Madonna! Schnitt

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Der Gaukler (Retter der Prinzessin)

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Dass sich hinter meinem Rücken selbst viele Rätsel aufgestaut haben

Mir sind jene Geschichten lieb, in denen jemand nach seiner verlorenen Vergangenheit sucht. Herausgefunden habe ich diese Vorliebe für diese spezielle Form der Queste, als ich vor Jahrzehnten Tabucchis Indisches Nachstück las. Es war mir stets ein Ereignis, von einer melancholischen Vergesslichkeit zu träumen, die unmittelbar auf die Vergänglichkeit verweist.

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Das Meer kam um Mitternacht / Steve Erickson

Obwohl wir die Zeit als linearen Fluss nach vorne erleben, in dem eine unerbittliche Sekunde nach der anderen von der Uhr läuft, kennt unser Gedächtnis keine derartigen Einschränkungen. Die Literatur von Steve Erickson auch nicht. Vielleicht dringen seine Bücher deshalb derart in die Psyche ein, als ob sie sich von unten nach oben graben würden, anstatt vom Leser aus der Vogelperspektive gesehen zu werden. Das Lesen selbst ist ein Akt, der der Erfahrung des Erinnerns sehr nahe kommt, und wenn man einen Roman von Erickson liest, wird die Unterscheidung zwischen beidem vernachlässigbar. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschmelzen und führen durch eine Art Prosa-Wurmlöcher zueinander. Charaktere gleiten vor dem Leser her, verfolgen ihn, werden gar zu ihm selbst. Identität ist eine Sache des Augenblicks, und in der Erinnerung können Geschehnisse kunstvoll neu arrangiert werden. Und selten wurden sie so kunstvoll arrangiert wie in Steve Ericksons Das Meer kam um Mitternacht. Ericksons Labyrinth einer Geschichte ist zugleich schwungvoll, bewegend, und extrem suggestiv. Die eleganten Schleifen und Spiralen fesseln den Leser durch Erinnerungen, die so klar sind, dass sie aus einen unbelebten Teils des Lebens des Lesers selbst zu kommen scheinen.

Wie im Leben, so wird auch dieser Roman weniger gelesen als miterlebt. Kristin, die zuerst aus einem kleinen Inselstädtchen im Sacramento River Delta geflohen ist, begegnet auf ihrer Flucht einem Kult, der nur noch eine weitere Frau braucht, um am 31. Dezember 1999 um Mitternacht mit ganzen 2000 Personen von einer Klippe in den Tod zu springen. Sie entkommt jedoch und löst damit eine Kettenbreaktion aus, die den Roman über vierzig Jahre hinweg in der Zeit hin- und herbewegen lässt. In der muschalartigen Architektur des Romans findet der Leser Kristin versklavt von einem von der Apokalypse besessenen, aber ansonsten anonym bleibenden Mann, der sich in einem Vorort in Südkalifornien aufhält, einem Traum-Kartographen, einem Porno-Filmemacher und einem Arbeiter in einem rotierenden Erinnerungshotel in Tokio … wer nicht weiß, was das ist, wird Überraschendes hierüber und auch über Traumkapseln in Erfahrung bringen.

Erickson zieht den Leser gekonnt mit einer trotz der Komplexität des Themas verständlichen, transparenter Prosa in das Geschehen hinein, indem er mühelos Figuren erschafft, die lebendig sind: Kristin, Der Bewohner, Lulu Blue, Carl der Kartograph, um nur einige zu nennen – multiplizieren sich, verwischen die Grenzen, verschmelzen und dämmern aus einer rekursiven Chronologie herauf. Kristins Geschichte entfaltet sich Seite für Seite, überlagert und verzahnt sich mit anderen Figuren und anderen Geschichten. Ericksons mehrschichtige Herangehensweise an die Charakterbildung stellt sicher, dass der Leser eindrückliche Offenbarungen erlebt, während sich die komplexen Beziehungen langsam entfalten, um in einem Moment klar aufzuleuchten. Hat man den Roman beendet, bleiben diese Figuren mit ihren Details genauso in der Erinnerung haften wie jene Menschen, die man einst kannte. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Ericksons komplexe Handlung selbst eine Figur in diesem Roman ist. Er verbindet die intensiven und persönlichen Momente mit gewaltigen Bewegungen, die aus einer Leinwand aus Raum und Zeit besteht.

