Archive

Untersuchung der Werwölfe

Dieser Artikel ist Teil 1 von 21 der Reihe Guckkasten

Ich bin schon wieder ein Wolf, und ich muß mich dafür entschuldigen. Jetzt kommen sie, ich muss verschwinden! Geben Sie auf sich acht, auch wenn (mich der Jäger holt mit dem Schießgewehr) ich nicht mehr bin. Die Gefahr lauert überall, selbst bei Ihrem Barbier, der Ihnen die Zöpfe wringt.

Seit Lykaon die Götter solange frevelte, bis Zeus höchstselbst bei ihm einen halben Krug Wein nahm, ist doch alles nur noch Wolf. Darauf läuft es schließlich hinaus. Dem Zeus war zu schelten angeraten vom Rest der olympischen Maculmacher – und schelten wollte er – nach dem halben Krug Wein. Will sich ja nicht den Schank verderben, bloß weil einer Sauereien plärrt, die Göttinnen vernuttet, die Götter verschwult.

Lykaon war wohl Atheist, riss zeuselnde Witze, ganz unbeeindruckt von göttlichem Feuerwerk und transzendaler Geruchlosigkeit. Einer der Witze verstand sich auf die Pointe, Zeus hinmetzeln zu lassen, ihn zu richten für die Taktlosigkeit, sich eben für Zeus zu halten.

»Und so eine Hinrichtung überlebt der nimmer!« nuschelt der Hof, und rührt in den Pötten, um das Geschmalz so schmalzig zu bekommen, dass es nachher auf den Braten aufgetragen werden kann. Kräuter und Schmalz, dann Salz, dann Pfeffereien, stoßen, stoßen … mit dem Stößel stoßen und rühren, den Topp packen, dreimal auf den Tisch wumpen und nebenher nuscheln: »Das überlebt der nimmer, wenn der König dem Zeusvagabunden den Kopf abspricht!«

Sollte Zeus überleben, wäre wohl der Beweis erbracht, dass die Blitze wirklich ihm gehören, und dass er auch ein recht prachtvoller Ficker sei. Zeus, der olympische Herrenzimmerbesitzer. Doch tafeln wollen wir, wir wollen ja immer nur tafeln, ob König, ob Gott, ob Wolf.

Die Gaudriole jedoch war, dass Lykaon seinen siebenjährigen Sohn schlachtete, um diesen als Henkersmahlzeit, bestrichen mit der feinen Paste, zu servieren. Es vergingen an die zwei Stunden am Spieß, innen rein kamen Äpfel und Nüsse (auch ein Wenigelchen von der Paste). Nun mundet Menschenfleisch freilich nur, wenn es noch keine geschlechtsspezifischen Merkmale in sich veredelt hat. Wäre der Sohn 14 gewesen, würde man sprachlos bleiben, oder sagen müssen, das Mahl wäre ja nur symbolisch, das würde ja doch niemand essen im Angesicht des Ernstes der Lage. Und doch: Das Bürschchen war 7 und triefte nur so vor Saft und Schmackes. Zeus nun mochte viel über sich ergehen lassen, wenn es sich um seine Mitgöttinen handelte, die ihn da schnörkelpiepen wollten. Er konsumierte auch viele von ihnen (wobei sein hauptsächliches Interesse den Reben dieses Fremdlings aus Kleinasien galt), aber hier spielte er nicht mehr mit. Lykaon mochte ein Frevler sein wie er wollte, er mochte brandschatzen und foltern und spießen und hinraffen lassen, wie es ihm beliebte, aber eine derart ungöttliche Gräueltat wollte er nicht dulden. So verwandelte Zeus Lykaon in einen Wolf, der sich stets zur Vollmondnacht seinem Bluttrieb – dann, wenn das Blut rieb – hingeben musste.

