Sandsteinburg

Alles Geisterhafte war mir von Anfang an vertraut

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Sandsteinburg

Leichenfest

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Journal

Das geheimnisvolle Mondgesicht

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Bouquinist

Aura / Carlos Fuentes

Carlos Fuentes‘ 1962 erschienene Novelle Aura gilt als eines der repräsentativsten Werke des mexikanischen Schriftstellers und ist ein Grundpfeiler der lateinamerikanischen Erzählkunst des 20. Jahrhunderts. Dieses Meisterwerk literarischer Experimentierfreude und psychologischer Raffinesse bestätigte nicht nur Fuentes‘ Platz als eine der wichtigsten Stimmen seiner Generation, sondern trug auch zur Konsolidierung des sogenannten lateinamerikanischen Booms bei. Diese literarische Bewegung, die die Region zwischen den 1950er und 1970er Jahren prägte, machte Autoren wie Gabriel García Márquez, Mario Vargas Llosa und eben Fuentes weltweit bekannt. Mit Werken wie Aura und Der Tod von Artemio Cruz avancierte Fuentes zu einem zentralen Vertreter dieser Epoche.

Aura von Alejandra Acosta
Aura von Alejandra Acosta

Was Aura besonders macht, ist seine unkonventionelle Erzählstruktur. Die Geschichte wird in der zweiten Person und im Präsens erzählt, wodurch der Leser direkt in die Rolle des Protagonisten Felipe Montero versetzt wird. Felipe, ein junger Historiker, der von seinem schlecht bezahlten Job und einem monotonen Leben frustriert ist, antwortet auf eine mysteriöse Zeitungsanzeige. Diese führt ihn in ein altes, baufälliges Herrenhaus in der Calle Donceles, wo ihn Señora Consuelo, die alternde Witwe eines Generals, beauftragt, die Memoiren ihres verstorbenen Mannes zu ordnen und zu vollenden.

Schon beim Betreten des Hauses wird Felipe in eine dunkle, zeitlose Welt gezogen. Das koloniale Herrenhaus ist in Dunkelheit gehüllt, erleuchtet nur von flackernden Kerzen, die zusammen mit religiösen Symbolen eine unheimliche Atmosphäre schaffen. Hier begegnet Felipe auch Aura, der geheimnisvollen jungen Nichte Consuelos, deren grüne Augen ihn sofort in ihren Bann ziehen. Aura verkörpert nicht nur Jugend und Schönheit, sondern scheint auch eine magische Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Leben und Tod zu repräsentieren. Im Laufe der Erzählung entwickelt sich zwischen Felipe und Aura eine intensive, aber rätselhafte Beziehung, die durch Consuelos undurchsichtige Präsenz und die merkwürdige Atmosphäre des Hauses zusätzlich aufgeladen wird.

Aura von Alejandra Acosta
Aura von Alejandra Acosta

Die Verwendung der zweiten Person als Erzählperspektive ist eines der herausragenden Stilmittel des Romans. Der Leser wird nicht nur zum stillen Beobachter, sondern selbst zum Teil der Erzählung. Diese innovative Perspektive verstärkt das Gefühl von Unausweichlichkeit und Verstrickung, während die hypnotische Atmosphäre – geprägt von erdigen Gerüchen, tierischen Präsenzen und dekadenten Räumen – eine tiefgreifende Spannung erzeugt. Diese Elemente, zusammen mit den gotischen Motiven von Dunkelheit, Dekadenz und Übernatürlichkeit, machen Aura zu einem eindringlichen Werk.

Ein zentrales Thema des Romans ist die Macht der Vergangenheit über die Gegenwart. Consuelos Besessenheit von ihren Erinnerungen und ihre Weigerung, die Vergangenheit loszulassen, stehen im Kontrast zu Auras jugendlicher Lebenskraft. Gleichzeitig verwischen die Grenzen zwischen Realität und Fantasie, Identitäten verschmelzen, und Felipe wird zunehmend in die dunkle Dynamik des Hauses verwickelt. Die Erzählung gipfelt in einer unerwarteten Wendung, die sowohl Felipes als auch die Wahrnehmung des Lesers von Figuren und Handlung radikal verändert. Diese traumartige Schlusswendung – eine Verschmelzung von Zeit, Körper und Identität – macht den Roman zu einer vielschichtigen literarischen Studie.

Aura ist nicht nur eine herausragende Auseinandersetzung mit Themen wie Verführung, Identität und Erinnerung, sondern auch ein beeindruckendes Beispiel für Fuentes‘ innovative Prosa. Die Kombination aus formaler Brillanz und psychologischer Tiefe hebt diesen kurzen Roman weit über andere Werke des Genres hinaus und macht ihn zu einem Meilenstein der lateinamerikanischen Literatur.

