Eric Basso: Der Pestarzt, Kapitel 1

Miskat Erz

Anmerkung des Übersetzung: Diese bahnbrechende und legendäre Geschichte  begann ich zu übersetzen, bevor Eric Basso überraschend am 10. Juni 2019 verstarb. Bisher konnte das Lizenzrecht nicht geklärt werden, so dass ich mein Vorhaben aufgeben musste. Tatsächlich gehe ich auch nicht davon aus, dass dafür in Deutschland einen Markt gegeben hätte, aber eine kleine Auflage für Kenner der Weird Fiction hätte mir eine gewisse Genugtuung verschafft. Ich erlaube mir dennoch, das erste Kapitel hier zu präsentieren. Ich verstehe das als einen Kulturauftrag. Wer die Novelle im Original lesen will, kann diese in Jeff & Ann VanderMeers The Weird finden.

Jetzt werde ich versuchen, wach zu bleiben. Der Nebel. Sie müssen mich bereits vor dem Morgengrauen gesucht haben. Leere Straßen. Durch einen schwach beleuchteten Raum.

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Notiz an ihn mit Mondkindkrone

Der einzige Grund,
warum Sie das Weiß unter meinem Rock sehen können, ist,
dass ich nicht bemerkt habe, dass mein Kleid feststeckt.
Das Blau reicht bis zum Boden,

aber es eignet sich nicht,
um einen Stern abzuklopfen,
weil ich Sie noch immer liebe.

Area Fifty Hun

Befehl-Fokus in ihrem Zuhause,
mit den eigenartigen, rätselhaften detailgetreuen Vibes
der Area Fifty Hun. Mit einem wunderlichen
andersweltlichen Gast, der eins ist mit der Natur
und aus einem Blumenbeet guckt.

Blitzexpedition! Mondbeam!

Eine Sci-Fi-Überwurf-Decke für ihr Sofa:

Willkommen in der Allianz!
Der kreativen Vereinigung von Mensch und Maschine.
Allianz ist ein umwerfendes Projekt
für einen Raum, der einen Hauch von Staunen und Phantasie gebrauchen kann.
Durchqueren Sie die Galaxien
mit dem faszinierenden Design einer Frau zwischen den Sternen
und fangen sie die beeindruckende Schönheit des Kosmos
durch eine Retro-Science-Fiction-Linse ein.

Es wird ihre Sinne entzünden, ihre Freak-Flagge wehen lassen!

Das Ganze geht auf unsere Kosten.

ritu

Miniaturen

Ich musste, in jener Nacht, in der der Mond meinem Haus sehr nahe stand, wohl etwas von ihr mitgenommen haben, als ich schlafend in meinem Bette lag und zum ersten Mal, mittels eines Stuhls, durch ihre vielen verborgenen Räume geflogen war. Denn seither stand sie jedes Mal, wenn ich in den Spiegel blickte, hinter mir. Tat sie einen Schritt zurück, verschwand sie in tiefer Schwärze. Tat sie einen vor, war mein Gesicht für mich im Spiegel nicht mehr erkennbar. Ich war rastlos seitdem. Blies Nacht für Nacht die fast heruntergebrannte Kerze auf meinem Fensterbrett aus, öffnete das Fenster und hob mit meinem Atem davon.

Ein Brunnen in all den Wüsten

 

In Rehau gab es bei unserer Ankunft derzeit wenige Masthallen und Lebensbrunnen zu besuchen (es war schließlich schon etwas spät auf den Fluren), aber nach einem elendigen Getuckel mit der Bahn mussten wir dringend etwas unternehmen, um die Schüttelreime in unserem Kopf verschwinden zu lassen und wieder mit echten Grammatikbrüchen aufwarten zu können. Wäre Neil Armstrong ebenso begeistert wie ich, wenn er einmal noch den Mond betreten könnte? Es wäre kein gutes Zeichen gewesen, im Land der Biere sich nicht sofort um die regenerierende Flüssigkeit zu kümmern, die ewiges Leben verheißt. Nicht mehr aus dem Fass der Bäckerfamilie Scherdel, aber aus einem vergoldeten Hahn mit Chorgesängen aus dem Garten Eden. Die ersten Schlückchen bringen einen um den Verstand (der ein paar Minuten allerdings gestärkt und tanzend wiederkehrt).

