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Die Veranda: 10 Die Begegnung mit dem Gevatter

Last updated on 15. Juli 2024

Jeder intelligente Mensch raucht, also raucht auch Brunswick. Chesterfield, wie Ricky damals, sieht sich um, folgt mit den Augenmuskeln dem Duktus der Skizze, die sich vor ihm ausbreitet. Wie aber kommt er dazu, sich diesen monumentalen Epen zu verschreiben? Gab es da nicht einen Traum, ein wenig hölzerne Romantik? Caspar David Friedrich aus dem Reagens, eine eigene Seelenqual? Verloren … und Verlust, das Tier ist schon tot, man muss es nicht noch durch kochen umbringen. In der Tat, es gibt diese verblassende Liebe, diesen hohlen Schmerz, den man sich ebenso einbildet wie das Begehren (am Ende begehrt man sich doch immer selbst, schaut sich im Spiegel dabei zu, wie man fickt, und wenn beide jetzt auf dieselbe Idee kommen, sieht man im Spiegel zwei glotzende nackte Kreaturen, man stellt die Uhr auf 25 Minuten, das entspricht etwa 5000 Metern), eine Trotzreaktion, Leib und Seele zu gefährden, in das dunkle Gemach der finsteren Zusammenhänge zu treten. Dort sitzt der Gevatter bereits Pfeife rauchend hinter seinem Knochentisch, im Bruyèrekopf nicht etwa ein abwegiges Kraut, nein, unser Lieblingsreiter raucht Asche, die dadurch zwar nicht, wie angenommen, zurück in einen Fleischklumpen revoziert wird, aber nichts desto trotz sein letztes uns bekanntes Leben ausgeschmaucht bekommt.

›Sieh an, der Herr Brunswik! Schön, dass wir uns noch vor der Zeit kennenlernen!‹ Und Egon, freilich, fühlt sich ertappt, den Strick da um den Hals, den Wodka da im Blut, Liebe ohne lieben, das ist dann doch nichts für ihn, die Geisteskrankheit ein Leben lang bergen, das Schiff keinen Deut näher ans Ufer bewegen, wieder hinab ins eiskalte Wasser jedes einzelnen Quells. ›Eben war ich noch…‹, beginnt er zu lallen, bis er merkt, dass seine Zunge gar nicht geschwollen und sein Hirn gar nicht verzaubert, dass er keinen Tunnel sieht, die Motte, die ist er nicht, fliegt nicht mit seinen Antennen gen Mond, klatscht nicht gegen Laternen, versengt sich nicht die Lebensgeister, zuckt nicht im Osram. Der Tod haust also auch nur in einer Hütte, die jemand für ihn erbaut. Die Amplitude des Gefühls beim Anblick eines Schreckgespenstes lässt Egons Skala einfrieren.

Der Gevatter erhebt sich tadelnd. »Dass es dir nicht peinlich ist, mit blauem Gesicht und Fischzunge, dein Schwanz klein und hart wie ein Plastikschlauch, die Hose vollgepisst und eingeschissen, an der Decke zu baumeln, wo du doch Instinkte in dir trägst, die noch kein Wurm erreicht hat!«

Dann zeigte er ihm das Bild: Regen in der Stadt bringt die Oberfläche zum Glänzen. Ein Saphir, dem wir die Schönheit von außen ansehen, reinigt die Skulpturen menschlicher Behausung. Der Sturm war nicht angekündigt, wie ein zorniges Kind, das im Müll spielt, Zweige von den Allen der Bäume bricht. Wer in den Betten liegt, wird durch das Trommeln gegen die Fensterscheiben (und heruntergelassenen Rolladen) ermuntert, sich tiefer in den Schlummer zu begeben. Niemand ist freiwillig vor der Tür (und die schielt wissend). Die Nacht, das Szepter in der Hand … es wird keinen neuen Tag geben. Das ist das Ende aller Tage, die Sonne ein diffuses Licht in der Schwärze, ein nebelverhangener Schleier, der wie eine Glocke über allem hängt. Niemand ist da, um die Gestalt zu beobachten. Ein knöchellanger Mantel verbirgt das Wesen, der Sturm ist in seiner Nähe nur Wind. Die linke Hand fasst den Kragen enger, so als würge sie sich selbst, die rechte trägt etwas, das leuchtet wie ein heller Ballon. Torkelnd das Wesen, sich weit nach vorne beugend.