Antic Soccer

Dieser Artikel ist Teil 2 von 21 der Reihe Guckkasten

Erst klirrte es im Untergeschoss bei den Wilferds, aber der Ball muss dabei am Fensterkreuz abgeprallt und zurück ins Getümmel gesprungen sein, denn wenn die da draußen nicht zwei Bälle in ihrer Mangel hatten – was vorkam – hätte es nicht kurz darauf auch bei uns einschlagen können.

Ich betrachtete den speckigen Lederbatzen, der gespickt mit Kristallsplittern auf unserem besten Teppich saß. Ich schnappte ihn mir, bevor die Tür aufgehen, und mich meine Frau zur Verantwortung ziehen konnte, so als hätte ich selbst den Ball durch die Scheibe geschossen.

“Deine Zufälle gibt es nicht! Du ziehst das Unglück an wie der Unrat die Fliegen! Also frage ich dich: Wer hat Schuld, wenn du da bist, wo etwas Unschönes geschieht?! DU! Das sage ich dir: DU! Also komm’ mir nicht mit Zufällen!”

Sie fand dann, durch das Klirren motiviert, doch den Weg zu mir, und verschönte das Läuten und Klopfen und Grölen, das anschließende Hämmern mit der Faust, weiteres Klirren, als die Meute von der Straße versuchte, ins Haus zu gelangen. Erstens, um uns zu töten, zweitens, um sich den Ball wieder zu holen.

Cocktail

Dieser Artikel ist Teil 3 von 21 der Reihe Guckkasten

»Es tut mir leid, es Ihnen auf diesem Wege mitteilen zu müssen …« sagte der Butler, und stand da, wie ein Stock eben dasteht »aber Ihre Frau lässt ausrichten, ich solle Ihnen eine in die Fresse hauen und sie ließe sich scheiden. Da ich zu ersterem nicht erzogen bin, muss ich leider Fehl gehen, und kann Ihnen nur die zweite Botschaft sachgetreu übermitteln.«
Da standen sie, gaben an, und tranken Cocktails, die sie noch nie in ihrem Leben getrunken hatten. Eine Gesellschaft voller Pärchen, die sich scheiden ließen. Wenn man es treiben wollte, ging man nach oben; dort war alles mit blödem Plüsch ausgarniert, aber die Betten quietschten nicht. Handschellen gab es für zwanzig Mäuse zum ausleihen.
»Danke, Bernie. Das ist nett!« Ich schob ihm einen Geldschein in die hohle Hand. »Das haben Sie gut gemacht!«
Ohne das Geschehen mit den eigenen Augen zu begleiten, verschwand der Schein in einer der unzähligen Taschen, die alle beschriftet waren. Ich konnte nicht lesen, was darauf stand, und hätte mich vorbeugen müssen, um es dennoch zu tun.
»Sir! Außerdem wartet jemand auf Sie, ebenfalls eine Miss. Diese aber will nun, dass ich Sie zu ihr führe. Sie lässt ausrichten, sie sei nackt, und darüber hinaus überglücklich, dass Sie das mit Ihrer Scheidung nun endlich regeln wollen. Sie sagt, Sie sollen sich beeilen, sie friere entsetzlich.«
»Danke, Bernie. Das ist nett!« Ich schob ihm den nächsten Geldschein in die hohle Hand. Das mechanische Getriebe begann erneut leise zu schnurren, und das Geld verschwand, jedoch in einer anderen Tasche.
»Was steht da eigentlich auf Ihren Taschen?« Ich hatte lange genug gewartet, und wollte mich noch immer nicht vorbeugen.

Die wütende Stimme

Dieser Artikel ist Teil 4 von 21 der Reihe Guckkasten

Der Mann am Nebentisch fiel ihm auf. Er paßte überhaupt nicht in das Bild, das er von diesem Restaurant hatte. Verrückte sollten hier keinen Zutritt bekommen. Aber Verrückte bekamen Zutritt. Der Beweis saß an diesem Tisch, eine große Schüssel Austern vor sich, sie er so laut schlürfte, daß sich auch andere Blicke auf ihn setzten. Ein austernschlürfendes Schwein. Was soll’s. Was geht es dich überhaupt an?

