Ein Parkplatz wird gerade ausgerollt wie ein gilber Teppich, um für den Kathreinemarkt, der am 20. Oktober beginnt, darauf vorbereitet zu sein, Leute durch die Gegend schütteln zu müssen. Bei einigen setzt sich dann ihr Menü neu zusammen (und vielleicht setzt sich auch etwas Grobgemahlenes auf ihre Zunge). Ein Scooter freilich schüttelt nicht, sondern scootet und bumst wie einst im Jahre 1906 in Coney Island, wo Neville’s Automobile Railroad diesen erschütternden Spaß zum ersten Mal präsentierte. Nur war es damals ein viel größeres Wunder und eine Bewertung dieses kleinen Fleckens käme einem Zerpflücken flauschiger Zuckerwatte gleich. Man darf natürlich wissen, dass ich mit den fränkischen Wiesen- und Schützenfesten aufgewachsen bin, weshalb mir nur ein bedauerliches Lächeln bleibt. Aber immer wenn ich den Königsplatz (ein spannender Name für einen Parkplatz) durchschreite und der angedachten Buntheit gewahr werde, kann ich mich zumindest an Zeiten erinnern, als solcherart hingepflanzte Buden einen Zauber verströmten, der – wie alle Zauber – über die Jahrzehnte hinweg ausradiert wurde.
Ich kennte Gnade, gäbe es eine Geisterbahn.
Veröffentlicht unterKemptener Tagelohn|Verschlagwortet mitKempten|Kommentare deaktiviert für Ein Stück New York in Kempten
Julio Cortázar war einer der Begründer des so genannten lateinamerikanischen Booms. Er war Romancier, Lyriker, Dramatiker und Essayist, vor allem aber – und das ist der Kern seines Werkes – ein eifriger Erzähler von Kurzgeschichten. Er begann sein Werk unter dem Einfluss des Surrealismus. Seine phantastischen Erzählungen beginnen meist mit einer alltäglichen Szenerie, in die unerwartet das Fremde, das Unheimliche einbricht. Auch seine Tätigkeit als Übersetzer, u.a. der Erzählungen Edgar Allan Poes, beeinflusste sein Werk.
Viele phantastische Geschichten können sich einer thematischen Ähnlichkeit nicht entziehen. Oft scheint es, als stünden sie in Beziehung zueinander, als seien sie verbrüdert und durch eine Röhre miteinander verbunden. Viele dieser Geschichten haben gemeinsame Einflüsse wie Arthur Machen oder H. P. Lovecraft, während andere unheimliche Elemente verwenden, um zeitgenössische Stimmungen einzufangen. Manchmal sind diese Verbindungen offensichtlich, in anderen Fällen muss man sie mehrmals lesen, um sie zu verstehen. Dies ist bei Julio Cortázar der Fall.
Nehmen wir das Beispiel ‚Axolotl‘ und daraus den ersten Absatz, der die Transformation vorwegnimmt:
„Es gab eine Zeit, in der ich viel an die Axolotl dachte. Ich besuchte sie im Aquarium des Jardin des Plants und brachte Stunden mit ihrer Betrachtung, der Betrachtung ihrer Unbeweglichkeit, ihrer dunklen Bewegung zu. Jetzt bin ich ein Axolotl.“
Der Schlüssel liegt hier nicht in der ausgeprägten Verwandlung, sondern in der Beobachtung und der kontemplativen Betrachtung. Man kann die Erzählung als eine Absonderung und einen symbolischen Abstieg in einen schizophrenen Zustand lesen, vor allem durch die Schlusssätze, in denen Cortàzar das erzählerische „wir“ (der Axolotl) mit dem menschlichen „er“ (der Mensch) vertauscht.
Fasziniert von den Amphibien im Larvenstadium, beginnt der Erzähler immer mehr Informationen über die Axolotl zu sammeln. Tag für Tag besucht er sie im Jardin des Plantes.
„Ich stützte mich auf die eiserne Stange, die die Aquarien einfasst, und widmete mich ihrer Betrachtung. Daran ist nichts Besonderes, denn ich hatte vom ersten Augenblick an begriffen, dass wir miteinander in Verbindung standen, dass etwas wenn auch grenzenlos Verlorenes und Fernes uns offenbar vereinte.“
Hinter dem Gefühl der Besessenheit verbirgt sich etwas anderes. Es ist die Schärfe der Selbstidentifikation mit etwas Fremdem. Im Laufe der Erzählung nimmt sie Gestalt an, mit wiederholten Verweisen auf ihre mexikanische Heimat, auf die Azteken, die das Land beherrschten, bevor die Spanier kamen. Der Erzähler scheint verrückt zu sein, zumindest könnte man die Geschichte so interpretieren. Und doch könnte das Ganze auch eine Metapher für die Faszination einer fremden Kultur sein, die so weit geht, dass man ganz in sie eintauchen möchte, bis hin zum Austausch mit der ursprünglichen eigenen Kultur. Dieses Gefühl der fremden Akkulturation taucht in vielen Erzählungen und Romanen Cortázars auf. Emigranten in surrealistischen Erzählungen, wie in seinem brillanten und epochalen Roman „Rayuela“.
In seinen Erzählungen nutzt Cortázar das Unerklärliche, um die Wirren des Lebens zu ergründen. In „Das besetzte Haus“ leben die alternden Geschwister zurückgezogen im Haus ihrer Großeltern und spüren, dass etwas in ihren geschlossenen Lebensraum eindringt und sie zwingt, das Haus zu verlassen. Es ist ein langsames, schleichendes Grauen, das sich in die Erzählung einschleicht.
