Archiv der Kategorie: Television

Obwohl es hier hauptsächlich um Bücher geht (aber auch manchmal um Hörspiele, Hörbücher und Comics), kann nicht verleugnet werden, dass auch manche Filme gar nicht so schlecht sind. Deshalb besprechen wir manche von ihnen ebenfalls hier.

Very British: Endeavor

Colin Dexters Inspector Morse ist in Großbritannien zu einem Phänomen geworden. Die Originalserie ist aus unerfindlichen Gründen bis heute nicht synchronisiert worden (das Prequel und das Sequel aber schon), und zog – wie das immer so ist – die bereits sehr guten Buchverkäufe weltweit noch einmal kräftig nach oben (außer natürlich in Deutschland), so dass Morse zeitweilig sogar zu einer echten Gefahr für das Heiligtum Sherlock Holmes wurde.

Es gelingt Filme- und Serienmachern selten, aus einer guten Buchreihe auch eine gute Adaption hervorgehen zu lassen. Die beiden Medien sind einfach zu unterschiedlich, und so kommt es, dass viele enthusiastische Leser die Glotze unter der Vogeldecke stehen lassen, was im Übrigen sehr vernünftig ist, und es bei den Büchern belassen. Ab und zu aber – und die Briten sind geradezu Spezialisten dafür, ihre Monolithen perfekt in Szene zu setzen – gelingt das scheinbar Unmögliche, und Text und Bild bewegen sich auf gleicher Höhe.

Als das Morse-Prequel Endeavor (dt. Der junge Inspector Morse) angekündigt wurde, waren viele Kenner voller Zweifel, weil man sich nicht anders als einig darüber sein kann, dass in der Hauptserie John Thaw Morse nicht nur spielte, sondern Morse war. Er war es, der der Figur Leben einhauchte, und zwar so sehr, dass Colin Dexter in seinem Testament verfügte, dass kein anderer Schauspieler Morse im mittleren und hohen Alter spielen darf.

Sieben Staffeln der Kultserie sind abgedreht, aber es wird noch eine weitere geben, bevor zwangsläufig Schluss gemacht werden muss, bevor dann folgerichtig die Hauptserie beginnt. Für viele Leser gibt es, was heutige Serien betrifft, selten ein derartiges Gewese zu machen (und für das Netflix-Lastige Allgemeinpublikum ohnehin nicht, aber wenn – wie oben erwähnt – das seltene Kunststück gelingt, die Bücher nicht vom Bildschirm trennen zu können und das vorhandene “Universum” perfekt erweitert zu finden, dann darf man endlich einmal zurecht von einem Meisterwerk sprechen. Ein Begriff, der viel kursiert und so gut wie nie zutrifft.

Ein großer Teil dieses Verdienstes liegt bei Shaun Evans, der eine bravouröse Leistung abliefert. Er hat nicht versucht, John Thaw zu imitieren (Shaun hat erklärt, dass er die Original-Morse-Serie nie gesehen hat), was sich im Nachhinein als einzig richtiger Weg erwiesen hat. Dennoch gab es durchaus leichte Kritik dafür, denn viele Fans hätten sich zumindest gewünscht, einige typische Morse-Eigenschaften auch bei Evans zu sehen. In Deutschland kennen viele, die ihre Serien nicht mit Originalton schauen, dieses Problemchen nicht, und ob es Leser der Bücher gibt, die sich darum scheren, wage ich ebenfalls zu bezweifeln.

Aber nicht nur Shaun Evans gebührt das Lob, die Serie zu einem fulminanten Erfolg gemacht zu haben. Die Entscheidung nämlich, Roger Allam als Fred Thursday zu besetzen, kann gar nicht hoch genug gehängt werden. Besonders interessant ist an diesem Aspekt, dass Russell Lewis, Autor und Schöpfer der Serie, hier eine Figur entwickelt hat, die es im Morse-Universum bis dahin nicht gab.

Alle Morse-Fans wissen, dass Morses Mentor Desmond McNutt hieß, aber keiner weiß, warum Lewis ihn bisher außen vor gelassen hat. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass es nicht zu viel Referenzen geben sollte, um eine weniger gebundene Geschichte erzählen zu können. McNutt hätte diese Freiheit möglicherweise etwas eingeschränkt und “Endeavor” bereits in vorhandene Bahnen gelenkt. Außerdem gibt es natürlich viele Anspielungen auf das Original. Für Fans sind das die sogenannten “Ostereier”; wer die Originalserie nicht kennt, wird um den Genuss jedoch nicht betrogen. Sie sind geschickt eingebaut und kein integraler Bestandteil der Handlung.

Der Look und das Tempo der Serie ist schlicht herausragend. Das Sepia in weiten Teilen der Serie lässt die 1960er Jahre lebendig erscheinen, und der Kostüm- und Requisitenabteilung sollte man ebenfalls einen Orden verleihen.

Wir alle kennen Prequels, Sequels und Reboots, die den guten Namen einer Originalserie beschmutzt haben, aber Endeavor kam glücklicherweise nie auch nur in die Nähe, die John Thaw-Serie abzuwerten oder zu entehren.

14 ästhetisch herausragende Horrorfilme

Die Kameratechnik ist eines der wichtigsten Elemente eines Horrorfilms. Mit ihren wegweisenden technischen Innovationen, surrealen Bildern und der Kraft der Subjektivität veränderten diese 14 Meisterwerke den Lauf der Filmgestaltung – und das Horrorgenre für immer. Warum diese Filme einen ästhetischen Mehrwert bieten, ist nicht Teil dieses Artikels, für Ästheten aber nicht schwer zu verstehen.

1. Der Fuhrmann des Todes (Victor Sjöström, 1921)

Dieser schwedische Film hat alle nachfolgenden Regisseure stark beeinflusst – vor allem Ingmar Bergman, dessen Film Das siebte Siegel eine direkte Hommage an Der Fuhrmann des Todes darstellt, und Stanley Kubricks Shining, der zahlreiche thematische und visuelle Ähnlichkeiten (wie z.B. die berühmte Axt-Szene) aufweist. Um die Geschichte eines geisterhaften Kutschers zu erzählen, der nach Mitternacht die Seelen der Toten stiehlt, verwendeten Regisseur Victor Sjöström und DP Julius Jaenzon Doppelbelichtungen, damals ein hochinnovativer Spezialeffekt. Diese Doppelbelichtungen wurden bis zu viermal übereinander gelegt, was die Illusion erweckt, dass Geister durch die aufwändigen Sets des Films wandern. Jeder “Geist” wurde mit einem Filter unterschiedlich beleuchtet. Jaenzon folgte ihnen mit einer Handkamera, die in der Lage war, außergewöhnlich tief zu fokussieren – höchst ungewöhnlich für diese Zeit.

Der Film zeigt auch komplexe narrative Strukturelemente, wie Meta-Flashbacks (oder Rückblenden innerhalb von Rückblenden), die vom linearen Erzählen abweichen, und damit Vergangenheit und Gegenwart zu einer ätherischen Realität verschmelzen.

2. Das Kabinett des Dr. Caligari (Robert Wiene, 1920)

©Deutsches Institut für Filmkunde DIF

Das Kabinett von Dr. Caligari gilt als das Kernwerk des deutschen Expressionismus und ist die Geschichte eines gestörten Hypnotiseurs, der einen Schlafwandler dazu benutzt, Morde zu begehen. Der Kameramann Willy Hameister setzte mit schnörkellosen Kamerafahrten die aufwändigen, handgemalten Bühnenbilder des Films mit verdrehten Stadtlandschaften, spiralförmigen Straßen und alptraumhaften Formen in Szene. Die Sets wurden in verzerrten Perspektiven gestaltet – sie haben keinen einzigen rechten Winkel -, um eine desorientierte und verwirrende Welt zu schaffen. Vollständig in einem kleinen Studio aufgenommen, war jedes Bühnenbild auf 20 Meter in Breite und Tiefe begrenzt.

Neben der phantastischen Nutzung des Bühnenbildes hat Robert Wienes Film eine große historische Bedeutung; Dr. Caligari repräsentiert das brutale deutsche Kriegsregime, während der Schlafwandler für den einfachen Mann eintritt, der sich vor einer mörderischen Autorität zu hüten versucht.

3. Nosferatu (F. W. Murnau, 1922)

Nosferatu ist nicht nur ein bahnbrechender Horrorfilm, sondern auch einer der einflussreichsten Filme der Stummfilmzeit – und einer der ersten großen Rechtsfälle geistigen Eigentums. Da der Film auf Bram Stokers Dracula-Roman basiert (obwohl sich Charakternamen, Einstellung und Plotdetails geändert hatten), reichten Stokers Nachlassverwalter Klage wegen Urheberrechtsverletzung ein. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass Nosferatu tatsächlich ein abgeleitetes Werk sei und ordnete an, alle Kopien des Films zu vernichten, aber die Kopien waren bereits weltweit verbreitet worden; Nosferatu wurde anschließend durch eine massive Anhängergerschaft wiederbelebt.

©Transit-Film GmbH

Im Gegensatz zu den expressionistischen Techniken, die im Kabinett des Dr. Caligari durch Studiobeleuchtung und aufwändige Bühnenbilder angewandt wurden, drehte man Nosferatu fast ausschließlich vor Ort; die natürliche Umgebung des Schlosses, der Landschaften und der Stadt wurde mit verfremdeter Beleuchtung kontrastiert. Der Kameramann Fritz Arno Wagner führte einige neue Kameratricks wie die innere Montage ein – einige Aufnahmen wurden im Negativ-Modus entwickelt, während andere Szenen unterbelichtet wurden, und wieder andere nutzten die Stop-Motion-Fotografie, wie in der berühmtesten Aufnahme des Films, in der Graf Orlock aus einem Sarg springt.

“Nosferatu von F.W. Murnau zu sehen”, schrieb der Filmkritiker Roger Ebert 1997, “bedeutet, den Vampirfilm zu sehen, bevor er sich seiner selbst überhaupt bewusst wurde …. der Film zeigt die Ehrfurcht vor seinem Material. Er scheint wirklich an Vampire zu glauben.”

4. Vampyr (Carl Theodor Dreyer, 1932)

©Star Film GmbH

Mit viel Dunst und wallendem Nebel geschmückt, hinterlässt Carl Theodor Dreyers hypnotischer Film Vampyr ein überwältigendes Gefühl der Beklemmung. Der verwaschene Weichzeichner von Rudolph Matés Kamera unterstreicht die eindrucksvollen Bilder, die alle im Morgengrauen aufgenommen wurden. Aber die größte ästhetische Leistung in diesem Film geschah durch Zufall. Zu Beginn der Produktion, als Dreyer zum ersten Mal die Einstellungen einer Szene sichtete, bemerkte er einen grauen Glanz bei einer der Aufnahmen. Bei weiteren Untersuchungen stellten er und Maté fest, dass ein falsches Licht auf das Objektiv projiziert worden war. Sie mochten den Look so sehr, dass sie dieses Licht bewusst nachahmten, indem sie einen Scheinwerfer so einstellten, dass er gemeinsam mit einem Schwarzlicht auf die Linse einwirkte.

5. Psycho (Alfred Hitchcock, 1960)

©Paramount Pictures

Hitchcocks berühmte Duschszene war so kompliziert zu drehen, dass 78 Kameraeinstellungen und sieben Tage für die Ausführung erforderlich waren. Das Badezimmer wurde aus zusammenklappbaren Wänden gebaut, um die nutzbaren Kamerawinkel zu maximieren; im letzten Schnitt erzeugen 90 Schnitte in Sekundenbruchteilen aus verschiedenen Winkeln den nervtötenden Effekt in dieser Szene. Der Kameramann John L. Russell verwendete einen schnellen Rückwärtslauf, um den Eindruck zu erwecken, dass das Messer in Lilas Bauch drang. Er nutzte im gesamten Film auch eine Vielzahl von subjektiven Nahaufnahmen, wie z.B. Lilas Hand, die eine Tür öffnet, um das Gefühl unmittelbarer Gefahr zu verstärken.

