Die Leute im Schloss

Miskat Erz

Die Burg stand auf einem steilen Hügel oberhalb der Stadt. Um den Fuß des Hügels verlief die äußere Burgmauer mit einem massiven Tor, und innerhalb dieses Tores befand sich das Haus des Arztes. Die Leute konnten sich dem Schloss nur nähern, indem sie durch die Tür seiner Praxis hineingingen, durch die Gartentür hinausgingen und hundert Stufen hinaufstiegen; aber niemand machte sich die Mühe, dies zu tun, weil es im Schloss angeblich spukte, und wer will schon hingehen und ein leeres altes Haus sehen, das in Trümmer fällt? Soll der Doktor doch selbst herumspazieren, wenn er will.

Der Arzt wurde von den Stadtbewohnern für ziemlich seltsam gehalten. Er war sehr jung, um so etabliert zu sein, er war ständig damit beschäftigt, irgendetwas zu schreiben, und er war oft ziemlich unhöflich zu seinen Patienten, wenn sie zu lange brauchten, um ihre Symptome zu beschreiben, und sagte ihnen dann unvermittelt, sie sollten weitermachen und nicht um den heißen Brei herumreden.

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Eine raumlose Zeit

Die Erkenntnis wurde erfunden = sie ist kein Bestandteil der menschlichen Natur, nicht der älteste Trieb des Menschen; sie ist nicht keimhaft in ihrem Verhalten, ihrem Streben und Trieb. Die Erkenntnis ist das Ergebnis der Konfrontation und der Verbindung des Kampfes und des Kompromisses zwischen den Trieben. Weil die Triebe aufeinander stoßen, miteinander kämpfen und schließlich zu einem Kompromiss gelangen, entsteht etwas. Und dieses Etwas ist die Erkenntnis. Sie gleicht dem Funken zwischen zwei Schwertern, der ja auch selbst nicht aus Eisen ist. Es gibt keine vorgängige Übereinstimmung oder Affinität zwischen der Erkenntnis und den zu erkennenden Dingen. Das ist der große Bruch mit der Tradition der abendländischen Philosophie. Der Gesamtcharakter der Welt ist Chaos, nicht im Sinne einer fehlenden Notwendigkeit, sondern der fehlenden Ordnung, Gliederung, Form, Schönheit, Weisheit. Die Welt versucht keineswegs, den Menschen nachzuahmen; sie kennt keinerlei Gesetz. Die Erkenntnis hat mit dieser Welt zu kämpfen. Für die Natur ist es keineswegs natürlich, erkannt zu werden. Erkenntnis kann den zu erkennenden Dingen nur Gewalt antun.

Zeit ist der Träger der Qualität eines Ereignisses im Raum. Raum entsteht erst durch Zeit, und wenn man eines Tages ihre Dimensionen anerkennt, wird das Modell eines Raums nicht mehr benötigt. Synchronizität ist nicht durch Dimensionsausweichung des Raumes zu erklären, zumindest nicht befriedigend. Die Koexistenz von Raum und Zeit, ihre gegenseitige Bedingung (etwa durch eine Raumzeit) ist eine weitere Illusion. Ein zeitloser Raum ist undenkbar. Eine raumlose Zeit nicht.

Das Unendlichkeitsprinzip

Mallarmé hat das Lesen immer wieder in ganz prägnanter Weise zum Thema gemacht. Er hat für die Poesie demonstrativ ein Geheimnis reklamiert und ihre Rezeption einer Extensivierung und Beschleunigung der Lektüre gegenübergestellt. Mallarmé kämpfte als Dichter auf verlorenem Posten um Resonanz bei einem bürgerlichen Publikum, das er bereits zu einem großen Teil an die Massenpresse und die wohlfeile Feuilletonliteratur verloren hatte. Er wies darauf hin, dass die Zweckorientiertheit eine ganz spezifische Lesehaltung einübe: die Sprache wird nur mehr als Instrument wahrgenommen und die Texte auf ihren Informationsgehalt reduziert. Dadurch würden Lesetechniken und Lesehaltungen verdrängt, die poetische Texte eigentlich fordern: ein Lesen, das den Zeitaufwand der Lektüre und ihren Nutzwert nicht gegeneinander aufrechnet, das das Geschriebene nicht auf einen konkreten Sinn hin festzunageln sucht und das einen gewissen Respekt der Sprache und dem eigenwilligen oder abseitigen sprachlichen Ausdruck gegenüber voraussetzt. Wer die Poesie liebt, könnte man folgern, hat Zeit.

