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Kempten, Forum

Die Geschwister Grimm in Kempten

“Im Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott. DAS ist doch merkwürdig!”

(Zitat von “Die-mit-dem-Dichter-spricht”)

Das Allgäu ist übervoll mit Menschen, an denen der Nonsense der heutigen Zeit zwar nicht abprallt, aber hier und da dann doch für das genommen wird, was er ist: eine vorübergehende Erscheinung. Gerade in den Bergen und in den Randbezirken gibt es noch eine Menge Zauber.

“Ich würde Sie niemals als Hexe bezeichnen!”
“Ich mich aber schon”

Naturheilkundige finden hier ihr Mekka. 1775 wurde die letzte Hexe in Kempten zum Tode verurteilt, aber nicht verbrannt. Sie starb eines natürlichen Todes. Vielleicht geht es Kempten deshalb so gut. Wer im schöpferischen Element tätig ist, der weiß, dass diese Kraft weiblich ist, auch wenn es Männer gibt, die das leugnen. Ich selbst wäre ohne die weibliche Urkraft seelisch wie körperlich bankrott. Deshalb die Große Mutter, deshalb Hexen. Aber mir geht es hier nicht um Elementarkräfte und deren Herkunft. Es ist ziemlich erstaunlich, dass sich Kräuterfrauen und solche, die sich selbst “Hexen” nennen nicht nur in den Allgäuer Dörfern finden, sondern mitten in der Mall, die gesichtslosen Konsum über ihre Jünger schüttet, die jeden Tag erneut anbranden, um dem Abfall der Industrie anheischig zu werden.

Der Weg, der unvermeidlich zu einem Ziel führt heißt: Offenbarung; und dass es nicht nötig ist, seine Schönheiten zu deklarieren, versteht sich von selbst. Nur jener, der im heimlichen Licht seine Warzen sehen lässt, seine Schuppen, seine Hexenhaare (die sich unter die Makellosigkeit mischen und die, trotz der Folterbank, auf der sie ausgerissen werden, mit Hohngelächter immer wieder kehren), kann eines Tages von sich behaupten: Ich wurde geliebt. (M. Perkampus / Die Laubfrau)

Bilder: Albera Anders

Dass wir beide zufällig aussehen wie die Geschwister Grimm (nehmen wir einmal an, es wären keine Brüder gewesen), muss für viele Kemptener eine witzige Erscheinung gewesen sein. Zwar kann man nicht davon sprechen, daß wir etwas mit Schwefel veranstaltet hätten oder sonstwie mit der Welt ins Gericht gegangen, aber so eine geballte Ladung Kosmos sieht man auch nicht alle Tage. “Ich lese trotzdem ab und zu in der Bibel” ,sagte sie und kicherte dabei. “Im Johannesevangelium. Vor allem den Anfang finde ich interessant.” Sie mustert mich aufmerksam, fragt dann: “Haben Sie’s vor sich?” Ich nicke. Das hören wir Dichter gern: Im Anfang war das Wort. Die kleine Dame fand das merkwürdig. Ich nicht. Alles, was existiert, habe ich durch mein Wort geschaffen.

Timeline

Gelbes Hemd

Ich habe gestern in mir herumgestochert und herumgeforscht, aber nichts gefunden. Der Bahnhof, an den ich dachte, ist mir oft ein flüchtiges Thema, in meiner Erzählung Martraum (Sandsteinburg) sogar ein großes Symbol, das mir aber auch keine andere Wahl lässt. Mit einem Bahnhof beginnt die Geschichte, die sich nicht schließen lässt, mit einem Bahnhof beginnt die Geschichte in der Mitte.

Die Furcht, so lange schon gewesen zu sein, ein Gleichnis zu finden, ein Gleiches, ein Entsetzen dieser Ferne, die näher rückt, oder die Nähe, die hinaus führt, fragil über die Weichen schleicht, über donnerndes Eisen. Ein anderes Ankommen ist kein Ritual. Sarina Mira erinnerte mich gestern indirekt an das große Feuerwerk der Lärmenden Akademie vor zehn Jahren. Es ist kaum fasslich, aber vielleicht war mir gestern so greinerlich zu Mute, weil sich etwas längst Vergessenes gejährt hat. Ich vermute, dass ich mich vor zehn Jahren hier habe sitzen sehen, ein erbärmliches Schauspiel, und mein emotionaler Beinahezusammenbruch der von vor zehn Jahren war und nicht der gestrige. Ich hatte noch versucht, mich wieder etwas in den Griff zu bekommen, indem ich mir Milch (die aus war) und – natürlich – Haferflocken (wären wohl heute aus gegangen) besorgen ging. Das Forum (es ist ja eigentlich eine Mall hier um die Ecke) war voller Menschen, die Mädchen im Dirndl, die Burschen in allen möglichen Lederhosen (es ist ja auch noch Festwoche in Kempten), und ich, verwildert wie ein Zeitgenosse Dürers, torkelte durch die Hallen (ich finde in ganz Kempten kein gelbes Hemd, aber ich brauche unbedingt ein gelbes Hemd!). Irgendwas war mit meinen Augen nicht in Ordnung, meine Brille übertrug stellenweise nicht die richtigen Informationen. Im Markt dann gelang es mir kaum, auf den Beinen zu bleiben, nicht aus Schwäche, ganz und gar nicht, mein Kreislauf war nur etwas durcheinander. Wenn man mich sieht, will man ohnehin gleich den Sicherheitsdienst rufen, entspannt sich aber, wenn ich Milch und Haferflocken aufs Band lege. Gut.