6. Kwaidan (Masaki Kobayashi, 1964)

©Columbus

Kwaidan, was übersetzt “Geistergeschichten” bedeutet, ist ein Kompendium von vier klassischen japanischen Geistergeschichten, die mehr wie ein Fiebertraum wirken als wie ein Horrorfilm. Regisseur Masaki Kobayashi und Kameramann Yoshio Miyajima verpassten jeder Geschichte ein eigenes handgemaltes und aufwändig gestaltetes Bühnenbild, um die wechselnde Stimmung und den narrativen Bogen jeder Aufnahme widerzuspiegeln. In einem Flugzeughangar gebaut (der einzige Raum, der groß genug war, um alles unterzubringen), sind die Bühnenbilder selbst Werke der expressionistischen Kunst. Kobayashis Akribie zeigt sich in jedem Detail. In Verbindung mit Miyajimas kreativen Beleuchtungstechniken (wie z.B. Hintergrundbeleuchtungen aller Farben) erscheint der Film wie eine unheimliche alternative Realität.

7. Ekel (Roman Polanski, 1965)

©Alive Vertrieb und Marketing

Roman Polanskis Horror-Meisterwerk wurde mit einem Budget von 300.000 Dollar gedreht. Begeistert von der Aussicht, die Ästhetik von seinem Erstling Das Messer im Wasser verbessern zu können, von dem er der Meinung war, dass er “absolut schrecklich aussah …. wischi-waschi, ohne echte Schwarzfärbung”, lehnte der Kameramann Gilbert Taylor sogar einen Bond-Film ab, um Polanskis Zweitfilm zu drehen.

Ekel ist in der Tat durch extrem kontrastreiches Schwarz-Weiß gekennzeichnet. Der Film nimmt zunehmend die Perspektive seiner gestörten Protagonistin ein; als sie einen massiven psychotischen Einbruch erleidet, wechselt Taylor die Kamera. Er drehte den Großteil des Films mit einer tragbaren Arriflex mit einer sehr weiten Linse und: “einer winzigen Tabakdose auf der Vorderseite, die mit einer kleinen Glühbirne ausgestattet war, um ein wenig Leuchtkraft hinzuzufügen – gerade genug, um Catherine Deneuves Haut im Schatten zu sehen, bevor ich alles in einer Nahaufnahme auflöste”. Polanski erinnert sich, dass Taylor hauptsächlich reflektiertes Licht verwendete, das von der Decke oder den Wänden abprallte, ohne einen Lichtmesser in Anspruch zu nehmen.

8. Blutgericht in Texas (Tobe Hooper, 1974)

©Drop-Out Cinema eG

Eine weitere bemerkenswerte Low-Budget-Sensation. The Texas Chain Saw Massacre wurde mit 300.000 Dollar und größtenteils unbekannten Schauspielern aus dem Großraum von Texas gedreht, wo er auch spielt. Der Kameramann Daniel Pearl verwendete dabei einen feinkörnigen Film, der viermal mehr Licht benötigte als moderne Digitalkameras, und drehte mit niedriger Geschwindigkeit. Die letzte Aufnahme des Films, in der Leatherface seine Motorsäge im ersten Morgenlicht mit urwüchsiger Wut schwingt, ist zu einer der ikonischsten Momente der Kinogeschichte geworden.

9. Shining (Stanley Kubrick, 1980)

©Warner Bros.

John Alcotts Kamera betont Isolation und Paranoia durch beunruhigend kalte, symmetrische Bilder. Das ist durchweg atemberaubend, aber in die Geschichte der Kameratechnik ging der Film augrund des innovativen Einsatzes von Garrett Browns Steadicam ein, für den Kubrick Brown selbst engagiert hatte. Brown fuhr in einem Rollstuhl, um Dannys Blickwinkel einzufangen, als der auf einem Dreirad durch die Hallen des Overlook Hotels fuhr, und verfeinerte seine Einstellungen durch permanente Wiederholung. Die Technik wurde vor allem für die Szene im Heckenlabyrinth verwendet, für die er eine Vielzahl von Spezialhalterungen baute.

10. Suspiria (Dario Argento, 1977)

©Gloria

Dario Argentos surrealer Giallo-Film, der vor allem für seine Verwendung von satten Farben mit psychedelischem Effekt bekannt ist, spielt sich wie ein gewalttätiger Neonalptraum ab. “Ein[Horror-]Film bringt einige unserer Urängste ans Tageslicht, die wir tief in uns verbergen”, sagte der Kameramann Luciano Tovoli, “und Suspiria hätte nicht die gleiche kathartische Funktion gehabt, wenn ich die Fülle und tröstende Süße des Vollfarbenspektrums genutzt hätte.” (Er hatte jede Grundfarbe mit Gelb “verunreinigt”.)

Argento bat Tovoli mit einem veralteten IB-Bestand von Kodak mit einer hohen Gelschicht bei 30/40 ASA zu filmen. Um die Schauspieler zu beleuchten, benutzte Tovoli eine große Bogenleuchte und platzierte Gestelle mit Tissue- und Velourspapier sehr nah an den Gesichtern der Schauspieler. Um die aufwändigen Sets und Orte zu beleuchten, reflektierte er Licht durch einen Spiegel. Das machte die Bilder schärfer, als wenn sie direkt beleuchtet würden.

Nachdem der Film fertig gedreht war, gab Argento den Negativabzug an Technicolor weiter, die das Farbnegativ dann in drei getrennte Schwarzweißfarben aufteilten: eines für Rot, eines für Blau und eines für Grün. Die Entwicklung einer Farbe auf einer anderen gab dem Film einen schimmernden Look mit lebendiger Farbdefinition, der den Druck auf Emulsionsbasis bei weitem übertraf.

11. Halloween (John Carpenter, 1978)

©Warner-Columbia

Um eine der gruseligsten Eröffnungsszenen aller Zeiten zu schaffen, nutzten John Carpenter und der Kameramann Dean Cundey die Chance auf die zu dieser Zeit neueste Technologie: die Steadicam. Die Vorrichtung, die dann Panaglide genannt wurde, ermöglichte es, die Kamera an den Kameramann zu montieren, um weitreichende und ununterbrochene Aufnahmen zu gewährleisten. Die Eröffnungsszene, die von drei Seiten als eine einzige flüssige Aufnahme gefilmt wurde, musste aufgrund des Budgetmangels an einem Drehtag fertig werden.

“Wir hätten es ohne die Steadicam nicht geschafft”, sagte Cundey. “Es gab kein anderes Gerät, das in der Lage gewesen wäre, damit über die Straße zu gehen, ins Haus zu schauen, die Küche zu betreten, die Treppe hoch, in ein Schlafzimmer und wieder runter.”

Die markante POV-Aufnahme aus der Halloween-Maske des Killers heraus wurde in der Postproduktion optisch ergänzt. Der eingeschränkte Blick schafft die unerträgliche Spannung dieser Szene.

12. Blair Witch Project (Daniel Myrick und Eduardo Sánchez, 1999)

©Arthaus

Obwohl Nackt und zerfleischt technisch gesehen der erste Film war, der die Found Footage-Technik einsetzte, baute das Blair Witch Projekt diese Grundlage in einem erschreckenden Ausmaß aus. Der Co-Regisseur und Kameramann Neal Fredericks, der im Alter von 35 Jahren bei einem Flugzeugabsturz tragisch ums Leben kam, entschied sich für Found Footage, weil diese Technik der pseudodokumentarischen Erzählung des Films am besten diente und eine radikale Erste-Person-Perspektive ermöglichte. Die Kameraführung ist wackelig und komplett handgehalten; oft schauen die Schauspieler direkt in die Kamera. Obwohl die Dreharbeiten nur acht Tage dauerten, brauchte der Film mehr als acht Monate bis zum Schnitt. Mit einem Budget gegen Null, spielter er schließlich mehr als 250 Millionen Dollar ein, und ist somit einer der größten Independent-Kassenerfolge aller Zeiten.

13. Silent House (Laura Lau, Chris Kentis, 2011)

Silent House wurde in einer scheinbar einzigen Aufnahme gedreht und ist eigentlich das Produkt von 12-minütigen Sequenzen, die in der Postproduktion zusammengefügt wurden. Die Aufnahmen waren auf 12 Minuten begrenzt, da sich das Team für die Canon EOS 5D Mark II entschied, die ein 12-minütiges Dateiaufzeichnungslimit hat. Aber das “In-einem-Take-Gimmick”, inspiriert von Hitchcocks 1948er Cocktail für eine Leiche, ist praktisch nahtlos.

Die Co-Regisseure und Kameramann Igor Martinovic perfektionierten die Illusion, indem sie zwei Wochen lang in dem verlassenen Haus probten, das sie nur mit Taschenlampen, Laternen und Kerzen beleuchteten.

“Das Konzept hier war, die Kamera in einen so subjektiven Winkel wie möglich zu bringen, um wirklich in die Perspektive der Hauptfigur zu kommen”, sagte Martinovic. “Als wir den Film drehten, war die 5D Mark II die einzige Kamera, die uns das geben konnte, was wir brauchten. Sie ist sehr klein, hochwertig, erschwinglich, und wir konnten sie auf engstem Raum platzieren, uns leicht damit bewegen, sie bei Bedarf von einem Bediener auf einen anderen übertragen – sie gab uns die nötige Flexibilität.”

14. Under the Skin (Jonathan Glazer, 2013)

©Senator

Vieles von Under the Skin wurde mit einer versteckten Kamera namens OneCam aufgenommen, die Jonathan Glazer speziell für den Film gebaut hatte. “Wir brauchten eine Kamera, die klein genug war, um sie zu verstecken”, sagte Glazer, “aber sie sollte eine gute Qualität haben. Sie existierte nicht, also haben wir sie gebaut.” Tatsächlich ließen Glazer und der Kameramann Daniel Landin insgesamt 10 Kameras bauen; manchmal benutzten sie zwei, manchmal sogar alle 10.

Die OneCam ist ein CCD in Streichholzschachtelgröße, auf die 16mm-Objektive aufgebracht werden konnten. “Wir haben einen Großteil des Films so gedreht, dass wir die Kameras in das Armaturenbrett ihres Autos einbauen oder in Straßeneinrichtungen verstecken konnten, um sie beim Gehen auf der Straße zu beobachten und die Öffentlichkeit nicht darüber informieren zu müssen, dass überhaupt Filmaufnahmen gemacht wurden”, fuhr Glazer fort. “Ein Großteil des Films wurde heimlich so gedreht.”

Eine Dame verschwindet von Ethel Lina White / Alfred Hitchcock

Wikimedia Commons: Szene aus “Eine Dame verschwindet”

Heute begrüße ich euch zu einer Buchbesprechung, die auch gleichzeitig eine Filmbesprechung ist. Das Interessante an Alfred Hitchcock nämlich ist, dass er einer der wenigen Regisseure war, die mit literarischen Vorlagen umgehen konnten, und diese sogar oft besser machte als das, was im Buch zu finden war. Ein solches Beispiel schauen wir uns heute näher an. Eine Dame verschwindet.

Hitchcock und die Eisenbahn

Hitchcock und Eisenbahnen gehören zusammen wie eine Lokomotive und ihr Tender. Er liebte sie, sie sind prominent in seinem Werk vorhanden, am wichtigsten jedoch in Eine Dame verschwindet. Vieles von dem, was hier passiert, kann nur auf einer Eisenbahnfahrt passieren – Passagiere, die gemeinsam durch einen Lawinensturz aufgehalten werden, unterschiedliche Klassen, die voneinander getrennt sind, Fremde, die sich begegnen, während sie unterwegs sind, ein Lokführer, der im Kreuzfeuer stirbt, ein Waggon, der auf einen Nebengleis geleitet wird, ein unerschrockener Held, der sich außerhalb eines schnell fahrenden Zugs von einem Wagen zum anderen kämpft, während andere Lokomotiven an ihm vorbeirasen, Hinweise in Form eines Namens, der durch den Dampf auf einem Fenster sichtbar wird, und ein Etikett auf einer Teepackung, das kurz an einem anderen Fenster kleben bleibt, und vor allem die erzwungene Intimität auf dieser rhythmischen Reise, die sich in ihrer eigenen Welt abspielt, unabhängig von der sich verändernden Landschaft draußen.

Der Film ist einer der wenigen Beispiele dafür, dass ein Film besser sein kann als das Buch, das im Original von Ethel Lina White stammt und “The Wheel Spins” heißt. Bei Hitchcock ist das nicht gerade selten der Fall, in der heutigen Zeit kommt das eher nicht mehr vor. Das bedeutet aber nicht, dass das Buch schlecht ist, es ist nur etwas anders gestaltet und viele Elemente, die den Film so großartig machen, kommen darin gar nicht vor.