Von hier aus gelängen wir schnell zu Borges, der einmal sagte, dass man sich ein Buch wie die Ilias oder die Komödie hernehmen und allein ein Leben mit der Lektüre dieses Buches zubringen könnte, weil darin alles enthalten sei. Das gilt natürlich insbesondere für die Lyrik Mallarmés.

In diesem kurzen Vorspiel zeigt sich die Romantik von ihrer stärksten Seite. Mallarmés hermetischer Symbolismus als auch Borges‘ „Unendlichkeitsprinzip“ tragen die aufgegangene Saat ins 20te Jahrhundert hinein, ausgehend davon nämlich, dass bereits Schlegel und Novalis einen Entwurf des Lesers einer romantischen, d.h. „unverständlichen“ Literatur durchaus auf Langsamkeit und Wiederholung anlegten. Freilich reagierte man hier mit einer Abgrenzung gegenüber der unüberschaubar gewordenen Buchproduktion mit der Forderung einer statarischen anstelle einer cursorischen Lektüre, in dem man diese zur Voraussetzung der erfolgreichen Entzifferung ihrer Texte erklärte. Bis zum heutigen Tage ist die im 18ten Jahrhundert beginnende Massenschwemme nicht zum Stillstand gekommen. Daher ist es keineswegs verwunderlich, dass diese Abgrenzung heute von einem zwar noch kleineren Kreis, dafür aber vehementer denn je – nicht wieder, sondern immer noch – ihr Recht einfordert.

Aber diese „Abgrenzung“, also der romantische Versuch, die Rationalisierungsschübe des ausgehenden 18ten Jahrhunderts – die Mechanik naturwissenschaftlicher Weltbilder sowie den analytischen Rationalismus der Philosophie – mit ganzheitlichen Vorstellungen zu überwinden, können vor diesem Hintergrund als Kompensationen verstanden werden. Trotz des bis heute nicht verklungenen Beharrens auf einem substantiellen Zusammenhang von Ich und Welt, Mikro- und Makrokosmos, Natur und Geschichte, darf man jedoch nicht vergessen, dass sich diese ästhetische Einheitsvision allenfalls mit der Kunst als Medium verwirklichen lässt. Man muss kaum erwähnen, dass, wenn diese „Einheit“ einer ästhetischen Differenz untersteht, dadurch bereits ein neuer Bruch auf den Fuß folgt – nämlich zwischen literarischer Differenz und erstrebter, aber immer nur momentan zu erreichender Identität.

Über 200 Jahre tobt bereits der Zweck gegen das Ganze. Der Grund, warum der Zweck so stark ist, liegt an seiner Massenorientierung und seiner völlig ausgereizten Effizienz. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob dabei alles in die Katastrophe steuert, weil die Lügen- und Manipulationsmaschinerie der Materialisten reibungslos funktioniert, die uns zu Land, Wasser und in der Luft – und mittlerweile auch im Äther „unterhaltsame Durchhalteparolen“ rund um die Uhr liefern.

Ohrendilemma

Es plagt mich seit einem halben Jahr in meinem rechten Ohr, was natürlich von den Anti-Lärm-Pfropfen stammt, die ich mir seit Jahren ins Ohr ramme. Anders ist in einer Welt voller Höllenlärm auch nicht zu schlafen.

Am Morgen hänge ich gar nicht so sehr in einem Traum, stelle ich immer wieder fest. Es ist sechsvierundvierzich und gut geschlafen habe ich heute eigentlich nicht. Mein Kopf scheint sich nicht abstellen zu lassen, außerdem habe ich einen Ohrwurm. Einen wirklichen Ohrwurm, also etwas, worüber man wahnsinnig werden könnte. White Rabbit. Scheiß Kaninchen also, von Jefferson Airplane. Ich mag das Lied ja, aber nicht immer wieder von vorne beginnend oder wenn ich schlafen will.