Mondmacher

„Jene runden Türme sind entdeckt, in welchen der Vollmond Mondnatt für Mondnatt gegossen wird, mit einem großen Katapult in den Himmel geschossen (geworfen); die Mondmacher am Werk; ihre chymische (Hochzeit). Der Mond erkaltet unter der Erde, wird fest in den Tiefen, Basalt und Eisen.“ (Sandsteinburg)

Hallo die Post

Für den Kanon kam heute Benjamin Percys „Roter Mond“ an. Die Postbotin klingelt mich verlässlich um 9 Uhr aus dem Bett, ich versuche dann, ohne in den Schrankspiegel zu fallen, zur Sprechanlage zu gelangen. Sie sagt: „Hallo, die Post.“ Sie sagt es ohne Komma: Hallodiepost. Und ich sage: „Ich komme!“ Dann drücke ich auf den Summer und mache mich auf den Weg. Von oben kann ich dann das Päckchen auf der ersten Stufe der Haustreppe liegen sehen.

Percy schrieb auch für Detective Comics und sehr erfolgriech für Green Arrow, aber auch für das Wall Street Journal oder den Esquire. Diese Verbindungen sind immer wieder amüsant, wenn man unsere eigene literarische Landschaft so betrachtet. Die Rezensionen über Jedediah Berry Handbuch für Detektive und Steven Ericksons Das Meer kam um Mitternacht für das Phantastikon sind geschrieben, ein Interview mit Berry habe ich übersetzt. Gegenwärtig sehe ich mir Kirsten Bakis und ihr Leben der Monsterhunde genauer an (in Wirklichkeit lese ich es). Man muss sich den Slipstream, also die Phantastik, die nicht unter dieser Kategorie firmiert, überall mühsam zusammensuchen und dann auch noch nachsehen, ob es überhaupt eine Übersetzung gibt. Manchmal überrascht mich das, manchmal enttäuscht es mich, der Punkt aber ist: ich werde fündig.

This is the wall of dolls
Secret world of smalls

– Golden Earring, The Wall of Dolls

Zweites surrealistisches Märchen (Pilze zu Gast)

Miniaturen

C: Könntest du dir – und ich frage das ohne Hintergedanken – sonnengebräunte Pfifferlinge vorstellen, die eines Tages ihren Standort wechseln wollen? Und jetzt die eigentliche Frage: müssen sie nicht bei uns vorbeikommen, wenn sie ihr Ziel je erreichen wollen?

A: Aber doch, ja, ich denke, sie sollten sich Beine machen und recht flink bei uns vorbeikommen. Dann gesellen sich zu Flora und Faun auch die Fungi. Ich mag die Plasmodien der Gelben Lohblüte gebraten als „caca de luna“ („Mondkacke“). Pilze sind hübsch. Besonders die mit den Häubchen, den Schwammporen oder Lamellen.

C: Sie leben ja auch zu Mars, die Pilze. Da müsste sich doch was machen lassen, um für immer in den interstellaren Gebräuchen zu verschwinden? Sind sie erst da, werden sie schnell flach und alt. Sie seibern Stoffe von hoher Qualität und drängeln nicht wissentlich. Mehr von der Hinterfotze, also heimlich. Nun, du deckst den Tisch und ich suche in den Winkeln. Da fand ich noch immer von Spinnen geröstete Hüllen einst blühender Larven.

A: Dann sind sie, wenn sie auf meinem Tellerchen landen, flunderflach? Ist ihr Durchmesser dann nicht um ein Beträchtliches gestiegen? Wie soll ich sie dann verspeisen können? Klingt, als bräuchte ich danach einen „Fotzenspangler“.

C: Oh ja, ja oh! Sie sind dann so grooß wie einmal um die Oberfläche Gottes gelegt. Wie soll ein kleines Schnütchen wie das deine alles auf einmal wagen? Es gälte, sofort den Yogi – so man kennt – anzurufen, um eine fernöstliche Fressmethode zu erlernen. Wir machen es uns einfacher. Du wirst sehen: mit einer frisierten Kettensäge lassen sich auch Flunder brechen und in schlummernde Frittengröße schneiden. Aber horch! Da klingelts’s schon!

A: Äh, Monsieur Frits holt di Kättensege aus där Schübläd. Nurzu! Werden ja sehen, ob der Lappen Gottes nicht rechtzeitig über den Tellerrand schaut und hüpft. Vielleicht zieht er dann, höchst beleidigt, ziharmonisch reisend von dannen und es ertönt eine kosmische Melodei …

(RÖÖÖÄÄÄÄÄMMM BRABA BRABABA BRA, FROMM FROOOOOMM … (lautes Geschrei, das sich verbietet hier in Worte zu fassen. Und dann kippt auch noch irgendwo ein verdammter Stuhl um!)

