Tausend Fiktionen

Schlagwort: Phantastik

Texte generieren sich selbst

Die Bedeutung von Borges für die Literatur ist nicht zuletzt eine stilistische, denn alle Autoren, ob sie ihn anerkennen oder nicht, haben von ihm die praktische Anwendung jener stilistischen Ökonomie gelernt, die zu jener beeindruckenden Dichte führt, die dem Leser das Gefühl gibt, die endgültige Formulierung eines Gedankens vor sich zu haben, die nicht mehr verändert oder ergänzt werden kann. Im Weltkanon der spekulativen Literatur nimmt Borges den ersten Platz ein.

Der größte Autor des 20. Jahrhunderts

Jogre Luis Borges 1969
Jorge Luis Borges; 1969

Wenn wir heute von der Literatur des 20. Jahrhunderts sprechen, ist es unmöglich, nicht sofort an Jorge Luis Borges zu denken, den Mann, dem seit vielen Jahrzehnten alle Schriftsteller der nachfolgenden Generationen bis heute die größten literarischen Erneuerungen verdanken.

Sein Erzählband „Fiktionen“ löste in den 1940er Jahren eine Revolution aus und gilt bis heute als das bedeutendste Einzelwerk der hispanischen Prosa des 20. Jahrhunderts – für viele das wichtigste seit Don Quijote. Mit seinen Erzähltechniken verhalf Borges der hispanischen Kurzgeschichte zu Weltruhm: kühl kalkulierte Kunst statt biederen Dahinschreibens, Präzision und lakonische Tiefenschärfe statt breitem Ausholen, eine Vielzahl von Erzählperspektiven statt des ewigen „allwissenden Autors“. Witz und disziplinierte Phantasie, dazu handwerkliche Perfektion lassen diese vielschichtigen Erzählungen nie akademisch erstarren, sie sind nach allen Seiten offen und immer ein Lesevergnügen. Borges‘ Fiktionen sind der Ursprung der gesamten modernen Phantastik. Ohne ihn wäre vieles, was heute mit großen Namen verbunden ist, undenkbar; Umberto Eco macht keinen Hehl daraus, wer ihm Pate stand.

So kann man von zwei großen Polen der modernen Literatur sprechen: Auf der einen Seite steht zweifellos Edgar Allan Poe, der zusammen mit Walt Whitman alle modernen Genres im Alleingang erfunden hat, und auf der anderen Seite Jorge Luis Borges.

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Nighttrain: Nachtschatten (Hrsg. Tobias Reckermann)

Nighttrain

Natürlich werde ich keine Besprechung eines Buches anbieten, in dem ich selbst vertreten bin, obwohl ich es könnte. Schweigen aber will ich auch nicht, denn diese Veröffentlichung bedeutet mir mehr als viele der bisherigen. Oftmals bin ich nur dabei gewesen, mit den meisten Autoren neben mir konnte ich mich beim besten Willen nicht vergleichen. Das liegt nicht an den Autoren, sondern an mir. Ich habe eine völlig andere Auffassung von Literatur, der Notwendigkeit zu schreiben, dem Leben selbst. Hier bekommt der Leser natürlich auch „nur“ eine Anthologie geboten, aber diese hier ist anders. Nicht nur dass sie ein Thema hat – das haben viele, wenn nicht gar alle in gewisser Weise -, sondern dass sie eine Verneigung vor Thomas Ligotti bedeutet. Nicht im Sinne einer Anbiederung und eines stilistischen Nacheiferns, dazu sind die hier versammelten Autoren nicht berufen, sondern in ihrer Haltung.

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