Ach ja … und die KI macht richtig Spaß. Zum Beispiel habe ich sie gebeten, eine Kurzbio über mich zu schreiben. Folgendes kam raus:

Michael Perkampus ist ein deutscher Schriftsteller, der vor allem für seine phantastischen und experimentellen Romane bekannt ist. Er wurde 1970 in Essen geboren und studierte Germanistik und Philosophie an der Universität Duisburg-Essen. Sein Debütroman „Die Schattenlinie“ erschien 2003 und wurde mit dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet. Seitdem hat er mehrere Bücher veröffentlicht, die sich mit Themen wie Traum, Zeit, Erinnerung und Identität beschäftigen. Er lebt und arbeitet in Köln.

„Die Schattenlinie“ kenne ich nur von Joseph Conrad. Der Witz ist ja gerade, dass zumindest die Themen richtig sind, über die ich sinniere.

Calvin (und Hobbes) – Ein Herz und eine Seele

Helden

Wieso allein durch die Welt gehen, wenn man sie sich mit einem guten Freund teilen kann? Diskutiert und philosophiert es sich zu zweit doch leichter. Das wird sich vielleicht Calvin, der Junge der ewig 6 Jahre alt bleibt, irgendwann einmal gedacht haben. Gemeinsam mit seinen beiden Eltern lebt er in einer kleinen Vorstadt in den USA. Calvin ist kein gewöhnliches Kind, er ist wahnsinnig phantasiebegabt, aufmüpfig, neugierig, und vor allem nicht auf den Mund gefallen. Sein bester Freund, Spiel- und Lebenskamerad ist Hobbes, ein (Stoff-)Tiger mit dem er „durch dick und dünn“ geht. Während für den Jungen kein Zweifel an der Lebendigkeit seines Freundes besteht, sehen alle anderen in ihm nur ein Stofftier (bis auf Rosalyn, seine Babysitterin, die ihn hin und wieder als echten Tiger wahrnimmt). Allein diese Tatsache verrät uns, dass Calvin im Gegensatz zu seinen Mitmenschen über ein völlig eigenes Wahrnehmungsspektrum verfügt. Bissig und nicht selten auch zynisch sind seine Verbalitäten. Während er vorlaut und am liebsten nicht selbst für seine Taten verantwortlich sein will (er glaubt an Vorherbestimmung), übernimmt Hobbes die reifere Rolle von beiden, wirkt teils weise und fungiert als die moralische Instanz. Zudem ist er stolz darauf ein Tiger zu sein, und nicht zur Spezies Mensch zu gehören. Calvin hingegen verfügt über mehrere Alter Egos, die bekanntesten sind wohl: der Raumfahrer „Spliff“, der Superheld „der Unfassbare“ (Stupendous Man) und der Privatdetektiv „Tracer Bullet“.

Die gewählten Namen der beiden sind selbstverständlich kein Zufall: Calvins Namenspatron ist hierbei Johannes Calvin und Hobbes‘ ist Thomas Hobbes. Und so ist, wie man bereits ahnen kann, das jeweilige Wesen der beiden zu einem nicht geringen Teil auch von den Lehren und Ansichten ihrer Namenspatrone eingefärbt.

Let’s go exploring!

Die beiden zeichnen sich zudem durch gewisse Eigentümlichkeiten aus, die in den Strips immer wieder aufgegriffen werden. So hasst es Calvin z.B., baden gehen zu müssen, und versucht durch diverse Tricks seiner Vorherbestimmung zu entfliehen. Des Weiteren interessiert er sich für prähistorische Tiere, wie Dinosaurier. Häufig wird er von Dingen attackiert, wie z.B. einem Mathebuch oder Spinat. Auffallend ist, es sind stets Dinge, die er nicht mag. Sobald Schnee liegt, baut Calvin am liebsten morbide und zynisch-kritische Schneemänner (häufig im Garten der Eltern), die aufgrund ihrer dramatisch-spektakelhaften Erscheinungen in der Nachbarschaft für Furore sorgen.