ENDE

Die Bildsprache des Alfred Kubin

Alfred Kubin

Auf der nördlichen Seite des Hauses liegt eine schattige Terrasse. Hierhin verirrt sich ab und an ein Vogel, der beim Überflug gegen eine Scheibe knallt und dann tot auf den Steinen liegt. Gerade gibt es Streit, wer ihn dort wegräumt.

Auf der Südseite scheint trotz Kälte und Schnee der Frühling ausgebrochen, denn eine Schaar von Spatzen zwitschert recht munter und macht fröhlich Beute auf dem Balkon mit dem Vogelfutter.

Beute machen…

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Der Magische Realismus

Wenn Massimo Bontempelli, der die italienische Literatur in den 20iger Jahren prägte, seine ersten magisch-realistischen Werke vorlegt, wird er einer jener Pioniere sein, die einen bisher nicht fest umrissenen Begriff in die Literaturwelt einführen, der sich irgendwo zwischen phantastischer Literatur, Surrealismus und Neuer Sachlichkeit bewegt.

Bontempelli tat das, indem er gegen den Realismus und Naturalismus des etablierten 19. Jahrhunderts und dessen bürgerlichen Geschmack, die Literatur thematisch und technisch zu erneuern versuchte – durch einen Magischen Realismus, der übernatürliche, phantastische Ingredienzien und Begebenheiten, die an sich der Gattung des Märchens und der Mythologie angehören, wie selbstverständlich und so, dass sie den Anschein des Wirklichen und Wahrscheinlichen haben, in eine realistisch geschilderte Alltagswelt integriert.

„Das Magische, Surreale im täglichen Leben der Menschen und Dinge zu entdecken, den Sinn des Geheimnisvollen und das Gleichgewicht zwischen Himmel und Erde wieder neu zu finden…“

Dieses Programm für den „realismo magico“ hat Bontempelli in dem eigenwillig komponierten okkulten Roman Sohn zweier Mütter auf überraschende Weise in Szene gesetzt.

In den folgenden Jahrzehnten treten – anfangs hauptsächlich in Deutschland und Flandern – Autoren auf, die sich als magisch-realistisch bezeichnen oder dieser Richtung zugerechnet werden. Auffallend ist jedoch das beinahe gänzliche Fehlen von entsprechenden Gruppierungen oder programmatischen Texten, wodurch die Auffassung, es handle sich weniger um eine Periode als um ein zeitunabhängiges Phänomen, bekräftigt wird. Typisches Merkmal magisch-realistischer Literatur ist das Integrieren unwahrscheinlicher, beinahe phantastischer Elemente in einen nüchtern realistischen Kontext, sodass der Anschein des Wirklichen und Wahrscheinlichen entsteht. Dem liegt oft der Zweifel an einer rein kausalen und logischen Ordnung der Welt zugrunde.

Die Literaturgeschichten, die den Begriff erwähnen, betrachten den Magischen Realismus als Reaktion auf den Expressionismus – im Brockhaus ist von einer „Stilrichtung des Nachexpressionismus“ die Rede –, die in der selben Zeit wie der Surrealismus und die Neue Sachlichkeit entstanden ist. Ernst Jüngers magisch-realistische Theorie, wie er sie in der Studie Sizilischer Brief an den Mann im Mond formulierte, kann durchaus als repräsentativ für den deutschen Magischen Realismus gelten. Jünger versucht in seiner Schrift die Dualität Phantasie-Wissenschaft, Traum-Ratio zu überbrücken, indem er beide Komponenten ineinander fließen lässt wie zwei miteinander verbundene Facetten einer einzigen Wirklichkeit. Mit dem Magischen Realismus werden auch Autoren wie Gustav Meyrink, Franz Kafka, Hermann Hesse und Hermann Kassack (Die Stadt hinter dem Strom, 1946), dann noch E. T .A. Hoffmann, Poe und sogar Oscar Wilde in Verbindung gebracht. Hierbei ist leicht zu erkennen, dass man es doch mit einer sehr großen Schwammigkeit in der Definitionskette zu tun hat.

Der Magische Realismus, der diesen Namen unverwechselbar trägt, und die Literatur, die damit unmissverständlich zusammenhängt, ist die lateinamerikanische.