“ Südliche Autobahn “ ist weniger eindeutig. Die Erzählung beginnt mit einem endlosen, kafkaesken Stau. Die Menschen im Stau versuchen, sich irgendwie zu beschäftigen. Einige schlafen miteinander, andere versuchen, sich so weit wie möglich von allem und jedem zu entfernen. Beide Erzählungen ähneln „Axolotl“ darin, dass sie aus der eindeutigen Realität in seltsame, surreale Landschaften gleiten, wo Realität und Fantasie unentwirrbar ineinander übergehen und zu einer halluzinatorischen Einheit werden.
In den „Sprungszenen“ seines grandiosen Anti-Romans „Rayuela“ schildert Cortázar das Leben eines argentinischen Emigranten in Paris und seine Suche nach seiner früheren Geliebten Maga. Auch hier kommt es zu einem Zusammenprall der Kulturen, zu einem Verschwimmen von Halluzination und Realität. In Horacio Oliveira erkennen wir den fast wahnsinnigen Erzähler aus „Axolotl“. Sein Taumeln durch Paris und Buenos Aires auf der Suche nach Maga kann auch für die Suche nach einer schwer fassbaren Realität stehen. Die Anti-Struktur des Romans dient dazu, das Gefühl des Halluzinatorischen der Suche zu verstärken. Es gibt Momente der stillen Bedrohung, ähnlich dem „besetzten Haus“, und es gibt Momente, in denen Oliveiras Suche quixotische Züge annimmt.
In den 35 Jahren seines schriftstellerischen Schaffens hat Cortázar eines der einflussreichsten und unvergesslichsten Werke der Literatur des 20. Jahrhunderts hinterlassen, das sich mit dem Surrealismus, dem kulturellen Bruch, der Selbstidentität und der Frage, wo die Realität endet und die Halluzination beginnt, auseinandersetzt. Seine labilen, aber schmerzhaft aufmerksamen Erzählerfiguren erlauben es ihm, durch das Unerklärliche hindurch Aussagen über das heutige Leben zu machen, wie sie der ‚Realismus‘ niemals zu treffen vermag. Cortázar taucht tief in die Psyche seiner Protagonisten ein und enthüllt dabei beunruhigende Wahrheiten darüber, wie wir die verrückte Welt um uns herum wahrnehmen. Manchmal äußert sich dies im Verlust der Identität und der Trennung von unserer Vergangenheit, wie in „Axolotl“ oder „Das besetzte Haus“.
Das Unheimliche dient Cortázar als Kanal, und seine Geschichten funktionieren auf mehreren Ebenen. Es ist fast unmöglich, diese unglaubliche Nuanciertheit beim ersten Lesen zu erfassen, und er gehört zu den wenigen Autoren, die man immer wieder gerne liest.
Zum Anlass der Sonderausstellung im Kemptener Marstall vom 28. Oktober bis zum 14. April 2024 postiertes Eiszeitwesen.
Vor 26.000 Jahren kam er hier an und erstarrte. Das kleine Wollmammut fraß wahrscheinlich gerade eine Dino-Heuschrecke (um sich nach getaner Wanderschaft und einer Menge frischer Luft belohnt zu fühlen), und da spürte er es: hier würden irgendwann die Römer (was sind Römer?) eine der schönsten Kleinstädte errichten (was sind Kleinstädte?). Es war diese Vision, die er kurz darauf wieder vergessen würde, aber später – viel später, würde er in die Geschichte eingehen als Dr. Kalle Mamm, jenes Wollwesen nämlich, das die Science Fiction in der Mastodon-Familie begründete. Man hatte ja nicht viel in der Eiszeit. Das Feuer war zwar schon bekannt, aber es zeigte sich nie dort, wo man es brauchte: im Kamin der eigenen Höhle nämlich.
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Ich hatte von der Nacht seltsames vernommen. Ein Klopfen, das sich lose durch eine Winterlandschaft quälte, ohne eigentliche Herkunft. Das Raunen nichtexistenter Türen, als fielen sie in eine altes Schloss. Ich wurde des Atems gewahr, der über die Erde schwebte. Nichts ist je wirklich vergänglich.
Wie zu Zeiten der pestilenzischen Seuche oder der Post-Klondike-Stille hatte die Umgebung die Ereignisse gespeichert, abgedeckt, vor neugierigen Blicken verborgen. Ein qualmender Schlot täuschte Weiterleben vor. Der Wanderer war in der Lage, die Verstecke im Gehöft zu erahnen, denn die Trostlosigkeit war jetzt ein Teil von ihm.
Die Mädchen sind frühreife, sonnenpolierte Nymphen, ein sanfter Splitter im Granit, der den Härtegrad verdirbt. Durch ihr rätselhaftes Fangen-Spiel wetteifern sie mit den Blumen der Lüfte, den Schmetterlingen; sie fassen sich an den luftdurchfluteten Blütenkleidern, klirrend ihr Lachen, die Zeit verwelkt. Heute sind sie jedermännisch, ihrer früheren Geheimnisse beraubt, doch damals konnte man ihre lunare Stimmung erhaschen. Jede von ihnen eine potentielle Jägerin der Nacht, vor Mitternacht zu Bett getragen, um im Traum zu verpuppen. Der Sommer trägt die Gelüste vorwärts, im Frühling versprochen, im Herbst entspannt genossen. Das erste Regen der Exogamie.