Der Roman  beginnt mit Iris Carr, einer jungen Engländerin, die sich in einem kleinen Hotel in einem nicht näher bezeichneten Land irgendwo in Europa aufhält. Ihre Freunde sind bereits abgereist, aber Iris hat beschlossen, noch ein paar Tage allein im Hotel zu bleiben. An dem Tag, an dem sie den Zug nach Hause nehmen soll, verliert sie am Bahnhof kurz das Bewusstsein und vermutet einen Sonnenstich. Sie schafft es gerade noch rechtzeitig, in den überfüllten Zug einzusteigen und teilt sich einen Waggon mit mehreren Personen, darunter Miss Froy, einer englischen Gouvernante, die ebenfalls auf dem Heimweg ist. Iris begleitet Miss Froy zum Tee in den Speisewagen, wo sie ihrer neuen Freundin von ihren jüngsten Lehrtätigkeiten erzählt. Nachdem sie zu ihren Sitzen zurückgekehrt sind, schläft Iris ein. Als sie wieder aufwacht, ist Miss Froy verschwunden. Die anderen Fahrgäste leugnen, dass Miss Froy jemals existiert hat, und Iris gerät in Panik: Hat der Sonnenstich ihr mehr zugesetzt, als sie ahnt, oder steckt etwas viel Schlimmeres dahinter?

Nach einem langsamen Beginn, bei dem sich die Autorin Zeit nimmt, Iris und die anderen Hotelgäste vorzustellen, die alle im selben Zug nach Hause fahren, nimmt die Geschichte mit dem Verschwinden von Miss Froy und den Bemühungen von Iris, herauszufinden, was mit ihr geschehen ist, bald Fahrt auf. Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat Iris sich alles nur eingebildet oder alle im Zug lügen – und wenn sie lügen, warum? An dieser Stelle wird die Bedeutung der frühen Kapitel deutlich, denn Iris ist nicht gerade der angenehmste Mensch und macht sich bei ihren Mitreisenden so unbeliebt, dass es leicht verständlich ist, warum sie ihr nicht helfen wollen. Einige von ihnen haben natürlich auch andere Gründe, und obwohl der Film das besser gelöst hat, vermittelt das Buch doch ein Gefühl dafür, wie beunruhigend das alles für Iris ist und wie sie an ihrem eigenen Verstand zu zweifeln beginnt.

Ein Film aus der goldenen Ära

Eine Dame verschwindet (The Lady Vanishes) ist einer der größten Zugfilme aus der goldenen Ära des Genres, der nur von dem Meisterwerk “Der unsichtbare Dritte” herausgefordert wird, wenn es darum geht, den besten Comedy-Thriller, der je gedreht wurde, zu bestimmen. Mit Ausnahme der Eröffnungssequenz in einem Gasthaus in einem mitteleuropäischen Dorf findet die ganze Handlung in einem Schnellzug statt, der auf seiner Reise durch das autoritäre mitteleuropäische Land Banrika nur zwei offizielle Stationen hat. Während dieser spannenden Reise wird eine britische Spionin mittleren Alters, die sich als Miss Froy – eine exzentrische Gouvernante – ausgibt und die den MacGuffin des Films trägt, von ausländischen Agenten entführt, und ihr Verschwinden wird vertuscht. Mit einem bescheidenen Budget hauptsächlich im kleinen Gainsborough-Studio in Islington gedreht, wirkt der Film nie eng oder kantig und wird mit der gleichen Geschwindigkeit vorwärtsgetrieben wie der Eurostar. In seinem Buch “Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?” von 1966, sagte Truffaut dem Meister, dass er jedes Mal, wenn er den Film sah, die Bewegung des Zuges, den Schnitt und die Spezialeffekte studieren wollte,

“aber jedes Mal hatte ich mich so sehr in die Geschichte vertieft, dass ich die Mechanik dieses Films noch immer nicht verstanden hatte.”

Die Geburt eines Comedy-Duos

Zunächst sollte Eine Dame verschwindet von Roy William Neill inszeniert werden, einem amerikanischen B-Movie-Spezialisten, der heute nur noch für die Sherlock Holmes-Serie mit Basil Rathbone und Nigel Bruce bekannt ist, weil diese Kultstatus besitzt. Aber die zweite Unit des Films geriet bei der Aufnahme von Hintergrundmaterial mit der jugoslawischen Polizei in Schwierigkeiten und der Film wurde auf Eis gelegt. Als das Projekt wiederbelebt wurde und Hitchcock die Leitung übernahm, war das Drehbuch, das – wie gesagt – deutlich besser war als der Roman, ziemlich gut ausgearbeitet. Die Drehbuchautoren Frank Launder und Sidney Gilliat, beide stark von Hitchcock beeinflusst, hatten die Handlung und die Figuren radikal überarbeitet und vor allem die harmlosen cricketliebenden Engländer Charters und Caldicott erfunden. Von Basil Radford und Naunton Wayne gespielt, sollten sie das größte Comedy-Duo werden, das je aus dem britischen Kino kam, nationale Archetypen, die sich bei mehreren Generationen von Kinobesuchern durchsetzen konnten.

Das Casting, an dem Hitchcock eng beteiligt war, kann man nur als perfekt bezeichnen, vor allem das von Margaret Lockwood und Michael Redgrave als Iris und Gilbert, dem attraktiven romantischen Paar, das sich wunderbar zankt und einen herrlich britischen Sinn für Humor teilt. Beide wurden zu Stars in diesem Film und bewiesen sich auf der gleichen Höhe wie so anspruchsvolle Hollywood-Paare wie Powell und Loy, Grant und Hepburn, Lombard und Gable. Aber obwohl Eine Dame verschwindet immer wieder erfrischend anzusehen ist, ist das ein Film, der seine Tiefe und Eindringlichkeit aus den schwierigen Zeiten bezieht, in denen er entstanden ist. Iris und Gilbert sind dann auch Passagiere auf einem Narrenschiff, einem Abteil britischer Clowns, die in einem feindlichen Europa treiben, umgeben von feindlichen Fremden in einer Welt am Rande des Krieges.

Gilbert ist ein politisch naiver Musikwissenschaftler, der Volkslieder auf dem Balkan sammelt. Iris ist eine verwöhnte Erbin, die nach England zurückkehrt, um einen kinnlosen Aristokraten wegen seines Titels zu heiraten. In den angrenzenden Abteilen befinden sich ein aufgeblasener Anwalt (Cecil Parker) und seine Geliebte (Linden Travers), die beide ihre Ehepartner betrügen und sich mehr um ihren sozialen Status und ihre berufliche Zukunft sorgen als um ihre moralische und bürgerliche Verantwortung.

Ebenso werden die engstirnigen Charters und Caldicott nicht zulassen, dass es irgendetwas gibt, das sie zu spät zu ihrem Cricketspiel in Old Trafford kommen lässt. Nur Miss Froy (Dame May Whitty), die mutige kleine alte Dame, ist da, um die Fackel für Großbritannien zu tragen und den lebenswichtigen MacGuffin (in Form eines Staatsgeheimnisses, das in einem Stück Volksmusik kodiert ist) zu tragen, der die Nation retten kann.

Eine Dame verschwindet war Hitchcocks vorletzter Film, der in der Vorkriegszeit in Großbritannien gedreht wurde und bis dahin sein größter Kassenerfolg.

Dämonische Besessenheit (und der Exorzist)

Solange es Gottheiten gibt, gibt es auch Teufel, die sich im ewigen Kampf um menschliche Seelen befinden. Von den Sumerern bis zu heutigen Sekten enthält jede Religion dualistische Elemente, Licht und Dunkel, Gut und Böse, Engel und Teufel, binäre Gegensätze, die die Gläubigen ängstlich und brav halten sollen. Teufel befeuern dabei die dunkle Seite dieser Gleichung. Sie symbolisieren das, was uns passiert, wenn wir die Regeln nicht befolgen. Sie lauern auf unvorsichtige Sünder, verspotten, verführen und nehmen schließlich Besitz von unserem Verstand und Fleisch und verurteilen uns zu körperlicher Zerstörung und geistiger Verdammnis.

Und damit begrüße ich euch zu einer neuen Ausgabe unserer Themen-Rubrik, in der wir uns heute auf die Spuren der Dämonischen Besessenheit begeben.

Besessenheit

Dämonische Besessenheit ist – wie das Geisterhaus – ein altes, kulturübergreifendes Phänomen. In alter Zeit war sie eine nützliche Erklärung für psychische Erkrankungen, neurologische Traumata, Tourette-Syndrom, unterdrückte Sexualität, Epilepsie, Halluzinationen und sogar für unartige Kinder. Jedem, der von einem Dämon besessen ist, wird es geschehen, die Kontrolle über den vitalen, zivilisierten Teil seiner selbst zu verlieren; die Opfer sind nicht verantwortlich für das Zucken ihrer Gliedmaßen oder die Obszönitäten, die aus ihrem Mund sprudeln. Die Besessenen sind über den Zustand der bewussten Sünde hinausgelangt.

Wenn übernatürliche Kräfte schuld sind, dann gibt es kein wirkliches Versagen der sozialen Ordnung, keine wirkliche Bedrohung durch bewusste Rebellion. Nachdem ein entsprechend qualifizierter Hexenjäger, Exorzist oder Dämonologe mit unsichtbaren Waffen die mysteriöse Bedrohung bekämpft hat, wird dadurch das Kräftegleichgewicht wiederhergestellt. Ein Hexenprozess oder ein Exorzismus ist der perfekte Schauplatz für religiöse und politische Autoritäten, um ihre Version des Gesetzes zu untermauern – und kann für eine dramatische, intensive Erzählung sorgen.

Es ist kein Wunder, dass dysfunktionale Individuen im Laufe der Geschichte auf dämonische Besessenheit als die Wurzel ihres unchristlichen Verhaltens verwiesen haben, von den Incubi-geplagten Nonnen in Santa Lucia im mittelalterlichen Italien, über die rachsüchtige Throckmorton-Familie im elisabethanischen England bis zu den hysterischen Mädchen von Salem, Massachusetts reicht diese Palette. Es ist die ultimative Verteidigung für jede Art von Abweichung: Der Teufel hat mich dazu verleitet.

Hier triumphiert der Aberglaube immer wieder über die Wissenschaft, nicht zuletzt, weil das Ringen mit echten Dämonen mehr Nervenkitzel erzeugt als mit psychischen Krankheiten zu kämpfen. Es ist leicht einzusehen, warum solche Geschichten über Jahrhunderte ihre Anziehungskraft ausübten. Ein teuflisch-verseuchter Charakter bietet dem Leser eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Bösen, in seiner ganzen grunzenden, grimassierenden, gliederverdrehenden Herrlichkeit.

Manchmal bietet uns die Geschichte die klarste Sicht auf die Dinge. Ein berüchtigter Fall von Massenbesessenheit unter den Ursulinischen Nonnen in Loudun (Frankreich) von 1632-16 inspirierte mehrere Theaterstücke, Filme und Bücher des 20. Jahrhunderts. Aldous Huxleys Non-Fiction-Roman, Die Teufel von Loudun, ist hier die ideale Einführung in die wichtigsten Konzepte der Besessenheit und bietet die endgültige Analyse über Exorzismus mit der anschließenden Erkenntnis, dass das einzige Vergehen aus dem Bösen besteht, das Menschen veranstalten.

Der Exorzist

Zwanzig Jahre nach Huxley veröffentlichte William Peter Blatty seine klassische Interpretation des Phänomens in “Der Exorzist”. Wie Huxley war er von einem “echten” Fall dämonischer Besessenheit fasziniert, der in Zeitungsberichten (bekannt als “Roland Doe”, der später als “Robbie Mannheim” identifiziert wurde) beschrieben wurde, und der von katholischen Priestern im Jahr 1949 einem Exorzismus unterzogen wurde. Nachdem seine geplante Drehbuch-Karriere in den späten 1960er Jahren fehl schlug, suchte Blatty Ideen für einen Roman und begann sich an den Fall zu erinnern. Er erhielt ein Tagebuch, das von einem der beteiligten Priester geschrieben wurde und machte das zur Grundlage für sein Buch.

Anders als Huxley bauschte Blatty viele Aspekte dieser Besessenheit zu einer Sensation auf, indem er das Opfer (in seiner Version ein zwölfjähriges Mädchen und nicht der vierzehnjährige Junge des Quellenmaterials) in ein physisches und philosophisches Schlachtfeld einrahmt. Er beschreibt die teuflischen Wunder, die über Regans beflecktem Fleisch stattfinden, als Tatsache:

“Hysterisch kreischend und mit den Armen schlagend, schien ihr Körper sich horizontal in die Luft über ihr Bett zu werfen und dann brutal auf die Matratze geschleudert zu werden. Es geschah schnell, immer und immer wieder … Sie miaute wie eine Katze, bellte dann, und wieherte.”