Bouquinist

Binde dein Haar hoch / Robert Aickman

Bei vielen von Robert Aickmans Geschichten bleibt uns nichts anderes übrig, als psychoanalytisch vorzugehen und die in den Erzählungen auftauchenden Symbole genauer zu untersuchen. Es ist offensichtlich, dass viele dieser „seltsamen Geschichten“ zahlreiche hocherotische Traumsequenzen enthalten. Andererseits sind alle Erklärungen reine Spekulation. Aickmans Erzählungen zu verstehen, ist eigentlich wie über die Träume eines anderen zu sprechen. (Das ist übrigens auch bei Bruno Schulz der Fall, auch wenn seine Geschichten ganz anders angelegt sind). Im Vorwort zu Fontanas Buch der großen Gespenstergeschichten schreibt Aickman:

„Die Geistergeschichte macht dasselbe wie Dr. Freud: Sie stellt einen Kontakt zu den unterdrückten neun Zehnteln unseres Bewusstseins her.“ Dies ist eine wichtige Aussage über Geistergeschichten im Allgemeinen. Und weiter: „In den meisten Gespenstergeschichten begegnet man gar keinem Gespenst. Vielleicht wird man einen anderen Namen für das Genre finden.“

Die Erzählung ist im ersten Band der Aickman-Ausgabe bei Festa enthalten.

Und tatsächlich nannte Aickman seine Erzählungen strange stories, denn auch die so bezeichnete weird fiction greift hier nicht zur Gänze.

„Binde dein Haar hoch“ ist eine perfekte Erzählung, in der es Aickman gelingt, die verführerischen Geheimnisse eines dionysischen Rituals zu würdigen und gleichzeitig die Schrecken eines Wochenendes mit den Schwiegereltern ironisch zu verspotten. Clarinda Hartley, langjährige Junggesellin, eine Frau, die „niemand zu verstehen schien„, hat sich endlich auf Dudley eingelassen, der sie für ein Wochenende zu seinen Eltern aufs Land eingeladen hat. Auf der Suche nach einem Zufluchtsort vor ihren zukünftigen Schwiegereltern, die „tief im Land lebten, aber keine Ahnung von der Wildnis hatten„, stößt sie in der fast immer nebelverhangenen Landschaft auf die orgiastischen Rituale einer Mrs. Pagani – mit Tierfellen bekleidete Körper, die sich in einer offenen Grube inmitten eines Hirtenlabyrinths winden. Nach anfänglichem Entsetzen deutet ein Abschiedsblick zwischen der Frau und ihrer priesterlichen Nachbarin darauf hin, dass wiederkommen wird. Clarinda, die Mrs. Pagani misstrauisch und ängstlich gegenübersteht, erkennt, dass sie sich in der lüsternen Grube der geheimnisvollen Frau besser amüsieren kann, als im „großen Hummertopf“ ihrer Schwiegereltern zu schmoren.

Hier spielt der Kontrast zwischen zwei Gemeinschaften eine wesentliche Rolle. Auf der einen Seite steht die bürgerliche Familie, die mit ihrer perfekten Häuslichkeit mehr als zufrieden ist – ein Symbol der Zivilisation im Endstadium, fern von allem Leben; auf der anderen Seite das Heidnische, Orgiastische, Rauschhafte, die Verbindung mit dem Mysterium des Lebens und der Natur (wie leicht aus dem Namen „Pagani“ zu schließen ist).

In der Erzählung heißt es, dass der Friedhof, auf dem sie lebt, extra entweiht werden musste, damit sie dort wohnen konnte… Und ihr Haus ist schließlich eine umgebaute Kapelle (ein Tempel), die nun einem ganz anderen Zweck dient.

In einigen religiösen Kontexten bedeutet das Binden der Haare auch, sich an jemanden oder etwas zu binden, sowie die Geschlechtsreife oder das Erreichen des heiratsfähigen Alters. Es dient also in mehrfacher Hinsicht dazu, die (freiwillige oder unfreiwillige) Aufnahme in diese heidnische Gesellschaft mit ihren Ritualen und ihrer Magie anzuzeigen.

Auf ihrem nächtlichen Spaziergang begegnet sie zwei seltsamen Kindern, die sich nach der Schweineherde erkundigen, die sie zuvor beobachtet hat. Bei den Schweinen könnte es sich tatsächlich um die späteren Zelebranten der Orgie handeln. Es gibt solche, die scheinbar menschlich, aber nackt sind, und solche, die in Tierfelle gekleidet sind und in ihrem Verhalten und ihrer körperlichen Präsenz eher animalisch als menschlich wirken. Es ist denkbar, dass Tiere in solchen Ritualen menschliche Gestalt annehmen können.