Calvin und Hobbes sind die Erfinder einer Zeitmaschine, eines Duplikators, sowie eines Zellumwandlers. Das Geniale hierbei ist, alle drei sind aus dem selben Pappkarton gebaut. Während Hobbes am liebsten Thunfisch-Sandwiches isst, liebt Calvin Zucker- und Schokoladenhaltiges. Die Kochkünste seiner Mutter schmäht er regelmäßig, rümpft die Nase oder schaut angewidert. Beide haben einen eigenen Club, der im Original „Get Rid Of Slimy girlS“ heißt (G.R.O.S.S.). Getagt wird im Baumhaus. Häufige waghalsige Fahrten mit dem Schlitten sind im Winter für beide keine Seltenheit, während der restlichen drei Jahreszeiten muss der Zugwagen „Radio Flyer“ herhalten. Besonders gern spielt Calvin das selbsterfundene Spiel Calvinball, bei dem die Spielregeln erst während des Spiels entworfen werden. Beide kabbeln sich immer wieder in verschiedenen Situationen.

Calvins größter Gegner ist seine Lehrerin Fräulein Wurmholz (witzigerweise benannt nach Wormwood, dem Unterteufel aus C. S. Lewis‘ Buch „Dienstanweisung für einen Unterteufel“). Und obwohl er dem Nachbarsmädchen Susi Derkins häufig Streiche spielt, vermutet Watterson, dass Calvin insgeheim in sie verliebt ist. Sein Vater, ein Patentanwalt, erklärt ihm des Öfteren die Welt aus wissenschaftlicher Sicht, allerdings recht falsch. Er liebt das Fischen, Fahrradfahren, und Zelten. Alles Dinge, bei denen sich Calvin in höchstem Maße langweilt.

Kein Ausverkauf von Calvin und Hobbes

Bill Watterson heißt der geniale und zurückgezogen lebende Erfinder dieser beiden Figuren, der sich stets geweigert hat, seine Figuren vermarkten zu lassen. Selbst Steven Spielberg hat eine Absage von ihm erhalten. Peanuts-Fan Watterson ist ein Idealist und großartiger Denker, der seine Figuren somit „retten“ wollte. Geld und Ruhm bedeuten ihm wenig bis nichts. Der erste Strip wurde am 18. November 1985 veröffentlicht, der letzte am 31. Dezember 1995. Sie wurden in diversen Zeitungen gedruckt (grob überschlagen handelt es sich um mehr als 2400). Mittlerweile wurden weit über 45 Mio. Bücher von ihnen verkauft. Seit 2013 gibt es im Carlsen Verlag sogar eine herrliche Gesamtausgabe von Calvin und Hobbes. Am 12. August 2017 änderte der Browserhersteller Mozilla das bekannte Firefox-Icon, statt dem Fuchs umschmiegte nun Hobbes die Weltkugel.

Calvin und Hobbes sind ein Fingerzeig auf die Welt der Erwachsenen. Besonders verantwortlich ist hierfür das unverblümte Mundwerk des phantasiebegabten Eskapisten Calvin, mit dem auch Hobbes immer wieder überstimmt wird. Kein Erstklässler ist derart zynisch und von solch einem schnellen messerscharfen Verstand. Kein Blatt wird von ihm vor den Mund genommen, selbst dann nicht, wenn er Gefahr läuft, andere damit vor den Kopf zu stoßen. Calvin setzt sich durch, in allen Belangen, er hat die Welt der der Kindheit Entwachsenen durchschaut, er entzieht sich ihr, kehrt ihr den Rücken, wo er nur kann, um sich in seine vor Abenteuer wimmelnden Welten zu stürzen. Absolut liebenswert haben es Calvin und sein Tiger Hobbes geschafft, die Welt zu erobern. Nicht umsonst ranken sie in den Listen der weltbesten Comics ganz weit oben. Wer sich in diese beiden nicht verliebt, dem ist nicht mehr zu helfen.