Blatty ließ nie die Möglichkeit zu, dass sie das alles vorgetäuscht haben könnte. Der Teufel in Regan traktiert sie systematisch durch alle notwendigen Kriterien der katholischen Kirche für eine echten Besessenheit – sie plappert in fremden oder alten Sprachen, demonstriert übernatürliche Kraft, zeigt Abneigung gegen heilige Objekte, kennt alle Geheimnisse über die kürzlich verstorbene Mutter des Priesters Karras und erfreut sich an Blasphemie und Obszönitäten.

Ärzte bezeugen das Phänomen, können aber keine überzeugende medizinische Erklärung liefern. Sogar Pater Karras, der im Seminar ausgebildete Psychiater, ist nicht in der Lage, die Anzeichen und Wunder ihres Zustands in Bezug auf die moderne Wissenschaft zu diagnostizieren. Die ersten zwei Drittel des Buches schöpfen alle vernünftigen Möglichkeiten aus, bis nur noch die Anwesenheit von Dämonen die einzige Option ist, die übrig bleibt. Dies ebnet den Weg für das feierliche, fesselnde Exorzismusritual des dritten Aktes und Karras’ letztes Opfer als die einzig mögliche Lösung in Bezug auf Regans Leiden und seiner eigene Glaubenskrise. Er ist ein kaltherziger Atheist, der am Ende des Romans noch immer nicht glauben will.

Sowohl Blatty als auch die katholische Kirche haben ein Eigeninteresse daran, das Etikett “auf einer wahren Geschichte beruhend” an den Exorzisten zu hängen. Blatty schlug erheblich Kapital aus dem Buch und dann auch aus dem Film mit dem Beharren auf Faktizität, die seine Arbeit über die der üblichen Verdächtigen in der Horror-Branche erhebt. Das katholische Establishment, in der Regel keine Anhänger der Popkultur, lobte den Roman in der vatikanischen Literaturzeitschrift Civilta Cattolica mit “350 Dankesschreiben an die Jesuiten” aus gutem Grund. Der weltweite Hype um den Exorzist führte dazu, dass verlorene Sünder in Scharen in den Beichtstuhl zurückkehrten.

Zu dieser Zeit einzigartig für einen Horrorroman, liegt der dauerhafte Reiz des Exorzisten also in seiner offensichtlichen Wahrhaftigkeit, obwohl diese “wahre Begebenheit” längst gründlich als ausgedehnter Streich einer emotional gestörten Jugendlichen entlarvt worden ist.

Shownotes:

Der Exorzist auf cinema.de

Die Hexenprozesse gegen Urbain Grandier

Gruselstube: Die wahre Geschichte hinter Buch und Film

Der Poltergeist-Fluch

Es ist eigentlich ein faszinierendes Phänomen, aber vielleicht kann es mit der allgemeinen Angst vor dem Tod erklärt werden, oder noch wichtiger, vor der Angst, was uns nach dem Tod widerfährt. Wir haben keine Kontrolle darüber, was mit unseren Körpern geschieht, nachdem wir diese Erde verlassen haben, und so müssen wir unseren Familien eine Warnung hinterlassen, um sicherzustellen, dass sie unsere Überreste nicht einfach irgendwo hinwerfen und die ganze Sache vergessen.

Sie von jenseits des Grabes heimzusuchen, um sie zu warnen, ist sicher der effektivste Weg, nicht wahr?

Im Laufe der Entwicklung haben wir allmählich gelernt, dass es keine Flüche gibt und dass wir unsere Toten aus einem rein menschlichen Anstand und nicht aus Angst angemessen pflegen sollten. Aber genau das macht die wirklichen, echten und verbürgten Beispiele von Flüchen so viel erschreckender.

Die meisten unserer Leser haben zumindest von dem Film “Poltergeist” aus dem Jahr 1982 gehört, der neben “Der Exorzist” eine Renaissance des modernen Horrors einleitete, von der wir bis heute zehren. Zu sagen, dass der Film gedreht wurde und herauskam wie jeder andere, würde allerdings den Tatsachen nicht gerecht werden. Die Filmemacher waren ziemlich beunruhigt, nur mit einem Budget von etwa 10 Millionen Dollar auskommen zu müssen. Das war nicht annähernd genug, um den Film so werden zu lassen, wie sie es sich erhofft hatten.

Infolgedessen musste einiges gekürzt werden, und leider wurden während dieses Prozesses nicht immer die besten Entscheidungen getroffen. Diejenigen von euch, die den Film gesehen haben, erinnern sich zweifellos an die ekelhafte Pool-Szene, in der Diane in einen Pool voll verrotteter Skelette geworfen wird. Was ihr vielleicht nicht gewusst habt, ist, dass, obwohl es unglaublich klingt, die fraglichen Skelette völlig echt waren. Tatsächlich fanden es die Produzenten wesentlich billiger, mehrere echte Skelette zu “erwerben” als Gummirequisiten in Auftrag zu geben, und so wurden die Überreste mehrerer menschlicher Leichen in den Pool geworfen. Am Set wusste das keiner. Die Schauspieler wurden erst viel später darüber informiert.

Weniger als fünf Monate nach dem Erscheinen des Films wurde Dominique Dunne, eine der Schauspielerinnen, in einem blinden Wutanfall von ihrem Freund vor ihrer eigenen Auffahrt erdrosselt. Besagter Freund, John Sweeney, stellte sich sofort den Behörden und gab ein vollständiges Geständnis ab. Nach seiner Aussage erinnerte er sich nicht an die Tat – das Einzige, an das er sich erinnern konnte, war, dass er sich plötzlich auf sie stürzte und seine Hände um ihren Hals legte. Zur Besinnung gekommen, war der Schaden allerdings schon angerichtet und Dunnes lebenserhaltende Maschinen wurden fünf Tage später abgeschaltet.

Drei Jahre später, im Jahr 1985, verstarb Julian Beck – eine Schauspielerin der Fortsetzung “Poltergeist II: Die andere Seite” – unerwartet an Magenkrebs. Im Jahr 1987 starb Will Sampson, ein weiterer Schauspieler der Fortsetzung, plötzlich an Unterernährung und Nierenversagen. Aber das tragischste Beispiel für den “Poltergeist-Fluch” ist das von Heather O’Rourke, die erst sieben Jahre alt war. Sie spielte die jüngste Tochter der heimgesuchten Familie. Fünf Jahre später starb das Kind aufgrund eines Herzstillstandes aufgrund eines falsch diagnostizierten Darmproblems. Aber die Stars waren nicht die einzigen, die einer nach dem anderen starben – Lou Perryman, der nur die kleine Rolle von Pugsley spielte, wurde von einem Axt schwingenden Ex-Sträfling in seinem eigenen Haus getötet.

Man kann natürlich argumentieren, dass jedes Franchise, das so alt ist wie “Poltergeist”, einen natürlichen Anteil an Tragödien haben wird … Aber andererseits hört man nicht viel über den “Ghostbusters-Fluch” oder den “Zurück in die Zukunft-Fluch”. Wie man es auch betrachten mag, es scheint doch ziemlich eigenartig zu sein, dass so viele seiner Darsteller in so einer relativ kurzen Zeit unter diesen mysteriösen Umständen ums Leben gekommen sind. Wer weiß, vielleicht ist alles nur ein Zufall … Oder vielleicht hatten alte Zivilisationen doch Recht damit, die Toten zu fürchten.

Durst – Ein Vampirfilm ohne Klischees

Als Park Chan-Wook seinen Vampirfilm “Durst” drehte, wollte er die Knoblauchzehen, Opernumhänge, Holzpfähle und andere schimmelige Genre-Stereotypen weglassen. Er beabsichtigte auch nicht, der gegenwärtigen Flut an Blutsauger-Fabeln mit ihren pubertierenden Helden und Heldinnen, wie etwa “Twilight” oder “True Blood”, noch ein weiteres Kapitel hinzuzufügen. “Im Westen gibt es diese große Ansammlung von Klischees in Vampirfilmen”, sagte der südkoreanische Autor und Regisseur.

“Ich dachte, mir könnte etwas Einzigartiges einfallen, indem ich diese Klischees wegließ.”

Aus diesem Grund sollte “Durst” als scheinbar erster Vampirstreifen in Erinnerung bleiben, in dem der Protagonist ein asiatischer römisch-katholischer Priester ist, der sich wegen seiner bisherigen Hilflosigkeit schuldig fühlt. Dieser bescheidene Mann des Glaubens, der vom führenden koreanischen Schauspieler Song Kang-Ho gespielt wird, wird aus Versehen zu einem sinnlichen nächtlichen Raubtier, als er freiwillig an einem Impfstoff-Experiment teilnimmt, das einen tödlichen Virus bekämpfen soll. Stattdessen erhält er eine ansteckende Transfusion, die ihn zum Vampir macht.

In seinen früheren Filmen, darunter die koreanischen Megaerfolge “Joint Security Area” und “Old Boy”, der den Grand Prix beim Festival in Cannes 2004 gewann, hat Park eine technische Finesse bewiesen, die einige Kritiker zu Vergleichen mit David Fincher verleiteten, sowie eine Fähigkeit, unverbrauchte Bilder und metaphorische Bedeutung aus westlichen Filmgenres und Erzählkonventionen zu gewinnen. Kurioserweise wurde “Durst” teilweise durch den Roman “Thérèse Raquin – Du sollst nicht ehebrechen” (1867) des französischen Schriftstellers Émile Zola inspiriert, in dem es um eine junge Frau in einer fiebrigen Affäre geht. Sie entflieht darin einer seelenlosen Ehe und einer erstickenden Häuslichkeit. In “Durst” spielt die Schauspielerin Kim Ok-Vin eine ähnlich gefangene junge Frau, deren Charme einen priesterlichen Blutsauger anzieht.

Filmplakat “Durst”; ©MFA Filmdistribution

Park sagte, er bewundere die Art und Weise, wie Zolas Roman “sich mit Liebe nicht nur als Begriff befasst”, sondern als alltägliche Realität von erdgebundener, fleischlicher Anziehungskraft. Mit “Durst” wollte Park in ähnlicher Weise etwas von der transsilvanischen Mystik abstreifen und “Vampirismus als etwas fast Biologisches behandeln, oder es als Krankheit zeigen”. Die eher düstere Kulisse von Krankenhäusern, einsamen Straßen und trostlosen Häusern – im Gegensatz zu der glamourösen, gotischen Inszenierung so vieler westlicher Vampirfilme – verleiht “Durst” auch eine naturalistische Qualität, die gespickt mit surrealen Happenings alarmierend und manchmal auch humorvoll daherkommt (z.B. als der wütender Vampir lässig auf einen Laternenpfahl schlägt, der dann in zwei Hälften zerbricht).

Obwohl niemand in “Durst” als Vampirabwehr ein Kreuz dabei hat, ist der katholische spirituelle Subtext des Films kein Zufall. Als Sohn akademischer Eltern wuchs Park als Katholik auf, bis er in der Pubertät zu dem Schluss kam, dass “es keine Grundlage gab, an die Existenz Gottes zu glauben”.

Obwohl seine religiöse Erziehung dabei half, sein jugendliches Weltbild zu formen, sagte Park:

“Wenn jemand behaupten würde, dass der Katholizismus einen ebenso großen Einfluss auf mich ausübte wie Martin Scorsese, wäre das eine riesige Übertreibung.”

Was ihm am meisten anhängt, sei die katholische Vorstellung von der Erbsünde, die unerschütterliche Schuld und die schillernd verzierten Traditionen der katholischen religiösen Kunst.

In “Durst”, sagte er, wollte er den Katholizismus und Vampirismus als grundsätzlich westliche Konzepte betrachten, die in die koreanische Kultur importiert wurden wie fremde Gegenstände, die in einen menschlichen Körper eingeführt werden. “Der Film handelt also von externen Elementen, die sich in einer neuen Umgebung wiederfinden.” Spannung baut sich in “Durst” unabhängig davon auf, ob diese externen Elemente letztlich akzeptiert oder abgelehnt werden, ob sie assimiliert werden oder am Ende ihre Wirte zerstören.

Der Regisseur schlug ein Sinnbild vor, wie er die Film- und Erzählkonventionen infiltriert und sie mit neuen Variationen und Ideen infiziert: “Man könnte fast sagen, ich bin der Keim, der in das Genre gelangt ist und alles vermasselt”, sagte er.