Die Stimme in seinem Inneren wurde lauter, rabiater: Was geht es dich eigentlich an! Seit wann sind wir unter sie Spießer gegangen?! Ein feiner Mensch mit einem noch feineren Urteil bist du, was?! Etwas Besseres! Etwas ganz Besonderes!

Laut sagte er: »Moment mal!«

Und auch ihn taxierten jetzt die Blicke der Gäste, denn: Mit wem redet der da eigentlich? Das Schwein mit den Austern? Okay. Man gewöhnt sich an das Geräusch. Ein ordinärer Mensch, zugegeben – aber vielleicht hat er ja ein Problem mit seinem Rachen. Da sollte man nicht zu schnell mit einem Urteil sein. Aber der da … der hört Stimmen. Sieht man ihm an, unabhängig von seinem kleinen Ausrutscher eben.

Die Stimme in Jarolin jedoch steigerte sich bis zum nackten Zorn. Sie beschimpfte ihn jetzt in einer Lautstärke, dass er die Austern nicht mehr schlotzend in dieser tintenfischartigen Höhle verschwinden hörte. Sie brüllte ihn an, dass er ein Versager sei, schon immer gewesen; ein armseliger Wicht, ein Gnomus, ein Einzeller, ein Wirbeltier! Aber damit begnügte sich die Stimme nicht, war jetzt in Rage, zerriß sein Hemd und schlug auf ihn ein, erwischte ihn hart am Unterkiefer. Jarolin glaubte für einen Augenblick, ohnmächtig zu werden, bevor der nächste Schlag ihm die Nase zertrümmerte. Das Blut spritzte in Zeitlupe, dicke Rotzklumpen klatschten auf den Boden.

Erst nachdem Jarolin mit eingeschlagenem Schädel dalag, stand der Austernschlürfer auf, beugte sich mit einem Taschenmesser zu ihm hinunter und schnitt ihm die Leber heraus. Wäre die Kamera geblieben, würden wir Zeuge eines weiteren Festmahls.

Die Strümpfe bei Hofe

Dieser Artikel ist Teil 5 von 21 der Reihe Guckkasten

Nick ertappte sich selbst dabei, wie er im Regen saß, und das Schauspiel der fallenden Tropfen beobachtete. Nichts hätte ihn heute Abend zurück in seine Kammer gebracht, denn er wollte nicht etwas hören, was nicht gleichzeitig zu beobachten war.

Wärst du unsichtbar, mein lieber Regen, ja, auch dann müsste ich mir eine Gestalt für dich ausdenken. Vermutlich würde ich Fingerknöchel nehmen, ich wüsste ja nicht, dass du Wasser bist.
Infernalisches Prasseln. Das Prasseln von Geisterfingern auf den armseligen Behausungen und … auf dem etwas weniger armseligen Dachstuhl des Schlosses. Was die wohl den ganzen Tag dort treiben? Aufhübschen, abhübschen, hinaus zur Jagd, zurück zur Tafel!

›Lustschloss‹ – dieses Wort gefiel Nick außerordentlich, aber: ob die jetzt auch im Regen hockten? Zeitlos schienen die Herrschaften nie zu sein, alles wirkte geplant und gewichtig, selbst wenn eine der Damen den Strumpf verlor. Das geschah auf merkwürdige Weise. Das Textil löste sich noch im Schuh bereits vom Fuß, krabbelte aus den geschnürten Stiefeln ins Freie, und ließ sich einfach fallen. Meistens verendete der Strumpf im Gehuf der galoppierenden Pferde, so manches Mal aber stürzte sich ein Jüngling gleich hintendrein und brachte das Kunststück fertig, vor dem freiheitlich denkenden Strumpf im Matsch zu landen. Das nützte weder Fuß noch Reiter, aber es gefiel dem Strumpf, denn jetzt durfte er sicher sein, daß er mit Stroh ausgestopft dort aufgehangen wurde, wo die wirklich wichtigen Strümpfe hingen. Das war eine etwas seltsame Galanterie, die womöglich gar nicht so oft vorkam. Aber wenn man, wie Nick, überall Geheimnis und Rätselraunen erblickt, und sei es in einer lächerlichen Pfütze, dann wird die Frage, warum so ein gut umsorgter Strumpf sich selbst entleiben sollte, zur Nebensache; die Hauptfrage blieb: Was ist hier eigentlich los? Hier ist die Welt, und da bin ich – ständig ist alles in Bewegung!