Alejo Carpentier, der 1927 wegen einer politischen Protestaktion gegen die Machado-Diktatur sieben Monate inhaftiert war, und der im darauf folgenden Jahr nach Paris emigrierte, kam dort mit den Surrealisten André Breton, Tristan Tzara, Louis Aragon, Paul Eluard und dem Kubisten Pablo Picasso in Kontakt, (später wird es zum Bruch mit dieser Bewegung kommen, denn sie würde nichts Neues mehr schaffen), prägte in seinem Vorwort Das Reich von dieser Welt den Begriff der „Wunderbaren Wirklichkeit“ und wen sollte es wundern, dass dieser Begriff eng mit dem so sehr berühmten Magischen Realismus zusammenhängt.

Carpentier verstand das „wunderbar Wirkliche“ als Gegenbegriff zum Surrealismus, gegen dessen künstliche Sterilität und mangelnde Authentizität er das Konzept eines „barocken“ und zugleich gewachsenen Kulturbegriffs setzt. Das Wunderbare existiere erst dann, wenn es aus einer unerwarteten Veränderung der Wirklichkeit (dem Wunder), einer privilegierten Enthüllung der Wirklichkeit, einer ungewöhnlichen oder einzigartig begünstigten Erleuchtung unentdeckter Reichtümer der Wirklichkeit entsteht, die so intensiv wahrgenommen wird, dass der Geist, dadurch erregt, in eine Art Grenzzustand versetzt wird.

Ich möchte das Anhand von zwei Beispielen erläutern, in denen jeweils Frankreich der Nährboden für eine rasende Entwicklung war: Da wäre zum einen die einflussreichste Kunstrichtung überhaupt, die vielmehr eine Weltanschauung ist: der Surrealismus, der zwar von der Pariser Gruppe initiiert, zu seiner eigentlichen, eigenen und wahrlich willkommensten Blüte aber erst durch Octavio Paz, Boris Vallejo und Pablo Neruda gelangte; und zum anderen der Nouveau Roman, der als Nueva Novella von so illustren Namen wie Gabriel García Márquez und Vargas Llosa in einem facettenreichen Feuerwerk gipfelte, und sogar Namen wie Michel Butor und Claude Simon auf die Plätze verwies.

Die Frage, wann und wie man in Hispanoamerika von den europäischen Avantgardebewegungen Kenntnis erhielt, lässt sich nicht genau beantworten. Dabei ist daran zu erinnern, dass Lateinamerika sich bei aller Eigenart einer gemeinsamen abendländischen Kultur zugehörig fühlte, als deren unbestrittenes Zentrum Paris galt.

Zumal lebten in der hispanoamerikanischen Avantgarde engagierte Autoren wie Jorge Luis Borges, Miguel Angel Asturias oder Jose Carlos Mariategui (auch Julio Cortazàr) zeitweise in Europa und vor allem in Paris, während namhafte europäische Avantgardisten und Surrealisten wie Robert Desnos und Benjamin Peret zu Vortragsreisen nach Lateinamerika geladen wurden.

Die großen Höhenkamm bildenden Romane der frühen Nueva Novella haben ausnahmslos das gemein, dass wir offene Formel nennen, Werke, die nicht den geschlossenen Weg einer erzählend sich aufbauenden Einheit darstellen, sondern sich aus mehr oder weniger selbstständigen, nur locker zusammengefügten Teilen zusammensetzen. Diese offene Form wirkt sich auf die ganz konkrete Darstellung aus. An die Stelle des kausal verketteten Erzählfadens tritt das mehr oder weniger verbundene Nacheinander von gestauten Augenblicken; Julio Cortàzar wird es später in seinem epochalen Meisterwerk „Rayuela“ so formulieren:

„Das Leben der anderen, so wie es uns in der sogenannten Realität begegnet, ist nicht Kino, sondern Fotografie“

Daher sei es nicht seltsam, wenn er von seinen Personen in der denkbar sprunghaftesten Form spreche; der Fotoserie einen Zusammenhang verleihen, damit sie Kino werde, hieße, den Hiatus zwischen dem einen und dem anderen Foto mit Literatur, Vermutungen, Hypothesen, und Erfindungen auszufüllen.

Der lateinamerikanische Roman stellte allerdings eine andere Lösung dar als das chaotische Aufbrechen der Totalität bei Joyce oder dem technisch perfekten und klug abgewogenen Kalkül und europäische Werkästhetik verratenden Formeln bei Faulkner, Virginia Woolf und DosPassos.

