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Nachtwach; ein Schläfer bei Tage

Last updated on 14. Juli 2024

Ich schlage die Nacht nicht aus, die jetzt die Stunde läutet und Sunna noch einmal übers Land winken lässt, die körperlos darauf verzichtet, alles aus den Schatten zu heben. Die Zeit ist nur im Gewölk am blutblauen Himmel auszumachen: ein Blick – und das Geschmier des Tages bekommt seinen Epitaphen mit der Erscheinung dieses Altostratus. Ich bin zur Nacht gerüstet, mein Mantel ist ein Zeugnis der wandelnden Finsternis, und nur meine Laterne, deren Licht sich in die engen Gassen schlägt, spült kurze Helle in ihre Magenkehle, die der Schattenfürst ebenso duldet wie mich als einen ihrer Protagonisten, der durch ein postsündgeflutetes Metropolis wankt, um den Schläfern einen Anhalt für ihre Träume zu geben. Als Poet bin ich nur wortmächtiger Kadaver, angelangt im Schutt, im Abraum der Ewigen Gärten.

Vielleicht bleibe ich unter einem Fenster stehen und bilde mir die Vision einer einsamen Existenz heraus, die dort im dämmrichten Erker ihre Sonette niederschreibt, nicht ahnend, dass die Unsterblichkeit kein Archiv besitzt, jetzt, da Bibliotheken fallen und die Erinnerung nur noch bis gestern reicht. Unter Brüdern bin ich auf Friedhöfen, grüße die Wurmlebendigen, die Simse umflappt von Falterstaub, ein letzter Kerzenschimmer über den Giebeln bleckt ein langes Gesicht, darunter gähnen Schluften und Hohlwege, Grottendämpfe zerwehen, vergehen an den Nostern, ausgeschnaupt und angesogen. Ich weiß viel von dunklen Wanderherzen, die sich vom Mondenschein zerklüften lassen, niederlassen an den Strecken, an den Bäumen, leisberauscht vom Zeiselwind. Dichtet euch hinfort, ihr Scharen lappiger Lappsäcke! Vom Frohn bestuhlt erschlafft euch die Zunge im Maule: Mistel, Kinster, Mahrentacken, Mahre, Gaul und Roß! In meinem Sehnen spinnt er sich ein, der Bruder Wurm – und verweigert sich den Zöglingen der Verderbnis. Er schreibt; steht ganz sinnlos und allein vor seiner Wirtin, die ihm den Mietzins aus dem letzten Auge sticht.

So nenne ich dem leeren Fenster die Zeit und streune weiter, während die letzten ausgerufenen Sekunden zu mir zurückfließen wie Sternentaler. Denn wenn’s den Poeten nicht mehr gelingt, in dieser prosaischen Welt ein Herdfeuer zu entdecken, stirbt jeglicher Geist in den Dingen für immer hin, ersteht nie wieder, hebt nicht mehr den Odemkorb des letzten Hauchs. Ich finde mich im Nachtwind wohl, beobachte durch die kleppernden Läden das Zuendegehen eines Lebens, das noch Duft genannt werden kann, denn der da liegt freut sich offenkundig an der ewigen Wiederkunft und hält und bekommt gehalten das Händchen im Kreise seiner liebsten Kerzen, die so lichterloh scheinen und ihm das Angesicht wie einen Motor vorglühen, auf daß er ohne zu stottern und murren über den Gjöll blicken kann, zur Holle, dem Holunder hin. Noch ist der Jüngling nicht hinüber, beharrt, man kann es sehen, auf sein Recht, das Kissen aufgeschüttelt zu bekommen, um Freund Hein gebührend empfangen zu können, sodann nach einem Trunk mit ihm gemeinsam hinzufahren.

Ich bin nachtwach, ein Schläfer bei Tage. Ich trage den Traum wie einen Anzug. Ins tiefere Tief hinein weht mich die Melange der späten Stunde, ein zerklüftetes Bäumelein auf einer Insel umgeben von Staub, die Raschelblätter in den ewigen Raum gebeugt.

Dort hindert den noch Lebenden das Leben selbst am Scheiden. Die Kammer gehört ihm als Gast, der sich um den Abschied kümmert. Fragt ihn die Liebste nicht schon, wohin er gehe? Seine Lippen bewegen sich wie zum Gedicht, man meint, sie küssen sich in Bälde, doch wölbt sich sein Mund hin an ihr Ohr, und der Wiederschall meiner Rufe zersplittert wie ein gläsernes Wolkenschaf an einer Kerkerwand. Um die Errettung der Seele ist’s niemanden mehr, man weiß nichts mehr vom Tod zu sagen, als dass er nach wie vor verlässlich steht wenn aller Schmerz nicht mehr das Leben lindert.