Renate is fatsching yu

Früher hoben wir alte Zeitungen auf, um das vermaledeite Feuer anzubekommen, wenn die krustigen Zahnstocher partout kein Wölkchen von sich gaben. Oder um auszugleichen, dass wir uns keine Unterwäsche leisten konnten. So eine Schlagzeile über der Mutterbrust sorgte nicht selten für Lacher, wenn man auf Hippie-Partys klein Kurt nach dem milchigen Gesöff schnappen ließ wie ein Bullkarpfen nach der Mücke im Wind. Die Ecken pulten wir dann immer zwischen die Fettfalten, damit ja nichts abrutschte. Auf die Idee, daraus Gedichtchen zu formen wären wir niemals gekommen. Häkeln, Stopfen und Nähen war unser Beruf, liebe Gendertussen – wenn ihr mir diese moderne Höflichkeitsfloskel gestattet! Hatten wir keine Wolle, trennten wir eben alles wieder auf. Heute eine Socke, morgen ein Pullover, übermorgen Handschuhe. Dem gedruckten Zeug einen Hauch altertümlicher Handarbeit zu verpassen, erfreut mein in die Jahre gekommenes Kümmerherz so sehr, dass ich mir gleich einen Dornkat erlauben werde, um mein Glück ja niemanden spüren lassen zu müssen. Denkt immer daran, liebe Dichterlein: Renate is fatsching yu!

LiveBook/Lorebuch-Kooperation

Das LiveBook greift selbstverständlich auch aus den visuell gestalteten Seiten hinaus und manifestiert sich in weiteren Texten, die nicht unbedingt einen Weg ins fertige Werk finden müssen. So geschehen (unter der heutigen Arbeitsatmosphäre) beim Gespann ENDLICH SCHULD / SCHWEREMUT, wobei letzter Text in die Sammlung LOREBUCH aufgenommen werden wird.

Schweremut (zum LiveBook-Event „Endlich Schuld“)

Die Hütte, in der man sie antraf, hieß SCHWEREMUT, und ihre Tage und Nächte verbrachten sie in ihrer abgewirkten Haut, die man ihnen hinterlassen hatte, als man sie floh. Töchter der Baba Yaga, der grausamen Frau mit ihren herabhängenden Brüsten und einem knochigen Bein. Kinder des gefallenen Gottes, in einer Knochenwiege ausgesetzt bei den ramponierten Grabsteinen verscharrter Mörder. Die Schwestern betteten sich in Moder und ihre Blutlust war noch ihre schönste Charaktereigenschaft.

„Dreh diesen Körper zu mir, Santa – ich will die Beschaffenheit des Fleisches mit eigenen Augen sehen.“ Derbas Tunnelaugen wiesen die Nacht in ihre Schranken, als sie sich bereits selbst über die makabre Kulisse stülpen wollte.

In den Hanfseilen unter dem Boden hangelten die Leichen, die ebenfalls umgedreht werden mussten. Clodette war die Todwünscherin der drei Schwestern, gram und grau, deren durchdringendes Gezeter bei Neumond, der rabenschwarzen Nacht, die Schauer von Tür zu Tür wanken lässt. Sie stehlen nicht die Kinder – sie stehlen ihre Gebeine, um sie in marschierende Puppen zu transformieren, mit Kleidern aus der Jahrmarktstonne, von Hüten aus dem Gulag.

Die kleine Schattenkunde


Warum nicht noch einmal einen Podcast versuchen. Es wird sich wieder um einen handeln, der sich nicht dadurch auszeichnen wird, viel gehört zu werden (wenn überhaupt). Da ich allerdings seit Jahrzehnten mit der Audioperspektive arbeite (begonnenen 2005 mit der Sammlung „Ouroboros Stratum“) und die vielen Versuche mich bis heute unkommodiert zurück lassen, müsste ich die nächste Stufe vorbereiten.

Als mein Weblog 2006 in Die Veranda umbenannt wurde, lief er ein ganzes Jahr unter dem Namen „work in progress“ – eine Reminiszenz an den Ulysses von James Joyce, aber völlig passend für meine Literatur des ewigen Tanzes, der ewigen Veränderung, aus der Fertiges nur herausgeklaubt wird, um es in Druck zu geben. Es wäre von innerer Ignoranz zu sprechen, würde ich nicht zugeben, dass ich nicht verschiedene Bücher schreibe, sondern immer wieder denselben inneren Raum zu betrete, auch wenn dieser Raum mit seinen vielen Spiegeln und Masken die Unendlichkeit markiert.

Es sind dieselben Fragen, Symbole, Motive, Obsessionen – und jede Veröffentlichung ist nur ein weiteres Fenster zu diesem inneren Kontinent, ein geschlossenes Imaginarium mit wiederkehrenden Orten, Bildern, Mustern, oft metaphysisch, traumhaft oder existenziell. Das eigentliche Buch entsteht nie ganz; es nähert sich nur an. Ich bin dem asymptotischen Schreiben verfallen.

Es fühlt sich an, als schreibe ich nicht Texte, sondern ein Bewusstsein, das sich ein Leben lang erforscht. Hier ist das Bild das ich benutzen werde:

Das Original stammt von Petrus van Schendel, ein niederländisch-belgischer Genremaler der Romantik, der sich auf nächtliche Szenen spezialisiert hatte, die durch künstliches Licht wie Kerzenlicht, Lampen oder offenes Feuer beleuchtet wurden, und heißt dann auch – wie sollte es anders sein – „Lektüre bei Kerzenlicht“.

Ich bin mir natürlich bewusst, dass diese Privatdinge auch Privatdinge bleiben; es gibt schlicht keinen Grund, irgendetwas zu tun, außer die Notdurft zu akzeptieren, gegen die man ohnehin kaum einen Kampf gewinnt. Ricardo Piglia hat es in seinem Roman MUNK so dargestellt

„Sie wissen, dass sich dort draußen kein Mensch für Literatur interessiert und sie die letzten verbliebenen Hüter einer glorreichen, in die Krise geratenen Tradition sind.“

Ich werde an entsprechender Stelle darauf zurückkommen.

Im Grunde gab es in meiner Arbeit drei wichtige Annäherungen. Die poetische Sprache sollte auch in Prosa möglich sein; ein Tagebucheintrag sollte davon nicht ausgenommen werden; wie kann man das, was man erlebt, jemals in Worte fassen.

Ein Audiokunstwerk ist im Grunde kein Podcast, das dürfte niemand bestreiten. Ich glaube, man hat auch von Radiokunst gesprochen – und wenn man das Wort Radio heute noch so benutzen würde, wäre es mir recht. Also: Strahlenkunst. Noch früher sicher: Speichenkunst.