Verlässlich haben wir uns nie gekannt (Mia Marple)

Es ist nicht die Dauer, es ist der Sand. Und es ist nicht die Begegnung,
sondern ihr Ende. Es ist das, was bleibt, und sei es nichts. Es ist
das Angleichen der Tür, denn sie schließt gegenwärtig anders; es ist
die stehengelassene Tasse, die nie mehr benutzt werden kann. Setzt sie Staub an
ist es nicht die Dauer, es ist der Sand. Schafft man sie beiseite, bleibt sie dort,
nie wird sie wieder diese Tasse sein, unbedeutend, auf etwas verweisend,
das nie geschehen ist. Kein Tag geht je vorbei. Es stauen sich die Augenblicke,
stapeln sich, ohne sich je zu berühren. Es sieht nur so aus,
als wären sie aus Sand, angespültes Gelingen, Misslingen – kein Schiff
wird kommen, kein Tun wird Tatkraft werden, kein Vorhang hält uns davon ab,
die Gespräche zu vergessen, die nutzlosen Worte zu erinnern und zu vergessen.
Verlässlich haben wir uns nie gekannt.

Weiter Winkel (Mia Marple)

Was geschieht, wenn ich dich kenne? Was, wenn ich überhaupt nicht weiß,
wer du bist? Deine Unruhe als Teil meiner Wahrnehmung. Ungezügelt
das Laster der Empfindungslosigkeit. und ich sage dir: Das ist nicht die Welt,
die es kleinzureden gilt. Es war nicht viel, es waren kaum Stunden. Der
Donner brachte die Nacht, ich habe bewiesen, dass alles ohne Beweis ist.
Ich zersetze – eins, zwei – die Moleküle ihrer winkenden Hand, als gäbe
es mir das Recht, sie anzusehen, weiter Winkel; nichts wird sich je verändern,
alles bleibt.

Die Zeiten falsch wählen (Mia Marple)

Die Nächte waren nicht wirklich Nächte, das Licht
hatte Lampen besetzt – nicht wirklich Lampen, aber Schattenwürfe
durch sie hervorgebracht, Silhouetten; und eine fing ich – deine war’s.
Aber dann kamen die Zweifel, denn wie wärst du ohne Haken gewesen?
Ohne im Kummer zu verharren? Durchscheinend warst du nie. Wie
wärst du gewesen, wenn du mich nicht angesehen hättest? Wie
wärst du gewesen, wenn ich dich nicht entdeckt hätte? Die Bestürzung
währt ewig, das heißt: bis heute. Und wenn heute alle Zeit ist,
dann ist das, was war, immerzu. Den Stoff, den du streichelst,
die Niederlage der Sinne. Meine Antwort an dich: ein Wimmern.
Die Handbewegung, der Kuchen, die Lippen, geöffnet, halb geöffnet,
die Zunge: ein Spiel um Welten. Ein Spiel aber nicht, was ich entdecke,
ein Spiel aber nicht, was vor uns lag. Im Kummer verharren, weil man ihn kennt.
Die Namen falsch sprechen, die Zeiten falsch wählen.

Mundtuch (Mia Marple)

Jetzt sind wir wieder beim Teich angelangt
und betrachten unsere Gesichter durch die Forellen schwimmen. Wenn du
hinein weillst, gehst du hinein; wenn dir kalt wird,
schwimmst du zur Sonne. Deine Hülle ziert den Damm, eine starke Schnur
verbindet die Ufer – ich finde dich nicht mehr. Sag,
sind die Rosen angekommen? Ich nahm sie mit aus dem Garten,
dem sie Wächter waren, und nun – der Garten ohne sie –
verwandelt sich in Glas und Stein. Sag,
sind die Briefe angekommen? Schrieb sie auf Tische und Servietten
und hinterließ auch deinen Namen dort.

Wenn wir wollten (Mia Marple)

Wenn wir wollten, könnten wir ja noch einmal von diesem Flughafen trinken,
sagte sie. Ich sagte nichts. Sie nahm meine Hand, die eingeschlafen
in meinem Schritt verharrte, und führte mich auf das Gelände,
die Betonplatten im Gras. Nachdem wir ein Stück Erinnerung ausgepackt hatten,
teilten wir sie in zwei gleiche Teile. Wir sprachen.
Und dann tranken wir.

Die Mälz (Mia Marple)

Dein glattes Kleid, sein Kleid so glatt,
unter dir die Wogen einer persönlichen Sintflut.
Dein Habitat verloren,
Reste einer imaginären Welt, einer mündlichen Keuschheit,
einer Restauration der Einsamkeit. In dir mag
tausendfach ein Sturm Getreide mälzen
und sich gegen Häute werfen, ein Abfluss fängt die Winde auf.

Stillstand, ich verlasse dich (Mia Marple)

Ich denke an die Traube, die du mir bist
dein Schatten kursiert hinter jedem meiner Lichter
dich will ich sehen in Gesichten, was geschieht hat einen Namen nicht
Stillstand, ich verlasse dich
trunkene Stille, illusorische, mächtige, waghalsige, gefährdete
was dich berührt, verdient dich
wieviel Zeit benötigt man, um einen Blick zu beschreiben?

