Literarische Obsessionen am Beispiel Sherlock Holmes

Er beugte sich vor, legte eine Hand auf meinen Arm, die dunklen Schatten unter seinen Augen betonten ihr durchdringendes Blau, und sagte mit schwerem französischem Pepe Le Peu-Akzent: „Sie sind die Frau, nach der ich gesucht habe. Die einzige Frau für mich, meine ganz eigene Irene Adler.“ Damals war ich fünfundzwanzig, eine Sherlock-Holmes-Fanatikerin, und ich hatte mein ganzes Leben lang darauf gewartet, dass jemand diese Worte sagte.

Holmes

Auf romantische Weise besessen von Büchern war ich schon in jungen Jahren. Ich glaube, meine Mutter schenkte mir Die Drei Musketiere, als ich neun Jahre alt war, während einer besonders schlimmen Bronchitis, und nachdem der schneidige D’Artagnan in mein Leben getreten war, wusste ich, dass meine einzigen Helden fiktiv sein würden, und ich verliebte mich in der Folge in die Hauptfigur fast aller Bücher, die ich las. Ich liebte die Klassiker, ich liebte Korsetts und Droschken, Geschichten über Ehre und Romantik, in denen alle Heldinnen Jungfrauen waren wie ich, und alle am Ende entweder ein Paar wurden oder starben. Während meine Mitschüler Poster von Leonardo DiCaprio oder den Backstreet Boys aufhängten, träumte ich von Mr. Darcy, Daniel Deronda und Raskolnikow, bürstete mein Haar mit einer Wildschweinborstenbürste und las bis spät in die Nacht bei Kerzenlicht. Aber derjenige, der über allen anderen stand, war Sherlock Holmes. Groß, dunkel, dünn, brillant, asozial, eitel, selbstzerstörerisch – er war alles, was mein Teenagerherz an einem Mann begehrte, und zunehmend auch alles, was ich selbst sein wollte, und ich verlor ganze Abende damit, mir die reißerischsten romantischen Fantasien auszumalen.

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