Dabei stechen die drei Grundkomponenten lateinamerikanischen Denkens in den Vordergrund: Die monumentale indianische Seite, die im Insichruhen des Jeweiligen zum Ausdruck kommt, seiner „synthetischen“ Natur, die sich in Pluralität und Nebeneinander niederschlägt, und seiner das Heterogene bindenden romanisch-konstruktiven Komponente, der sie gerecht wird durch letztliches Festhalten an einer, wenn auch verschleierten, über alle diskontinuierlichen Techniken hinweg aufbauenden Werkstruktur.

Diese Formel bietet den Vorteil, das ästhetische Problem aus der grundsätzlichen Entscheidung zwischen Kontinuität und Diskontinuität herauszunehmen und zu einer Frage des Ausgleichs zu machen. Der Literatur Lateinamerikas öffnet sich so ein weites Feld von Möglichkeiten. Der Dichter kann gewissermaßen schon über die Form seine Botschaft dosieren. So macht es Asturias in den Maismännern, indem er die Offenheit zum beherrschenden Strukturprinzip macht.

All diese Romane können als Weg gelesen werden ohne formaliter zu sein. Als zweites Kennzeichen der großen Romane dieses Zeitraums bemerkt man eine große metaphysische Spannung, ob es nun Asturias‘ Die Maismänner, Alejo Carpentiers Das Reich von dieser Welt oder Welkes Blattwerk von Gabriel Garcia Marquez ist.

Ein Weiteres, das mit der metaphysischen Öffnung des offenen Romans zusammenhängt, ist der zirkuläre, im Grunde einheimische Zeitbegriff, dem wir hier begegnen, das Empfinden für die Wiederholbarkeit der Geschichte, ja sogar des Menschen. Letztere Erscheinung wird in Márquez Roman Hundert Jahre Einsamkeit zum dominierenden Thema. Carlos Fuentes und Vargas Llosa sind neben Garcia Márquez die Wortführer dieser ehrgeizigen Gruppe.

Dieser zirkuläre, „ungerichtete“ Zeitbegriff, der dem christlich-abendländischen Denken zuwiderläuft, aber auch im Nouveau Roman einen Adepten hat, in Claude Simon nämlich, hängt mit dem magischen Denken und der Abneigung gegen ein formales, rationalisierendes Prinzip und jegliche Abstraktion zusammen, wie es dem Lateinamerikaner zu eigen ist und wie es in Europa erst die Surrealisten aufbrechen konnten.

Klar ist demnach auch, dass die Verwandtschaft zu den alten Griechen, vor allem zu Heraklit, klare Grenzen hat. Grenzen, zu denen auch eine für europäisches Denken schwer nachvollziehbare Art magischer Transzendenz des Fleischlich-Erotischen zu zählen ist. Es handelt sich hierbei um eine in der Liebe unmittelbar aus dem Biologischen aufspringende Dimension, die bisweilen in den Bereich der Ausschweifung hineinreicht, aber in ihrer besonderen Form dort anzutreffen ist, wo das ausschließliche Interesse im reinen, wechselseitigen Erlebnis des Körpers liegt, des Körpers jedoch als eine Art Ewigkeitserfahrung.

Die Werke des Magischen Realismus schildern eine magisch bestimmte und wahrgenommene Welt, in der zwischen Legenden, Mythen, Träumen und Wirklichkeit keine wesentliche Trennung besteht. Im Falle Asturias’ erhält auch die Sprache eine besondere Bedeutung: Sprunghaft, assoziativ, ist sie häufiger durch klangliche oder rhythmische Aspekte bestimmt als durch „Sinnzusammenhänge“. Bilder und Metaphern entstammen einem vorlogischen Denken, indem Dinge und Wesen magisch miteinander verbunden sind.

Alle an der „Wirklichkeit“ orientierte Literatur, die eine „wahrscheinliche“ Intrige oder „glaubwürdige“ Charaktere in Szene setzt, lenkt nur von den tatsächlichen Lebensumständen des Lesers ab.

Nachtungen

Miniaturen
In Zweigen, die zum Mondlicht krauchen
Heult der Wind in der Laterne
Flitternd wegt er unter Sterne
Zu den Dornen, die kein Hell gebrauchen

Wir wollen zwischen Bäume tauchen
Bis zum Gefratze in der Ferne
Wo ich von deinem Antlitz lerne
Mir das Leben einzuhauchen

Suchend finde ich nicht wieder
Diesen Ort von Schwur und Bann
Der Wildwuchs hindert meine Glieder

Anzukommen, wo ich sann
Noch zungenlallig hohe Lieder
Dort rührte ich dich erstmals an