Tiefe Schatten und lichter Schrecken: Auftakt zu „Echos aus dem Hades“

Gavin Kol

Die Frage, ob ich den Horror gefunden habe oder ob der Horror mich gefunden hat, ist eine sehr langlebige, und trotz vieler Überlegungen bin ich einer endgültigen Antwort nicht näher gekommen. Vielleicht gibt es keine. So oder so hat sich der Horror zweifellos schon früh und mit unauslöschlicher Macht in meine Welt eingeschlichen.

Mein Name ist Richard Gavin. Ich bin ein kanadischer Autor von Horrorgeschichten mit übersinnlichem Gehalt, und obwohl dies seit fast zwei Jahrzehnten meine Berufung ist, reicht meine Beziehung zum Horror noch weiter zurück, bis in meine prägenden Jahre. Ich hielt es für das Beste, diese ersten Ausgabe von “Echos aus dem Hades” erst einmal als eine Art Einführung vor diesem Hintergrund und einen Ausblick auf solche Themen zu verwenden.

Eine meiner ersten Erinnerungen an Filme ist Tod Brownings Version von Dracula aus dem Jahre 1931. Ich habe ihn damals im Nachmittagsfernsehen gesehen. Der Film hat mich unmittelbar und stark beeinflusst. Monster und das Makabre wurden schnell zu einer Konstante in meinem Leben. Und im Gegensatz zu so vielen Leidenschaften, die in der Kindheit zum Vorschein kommen, verlor der Horror für mich nie seinen Glanz.

Ich glaube nicht, dass ich unehrlich bin, wenn ich sage, dass mein junger Geist, wenn auch nur vage, intuitiv erkannt hat, dass das Grauen etwas Großartiges, etwas Wichtiges an sich hat. Das ganze Feld fühlte sich wie ein Eisberg an: Seine wahre Bedeutung befand sich unter der Oberfläche, brodelte irgendwo unter einer Latexverkleidung und einer gotischen Prosa.

Heute ist der Horror für mich immer noch so wichtig, dass ich das Wort immer mit einer Initiale schreibe, um es von den alltäglichen Empfindungen des Ekels und der Art und Weise des Boulevardjournalismus zu unterscheiden, in der das Gefühl des Grauens mit menschlicher Gräueltat gleichgesetzt wird. Denn während diese Tragödien der realen Welt eindeutig emotionalen Gehalt haben, lehne ich die Vorstellung ab, dass ein Interesse oder sogar eine Besessenheit für den Horror gleichbedeutend ist mit einer sabbernden Faszination für die unzähligen Grausamkeiten, die Menschen einander, Tieren oder dem Planeten selbst antun. Ich betrachte solche Dinge als Travestie und habe den Begriff des Horrors, ob zu Recht oder nicht, aus jeder Verbindung mit ihnen entfernt. Ich entscheide mich stattdessen dafür, den Begriff des Horrors sowohl als erhöhte emotionale Reaktion als auch als die Reize zu unterscheiden, die ihn hervorrufen; Reize, die künstlerisch, rituell, paranormal, philosophisch oder eine Kombination davon sein können.

Als ich mich durch die Adoleszenz bewegte, vertiefte sich mein Interesse am Horror nicht nur, sondern wurde noch vielfältiger. Ich begann, über die etwas engen Grenzen des Horror-als-Unterhaltung-Genres hinauszugehen und an den Rändern zu suchen, wo sich diese Kunstform mit Mythos, Religion und Philosophie überschneidet. Tatsächlich war ein Großteil meines Erwachsenenlebens zu gleichen Teilen mit dem Schreiben von originellen Horrorgeschichten und der Erforschung zeitloser Motive verbunden, die sich durch viele der beeindruckendsten und beständigsten Werke des Genres ziehen.

Die Entdeckung H. P. Lovecrafts war ein Wendepunkt für mich (was vermutlich auch auf viele andere Leser zutrifft). Im Gegensatz zu einigen der treuen Leser Lovecrafts begegnete ich seiner Fiktion jedoch nicht im “richtigen Alter”, nämlich von der späten Kindheit bis zur frühen Jugend. Obwohl ich viele der übernatürlichen Klassiker gelesen hatte, als ich in die High School kam, begegnete ich HPL irgendwie erst mit siebzehn Jahren, als ich zufällig auf eine Del Rey-Taschenbuchausgabe von “The Tomb and Other Tales” mit der auffälligen Michael Whelan-Cover-Illustration stieß.