Nur wenige Regisseure sind einladendere Ziele für Fanboy-Verehrung und den Spott von Filmkritikern als jene, die Pulp-Genre-Filme mit höheren philosophischen Bestrebungen mischen. Doch Parks metaphysische Neigung (er studierte Ästhetik und Philosophie ) sollte für sorgfältige Betrachter seiner Filme keine Überraschung sein.

Seine Vorliebe für Blut, gepaart mit einer Handvoll Hochspannungssequenzen (einschließlich der berüchtigten “Old Boy”-Szene, in der die Hauptfigur, nachdem sie aus dem Gefängnis entlassen wurde, in ein Restaurant geht und seine Zähne in einem lebenden Tintenfisch versenkt), haben einige Rezensenten dazu verleitet, ihn als Exploitationautor zu brandmarken, zu einem stilvollen, aber grausamen Tarantino-Möchtegern.

Bei näherer Betrachtung von Parks Werk zeigt sich aber nicht nur, dass er nicht nur wunderschön komponierte Bilder ästhetisierter Gewalt wie Sam Peckinpah komponiert, sondern auch moralische Anliegen anbietet, die sich mit Fragen des freien Willens, der Rache und der Selbstbeherrschung beschäftigen. Wie eine Reihe von Figuren in den Filmen von Alfred Hitchcock, dessen Meisterwerk “Vertigo” entscheidend dazu beigetragen hat, dass Park von seiner geplanten Karriere als Kunstkritiker abwich, sind Parks Charaktere eher orientierungslose Menschen, die in extremen Umständen gefangen sind, für die sie nicht selbst verantwortlich sind, die sich dann zu nichtumkehrbaren Handlungen gezwungen sehen, die ihre eigene Zerstörung herbeizuführen drohen.

In “Old Boy” (2003), der zweite Teil von Parks so genannter Vengeance-Trilogie, wird der Protagonist aus Gründen, die er nicht kennt, aus dem Gefängnis entlassen, nachdem er dort 15 Jahre lang festgehalten wurde. Diese Kafka-artige Prämisse trägt eine Geschichte von Rache und psychologischer Manipulation vor, die auch als Allegorie der Beziehung zwischen einem gottähnlichen Regisseur und seinen langmütigen Schauspielern gedeutet werden könnte.

Park sagte, dass seine Vorliebe für klaustrophobische, gefängnisähnliche Situationen in seinen Filmen von der Fähigkeit herrührt, die Ideen, mit denen er es dadurch zu tun bekommt, zu reinigen und zu verschlanken. Indem er seine Filme auf eine begrenzte Anzahl von Variablen reduziere, könne er Mikrokosmen konstruieren, darin enthaltene Universen, in denen menschliches Verhalten intensiviert wird.

Und wenn dieses Verhalten oft beunruhigend ist und die Umstände seiner Charaktere nervenaufreibend sind, dann meint Park, dass das so ist, weil sie gar nicht so ungewöhnlich sind, wie wir vielleicht glauben möchten. Er beschreibt den inhaftierten Charakter in “Old Boy”, der nicht weiß, warum er festgehalten wird oder wann (wenn überhaupt) er freigelassen wird, als “Metapher für einen fundamentalen menschlichen Zustand”.

Alien – Xenomorphe

Starbeast sollte es ursprünglich heißen, wie auch der erste Film selbst. 6 Hauptfilme kann es seit 1979 bereits verbuchen. Nicht alle stammen von Ridley Scott, es drehte auch David Fincher (Alien 3), sowie James Cameron (Aliens – Die Rückkehr.) Auch 2 Crossoverfilme (Alien vs. Predator I / II) gehören dazu. Science-Fiction ist es. Und doch entspringt es offenbar einem uns sehr nahen Horror, der nicht erst das Jahr 2122 braucht. Eine Mutter und zwei Väter hat es. Ein Elterntrio, das sich namentlich sehen lassen kann: HR Giger, Ridley Scott und Sigourney Weaver. Einen Oscar hat es Giger eingebracht, in der Kategorie Visuelle Effekte. Selbst ist es sehr daran interessiert, viele viele Abkömmlinge zu haben. Derlei viele, dass wir sehr schnell verstehen, dass es dieser Spezies allein um die Zeugung neuer und eigenständiger Nachkommen geht, um die Sicherung seiner Art, um die Sicherung eines Bestandes, der die ultimative Vermehrung der Anzahl der eigenen Exemplare ins Auge gefasst hat.

Ins Auge gefasst? Das mag verwundern, verfügt das Alien doch über keinen uns bekannten Sehapparat wie etwa andere Arten, die in diesem Universum zuhause sind. Und doch verfügt es über eine hochsensible Wahrnehmung, die es befähigt, sich offenbar in einer Weise ein Bild von seiner Umwelt zu machen, die uns -beobachten wir, wie es reagiert- zu dem Schluss kommen lässt, dass dieser Kreatur das Sehen ruhig vergönnt sein kann, da es über einen Instinkt verfügt, der in seiner Ausprägung nicht zu übertreffen ist.

Wer braucht schon Augen, der in einer Schwärze existiert, die nicht aus dem Fehlen des Sonnenlichts resultiert, sondern aus dem Daseinszustand, der sich aus der Artung seines Wesens ergibt?

Spekuliert wird auch, ob nicht die aus dem Rücken ragenden röhrenartigen Fortsätze als ein Sinnesorgan fungieren, mit dem es gewissermaßen sehen kann, indem es ähnlich wie ein Sonar funktionieren könnte.

Vielleicht war das Gigers Idee: Erfinde eine Kreatur, die der Instinkt selbst ist. Gebe ihm ein Antlitz. Zeige, wie eine blinde Natur funktioniert, deren genetisches Programm sich allein auf die Fortpflanzung beschränkt. Das dunkle Bios. Vernichtend und effizienter als eine menschengemachte Maschine es je sein kann. Die reine Funktionale. Eine Kreatur, der wir keine Seele zugestehen.

Höchst ästhetisch ist es. Perfektion stellt es dar: In seiner Effizienz, besonders aber in seiner physischen Erscheinungsweise. Dynamisch sind seine Linien und Kurven. Nichts am Alien erinnert uns an unsere Art oder an irgendeine andere, obschon es in seiner Anatomie Ähnlichkeiten zum Menschen aufweist, hat es doch z.B. ähnliche Extremitäten wie wir. Postnatal glitschig glänzt sein Exoskelett, als hätte es soeben erst den Geburtskanal passiert. Lange und spitze Klauen hat es. Einen langen, stachelbesetzten klingenscharfen Schwanz. Stacheln am Rücken. Und einen Kopf, in der Form eines großen aerodynamisch phallischen Helmes. Wir können es nicht mit uns identifizieren und abgleichen. Es ist uns fremd, wie uns etwas Fremdes nur fremd sein kann, das uns bis ins Mark erschüttert, da es das Potenzial hat uns in dieses zu kriechen. Nichts als Wirte sind wir für es. Es torpediert sich in uns. Mit aller Gewalt. Sei es mit Hilfe der aus einem Ei springenden Facehuggers, die unsere Münder als Pforte für die Eier des Aliens nutzen, oder ob es es selbst ist, das uns mit einem bezahnten Muskelstrang, der aus seiner wiederum spitzbezahnten riesigen Mundhöhle hervorschnellt, in einer Schnelligkeit durchstößt und somit in unsere Körper dringt. Zu vergleichen mit der Pharyngealia einer Muräne, ist dieser Muskelstrang einem Penis, der aus einem Mund ragt, nicht unähnlich. Ein Mund wie auch die Vagina als Mund verstanden werden kann. Für gewöhnlich jedoch ein Mund mit Schamlippen. Weich und rosig. Vor allem aber ungezahnt.

Hat es der Facehugger geschafft, dem Wirt ein Ei in den Brustkorb zu geben, wird es nicht lange dauern bis sich die Larve, der sog. Chestburster, durch den Brustkorb stößt. Danach sucht sie sich einen feuchten, geschützten Ort, an dem sie sich einweben kann. Wie auch die als Wirt fungierenden Opfer in eine (im besten Fall) sichere Höhle verschleppt und in einem Kokon eingewoben werden.

Kurzum: Es will in unsere Löcher. Und schafft es es nicht, die vorhandenen zu nutzen, verpasst es uns welche. Riskiert damit aber, dass wir als Wirt nicht mehr infrage kommen.

Wer sich über den Begriff Penetration aufklären möchte, findet hier nicht nur einen Vertreter, sondern die par excellence selbst. Mann und Frau (wie auch Tier oder Predator) sind gleichermaßen betroffen. Das Alien verkörpert in seinem Wesen das eindringende männliche, wie auch das instinktisch mütterliche Prinzip. Wendig ist es, weiblich grazil seine Erscheinung. Männlich stark seine Durchschlagskraft.

Der gesamte Körper des Aliens fungiert als traumatische Waffe, die uns sofort versehrt und so gut wie immer tötet.

Besonders interessant ist, dass das Alien, laut seiner filmischen Genese, als eine biologische Waffe dienen sollte. Inwiefern es sich dabei aber doch in ihrem Ursprung um eine bereits natürlich vorkommende Spezies handelt, die von einer alten Menschenrasse vielleicht nur genetisch modifiziert wurde, so, dass sie auf die DNA ihres Wirtes reagiert, wurde noch nicht genau geklärt. Auch erfahren wir über dieses Menschengeschlecht und ihre Motivation bisher leider nur sehr wenig.

Wie ein Bienen- oder Ameisenstaat sind die Xenomorphen organisiert: Es gibt eine Königin, Drohnen, Späher und Jäger. Und so unterscheiden sie sich auch, je nach Aufgabe, in ihren Fähigkeiten und ihrem Aussehen. Auch der Wirt, ob es sich dabei um einen Menschen, um ein Tier oder einen Predator handelt, spielt dabei eine Rolle. Die Königin selbst erinnert in ihrer physischen Erscheinung an eine Gottesanbeterin. Sie ist an ihrem riesigen Kopf, der die Form eines Geweihes hat, zu erkennen.

Doch am bemerkenswertesten ist sicher, da stimmen Sie mir hoffentlich zu, dass es doch einen Menschen gab, der in der Lage war, die Kinderstube des Aliens zu verstehen, mit ihm / ihr zu kommunizieren. Sigourney Weaver als Ellen Ripley bleibt unvergessen als jene, die dieser Spezies etwas entgegenzusetzen hatte. Die überlebte, überlebte und überlebte … und als Nummer 8 sogar erfolgreich geklont wurde. Die dem Alien so nah kam wie niemand sonst. Die es gar zärtlich berührte. Die es, am Ende selbst zum Wirt geworden, mit in den Tod nahm.

Was würde sie uns wohl raten? Vielleicht würde sie sagen: Wenn sich ein Alien in deiner Nähe befindet: Lauf! Daher sei an dieser Stelle auch ihr gehuldigt, der Quasimutter des Alien.

A Ghost Story – Zeit ist alles

Es gibt natürlich Gründe dafür, warum Geschichten, die sich um Trauer drehen, auf die Erfahrungen der Lebenden (der Überlebenden) fokussiert sind, die mit dem Schmerz des Verlusts und dem Mysterium der Abwesenheit zu kämpfen haben. Vielleicht aber haben die Toten auch Gefühle. Wenn man darüber nachdenkt, ist das sogar der Urgrund vieler Geistergeschichten. Und genauso verhält es sich bei A Ghost Story, David Lowerys genialen und bewegenden Film von 2017.

Dies ist die Geschichte eines Gespenstes, dessen Namen wir zu keiner Zeit erfahren, auch als es noch als Mensch existiert nicht. Es schwelgt in einigen der üblichen gespenstischen Verhaltensweisen: es schlägt Bücher aus den Regalen, lässt Glühbirnen flackern, öffnet mitten in der Nacht Schranktüren und verängstigt eine Familie durch einen großflächigen, übernatürlichen Wutanfall.

Die Wirkung all dessen auf den Betrachter ist seltsam und intensiv, aber nicht gerade beängstigend im Sinne der erwarteten Horrorfilm-Manier. Im Zeitalter der breit angelegten, digitalen Möglichkeiten verfolgt Lowery einen bewährten, einfachen Ansatz. Unser Gespenst ist ein Bettlaken mit ausgeschnittener Augenpartie. Das hindert  die Figur aber nicht daran, uns ein grüblerisches, schwelendes Temperament hinter dem Stoff zu offenbaren.