Das Schwein ist hier nicht zufällig gewählt; es symbolisiert unter anderem Lust, Fruchtbarkeit und Wohlstand. Betrachtet man die symbolische Bedeutung des Schweins etwas genauer, so fällt auf, dass Schweinehirten im heidnischen Irland visionäre und magische Kräfte zugeschrieben wurden. Möglicherweise gab es eine direkte Verbindung zwischen diesem Amt und dem Druidentum. In der Erzählung erfahren wir nicht, wer der Hüter der Herde ist, aber die beiden Kinder, die Clarinda nach den Schweinen fragen, sind selbst weniger irdisch, als es den Anschein hat. Während das etwa achtjährige Mädchen mit dem lockigen Haarschopf später als Botin fungiert und ihr die Regeln erklärt, wirkt das andere Kind mit der Kapuze auf dem Kopf eher gefährlich:

„Es schien scharfe, bleiche Gesichtszüge und große Augen zu haben. Mit seiner Kapuze ähnelte es fast einem Falken.“

Dieses Kind wird Clarinda später in den Knöchel beißen, so dass Blut fließt. Das mag ein gewalttätiger Akt sein, aber das Fließen des Blutes gehört schließlich zum Aufnahmeritual, auch wenn es hier fast beiläufig geschieht.

Journal

Die Tigerin von Schächtitz

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Journal

Als die Telefonie noch analog verlief

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Bouquinist

Das Hospiz / Robert Aickman

Marvin Keye schrieb in seinem Vorwort zur Anthologie „Masterpieces of Terror and the Supernatural“, die er herausgab, dass er zunächst zögerte, die Geschichte „The Hospice“ (dt. „Das Hospiz“) in die Sammlung aufzunehmen, weil er nicht herauszufinden im Stande war, was sie aussagen wolle.

Man liest die Geschichte sechs oder sieben Mal (vielleicht auch öfter), und kommt immer noch nicht dahinter. Das aber ist genau das, was sie beabsichtigt. Die besten Geschichten sind jene, die ins Unterbewusstsein kriechen und flüstern und rätselhaft bleiben. Sie führen uns in die Dunkelheit und lassen uns dort allein. Vielleicht finden wir wieder heraus, vielleicht auch nicht. Viele Geschichten von Kafka funktionieren so, viele von Cortàzar tun es ebenfalls – und natürlich die meisten von Aickman. Aber Aickman ist keineswegs ein Avantgardist, der krude Rätsel für seine Leser zusammenspinnt. Das Hospiz ist in einer einfachen Sprache gehalten, fast flach, mit einem Minimum an Erschütterung und Bewegung: Ein Reisender verirrt sich auf einer Straße irgendwo in den West Midlands, kommt durch eine Siedlung, die aussieht wie im 19. Jahrhundert, mit hohen Bäumen und einsamen Häusern, sieht das Hinweisschild, das gutes Essen und andere Annehmlichkeiten verspricht, außerdem hat er fast kein Benzin mehr. Zu allem Überfluss wird er auch noch von etwas, das eine Katze gewesen sein könnte, ins Bein gebissen, als er kurz aussteigt, um sich grob zu orientieren. Dieser Biss, der sich vielleicht entzünden könnte, spielt im weiteren Verlauf nur die Rolle, dass er da ist und schmerzt. Das ist die erste Irreführung der Erwartungshaltung.

Im Hospiz wird er freundlich aufgenommen und kommt gerade richtig, um am Abendessen teilzunehmen. Die Schilderungen und Geschehnisse sind immer nur knapp neben einer gewohnten und erwarteten Reaktion, einer bekannten und nachvollziehbaren Szenerie, aber sie treffen niemals das Bekannte, das jemals Erlebte.

Ihm wird also das Essen in mehreren Gängen serviert, die exorbitant sind, gewaltig und unbezwingbar – und damit beginnt ein merkwürdiger Reigen, der sich zwar niemals ins Groteske zieht, aber einiges aus der Atmosphäre des Theater des Absurden schöpft.

Poeme

Kein Bach springt in den Krug

Ich habe vieles vergessen, von den Taten weiß ich nichts und immerfort zähme ich meine Erinnerung aus bunten Strukturen in einem gläsernen Gewand. Ich könnte nicht sagen, was es mir bedeutet, selbst vergessen zu sein, obwohl niemand je von mir gehört.

Alle Gefäße bleiben mir leer, kein Bach springt in den Krug. Niemand kam, um mich zu finden, also suchte ich die verworrenen Pfade für mich selbst.

An dieser Scheibe ein zürnendes Klopfen, aber ein lautloses Geräusch für alle anderen. Hatte meine Versuche wie Schuhe hinterlassen; standen da und stoben auseinander.