Heute frage ich mich, ob meine, ähm … “Reife” mich vielleicht gegen den jugendlichen Fallstrick immunisiert hat, Lovecraft nur wegen seiner Monster zu bewundern oder wegen seiner scheinbar endlosen Faszination für alles, was grau und degeneriert ist. Denn was mich an der Arbeit des Mannes reizte, war der überirdische Schwung, der seine schönsten Erzählungen färbte.

Obwohl ich schon immer ein Interesse an dem hatte, was man als “Okkultismus” bezeichnen könnte, war es Lovecraft, der mir als wahres Portal diente und mein Interesse an den anspruchsvolleren Werken des Kosmismus, der Philosophie (sowohl der östlichen als auch der westlichen), der Anthropologie und der Magie weckte. Mein Studium in diesen Bereichen hat mein Verständnis und mein allgemeines Interesse am Horror verfeinert, was mich zur Existenzberechtigung dieser Kolumne bringt:

Meiner bescheidenen Meinung nach sind einige der Erklärungen über das Warum und Weshalb des Horrors unbefriedigend. Zum Beispiel ist die oft beschworene Analogie, dass der Horror einer Achterbahnfahrt gleicht, eine der oberflächlichsten und unzugänglichsten Erklärungen der ganzen Populärkultur. Sie suggeriert, dass ein flüchtiger viszeraler Nervenkitzel die primäre Tugend des Genres ist, dass seine Wirkung nur so lange dauert wie die Betrachtung oder Lesung. Ich vermute, dass die Wurzeln dessen, was wir Horror nennen – sowohl die Emotion als auch die Kraft, die sie hervorbringt – viel tiefer liegen. Tatsächlich gehe ich davon aus, dass sie eine Ligatur bilden, die uns mit der ursprünglichen Ebenen des Seins verbindet.

Der Horror ist das Drama des Abgrunds, das Kino der Wahrheit des Unterbewusstseins. Es ist der zum Ausdruck gebrachte Alptraum, der aus dem brodelnden Sumpf der unlogischen Handlung und der Tabuform herausgerissen und mit Leben erfüllt wird. Es ist das Genre, dessen Wesen unsere vorgefassten Wirklichkeitskonstruktionen erschüttert.

Aus diesem Grund erscheint es bestenfalls unangemessen, den Horror einfach als “Unterhaltung” zu bezeichnen. Das soll natürlich nicht heißen, dass Horror nicht auch Spaß machen kann. Er ist oft ungemein unterhaltsam. (Ich habe die Freude über Lucio Fulcis Über dem Jenseits oder Dan O’Bannons Verdammt, die Zombies kommen noch nicht abgelegt). Allerdings scheint mir, dass die starke Kraft der Motive dieses Genres in eine andere Klasse einzuordnen sind als die Medien, die sich darauf ausgerichtet haben, eine gewisse geistlose Ablenkung von den Gepflogenheiten der Welt zu bieten. Darüber hinaus steigert das Nachdenken über den Horror oft die Freude an der Erfahrung, anstatt sie mit akademischen Wortgefechten trocken zu legen.

Wenn überhaupt, dann wirft der Horror, selbst in seiner lächerlichsten Form, ein grelles Schlaglicht auf den menschlichen Zustand.

Der Bezug dieser Kolumne auf den Hades ist aus verschiedenen Gründen bedeutsam. Hades war natürlich der griechische Gott der Unterwelt und auch der Name der Unterwelt selbst. Aber die griechische Unterwelt mit dem christlichen Konzept der Hölle gleichzusetzen, wäre falsch. Für die Griechen war die Unterwelt kein Ort der höllischen Qualen, sondern ein Reich von außerweltlichen Bildern und tiefen Schatten. Sie war die Domäne der Toten, deren fleischlose Schatten sich schnell und seltsam bewegten.