Vor seiner Verwandlung in den Hauptprotagonisten leben Casey Affleck und Rooney Mara – ihr Charakter bleibt ebenfalls unbenannt – in einem Landhaus irgendwo im Nirgendwo zusammen. Sie streiten ein wenig über einen eventuellen Umzug, aber ansonsten führen sie ein zurückgezogenes, harmonisches, halb-bohemiales Leben. Er schreibt Lieder und experimentiert mit Klang. Sie geht morgens zur Arbeit. Sie flüstern und tauschen gelegentlich ein zartes, zaghaftes Lächeln aus. In gewisser Weise sind diese beiden (und die anderen Menschen, die von Zeit zu Zeit auftauchen) die wahren Geister in der Geschichte – abstrakte, fast theoretische Erscheinungen, die in und aus dem unruhigen Bewusstsein von Casey Afflecks’ Figur flackern.

Die kurze gemeinsame Zeit des Paares setzt einen gedämpften, pointierten Ton und gibt die dramatischen und emotionalen Grenzen vor, in denen im Film operiert wird. Nicht, dass es keine Erschütterungen und Überraschungen gäbe. Gerade wenn man denkt, dass man die umschriebene Logik des Films geknackt hat, öffnet sie sich und wird auf eine Art und Weise wild, die gleichzeitig zu wundersam und zu absurd ist, um den Film zu verderben. Als Metaphysiker ist Lowery nicht an Regeln gebunden, aber als Geschichtenerzähler und Orchestrator emotionaler Effekte schätzt er die Notwendigkeit der Kohärenz.

Unser Gespenst ist im Film nicht das einzige seiner Art. Die Toten (zumindest einige von ihnen) können direkt miteinander und passiv/aggressiv mit den Lebenden kommunizieren. Sie können in der Zeit reisen, aber nicht im Raum, was die Existenz von Spukhäusern überhaupt erklärt. Sie sind Zeugen unseres Leidens und unserer Angst, haben aber nur eine begrenzte Fähigkeit zur Intervention, auch wenn sie  (unsichtbar) die gleiche physische Welt zu bewohnen scheinen wie wir. Nach einer Weile beginnt das Laken des Geistes zerknittert und schmutzig auszusehen. Es ist das einzige, das er hat, und er trägt es schon sehr lange.

Zeit wird in diesem Fim zu Lowerys Hauptthema, zu seinem Rohmaterial. Die Art und Weise, wie sie sich über die Jahre hinweg beschleunigt oder sich in Momenten einfriert und überhaupt nicht messen lässt. Als Rooney Mara noch frisch verwitwet ist, kommt sie an einer frühen Stelle des Films nach Hause und findet einen Kuchen vor, der ihr von einer wohlmeinenden Bekannten hinterlassen wurde. Sie lehnt sich gegen den Schrank und isst, ohne Hast, aber auch ohne Atempause. Die Kamera fängt diese Szene einige Minuten lang ein, ohne sich zu bewegen, während das Gespenst ihr dabei zusieht. Das fühlt sich wie eine Ewigkeit an. Und Ewigkeit ist genau das Problem des Geistes.

Für ihn haben der Kalender und die Uhr keine Bedeutung, und während der Film abläuft, wird er gleichzeitig dunkler und fremdartiger, wir spüren seine Ungeduld und Orientierungslosigkeit. Was wir nicht fühlen, ist die Langeweile, die sicherlich Teil der Geschichte seines langen Lebens nach dem Tod sein muss. “A Ghost Story” ist spannend und manchmal durchdringend emotional. Daniel Harts Musik ist voller Pathos und Sehnsucht und kompensiert – und überkompensiert vielleicht – die buchstäbliche Passivität des Protagonisten.

Der Film mag auf einem konzeptionellen Kniff aufbauen, aber er fühlt sich dabei überhaupt nicht verkrampft an. “A Ghost Story” funktioniert so gut, weil er überhaupt nicht funktionieren sollte. Ausgehend von einem Zitat von Virginia Woolf trägt er ihr literarisches Erbe auf der Haut, ihm gelingt es aber doch frisch und erfinderisch zu sein, anstatt altmodisch oder intellektuell. Es ist wie eine alte Geschichte von Henry James, die man zum ersten Mal liest: haarsträubend und clever, eine Meisterleistung und ein Triumph des Handwerks.

Ob es sich dabei um einen Horrorfilm handelt, muss an anderer Stelle diskutiert werden, aber im Phantastikon glauben wir an die existentielle Angst, die nicht nur der Weird Fiction gut zu Gesicht steht. Es ist kaum zu übersehen, dass sich das Horrorkino gegenwärtig neu zu erfinden scheint. Hierfür kursieren in Filmkreisen bereits Begriffe wie “Post-Horror”, während wir im Phantastikon dieses Phänomen lieber unter dem Label des Arthouse Horror Movements laufen lassen. Natürlich bräuchten wir hier solche Begriffe gar nicht, wir könnten “A Ghost Story” auch ein Transzendentale Drama nennen. Aber dann steht zu vermuten, dass wir das, was sich im Horrorkino derzeit tut, völlig falsch einschätzen. Die Abwertung des Begriffs “Horror” ist indes beidseitig. Horrorfans haben ihre Probleme, herausragende Filme des Genres, die ohne Gemetzel und Jump-Scares auskommen, als solche anzuerkennen, und die Filmbranche hat Begriffe wie “Chillers”, “Mysteries”, “Psychological Films” usw. etabliert, um das Wort Horror zu umgehen. Die Gründe hierfür werden wir an anderer Stelle und zu einer anderen Zeit diskutieren.

Lars von Triers Antichrist

Lars von Triers 2009 erschienenes Psychodrama, das sich dem Publikum – schaut man es unter dieser Prämisse – auch in Form einer pathologischen Studie darbietet, setzt dem Horror in ganz eigener Weise Hörner auf. Es ist nicht allein nur eine Studie, die sich die uns hier gezeigte Paarbeziehung zum Gegenstand genommen hat, um einen abnormen Verlauf nachzuzeichnen, es ist auch eine, die sich die nach und nach offenbarte und somit festgehaltene Krankheitsgenese der beiden zum Anlass nimmt, das womöglich eigentliche Thema von Interesse herauszupellen. Und zwar beim Zuschauer. Der vielleicht, wie ich es tue, nach dem Wissensstand der medizinischen Psychologie von heute fragt, vor allem aber nach ihrer Praxis und Anwendung. Eine Studie also, die sich den Patienten anschaut, der ihre heutigen Dienstleistungen in Anspruch nimmt.

Das zentrale Thema von Lars von Trier ist, wie zumeist, die Angst des Menschen. Der Mensch, das Individuum, das – obgleich wir längst nicht mehr im Mittelalter leben und uns selbstüberschätzend als endgültig aufgeklärt begreifen – sich scheinbar sicher in den Händen eines Humanismus wähnen darf, der sich mit dem Wissens- und Erkenntnisfortschritt dekoriert, ihn auch postuliert, aber nicht anwendet, also nur behauptet: und somit in keiner Weise als ein solcher Humanismus zu begreifen ist.

Die kapitalistische Diktatur, die sich das demokratische System zur absolutistischen Funktionalen auf allen Feldern zu eigen gemacht hat, entzieht dem Humanismus das Wasser, das menschliche Element, das dieser Idee innewohnt. Eine Idee, die dem Leben und den Individuen Achtung entgegenbringt, indem sie Würde und Caritas voraussetzt. Das Schutzbefohlene wird zum Wild, das den Märkten schutzlos ausgesetzt ist. In Häufung und Ausprägung von Erscheinungsformen zunehmende psychische Erkrankungen deuten darauf hin. Besonders die häufig einwegige Anwendung von therapeutischen Maßnahmen im medizinischen Sektor ist hier als begünstigender Faktor zu nennen. Ein Beispiel hierfür wäre, dass bei diversen psychischen Erkrankungen und Zuständen oft nur verhaltenstherapeutisch gearbeitet wird, ganz gleich, ob es angebracht ist oder nicht. Weitere Maßnahmen wie die der Psychoanalyse werden entweder gar nicht oder nur selten angewandt. Zu zeitaufwendig ist der Patient heute geworden, verursacht zu schnell kosten, anstatt seine Kraft den Arbeits- / den Kapitalmärkten zu Verfügung zu stellen. Jene Märkte, die sein Nichtmehrkönnen zumeist verursachen, seinen Gesundheitszustand überhaupt erst gefährden. Gewinnbringend soll er sein, in kürzester Zeit für den Arbeitsmarkt wieder “fit gemacht” werden. Wie die uns umgebenden systemisch operierenden “Apparate” funktionieren, die nichts anderes zum Ziel haben als den Menschen stets und erneut anzuschließen, da sie gar bis ins Private eines Einzelnen / von Familien greifen, zeigt dieses Meisterwerk auch demzufolge konsequent auf eine höchst private und intime Weise: der eigene Ehepartner als ausführende Instanz in den eigenen “vier Wänden”.

Die drei Bettler

Er (gespielt von Willem Dafoe) verkörpert den zur Gänze ans Systemische Angeschlossenen. Kalt, emotionslos und rational tritt er in Erscheinung. Weder der Tod seines Sohnes Nic, der, gerade erst das Laufen gelernt, eines Nachts aus dem Fenster stürzte, als die beiden miteinander schliefen, noch die Trauer, der Schmerz, die Verzweiflung seiner Frau über den Verlust ihres Kindes, entlocken ihm Emotionen und Handlungen, die wir erwarten und als adäquat begreifen würden. Er, von Berufswegen Therapeut, versucht Sie (gespielt von Charlotte Gainsbourg) zu therapieren. Rät ihr ab, vom Arzt, der sie zu Beginn betreut. Niemandem außer sich selbst traut er Können zu. Er missachtet damit, dass er ein Patienten-Therapeuten-Verhältnis eingeht, das unter keinem guten Stern stehen kann, da er ihr Mann (also co-abhängig) ist, und zugleich auch Vater des Kindes, das starb. Angesichts des traumatischen Ereignisses bräuchte er selbst einen Therapeuten. Sie hingegen, die Trauer, Schmerz und Verzweiflung empfindet und durchleidet, lässt ihn gewähren, obwohl sie ihm Arroganz und Selbstüberschätzung vorwirft, gar Ignoranz und Nichtwahrnahme.

Wir erfahren, dass sie an einer Dissertation schrieb, die sich mit dem Gynozid beschäftigt, mit der Hexen- und Frauenverfolgung im Mittelalter, für die sie sich gemeinsam mit ihrem Sohn Nic in eine in einem Wald stehenden Hütte zurückgezogen hat. Eden nennt sie diesen Ort, der ihr, so können wir spekulieren, sicher einmal ein Idyll war, der nun aber mit Angst besetzt ist, wie der Wald selbst, der uns im Film gezeigt wird. Sie erfährt ihn als bedrohlich.

Die Natur ist Satans Kirche

: eröffnet sie ihrem Mann in der Hütte des Waldes, nachdem er auf dem Dachboden die Ausbeute ihrer Nachforschungen entdeckt hat. Er, der sie in den Wald brachte, um sie in diesem zu therapieren, da sie ihn / Eden als das, was ihr Angst macht, zunächst angab.

Der Boden brennt, äußert sie ihrem Mann gegenüber, als sie durch den Wald laufen. Der Boden brennt nicht, entgegnet er und zeigt damit, dass er auf sie und ihre Wahrnehmung kein bisschen eingeht. Nicht einmal als sie daraufhin einen ihrer Schuhe auszieht und ihm zeigt, dass ihre Fußsohle an mehreren Stellen wund und offen ist. Dieser kurze Dialog ist ein exemplarisches Beispiel für die vielen Dialoge, die die beiden miteinander führen. Sie versucht ihm etwas zu sagen, er aber geht über sie hinweg. Er erscheint als der Dominantere. Sie als die Sich-Fügende. Unter Trance, als sie noch in der Bahn, auf dem Weg nach Eden sind, erzählt sie ihm unter anderem von einem großem Baumstumpf, neben dem ein schmalerer, toter, nicht mehr blühender Baum steht. Eine Metapher, die für sie und ihn stehen kann. Den Einfluss, den er auf sie hat.

Jedoch erfahren wir auch sie nicht als adäquat reagierende und handelnde Person. Einzig in ihren Wut- und Verzweiflungsausbrüchen ihm gegenüber können wir sie verstehen, in jenen, in denen sie ihm einen Spiegel seiner Verhaltensweisen vorsetzt. Ansonsten wirkt sie depressiv und psychotisch. Ihr Sexus scheint das einzige zu sein, was ihren Mann in seiner rationalen Stoik außer Gefecht zu setzen vermag. In ihrer Verzweiflung, in der sie ihn sich gegen seinen Willen nimmt, erleben wir ihn als Unterlegenen, den es stante pede reut, schwach gewesen zu sein, da er sich von ihr als Patientin verführen ließ.