Da am Torbogen hält es kurz inne, müht sich dann weiter und findet das Ziel in einem Pfahl, an dem noch lose Drahtreste hängen. Der Draht ist unwichtig, auf dem Pfahl soll das Ding, das die fürchterbare Gestalt bei sich trägt, seinen Platz einnehmen. Blut rinnt aus dem abgetrennten Kopf und rinnt durch den Regen begünstigt das Holz hinunter, wie eigens dafür geschnitzt, in den Hals zu gleiten. Kurz beobachtet der Unheimliche sein Werk, nickt und schlendert an der Unteren Mühle vorbei in das Rote Moos davon.

Brunswik erinnert sich gut, Mensch, Mensch, Mensch.

»Erkennen Sie ein Muster in diesem Saustall hier?« Wird aus seinen Träumen gerissen. Immer wieder gelingt es denen, die da draußen stehen, an der Scheibe zu seinem Geist zu kleben, ihn auch zu erreichen. Herb Salpa, der Chef: »Egon?«

Die Einstellung muss bei Gelegenheit wiederholt werden.

»Ähm, nein … aber ich kann Ihnen sagen, wer es getan hat und wo er sich jetzt befindet.«

Immer wieder schön, die Verblüffung auf den Gesichtern zu sehen wie ein Make-up.

»Wir tippen auf einen der zahlreichen Liebhaber, die hier scheinbar ein und aus gingen.«

»Der hier war der Liebhaber.« Liegt ziemlich festgeklebt wie eine zerschlagene Mücke auf dem Küchenboden, zwei Meter von Ellas Darm baumeln an der Lampe über der Leiche. Zu dem blicken sie jetzt auf, Brunswik, Fiffi und der Chef.

»Er hat den Darm gereinigt.«

Fiffis Kinnlade bewegt sich nicht, abwechselnd gehen die Forensiker speien.

»Egon, wer war das? Wer hat das hier angerichtet?«

Hieb- und Stichwaffen sind wie Pinsel und Palette, sind wie Hammer und Holbeitel oder Klüpfer und Spannstock. Ricky dagegen damals, der benutzte eine einfache Axt bei seiner Frau, und später eine Rutschnoi Pulemjot Degtjarjowa, mit dem er Monumentalwerke schuf.

»Glauben Sie, dass das Böse nicht in den Personen steckt, sondern eine frei schwingende Kraft ist, die sich hinunterstürzt wie ein Falke – und jeden erwischen kann?«

»Egon, das ist…«

»Denken Sie nicht in moralischen Bildern! Machen Sie sich frei, atmen Sie…« Brunswik macht es vor, »fffffff«, fächelt sich fordernd die Luft mit wirbelnden Fingern zur aufgepumpten Brust, nickt den Unsicherwirkenden zu, die noch etwas fischmäulern dastehen, auf seine Lippen konzentriert, dann aber, »fhfhfhfh«, einstimmen in das Luftschnauben, die Atemmeditation, Prana, Ayama, Prana, Ayama … Er winkt die von ihrem Magen im Stich gelassenen Beamten zu sich, für die dieses Schlachthaus ein Zerrspiegel ist. Sie haben noch nie sämtliche Innereien auf einem Haufen gesehen, nicht einmal auf einem Teller … und bald stehen alle, bis auf Luther, der Jüngste im Amt, der etwas Kloreiniger in die Schüssel leert, um Rail und die Darmlampe herum und atmen. »In der sozialen Gleichung ist der Wert eines einzelnen Lebens Null, in der kosmischen Gleichung ist er unendlich … nein, weiteratmen, verdammtnochmal … das ist das, was Sie atmend denken sollen … In der sozialen …«

Wir können es nicht hören, aber wie sie da stehen, denken sie das Mantra, finden sich mit einer Welt ab, die aufs Ganze gesehen das Bedürfnis nach Sinn und Geborgenheit unbefriedigt lässt, Sinnwelten gibt es nur als winzige Inseln, zum Beispiel, wie wir da stehen, in einem Weltall ohne Sinn, im unendlichen Raum zahllose leuchtende Kugeln, um jede von ihnen ein Dutzend kleinere, beleuchtet, innen heiß, mit erstarrter, kalter Rinde überzogen, auf der ein Schimmelpilz lebt, der zu denken begonnen hat: »Ich bin …« O Brunswik, das ist wirklich hart, wir danken dir dafür … und das mit den Remontanten … wir alle werden uns dafür einsetzen …

How did you get the murderer?

›Ich musste nur 8 und 12 zusammenzählen und das Ganze dann durch Pi teilen.‹

›Aber das geht nicht auf!‹

›Richtig, und deshalb war mir sofort klar, was hier gespielt wird!‹

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