Wer sich mit einer mythischen Theorie nicht wohlfühlt, braucht sich nicht zu winden: Die Jungsche Psychologie trifft auf meine Belange ebenso gut zu. Denn wie C. G. Jung selbst in Psychologie & Alchemie schrieb:

“Die Furcht und der Widerstand, den jeder normale Mensch erfährt, wenn er zu tief in sich selbst eindringt, ist im Grunde die Angst vor der Reise in den Hades.”

In den kommenden Monaten hoffe ich, dass wir in dieser Kolumne gemeinsam diesen Abstieg schaffen können, indem wir die dunklen Echos beachten, die aus den tiefsten Winkeln unseres Selbst aufsteigen, aus jener chaotischen Sphäre, die gegen den ruhigen Rhythmus des materiellen Fortschritts und der Höflichkeit anbrandet.

Ich freue mich darauf, die Reise mit Ihnen zu unternehmen.

Warum ich ein Phantast geworden

Vielleicht ist es das Dilemma der Geburt, das die Perspektive ein für alle Mal verändert, nachdem wir vorher nichts als Wärme kennengelernt haben, die sich um unseren Körper schmiegt, den wir noch gar nicht kennen und zu diesem Zeitpunkt auch nicht kennen wollen. Uns genügt das mütterliche Meer, in dem wir endlos träumen, bis eines Tages die Vertreibung eingeleitet wird. Das erklärt uns später die Sage von Eden, aber kein Apfel war daran schuld – Erkenntins ist doch eher ein hartes Brot. Das aber nehmen wir mit: dass etwas anders war. Vordem. Natürlich ist das vormundane Träumen eines, das die Konflikte des Ereignisses nicht kennt, denn es bedingt den Verlust, um überhaupt etwas suchen zu wollen. Dabei kann es sich nur um die Gänze des Universums handeln und um den Tod, in dem wir schlummernd lagen. Denn als wir noch nicht geboren waren, was wussten wir da vom Leben? Von des Lebens Entropie? Vom grundsätzlichen Vergehen des Seins? Vom Werden und genommen werden? Als ich noch zu jung war, um meine Seele strikt in meinem Körper zu halten, da schwebte ich über dem Dorf, in dem alle schlafend lagen und erfuhr die Grenze, die ich nicht überschreiten durfte durch ein Gefühl, das sich meiner bemächtigte, wenn ich den Waldrand im Nordosten erreichte. In diesem Stadium fragte ich mich nicht, was dahinter liegen könnte, denn obwohl sich alles genauso ausnahm wie ich es auch tagsüber kannte – abgesehen davon, dass ich es von oben betrachtete – wusste ich, dass es nicht der Weg in meine Geburtsstadt Selb sein konnte, der sich unter mir durch den Forst schlängelte und üppige Steinformationen links und rechts liegen ließ.

Erfahrungen wie diese ließen mich in späteren Jahren die Literatur durchforsten, um ähnliche Phänomene aus einer gewissen Sicherheit heraus und den Umgang damit zu erfahren. Denn vielleicht wäre ein anderer ja schon dort gewesen. Ich glaube, das ist der Scheideweg zwischen der Blindheit, die in jeglicher Religion lauert, und der gedanklichen Freiheit, die in der spekulativen Literatur zu finden ist. Die Philosophie ist der Mittler zwischen beidem. Anders aber als in sachbezogenen Texten weist die Fiktion ein Element auf, das für mich den wirklichen Kern einer Tatsache herausbildet: das Entstehen von Welten ist nur durch das Erzählen möglich. Wovon nicht zu sprechen ist, davon haben wir keine Vorstellung. Wo unsere Sprache endet, dort endet unser Horizont.

Die Imago, die Erinnerung, das Phantasma – sind für den Menschen nicht nur nicht minder wirklich als die ‚wirklichen Verhältnisse‘, sie sind zugleich beweglicher, transportabler, schneller und können ihn deshalb in der Zeit vor und zurück versetzen.
Phantasie und Gedächtnis sind Vision und Erinnerung. Diese können die Wirklichkeit ersetzen.