Das Kammerspiel der beiden wird zunehmend psychotischer. Die große Eiche, die, sobald es stürmisch wird, ihre unzähligen Eicheln auf das Dach der Hütte prasseln lässt, dient ihr als weitere Metapher für das Leben und das Bedrohliche der Natur. Es zeigt den Aufwand, den die Natur betreibt, um Leben weiterhin zu ermöglichen. Das viele Sterben, das dazu vonnöten ist. Das Schreien der fallenden Eicheln. Das Schreien und Weinen eines Kindes, dass sie hörte, als sie mit Nic einmal allein dort war. Ein Weinen, von dem sie dachte, es wäre das ihres Sohnes.

Neben dem Fund ihres Dissertationsgegenstandes (den vielen Bildern von Hexenverfolgung, -verbrennung und -folter), findet ihr Mann auch Fotos, die sie und Nic allein in Eden zeigen. Auf allen hat sie ihm seine Schuhe falsch herum angezogen, was der Autopsiebericht ihres Kindes bestätigt, in dem es heißt, dass die Knochen der beiden Füße anormale Verformungen aufweisen.

Sie gesteht ihrem Mann, dass sie durch ihre Arbeit an der Dissertation zu der Erkenntnis kommt, dass, wenn die Natur böse ist, wie sie sie wahrnimmt, die Frau, die sie als ein Wesen der Natur begreift, ebenso böse sein muss. Folglich ist auch sie, ihre eigene Natur böse (Was wir später in einer ihrer Handlungen, in der sie sich ihre Klitoris mit einer Schere abschneidet, bestätigt finden.). Eine Erkenntnis, die er (zurecht) rigoros ablehnt.

Wir ahnen, dass wir es hier mit einer Frau zu tun haben, die nicht erst seit Kurzem medizinisch-psychologische Hilfe nötig hat, deren Krankheit zwar im Verlauf durch die nicht intakte Beziehung, durch das Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Mann befeuert wird, jedoch darin nicht zwangsläufig ihren Ursprung hat. Wir erleben nur, wie sie mit ihrer Angst, ihren Zuständen allein gelassen wird. Doch auch für ihn gilt Gleiches. Denn auch er (der für die rationale Kälte der Gesellschaft steht) ist, wie schon erwähnt, nicht nur nicht angemessen in seinen Reaktionen und Handlungen, er ist auch abhängig von ihr. Beide, wie in einer Symbiose, brauchen sich, um sich mehr und mehr ins totale Off zu schrauben.

All ihre bisherigen Ausbrüche, die Selbstverletzung auf der Toilette, der depressive (teils auch manisch anmutende) Zustand, wie auch die ans Licht tretenden “Wahrheiten” über sie und Nic, wie auch ihre “Erkenntnisse” (die Sicht der Natur / ihre Selbstsicht) lassen ihn mehr oder weniger kalt. Selbst als sie nach dem gemeinsamen Akt mit einem Holzblock auf sein Genital einschlägt und ihm einen Schleifstein ans Bein schraubt, den sie mit Hilfe einer Eisenstange befestigt, die sie ihm zuvor durch sein Bein bohrt, bleibt er nüchtern und ohne jede Emotion. Allenfalls Angst können wir als Zuschauer aufgrund dessen ausmachen, dass er sich durch den Wald schleppt, um vor ihr zu fliehen. Denn kurz zuvor hatte er sie ja sogar noch in den Arm genommen, als sie es verlangte, und das obwohl er bereits massiv von ihr in beschriebener Weise malträtiert worden war. Erst als er es schafft, das Schleifrad loszuwerden, erwürgt er sie und verbrennt sie vor der Hütte auf einem Scheiterhaufen.

Den Wald verlassend sehen wir wieder schwarz-weiß, wie zu Beginn, als wir verfolgen konnten, wie Nic durch die Wohnung lief, während die beiden miteinander schliefen, auf den Tisch, das Fensterbrett krabbelte, 3 Zinnfiguren hinunterwarf und zum Fenster hinausfiel. 3 Figuren, die Pain, Grief und Despair heißen, die für die 3 Bettler stehen, von denen sie uns später berichtet, denen er in der Gestalt dreier Tiere im Wald nacheinander begegnet: die Ricke, mit dem totgeborenen Kitz (Grief), dem Fuchs, der sich selbst zerfleischt, der sagt: Chaos regiert. (Pain), die Krähe, die von ihm getötet wird, da sie ihn im Fuchsbau durch ihre Schreie verrät (Despair), die sich ihm nach dem Tod seiner Frau als Sternbilder am Nachthimmel zeigen.

Wir erfahren, dass sie Nic sehen konnte. Erinnern uns, dass auch das Babyphon zu Beginn des Film stumm geschalten war. Wir sehen ihn durch den Wald laufen, einen Hang hinunterschauen, den unzählig viele Frauen hinaufsteigen, als wären sie von ihm befreite. All jene Frauen, denen man im Laufe der Menschheitsgeschichte Gewalt antat, Frauen, die der Hexerei bezichtigt, gefoltert und getötet wurden. Denn: wir erinnern uns, er, der seine Frau dem Feuer übergab, war nicht wie sie davon überzeugt, die Natur der Frau sei böse. Wir sehen ihn, sein zufriedenes Lächeln am Ende bestätigt es, sich als Erlöser wahrnehmend. Als einen, der diesen Wald vom vermeintlich “Bösen” entbunden hat. Als wäre er der Widersacher des Teufels. Wir sehen die Perversion unserer heutigen Zeit, das kalte, nüchterne Maß der Dinge, das den Menschen sterben lässt.

Lars von Triers Antichrist ist sicher keine leichte Kost, zugegeben, aber es ist falsch, diesen Film mit Hohn und Spott zu überziehen, ihn als frauenfeindlichen, nur die Sündenmythologie wieder auflodern lassenden zu brandmarken. Lese ich all die Diskussionen und Artikel, die sich mit ihm beschäftigen, darf ich mich nur wundern. Ich halte ihn für ein Meisterwerk.

Darren Aronofskys “mother!”

Am 5. September 2017 feierte dieses psychologisch herausragende transzendentale Drama Premiere. Es wurde bei den 74. Filmfestspielen in Venedig gezeigt. Am 14. September kam es zu uns in die Kinos. Nicht wenig Applaus, aber auch jede Menge Buh-Rufe hat es geerntet. Als misogyn oder platt-feministisch wurde es bewertet. Gar biblisch wurde es ausgedeuet.

©Paramount Pictures Germany

Aronofsky, der mit einer Filmografie aufwarten kann, die Perlen beinhaltet wie: Pi (1998), Requiem for a Dream (2000), The Fountain (2006) oder The Wrestler (2008), hat mit dieser erschütternden Home Invasion-Darbietung meiner Meinung nach sein absolutes Meisterwerk unter seinen Meisterwerken vorgelegt. Dem Post-Horror ist es zuzurechnen. Neben Jennifer Lawrence und Javier Bardem spielen nicht minder überzeugend Ed Harris und Michelle Pfeiffer. Einige Kritiker sahen in dem Film immerhin einen Oscaranwärter 2018 in mehreren Kategorien.

Was wir erleben, ist eine zweistündige, nicht enden wollende Eskalation mit stets zunehmender Dramatik. Es reicht nicht, eine kurze Inhaltsangabe im Klappentext zu geben, die da lautet:

Die Beziehung eines Paares wird auf eine harte Probe gestellt, als ungebetene Gäste in ihr Haus kommen und den friedvollen Alltag stören.

Denn das erzählt nur von einem kleinen Bruchteil der ganzen Wahrheit! Es benennt nur den Auslöser, nicht die beiden Gründe, die bei dem unverhofften Besuch entfesselt werden, nämlich: “Mother” und “Him”.

“Mother” & “Him”

Sie, handwerklich begabt, restauriert ihm, dem Schriftsteller, der an einer Schreibblockade leidet, das Haus seiner Kindheit, das er in einem Feuer verlor und sie ihm bereits wieder aufgebaut hat. Beide leben recht abgeschieden. Wir lernen das Haus mit dem Erwachen von “Mother” kennen, entdecken Zimmer um Zimmer, indem wir ihr nah folgen. Wir sehen wie sie das Haus berührt, restauriert und spürt. Wir begegnen ihrem Mann, nehmen an der Konversation und Zärtlichkeit der beiden teil, werden Zeuge wie sie sich in ihre Arbeit, in ihr jeweiliges Lebenswerk zurückziehen. Doch die scheinbare Idylle der beiden wird je durchbrochen, als eines Tages ein Fremder (Ed Harris) vor ihrer Tür steht, ein Bewunderer ihres Mannes. Frau (Michelle Pfeiffer) und Söhne des Fremden folgen bald. “Him”, der von Anfang an den hereinfallenden Besuch begrüßt, nimmt kaum Notiz von den Andeutungen seiner Frau, der die Überfälle der Gäste zuviel sind, da sich diese über die Maßen neugierig verhalten, plump und sorglos mit dem Haus umgehen. So nimmt der Horror seinen Lauf. Es kommen mehr und mehr Menschen, die in das Heim der beiden einfallen, es nach und nach zerstören. Und das alles vor den Augen von “Mother”, die die Zerstörung ohne Unterlass zu verhindern versucht, stets Hilfe bei ihrem Mann suchend, dem der Schaden, den das Haus nimmt, offenbar nichts ausmacht, ebensowenig die Gefühle seiner Frau. Denn all jene, die da kommen, kommen wegen ihm, dem Schriftsteller, der aufgrund der Schwangerschaft seiner Frau wieder zur Inspiration gefunden und seine Schreibblockade überwunden hat.

Und obwohl wir die ersten Eindringlinge – gemeint sind “Frau” (Michelle Pfeiffer) und “Mann” (Ed Harris) – als Adam und Eva im Paradies von Gott (“Him”) und Mutter Erde (“Mother”) identifizieren können, und ihre Söhne als Kain und Abel, denn der eine erschlägt ja den anderen, erzählt diese Geschichte für mich nicht die Geschichte von Mann und Frau schlechthin. Sie erzählt vor allem von einem bestimmten gelebten Typus von Mann und Frau. Er, der Schriftsteller, verkörpert einen Künstlertypus, der durch die Bewunderung und das Fantum seiner Anhänger erst aufblüht. Er entspricht somit als Allegorie einem möglichen Gottbild, das wir haben können. Seine schöpferische Kraft aber wird erst durch “Mother”, durch sie als Lebensspenderin, durch das Geschenk eines Kindes entfacht. Das von ihr wiederbelebte, sanierte und restaurierte Heim stellt ihm hierbei den Grund, das Leben / eine Existenz als solches zu Verfügung. Dabei verkommt “Mother” keineswegs zu einem passiven Typus von Frau, der sich nicht wehrt, obgleich sie der Zerstörung kaum eine adäquate Gegenwehr aufbieten kann, da sie von einer Katastrophe in die nächste läuft. Keine Pause wird ihr dabei gegönnt. Sogar ihr Kind gebiert sie innerhalb dieser um sie herum wütenden und lebensfeindlichen Zerstörung, die für ihn, “Him”, zu einem ihn zelebrierenden Kult geworden ist, den er feiert. Und so kann und konnte das Fremde und Zerstörerische eindringen in etwas, das Risse hat und offenbar schon hatte, das nicht ganz ein und eins ist, und es folglich offenbar nie gewesen war. Wie eine verletzte Haut, die zur Pforte für einen Virus wird, gegen den “Mother” keine Abwehr haben kann, lässt “Him” ihn doch ein. Es ist ein blinder Gott, der uns hier gezeigt wird, der “Mother” gegenüber ebenso blind ist, wie seine Anhänger ihm blind folgen, während sie, die Liebende, eine Sehende ist, die mit allen Sinnen, mit Haut und Haar, Herz und Holz wahrnimmt, was mit ihr und dem Haus geschieht. Dies gelingt besonders dadurch, dass ihr die Kamera die meiste Zeit dicht über die Schulter schaut oder ihre Reaktionen auf das Geschehen durch die Nahaufnahmen ihres Gesichtes gezeigt werden.