Von Paris bis Japan, von den 1960er Jahren bis ins Kalifornien nach der Jahrtausendwende springt die Handlung großartig und mühelos von einem Höhepunkt zum anderen. Die wahre Freude an diesem Roman besteht dann auch darin, jedem einzelnen dieser Gipfel zu folgen, um herauszufinden, wo und wann Erickson seinen Fokus verlagern wird. Erickson operiert mit seinen Bruchstücken und Sprüngen auf der unangreifbaren Basis der Intuition, wodurch der Roman zwar einen improvisatorischen Charakter bekommt, aber eben von jener Art, die das Ergebnis zu einer perfekten Kunstform machen.

Bei aller Intensität und Improvisation, seiner Handlung und seiner eigenwilligen Chronologie ist Ericksons eigentliche Prosa trotzdem leichtfüßig und angenehm zu lesen. Er zeigt einen schön zurückhaltenden Sinn für Humor und eine Liebe zur Sprache, die sich in denkwürdigen Witzen und Phrasen äußert. Wenn der Leser sich dem Chaos hingibt und auf der Welle der Worte reitet, dann ist „Das Meer kam um Mitternacht“, das bei uns schon seit 2002 vorliegt, ein wilder und eindrucksvoller Ritt, ein Rausch von der ersten Seite an. Das Buch verdient es, in einem einzigen Zug gelesen zu werden.

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wiesenwrack

kann aber zugänge zum lumpen in dir
mit wirklich hohen schuhen
enthalten was stumm

auf stelzen hoch und abwärts
besieht man sich dann
was nicht ein gran salz enthält

wiesenwrack unter den matten &
köttelvieh zieht suchend
niemand will jetzt los

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malefitz

auch er lachte wie der der teufel lacht wie er
schmachtet nach dem was übrig bleibt wenn
nachdem nichts mehr gesagt werden kann er
in die asche greift und leichenbrand nicht
von den fängen weicht ihn begleitet ihn
unter einem baum zur rast verzückt die
zuckerne erinnerung jemandes seel verführt
und weggebracht in tiefe dunkelheit wo er
haust am gift’gen weiher und seine taten
der fäulnis aufzählt und die ihn warm
umschlingt und das bette des toten mannes
zuweist wo er wie aus einem herd bald neu
hinaus stürzt und gestärkt alles von vorn

und schoss aus seinem arsche nicht ein feuer
wie der schwefel unter rosenduft sich weidet
und der huf den fischkopf matschet bis
unlauterer gestank sich aufschwingt über frohsinn
in den fluren ist bald da und bald woanders
ward geseh’n und bald vertan von hohen brauen die
das lästerwerk beklagen ernster miene ernster
sprache wegen die dem götterwerk nicht dulden
gerede und geschwätz‘ von fürchterbarer art
geht frommen burger und des nachts gebt acht
verkohlter zungen wegen die den weißen schnee
voll panik färben das gewand der trauer häkeln
und drunter selber rote drachenschwänze bergen

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Das Kriegspferd (erste Skizze)

In den ersten Jahren lebte ich mit einem Kriegspferd in der weiten Ödnis, das sich von fauligen Äpfeln ernährte, die aus allen Richtungen gekullert kamen, so die Zeit es für gut befand, von Insekten auf ihren Tanzbällen belagert und dem Conqueror Worm befallen. Außerdem verstand sich das Pferd ausgezeichnet auf Leichenfledderei, biß die Knöpfe der strengen Uniformen ab und gestattete mir so den Zugriff auf gelbstichige Fotografien und Briefe mit bereits verblassenden Handschriften. Ich verzeichnete alle Örtlichkeiten, aus denen die Briefe stammten und steckte auch die Bilder in meinen Ranzen. Es konnte durchaus sein, dass sich überhaupt kein Muster ergab, wenn aber doch, wollte ich vorbereitet sein und über die Schwelle treten. Die Randbezirke waren voller Geröll und so saßen wir noch ein wenig im Löss, natürlich stand das Pferd, senkte jedoch seinen Kopf in eine für mich angenehme Position, bis die Steinflut vorbeigezogen war. Die Steine wanderten wie Kröten, verharrten aber meist dann, wenn man es eilig hatte. Deshalb hatten wir es nicht eilig, das Pferd und ich, wir verharrten schottergleich und ab und zu kam ein weiterer Apfel angerollt, so dass wir zufrieden waren.

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