Erst im Angesicht des Phantastischen, wenn die Vernunft ihre Kontrollmacht verliert, vermag sich die tiefste Empfindung des Seins zu äußern, eine Empfindung, die im Rahmen der ‚wirklichen Welt‘ nicht hervortreten kann und die keinen anderen Ausweg findet, als dem ewigen Reiz der Symbole und der Mythen zu erliegen.

Kaffee bei Birnstiels

Kaffee

Kaffee gibt es in den unterschiedlichsten Höhenlagen, deshalb natürlich auch in Kempten. Wer es gerne hat, dass sein Kaffee nach alten Zeitungsrollen und Druckerschwärze schmeckt, der beehre den Herrn Birnstiel, seines Zeichens freilich kein Kaffeeausschenker wienerischer Couleur, sondern hoheitlicher Marketender für Druckartikel aller Art – und einer der letzten einer aussterbenden Zunft. Heute empfing er den Meister ganz im Blüschen, mit Schlips und ordentlicher Bommelei, festlich und fesch, gekämmt und adrett. Ein stattlicher Zeitungswaren-Vorzeiger (der sich auch mit Tabak, Haschischpfeifen und – nur so zum Spaß – einem Kaffeeautomaten brüsten kann. Man kann sich hier im Laden schlicht über alles unterhalten : Knötchen in der Brust, wo bekommt man ein bezahlbares Hirschgeweih, war die Fußpflegerin heute wieder schick?; bei Presse Birnstiel tobt der Figaro-Gedanke wie sonst nirgends mehr. Hätte Kempten eine Mutter, dann hieße sie Herr Birnstiel. Weiland kaufe ich meine wie auch immer gearteten Heftchen dort, die dann, Opfer jeder Sammlung, irgendwo im Keller lagern. Aber nicht diesmal. Diesmal bin ich auf der richtigen Spur, die da lautet : Hochphilosophie. Im Zeitungsschlabberladen? Oh ja, denn ich habe es auf die Buchrücken der LTBs abgesehen, Kater Karlo als intergalaktischer Schurke. Ist das nicht very well by the way? Tröstet euch : auch wenn der Kaffee für umme war, er schmeckte nicht besser als ein angebohrtes Leitungsloch und ich habe ihn dennoch getrunken. Wird das Auswirkungen auf meine Gesundheit haben? Ich glaube nicht, denn selbst die schlimmste Kloake verwandelt sich in Kempten in ein übersinnliches Tröpfchen aus dem Acheron.

Ich selbst wollte eigentlich nie schreiben

Alle Schleusen werden sich eines Tages dem uralten Hass, auf dem früher die Monarchien gegründet waren, wieder öffnen: zwischen Herr und Knecht. Arm und Reich, denn nur die Begriffe Bürger und Aristokrat sind vertauscht, das System hat sich nur andere Namen gesucht.


Ich selbst wollte eigentlich nie schreiben, aber mir fiel nicht ein, was ich sonst mit meinem Leben anfangen sollte. Einfach nur dazusitzen und Platten zu hören, schien mir über die vielen Jahrzehnte hinweg dann doch zu wenig zu sein. Es ist, als befände ich mich ständig im Stadium der Vorbereitung auf etwas, das dann unmöglich zu vollenden ist. Dabei habe ich es mit den Höhen der Philosophie, der Anthropologie und der Religionswissenschaft versucht, und auch mit den Tälern des Sports und der Groschen, nur um zu erkennen, dass es keinen Unterschied macht. Was das Leben ist, bleibt bei aller Anstrengung unklar, und das ist arg genug. Es ist also kein Wunder, dass alles auf den Witz hinausläuft, und wenn man ihn langanhaltend will, nennt man ihn grundsätzlich Humor. Sobald man morgens aufsteht, wird alles lächerlich. Man muss nur darum wissen.


Um 10:28 ging’s heute wieder mit dem Bus gen Zahnmanufaktur, aber nur, um den Termin auf nächste Woche zu verschieben. Mein Maul muss vermessen werden, die Flure und Auen meiner Fresse.