Feston

Dieser Artikel ist Teil 6 von 21 der Reihe Guckkasten

Die Stille, mit der hier alles rumort, mit der die ganze Einrichtung – aufwendig geschnitztes Hartholz, mit hier und da durchbrochen geschnitzter Zarge, vornehmlich Efeuranken und Festondekor – umgestellt wird (man weiß es ja nicht, hört nur durch Blicke sich beschäftigen), ist in einem solchen Maße unerträglich, dass man sich wünscht, ein Fenster möge gleich schlagen, oder der Kuckuck aus seiner abgetuckerten Uhr herausschnellen, die Flügel spreizen und im Raum umhersausen. Holz hin, Schnitzerei her, weiß er doch auch nicht für das erste, wo er Land nehmen soll. So derart durcheinander gerät das ganze Zimmer, ja, das ganze Haus. Man hört also nichts von unten herauf tönen, hört nicht, dass die Stühle sich drehen, der Tisch sich verkehrt in einen HCSIT, Teppiche, in sich gerollt, wanken und dann aufrecht stehen, womöglich die Treppe in den ersten Stock benutzen, mit dem Geländer ringen, das doch eigentlich den ziemlichen Halt für die Damen des Hauses bringen, sie nicht in die schmatzende Tiefe fallen lassen soll. Itzo aber – das sei am Rande erwähnt – das gewendelte Gestengel für einen Wiener Walzer (vielleicht einen “Linken Wischer”) ausführt, welches die Teppiche mit ihrem Klöppelfransen sogleich fassen. Hört nichts dergleichen und hört auch gleich wieder weg, weil man ja mit dem Kuckuck, der weiterhin in den Lüften um den Leuchter herum kreist, auf das äußerste beschäftigt ist. Wer so einen schon Mal ins Auge bekam, wird wissen, wovon hier die Rede geht. Das Erlebnis führt – so stand es vor kurzem in der Zeitung – nicht selten zu einer merkwürdigen Form des Erblindens, und man sei in diesem Falle – so fabulierte die Gazette weiter – den außer Rand und Band geratenen Dingen ausgeliefert wie die nackte Haut einem Brennball.