Der erste Strich könnte eine Legende sein, vom Drachen eventuell, von jemanden, der ihn erstach. Glaubst du nicht, dass nur Gespenster eine Geschichte zu erzählen haben? Sie warten, um sie an dich weiterzugeben.

Seien wir auf der Hut vor Fliegenkastellen. Lange nach der Geschichte gemäßigter Findelkinder, gekleidet in Laken, aus Zement und Asche geformt, aber mit Stoffresten an den Ausläufern. Die Hinterbliebenen sind des Sprechens müde geworden durch all die Wirrnisse aussortierter Erlebnisse. Ein Tablett mit verdorbenem Kuchen geht durch zauberhafte Hände, um am Ende auf dem Boden abgestellt zu werden. Da wird es nicht leichter, den Klöppel zu schwingen; nur ein dumpfes Geräusch, wenn der Zwerg sich übergibt und das eiserne Fabrikat um die Lenden herum enge wird. Ein Schlüssel hülfe, aber kein Schlüssel ins Sicht. Ein magischer Spruch könnte die Erscheinung beenden, aber wer spräche ihn aus? Wer zöge seine Lippen auseinander und bleckte die Zunge aus seinem rotierenden Maul?

Ich kann nicht wissen woran ich denke auf der Suche nach dem ultimativen Geheimnis hinter jedem Ding, vor allem aber hinter einem künstlerischen Ausdruck. Ein Weg ist so gut wie der andere und vielleicht ist ein anderer Weg auch immer derselbe, der einzige, der sich nicht spaltet oder der ein Hufeisen nachbildet und dann auf einer Parallele zurückführt; dann dreht sich noch etwas die Erde und dann haben wir es. Die Quelle ist ein einziges Ding, aber zu erfassen ist ein einziges Ding eher nicht, man möchte es sogleich zerreißen und die Marmelade schmecken, oder wie beim Wein: Asphalt, Brombeere, Rauch, Schweiß – obwohl es sich nur um zermalmte Trauben handelt. Füllen wir einen Gedanken in ein Glas, schwappt es nicht über. Man gibt Wasser hinzu und es schwappt solange nicht über, bis das Wasser den Rand erreicht, vom Gedanken ist nichts zu sehen, der bleibt in diesem Glas, bis wir ihn wieder herausdenken.

Dass ich den Tanz nicht mehr fürchte, nicht einmal die Treppen, die ihn unterbrechen – und Skelette sich an die Wände kauern; ein schlotterndes Rippchen nagt an ihrem Selbstvertrauen, der knochigen Gewissheit, einst Fleisch geteilt zu haben mit den hungernden Größen der Unterwelt. Doch nahmen sie alles; was bleibt ist hell erleuchtetes Elfenbein. Einmal muss man auf dem Arsch sitzen können und strampeln, die Luft aufwirbeln (vielleicht wirbelt auf etwas anderes mit). Im Keller ist nichts mehr, ich habe nachgeschaut. Sauberkeit hat hier eine Menge zerstört. Der nächste Staubintervall wird ein anderes Bild zeichnen und andere Dinge benetzen. Warum nicht einfach eine Lücke lassen für gewesene Dinge? Sie könnten wiederkehren, wenn ich nur den richtigen Schlüssel finde. Vor Kurzem sprach ich bereits den ersten Satz einer neuen Monarchie.

Manche Tage sind das Gewürm unserer Erzählungen.

Als ich dann anfing zu singen, dachte ich, dass ich singe, um Sänger zu werden, dass ich auf die Uhr fünf nach acht sah, das Morgenlied in der dritten Klasse, ein hohes Gezwitscher, fast wie Farinelli, der Kastrat, die Glocken noch nicht in Betrieb, aber dann sackte mir der Kehlkopf eine halbe Oktave ab, die Stimmlippen gedehnt & ich sang nicht mehr, ich gurgelte nur noch, bis ich meinen Bariton fand, natürlich den hohen Bariton. Man könnte doch Geisterhymnen singen, sang ich Geisterhymnen. Man könnte doch Moorleichen besingen, besang ich Moorleichen, denen man die Brustwarzen in Scheiben geschnitten hatte, auf dass sie keine Könige mehr seien, aber tanzten.

Zwar bekam ich das nicht, um ihnen die Prozession der toten Clowns zu singen, aber weit von der Vokation war ich nicht entfernt.

Der Phänomenbereich: Sprache als Struktur, nicht als Äußerung einer kommunikativen Handlung. Um die écriture nicht körperlos zu lassen, muss ich sprechen vor allem dann, wenn ich die kommunikative Sprache hinter mir lasse; da winde ich mich aus dem Wandler – das ist wie Geistsein, neue Substanz ohne mich, die Quelle, neuer Körper allüberall, Ton ist Berührung, Händeschütteln, mehr –

Poeme

Blutberberitze

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