Der Staub, nur die Uhr (Mia Marple)

Wenn im Fenster keine Katzen zu sehen sind, hat man
nichts als die falsche Zeit gewählt, hat man nichts
als einen umständlichen Weg zurückgelegt, die Bekanntheit
der Fassaden, kühl; die Gärten im Schlaf, die Dornen
ungefährlich bis zum nächsten Frühling. Da schleiche ich
mir hinterher und gehe mir auch vornweg. Ich kenne mich
nicht, aber ich habe mich schon einmal gesehen, als ich
in Farben taumelte, als Katzen in den Fenstern saßen,
als Lichter im Hintergrund einer Unendlichkeit schienen,
als noch Treppen in die Höhe führten; dort wähnte ich
mein Revier, meine Schritte ohne Echo. Dort wähnte ich
die Leinwand der Vergangenheit im Keller hängen, Nägel
verfinsterten die blanke Wand, in alten Schränken bleibt
nichts zurück; der Staub vielleicht, der nur die Uhr ersetzt.

Kleopatras Nacken

Letzte Woche bin ich abgestürzt,fand Kleopatras Nacken.
Der Legende nach soll er sehr schön sein, glatt
wie die Rippen eines Gullydeckels. In Wirklichkeit sah er aus
wie antiker Joghurt, an den Rändern ausgeblichen wie das Fernsehbild
der damaligen Zeit. Trotzdem steckte ich einen Teil davon ein, sei es,
um etwas Wonne in die Kaffeehäuser zu bugsieren, wenn da auf einem Schild steht:
Dichter mit Teilen von Kleopatras Nacken sucht Appartement mit Bad auf dem Flur.

So natürlich ist der hinzugewonnene Schmerz nicht, der zu blühen beginnt,
wenn die Nacht längst aus ihrer Schale Schandtaten entlässt, die kaum
mit großartigen Reverenzen versehen von alten Vasallen künden, oder das Bett
anzünden, um in der Corona spazieren zu gehen. Man wüsste es längst, wenn die Tage
sich so kennzeichneten, wie es früher einmal besprochen wurde.
Ihr vorzeitiges Auffinden wäre dann ein Makel.

Wanderung durch Innsmouth

Was würde ein Besucher in den Straßen von Innsmouth vorfinden, kurz bevor die Stadt von den Soldaten eingenommen wurde, die den Angriff anführten? Nun, dies ist ein kurzer visueller Führer zu einigen der interessantesten Sehenswürdigkeiten von Innsmouth mit Kommentaren aus den Tagebüchern von Besuchern, die sich kurz vor dem Fall der Stadt dort aufhielten.

Der einzige Bus zwischen Arkham und Innsmouth.

Ein einziger Bus verkehrte täglich auf der Strecke Arkham – Innsmouth; ein schlammiges Fahrzeug in einem heruntergekommenen Zustande und ohne den geringsten Komfort.

Ein einziger Bus verkehrte täglich auf der Strecke Arkham – Innsmouth. Es war ein schlammiges Fahrzeug in einem heruntergekommenen Zustand, ohne den geringsten Komfort. Ein rumpelndes Transportmittel, das endlos lärmend über die verschlungenen, unbefestigten Straßen knarrte, die dem Manuxet folgten.

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Meine fuffzich Leben

Den dritten Tag den Wecker um sechs. Ich bin wurmstichig während meiner Umprogrammierung, und ob sie gelingt –

Ich schreibe das, damit ich in den nächsten Jahren weiß, dass es schneite. Spitzbuben gebacken, das kommt mir doch gefährlich vor. Ich hatte das Experiment der frühen Vögel schon oft probiert, Sommers zumeist. Jede Katze mit ihren neun Leben erscheint mir lächerlich im Gegensatz zu meinen fuffzich.

Steganographia & Pneumatologische Schriften

Die Erinnerung ist der Kern der Muschel, der zur Perle wird, durch Verletzung des tiefen Mantelgewebes verursacht, als gäbe es ein Seelen-Aragonit, aus dem die spitzpyramiden Kristalle ihre Form dem häufigsten Traum angleichen, an den man sich gerade aufgrund seiner Häufigkeit nicht erinnern wird. So verwoben ist nämlich dieser Traum mit dem ehemals gespeicherten Eindrücken, dass bald nicht mehr klar erscheint, wer da ins Becken griff, um das darin sichtbare Bild zu fassen. Oder ob nicht umgekehrt aus dem Teich eine Hand sich streckte, sein Ebenbild zu berühren, das dann unter der Berührung Wellen warf, und ob es sich nicht auch bei dem Wasserwesen nur um den Traum des Wasserwesens handelte, an den es sich, weil häufig geträumt, nicht erinnert.

Die Erinnerung ist also nur (mag sein) die Komposition verschiedener Inhalte, die man auch zu denken fähig ist. Denn so wie die Klänge der Musik aus dem Nirgendwo zu kommen scheinen – was wiederum nicht sein kann, da das Nichts kein Musik-Molekül besitzt – sind es die schönen Schattierungen jener Episoden, die man sich wünscht, die sich zu einem Reigen auf die Gedankenäste setzen, um von dort gepflückt und neu angeordnet zu werden. Und ich frage mich, wie man sich an Dinge erinnern kann, die nie geschehen sind, und ob man das Innere der Erinnerung je wirklich wahrgenommen hat, als man die Empfindung speicherte, oder ob das Geschehen sich nicht durch meine Erinnerung überhaupt ereignete. Und ich beantworte mir die Frage mit: Ja, so ähnlich, aber anders.