Eine alte Dame geht aus

Dieser Artikel ist Teil 7 von 21 der Reihe Guckkasten

Manchmal stellte sie das Radio an. Es kam ihr dann so vor, als wäre jemand bei ihr im Raum und spräche sie an. Antworten müsste sie ja nicht, aber sie tat es trotzdem. Oft sagte sie: »Ihnen auch!« Oder: »Das haben Sie wieder einmal fein ausgedrückt!« Sie ging in der ganzen Wohnung umher und betrachtete die Wände, die Figuren auf manchen Regalen, die Teller in der Vitrine. Manchmal gab es im Radio ein Lied, das sie kannte. Das akustische Fenster, das sie davon überzeugte, dass es eine Welt außerhalb ihrer Küche gab. Lange war sie nicht mehr raus gekommen, woher sollte sie also wissen, ob die Straße vor ihrer Haustür überhaupt noch existierte? Vielleicht war da schon längst eine Autobahn entstanden. Sie hätte televisionieren können, damit kannte sie sich allerdings nicht besonders gut aus; sie wusste nicht, wie man zuschaut, und deshalb gab es für sie nie ein Bild, dem sie hätte folgen können.
Das Radio war die Lebendigkeit in Person, darin war die ganze Welt vertreten, sogar das ›Weiße Rauschen‹, das sie sich manchmal ebenfalls einstellte. Und heute – heute wollte sie wieder einmal ausgehen. Dafür hatte sie ihr einziges bestes Kleid im Bügelofen bügeln lassen. Manchmal aber wollte sie Stille. Es kam ihr dann so vor, als sei sie die letzte Überlebende eines großen Irrtums. Dann sagte sie in die Stille hinein: »Ich habe es schließlich gewusst!« Oder: »Es ist schon merkwürdig!« In der Stille hörte sie den Boden an manchen Stellen knarzen. Ab und zu, wenn ihr danach war, küsste sie eine der Wände, anstatt sie nur anzusehen, die Figuren in manchen Regalen. Jetzt aber nahm sie ihr Kleid, zog es an – und auch ihre einzigen besten Schuhe vergaß sie nicht, bevor sie sich ins Bett legte. Im Radio lief ein altes Lied.

Modellbau

Dieser Artikel ist Teil 8 von 21 der Reihe Guckkasten

»Das sieht alles so roh und verletzlich aus …«
»Nunja, es ist ja auch frisch geschlachtet.« Ogreiner grinst sein fleischiges Mundwerk zur Kundin hin. Im Hintergrund die Poster mit den Hellebarden, eins mit dem Porträt des alten Perdix, Sägemotoren zu seinen Füßen. Im Öl schwimmen Rinderhüften, Haut, Horn. Auf einem großen abgeschabten Holztisch Schlachtschussapparate, eine Wanne voll Blut, auf der einige blau perlende Blasen wippen, zumindest sieht das so aus. Die Knochen … »wenn Sie die nicht zerhacken, können wir sie wieder zusammenbasteln. Die Kinder hätten ihre Freude daran, wollten schon immer ein Skelett. Klar, die Kuh ist ziemlich groß (oh ja), die paßt nicht in ein Kinderzimmer … Wissen Sie, wir haben ja beide Bankert in nur einem Zimmer unterbringen können (verstehe), andererseits wäre es doch mal was anderes …«
»Ich kann Ihnen aber auch ein Kalb von den Knochen schälen, wenn Sie das …«
Sie schürzt die Lippen, ihr Atem will raus. »Ich hätte da aber eine Bitte. Wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
»Na sagen Sie schon!« Kauft seit Jahren ihr Fleisch in der Werkstatt, da will man nicht Nein sagen: Rinder, Lämmer, Hühner, die ganze Arche Noah; den Tranchierkurs besucht sie auch, auf dem Auto ein Aufkleber: ›Wir fressen Vieh‹.
T-Shirts, Taschen im Haut-Look, sogar die Marmelade im Schweinsdarm, Brot in der Pelle, Fleischreste im Hundetrog … »kochen wir immer ab, ich sag’s Ihnen, roh würde der uns doch glatt selber anfallen, der Heini.« Heini der Molossoide. »Könnten Sie die Knochen nummerieren?«
Wie er also da kniet und die Knochen, auf dem Boden rutschend, die Zunge zwischen den Zähnen wie ein weggetretenes Kind, nummeriert, kommt Ameli rein und fragt, was er da treibe. »Ich nummeriere die Knochen eines Kalbes. Frau Ludwig hat mich drum gebeten.«
Ameli hat sowieso das Gefühl, daß er zu viel für die Kunden übrig habe … »aber sag mal, ist das nicht überhaupt eine gute Idee, das Schlachtvieh als Modellbausatz anzubieten? Besser als hier im blutigen Sibber rumzurobben.«
»Scheiße, das Gelenk ist hinüber!« Ogreiner wirft es in die Ecke. »Gib mir mal das andere.« Er deutet wurstig auf den Tisch.
»Das Schweinsding?«
»Ja.«