Burning down the House

Was mich an diesem Film so dermaßen beeindruckt, sind weniger die Ideen der allegorischen Figuren, die abermals auf die Bibel referieren, als die schwindelerregende Rasanz, mit der es Aronofsky gelingt, diese Idylle – ein mit viel Kraft und Energie aufgebautes Leben – schmerzhaft konsequent in Schutt und Asche zu legen. Authentisch! Trotz des Stilmittels der ständigen und stets zunehmenden Übertreibung. Eine Rasanz, die es dennoch zulässt, uns mit “Mother” zu identifizieren. Wir fühlen, wie tief die Wunden klaffen, die die Fremden ins Haus, in “Mother” schlagen. Denn das Haus wird von ihr als ein ebenso lebendiges Wesen begriffen: “Mother” ist das Haus : das Haus ist “Mother“. Hier wird dem Künstler als Schöpfer die Schöpfung der Mutter gegenübergestellt. Eine Schöpfung, die imstande ist, Leben zu geben, es zu erhalten und möglich zu machen. Die aber doch, konfrontiert mit der von ihrem Mann gebilligten zerstörerischen Gewalt seiner Anhänger, in die Knie gezwungen wird, trotz der immensen ihr gegebenen Kraft. Der brennende Künstler, das brennende Haus, die brennende Frau und ein neuer Tag, aus der Asche aufzuerstehen … zumindest für einen von beiden. Vielleicht eine Allegorie auf das, was das Leben ist, und wie es sich überhaupt erst grausam ermöglicht, ganz sicher aber auch eine Liebeserklärung auf ein lebenskonstituierendes Prinzip.

David Cronenbergs Crash

Crash

Der Druck auf meine rechte Körperseite, auf diese Extremitäten, die Knochen, die äußeren Flächen. Das Hervortreten der Schulterblätter. Die Unterbindung des Blutflusses der Beine. Das Gras berührt, die Wange den Boden. Das Klaffen der oberen Lippe. Die Beckenschaufel wieder und wieder in Erde bewegt. Die starkschnellen Schläge. Links, unter meiner Brust. Unter den Rippenbögen, die flache Atmung. Die Weite von vorn, von hinten Wärme. Die Haut deiner Hand. Das Blut schmeckt eisern.

„Maybe the next one. Maybe the next one.“

(Albera Anders)

Vom Asphalt, dem großen geregelten Verkehr der einsamen Städter, in den Graben abkommen. Ins Gras. In die Berührung. In ein Detail. Herbeigeführt durch eine willentliche / künstliche Crashsituation. Warum? Um in einen Zustand zurückzufinden, den man noch erinnert, der sich aber offenbar nicht mehr so einfach einstellt. Extremer ausgedrückt: Es passiert einem ja sonst nichts.

©Jugendfilm Verleih GmbH

Ist dir etwas passiert? 

Nein. Leider nicht!

Das Auto im Graben. Der Mensch: verletzt. Es folgt eine Bestandsaufnahme der wahrgenommenen Verletzungen, bzw. der eigenen vorgefundenen körperlichen Zustandssituation. Ein Zoom, Vereinzelungen, Details. Substantivierungen: Oder wie man im Dunkel(n) einer Werkstatt (s)ein Auto mit einem Handlicht nach potenziellen Schäden absuchen würde. Im schwärzesten Fall werden aus hervortretenden Schulterblättern Flügel.

Die Autoerotik ist hier ganz plastisch das Automobil. Und mehr denn je, abhängig von der Wahrnahme / Beobachtung eines Anderen / Zweiten.

… Die Haut deiner Hand … : Wie ein Überzug eines Autositzes. Und dennoch etwas anderes, da warm und durchblutet. Etwas, das ich wiedererkenne. Etwas, das menschlich ist.

Die Stadt wird als ein Käfig begriffen. Die Natur und ihre Farben, Geräusche und Düfte sind betoniert und asphaltiert worden. Es gibt nur wenig Traffic, kaum Begegnungen. Und so wird eine Begegnung mit einem anderen Menschen sprichwörtlich als Crash wahrzunehmen versucht. Entfremdung und Isolation sind die treibenden Kräfte, die die Triebkräfte Lebenswille und Thanatos entfesseln. Die Protagonisten, eine kleine Gruppe von Unfallfetischisten, die sich um Vaughan (Elias Koteas) versammelt, der solche Happenings organisiert (er stellt die Autounfälle zu Tode gekommener Berühmtheiten nach, wie z.B. den von James Dean), setzen alles daran, mit ihren Autos von der vorgesehenen (Verkehrs-)Spur abzukommen. Crashtestvideos und Fotografien von Unfallplätzen werden studiert und konsumiert. James Ballard (James Spader) und seine Frau Catherine (Deborah Kara Unger) schließen sich dieser Gruppe an. Beide haben Affären, von denen sie sich gegenseitig erzählen, um sich gegenseitig anzuheizen, da sie sich entfremdet haben. Gesucht wird der ultimative Orgasmus. So scheint es zunächst einmal. Denn Catherine kommentiert einen Seitensprung ihres Mannes, der ihm keine wirkliche Befriedigung verschaffte, mit den Worten:

“Vielleicht beim nächsten Mal.”

Mit jedem provozierten Unfall wird versucht aus den Strukturen, der Isolation, die sie mit sich bringen, auszubrechen. Lebenswille und Todessehnsucht kulminieren, setzen in den freiwilligen Lebenddummies einen Eros frei, der sie allenfalls nur Sekunden befreit. Der sie, sterben sie bei den Unfällen nicht, nur von einem Gehege ins nächste bringt. Von der Spur : in den Graben : in den Fixateur externe. Es findet eine versuchte Traumaverarbeitung durch Schleuder- und Gewebstraumen statt. D.h.: es wird versucht ein Trauma durch das nächste, provozierte abzulösen. Die Sehnsucht, frei zu sein / auszubrechen, geht mit der Sehnsucht des Menschen, umfangen zu sein, Hand in Hand.

… Die Weite von vorn, von hinten Wärme. …

Beides ist nicht sehr verwunderlich, bedenken wir, dass uns das schon ein Säugling verrät, der, mal abgesehen vom wichtigen menschlichen Körperkontakt, den Kontakt zu dem, was ihn umgibt, braucht. Nahm er sich doch als Embryo sicher im Uterus der Mutter wahr. Da er umfangen war, war es ein Zustand, der ihn sicherte, aber zugleich auch einer, der der Schwerelosigkeit nahe kommt, da er im Fruchtwasser schwebte.

Ähnlich wie Kinder ihren Verband schon selbst bei kleinsten oder nur gefühlten (also seelischen) Verletzungen fordern, um zu gesunden, fordern diese Erwachsenen ihre Fixateure (interne, besonders aber die externen) für ihre seelischen Verwundungen. Sie aber nehmen in Kauf, dass sie dabei sterben könnten. Schrammen mit hoher PS-Zahl jedes Mal hart am Tod vorbei. Und sterben doch immer ein bisschen. (Vaughan hingegen, mit dem James eine homoerotische Affäre hatte, schafft es am Ende.) Und so ist dieser Thanatos kein Gott eines sanften Todes, als der er gemeinhin gilt. Vielmehr ist es ein im Eros enthaltener Todestrieb, der diesem Gott das Wasser unsanft abgräbt.

Und auch am Ende, als James und Catherine beide im Graben landen, da er sie mit seinem Auto von der Straße drängte, stehen:

Hoffnung und Vergeblichkeit:

Die Beckenschaufel wieder und wieder in Erde bewegt. Maybe the next one. Maybe the next one.

1996 erschienen und mehrfach ausgezeichnet (unter anderem in Cannes), ist David Cronenberg mit der Verfilmung des gleichnamigen 1973 erschienenen Romans von James Graham Ballard ein kontrovers diskutiertes Meisterwerk gelungen, eine pferdestärkenperverse Icherlebniskultur in Bildsprache, die genau ins Auge fasst, warum der Spoiler bei schneller Geschwindigkeit das Heck hart am Boden hält

Bram Stoker’s Dracula

Bram Stoker’s Dracula gab vor 25 Jahren sein Debüt und erzielte im Laufe der folgenden Saison rund $ 82 Millionen und weltweit $ 215 Gewinn. Das ist nicht schlecht für einen Horrorfilm, gerade im Jahre 1992. Der Film hätte nicht heißer erwartet werden können, größtenteils dank seiner Besetzung: Anthony Hopkins, frisch von Das Schweigen der Lämmer kommend, Keanu Reeves und Winona Ryder – damals noch Youngsters -, und schließlich Charakterschauspieler Gary Oldman endlich einmal als das, was er ist: ein Dämon. Aber die aufregendste Aussicht auf einen guten Film bot der Name des Regisseurs: Francis Ford Coppola, der seit dem Abschluss seiner The Godfather-Trilogie im Jahre 1990 keinen Film mehr gedreht hatte. Obwohl er durchaus mehrere Flops hingelegt hatte, war Coppola immer noch Coppola, der Macher des Paten und von Apokalypse Now. Natürlich wurde der Film von den meisten Kritikern nicht zu den besten des Regisseurs gezählt und ist in den Augen der Öffentlichkeit nicht gerade gut gealtert. Was die meisten Leute heute mit Bram Stoker’s Dracula in Verbindung bringen, ist ein “heimliches Vergnügen”. Dabei handelt es sich um einen Film, der weitaus besser ist als das Getue vermuten lässt.

©Columbia Tristar

Bram Stoker’s Dracula hat jede Menge erstaunliches Material zu bieten. Coppola entschied sich dafür, dass der Film eine Hommage an den klassischen Horror sein sollte, indem er die Verwendung jeglicher moderner visueller Effekte vermied und stattdessen Techniken benutzte, die damals für Stummfilme wie Nosferatu angewandt wurden.

Dann gibt es da das absolut atemberaubende Produktionsdesign und das noch prächtigere Kostümdesign des japanischen Designers Eiko Ishioka. Coppolas Anweisung für “die Kostüme als Augenfänger des ganzen Sets” brachte Outfits hervor, die man nur bestaunen konnte, angefangen von Draculas rotem Samtumhang bis hin zu Lucy’s Trauerkleid, das sie wie eine Eidechse auf der Pirsch aussehen lässt.

Die Partitur des polnischen Komponisten Wojciech Kilar ist ebenfalls ein bedeutender Triumph des Films. Für den Rest der 90er Jahre wurden Outtakes der Partitur gefühlt in jedem Trailer verwendet, egal um was es thematisch im Film dann ging. Heute ist Kilars Name nicht so bekannt wie der einiger anderer Filmkomponisten, aber die Partitur für Dracula ist ohne Frage ein Meisterwerk.

Und natürlich müssen wir über Gary Oldman sprechen. Damals war Oldman noch nicht sonderlich bekannt; wenn man überhaupt wusste, wer er war, dann wegen einiger Nebenrollen. Aber von dem Moment an, wo er auf den Bildschirm tritt, antizipiert er die ihn umgebende Landschaft auf die bestmögliche Weise. Genauso taucht der Musiker Tom Waits als Draculas menschlicher Sklave Renfield auf, Anthony Hopkins als eine etwas verrückte Version des Vampirjägers Dr. Van Helsing und Sadie Frost, die als Draculas Opfer-Liebchen Lucy Westenra die Sache etwas übertreibt.

Aber der Film hat auch ein paar Probleme. Für den Anfang wollte Coppola der erste sein, der Stokers Buch korrekt adaptierte. Wer es noch nie gelesen hat, wird sich vielleicht nicht vorstellen können, was für eine entmutigende Aufgabe das ist. Stokers Roman von 1897 ist als eine Ansammlung von Korrespondenzen, Tagebucheinträgen und Zeitungsartikeln geschrieben, was die Struktur sehr wackelig macht. Aus diesem Grund haben die berühmtesten Adaptionen von Dracula, wie die von Bela Lugosi und Christopher Lee, sich die Angelegenheit etwas einfacher gemacht. Aufgrund der vorgegebenen Notwendigkeit, sich an das Format des Buches zu halten, fühlt sich der Film weniger wie eine Geschichte an, sondern eher wie mehrere Szenenskizzen, die aneinander gereiht sind, mit merkwürdigen Voice-Over-Stimmen hier und da.

Und trotz all dieser Mängel und der extremen Affektiertheit dieses Films zieht seine Kombination aus unglaublicher visueller und klanglicher Präzision die Cineasten weiterhin in ihren Bann, und man übersteht sogar die schlechten Passagen (im Grunde alle Keanu-Szenen), die mindestens gehaltvoll amüsant wirken. Man sollte sich gar nicht wünschen, dass sie ein anderer gespielt hätte. Wer den Film nicht kennt, sollte sich heute Abend oder gleich morgen von seiner visuellen Größe überzeugen.