Sie suggeriert, dass ein flüchtiger viszeraler Nervenkitzel die primäre Tugend des Genres ist, dass seine Wirkung nur so lange dauert wie die Betrachtung oder Lesung. Ich vermute, dass die Wurzeln dessen, was wir Horror nennen – sowohl die Emotion als auch die Kraft, die sie hervorbringt – viel tiefer liegen. Tatsächlich gehe ich davon aus, dass sie eine Ligatur bilden, die uns mit der ursprünglichen Ebenen des Seins verbindet.

Der Horror ist das Drama des Abgrunds, das Kino der Wahrheit des Unterbewusstseins. Es ist der zum Ausdruck gebrachte Alptraum, der aus dem brodelnden Sumpf der unlogischen Handlung und der Tabuform herausgerissen und mit Leben erfüllt wird. Es ist das Genre, dessen Wesen unsere vorgefassten Wirklichkeitskonstruktionen erschüttert.

Aus diesem Grund erscheint es bestenfalls unangemessen, den Horror einfach als “Unterhaltung” zu bezeichnen. Das soll natürlich nicht heißen, dass Horror nicht auch Spaß machen kann. Er ist oft ungemein unterhaltsam. (Ich habe die Freude über Lucio Fulcis Über dem Jenseits oder Dan O’Bannons Verdammt, die Zombies kommen noch nicht abgelegt). Allerdings scheint mir, dass die starke Kraft der Motive dieses Genres in eine andere Klasse einzuordnen sind als die Medien, die sich darauf ausgerichtet haben, eine gewisse geistlose Ablenkung von den Gepflogenheiten der Welt zu bieten. Darüber hinaus steigert das Nachdenken über den Horror oft die Freude an der Erfahrung, anstatt sie mit akademischen Wortgefechten trocken zu legen.

Wenn überhaupt, dann wirft der Horror, selbst in seiner lächerlichsten Form, ein grelles Schlaglicht auf den menschlichen Zustand.

Der Bezug dieser Kolumne auf den Hades ist aus verschiedenen Gründen bedeutsam. Hades war natürlich der griechische Gott der Unterwelt und auch der Name der Unterwelt selbst. Aber die griechische Unterwelt mit dem christlichen Konzept der Hölle gleichzusetzen, wäre falsch. Für die Griechen war die Unterwelt kein Ort der höllischen Qualen, sondern ein Reich von außerweltlichen Bildern und tiefen Schatten. Sie war die Domäne der Toten, deren fleischlose Schatten sich schnell und seltsam bewegten.

Wer sich mit einer mythischen Theorie nicht wohlfühlt, braucht sich nicht zu winden: Die Jungsche Psychologie trifft auf meine Belange ebenso gut zu. Denn wie C. G. Jung selbst in Psychologie & Alchemie schrieb:

“Die Furcht und der Widerstand, den jeder normale Mensch erfährt, wenn er zu tief in sich selbst eindringt, ist im Grunde die Angst vor der Reise in den Hades.”

In den kommenden Monaten hoffe ich, dass wir in dieser Kolumne gemeinsam diesen Abstieg schaffen können, indem wir die dunklen Echos beachten, die aus den tiefsten Winkeln unseres Selbst aufsteigen, aus jener chaotischen Sphäre, die gegen den ruhigen Rhythmus des materiellen Fortschritts und der Höflichkeit anbrandet.

Ich freue mich darauf, die Reise mit Ihnen zu unternehmen.