Schwerkraft zum halben Preis

Dieser Artikel ist Teil 9 von 21 der Reihe Guckkasten

Nebenan, beinahe in der Hinterstube, so aber doch noch im Wintergarten, verkaufte Frau Emsrente Schwerkraft zum halben Preis. Es ist da in den letzten Jahren gehörig etwas ins Wanken geraten, und da man zu keinem Zeitpunkt wusste, was Schwerkraft überhaupt ist, wusste freilich auch niemand, wie man ihr Fehlen kompensieren sollte. Aber Frau Emsrente hatte einen Schwerkraftmixer, eigentlich ein zylindrisches Haushaltsgerät, das von außenliegenden Solarringen umschlossen wurde, und auf dessen Innenseite eine mit Sauerstoff gefüllte Biosphäre angelegt war.

Man kaufte Frau Emsrentes Schwerkraft, wenn man etwas im Umland Spazierengehen wollte.

Das Haus der letzten Dinge

Dieser Artikel ist Teil 10 von 21 der Reihe Guckkasten

Dorn und ich – wir entdeckten das Kerzenlicht nach Mitternacht im oberen Eckfenster, und in einem kurzen Moment die flüchtige Gestalt hinter der schmierigen Scheibe. Das unheimliche Ambiente gemahnte uns zur Vorsicht, denn uns war klar, dass wir zum ersten Mal in unserem Leben einer Geistererscheinung gewahr wurden. Das ruppige und wildwuchernde Gelände durch eine der morschen Zaunlatten zu betreten, wagte wir nicht, denn auch wenn das Gespenst da oben nicht am Fenster schwebte, wäre das Gebäude immer noch als baufällig zu bezeichnen.
Als wir da standen und sannen, was zu tun sei, geschah es, dass sich das Fenster öffnete und das im trüben Weiß illuminierte Wesen einen Nachttopf ausleerte. Die Geisterscheiße schwebte nahezu wie eine Feder zu Boden, hob also die Naturgesetze nicht auf, sondern bestätigte, dass auch die Bewohner einer Zwischenwelt sich an gewisse Regeln unseres Planeten zu halten haben.

Krankentransport

Dieser Artikel ist Teil 11 von 21 der Reihe Guckkasten

Daß wir sie nur gefunden hatten, würde uns keiner glauben. das heißt: Thomas hatte sie gefunden, während ich meinem Tittenhobby nachging, das darin bestand, Wippmöpse anzustarren, die heißen Neonränder um Blusen, Glitzerkleider. Er kam von der Toilette zurück, weiß wie eine Aschewand. Dann sagte er mir das Beschissenste, daß man mir jemals sagte. Das Allerbeschissenste: “Wir müssen weg, ich habe eine Leiche im Auto!”

Das immense Dröhnen der Bässe kam mit einem Mal aus meinem Kopf und ich wartete darauf, daß sich der Boden vor mir auftüftelte, um mich zu verschlingen.

“Also, ich geh da rein … keine Sau da. Trotzdem hab’ ich keine Lust, in die Becken zu schiffen. Penisglotzsyndrom! Nehm also ‘n Kackhaus, stoss die Tür auf – und da liegt sie. Absolut nix an – zwischen Wand und Schüssel eingeklemmt, Augen offen. Ich denk, mich trifft der Schlag, und will schon wie von der Natter gebissen abhaun … da hör’ ich Stimmen. Plötzlich kommen die alle rein. Ich spring also zu der Nackten und schließ’ ab. Mir geht der Kackstift auf Vollbeat. Ich hätte beinahe wirklich in die Hose geschissen. Was soll ich machen? Ich trau’ mich nicht mehr da raus, also pack ich sie, mach das Fenster auf und schmeiß sie raus, kletter auch gleich hinterher und werf’ sie in den Kofferraum, nur für den Fall, daß mich doch jemand mit ihr gesehen hat.”

