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Die Läufer und die Fänger

Last updated on 18. Juli 2024

Der Knecht auf dem Boden: schraubt mit der rechten Hand am Traktor herum, seine linke hält den klobigen Becher zu ihr hoch, würdigt sie keines Blickes, wie sie die Kanne schwenkt, um die Butter wieder unter die frische Milch hüpfen zu lassen. Keines Blickes, bis sie die Milch über den Rand der Kanne, am hingehaltenen Becher vorbei zwischen seine Hosenbeine schwappen lässt. Ssch. Und er dann hochschaut, den Becher senkt, dann hochschaut, überrascht, ihr völlig dämliches Gesicht ganz rot. Sie schielt und ihre Zähne stehen vor wie ein Schwellenreißer, den eine Zunge anhebt, die im Saft geschlafen hat. Unverändert steht sie da, die Kanne zum nächsten Guss bereit, leicht schief, und leckt sich die Werkzeuge: »Kannst’u nicht aufpassen!«

Da hockt er sich hin und streift mit der Hand die Flüssigkeit, die sich nicht mehr wegstreifen lässt, und es sieht aus, als wäre der Fleck nicht von außen, sondern von innen entstanden. Sie ist ganz in der Ruhe, überlegt, ob sie noch einen Schwenk dazu nutzen soll, ihm begreiflich zu machen, dass es kein Versehen war. Sie hätte einen Topf auch von einem Dach aus treffen können, bei diesem ständigen Umgang mit den Dingen, die ihr aufgetragen, eingeschrieben waren.

»Du musst die Hose ausziehen.«, nuschelt sie.

»Ich kann nicht, wir müssen fort von hier und der Fendt ist unsere einzige Mö-Möglichkeit. Ich muss ihn reparieren, die Bauersleut’ verwesen schon, die Fliegen kommen!«

Das Dorf unter der Totendecke der Rabentiere.

Der Wanderer wäre gerne noch einmal zum Hof zurückgegangen, die nun aufgehängte Magda anschauen, ihre Füße, die in der dreckigen Milch baumeln, die Milch voller Fliegenlarven, das Zweifeuerhaus aus Holz, Lehm und Roggenstroh, die Erde öffnet den Mund für die Kälberspeise, die neben den Eimer leert, dem Euter mit einem Schmatzen entwunden von Händen, die sich nachts selbst betitten oder den Knecht im Stroh, schnaufend die Fliegen aus der Schweißpfütze im Gesicht wedeln. Eine platzt an ihrer Stirn. Auf den Wiesen reiten sie mit Rindviechern, tanzen den Hummeltanz.

»Leck die Milch aus meiner Dose!«

Und Brann fällt auf die Knie.

»Du musst die da erst reinschütten, du Dummbartel!«

Brann glotzt sie kurz an, erhebt sich dann wieder und hastet zum Bottich mit der Milch. Magda legt sich derweil Stroh unter den Hintern, hebt Schürze und Rock und probiert mit zwei Fingern ihre Spannweite. Brann lässt den ersten Eimer, den er aus der Milch zieht, fallen, und flucht, den zweiten hat er sicher. Vor ihrem hochgelupften Unterleib bleibt er stehen und grunzt, starrt ihr aufgerissenes, haariges Loch an und schüttet ihr dann den ganzen Eimer darüber. Magdas Beine fahren im Reflex zusammen, sie springt auf, keucht Worte hervor, die er nicht kennt. Die Idylle endet abrupt, als die Fänger den Hof erreichen. Die Stadt wuchert am anderen Ufer entlang, zieht sich in die Länge wie ein Lindwurm. Dort verstecken sich die apokalyptischen Fänger, die Flure bereinigen, Blut trinken vor den toten Augen der Entleibten. Sie braten sich Lebern und johlen, dass nun alles ihnen gehöre. Sie mussten einst in den U-Bahn-Schächten hausen: vorbei. Sie mussten sich unter die Erde stehlen, aber jetzt, jetzt sind sie zurückgekehrt an die Oberfläche. Die Bomben der Sieger zerfetzen das Fleisch.

»Es ist wie im Krieg!«

»Es ist Krieg!«, sagt der Wanderer. Also nicht die Treppe.

»Wir sollten gehen!« Sie wie ein Flageolett.

»Wir können die Treppe nicht betreten, ohne durch den Einschusskorridor gesehen zu werden. Wenn sie uns erwischen, trinken sie uns aus!«

Das ist Dunkelheit, Nachtwüste oder Ruinenlicht. Die nächste Detonation, aber nicht hier. Beim Einfall der Dänen schnitten sich die Töchter der Engländer die Nasen ab, um durch diese Entstellung ihre Keuschheit vor dem Ungestüm der Soldateska zu retten. Aber das will sie nicht. Sie sieht auf ihre zerschlagene Uhr, überlegt, wie sie überleben soll, aber sie wird, sonst gäbe es den Wanderer nicht. Ihr Gesicht ist die Erde, als sie noch Scheibe war, Vulkannüstern, Augenozean. Schon müde, der erste Fisch kriecht an Land, denkt: Ich bin, also bin ich.

Es gibt Menschen in Hülle und Fülle, aber keine Nahrungsmittel. Die Fänger vor der Fabrik pressen plärrende Trauben aus, Maische in den Gassen zahnskulpturener Bauwerke, Trester in Gruben, die Hitze nimmt zu, es ist Nacht. Das ist bereits der Wahn in ihr. Wer erben will, muss den Leichnam aufessen. Von der Herde, die du verfolgst, bist du ein Teil. Die Straßen tragen Regenschirme, die Dunkelheit bedeckt ihr Gesicht. Die Häuser sind des Wanderers eigene Organe, die Gassen wachsen wie sein Haar aus ihm heraus, verschwinden in perlenden Knoten. Hinter den Türen lauern die Verheißungen des Unbekannten, diese einzigen Sehnsüchte. Öffnet man sie unbedacht, bekommt das Düster eine Gestalt wie im Märchen, dem schönen Alptraum. Der Herd, die Sterntaler, ein erfrorener Hund. Mit Zauberhänden. Der Atem duftet nach Orangenpastillen. Nachtfahrt durch die Katakomben-Haut; stillgelegte Gleise begleiten das unstete Flackern der Lider, biegen sich hin zu verräterischen Horizonten, verschwinden im somnambulen Getümmel aus Stahl, Glas, erschrecklichen Gebärden, die Uhren ohne Takt, digitale Lieder ohne Seele kakophonieren in die Ferne, langsamer als das schwache Licht der reglementierenden Ampeln. Nachtstaub. Augen ein willkommener Gruß, das mutierte Erzeugnis des blinden Flecks. Dreidimensionale Augen, hintendran ein Batzen grauer Verbindungen, ein Knäuel, das fettig schmeckt.

Das Dorf der Aussätzigen und Leprakranken, die alle Fragen beantworten können und die jedes Geheimnis wissen. Sie sind unheimlich anzuschauen und schwanken wie Bojen in Kapuzen auf dem Meer. Sie wissen alles, doch sie sind krank und verrückt und verlangen ein Opfer als Bezahlung.

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