Thomas fackelte nicht lange und setze sich hinter’s Steuer, während ich meine neu erworbene Lähmung auskostete.

“Das ist genauso gut, als hätten wir sie wirklich erledigt! Kein Mensch wird uns diese Geschichte glauben, nicht einmal ich selbst. Ich glaube dir nicht!” Ich redete mich so lange in Rage, bis mich eine Vollbremsung aus dem Sitz hob und ich mit der Stirn gegen die Frontscheibe knallte.

“Du glaubst mir nicht? Los, raus – ich zeige dir, was du sehen willst!”

“Mitten auf der Straße.”

“Was?”

“Wir stehen mitten auf einer Landstraße.”

Weil sich Thomas nicht mehr beruhigen ließ, stiegen wir aus. Während ich schwindelnd mit den Füssen nach festem Boden tastete, stand er bereits am Kofferraum. “Die macht Geräusche!”

“Quatsch nicht!”

Doch dann hörte ich das leise Winseln selbst. Klar, man hat so seine Halluzinationen, wenn man zunächst einen Schock, und dann einen harten Schlag gegen den Kopf bekommt. Aber Thomas hatte es zuerst gehört.

“Na, nun mach’ endlich auf!”

Die Kleine lag völlig verrenkt in ihrem Erbrochenen und atmete, aber das wollte mich kein bisschen beruhigen. denn wenn jetzt die Karre verreckte, waren wir genauso übel dran, oder besser: wirklich daran beteiligt. “Hast du sie so reingeschmissen?”

“Ja. Sie war ja auch tot!”

“Ich glaube, das ist sie bald, wenn wir sie nicht sofort in ein Krankenhaus packen.”

“Das geht nicht. Was sollen wir sagen?”

Also fuhren wir los, zumindest in die Nähe eines Krankenhauses, schleppten das halbtote Ding zu einer Parkbank, drapierten sie wie ein gerupftes Huhn und riefen von einem Münztelefon an.”

Der Troubadour, die Kaltmamsell und die Dame

Dieser Artikel ist Teil 12 von 21 der Reihe Guckkasten

Der Troubadour kniet nieder, greift ihre Hand mit wonnevollem Blick, der dem Ausdruck höchster Pein in nichts nachsteht, so als wäre er mit dem offenen Schneid des Tuzakmessers geeint.

“Meine Dame”, knistert es aus seinem Hals. “Meine Dame – ich bin Ihr ergebener Diener, völlig fertig bin ich, aber Ihr Diener!”

“Hast Du das gehört, Mamsell”, sagt das engelsgleiche Geschöpf. “Er sagt, er sei mein Diener!”

“Das sagt der doch nur so, das meint der doch nicht.”

“Aber ich meine es! Im Staub mein Knie, so schaut!” ruft der Versemacher und plärrt, die freie Hand auf die Brust gelegt und einen Kropf blasend, los:

Nichts schimmert mehr, wenn es Dein
Antlitz ergafft, das so hell
wie die Sonne es neidet!
Nichts glimmt in den Feuern der
Kesselkanonen, die Gulasch
den Marschallen brühen…

“Jetzt seien Sie aber start! das Mädel erschrickt ja, wenn Sie so einen Käse herumbrüllen – und rot wird sie nicht, weil Sie ihr schmeicheln, sondern weil jeder zuschaut, wie sie da mit Ihrem Flickenteppich an ihre Hand wie einen abgeschlagenen Hühnerkopf halten! Haben Sie keine Heimstatt?”

“Meine Heimstatt ist das Herz der Dame und nur für sie will ich verdampfen im Nebel, der aufsteigt und die Lust mit sich hinan nimmt in den Himmel, der…”
“Jetzt geh, sag doch Du auch mal was!” unterbricht die Kaltmamsell das mit allerhand Spuckwerk einhergehende Liebesgeschnurre.

“Was soll ich denn sagen. Er liebt mich halt.”