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Hexrabella

Last updated on 16. Juli 2024

Sie traf ihre Vorbereitungen im Gestank verfaulender Abfälle. In der Nacht zankten sich Schatten um die Überreste des Tages, die unbedacht zurückgelassen wurden. Sie verschonten die Hütte nur weil Esrabella dort lebte. Schwarzes Leben meidet schwarzes Leben.

Die Einladungen waren verschickt, sie würde die Geschichten der anderen zu hören bekommen. Sie würde nicht mehr allein sein und auch ihnen erzählen, was sie dachte und warum sie so lange damit gewartet hatte, sie zu versammeln.

Wenn sie es verstehen, dachte sie, könnte sich alles ändern.

Sie ging zurück in die Hütte. Dort bewahrte sie die Zutaten auf, die für ihr Vorhaben notwendig waren, hauptsächlich Kräuter, die auf einer Leine über dem Ofen hingen. Alles, was sie besaß, hatte sie in diesem Raum verstaut, in halb zerfallenen Schränken und unter dem Gestell ihres Strohlagers untergebracht. Sie war eins mit den Gerüchen, eins mit den Farben und dem, was sich in den Ecken verbarg. Der helle Tag drang weder durch die dicht stehenden Bäume, noch durch die Fenster auf der Südseite ihrer Behausung. Nur der Schein einer unbekannten Lichtquelle zeigte ihr die Umgebung, als wären ihre Pupillen von einer milchigen Substanz beherrscht, die sie nicht beiseite blinzeln konnte.

Bald darauf saßen sie bereits um ihren dicken Holztisch herum. Esrabella hieß sie alle willkommen, unsicher, ob sie damit den richtigen Ton getroffen hatte.

»Stellen wir uns doch kurz einander vor. Ich möchte nicht, dass in der Ewigkeit unsere Namen vertauscht werden. Eine unglückliche Sache könnte das werden.«

Sie wusste, dass falsch war, was sie da sagte, aber die drei Frauen sahen sie einfach nur an. Es war wohl doch alles in Ordnung.

Die Frauen, vom Tageslicht genau in diese Formen geleuchtet, vom Nachtlicht noch geheimnisvoller angestrahlt, in ihren Konturen gebirgig bis hochalpin, entziehen sich von nun an dem Hunger, dem sie das Brot sein sollen, dem sie das Schmankerl, das Wildbret bedeuten. Die Höhlen, die sie bergen, das Geziere, verzierte Scheu. So ziehen sie andere an, indem sie sich ausziehen, hinter geschlossenen Türen, die lüsternen Holzarbeiter, die den Tälern Lichtungen verschaffen, Rhoden für den Wegebau, Plätze, neue Häuser.

»Sie haben mich und meine Tochter, als wir gemeinsam in den Beeren standen, die Fesseln blau vom Saft, die Schuhe bemoost, die Waden zerstochen, angefasst, mit den Äxten gespielt. Gestunken haben sie nach gärendem Harz und Testosteron, nach wochenlangem Schmutz, nach der Abwesenheit von Wasser.«

»Kommt herein und erzählt frei von der Brust. Da sitzen andere auch, wie ihr seht, und es ist der erste Schritt, da zu sitzen.«

Sie saßen um einen Mären-Tisch herum, so alt wie viele Bäume nicht, ganz speckglänzend und rustikal, mit Narben an den richtigen Stellen, genau die richtige Anzahl an Narben, an geschnitzten Liebesbotschaften, Jahreszeichen, Tierkreisen, alchimistischen Berechnungen, die wie Rebusse prankten. Humpen, gefüllt mit Met oder Bienenwasser, wie Esrabella Gräf das Gebräu stets nennt.

Und wie heißt du? – Ich heiße Johanna.

Und wie heißt du? – Ich heiße Maria.

Und wie heißt du? – Ich heiße Justina.

Ab heute sind wir ein Bund. Wir werden sprechen wie ein Bund, wir werden zählen wie ein Bund, wir werden versiegeln mit Blut, unserem persönlichen Saft.

»Mir hat man die Würde genommen, denn zwei schlossen Freundschaft auf mir, in mir. Sie röhrten ihren Frieden über das Unterholz und scheuchten Rehe aus meinem Leib, trafen eine Entscheidung in meinem Mund. Sie ließen mich liegen und begossen mich, nachdem ich ihnen wertlos geworden war, wuschen mich in ihrem Unrat.«

Ab heute folgen wir dem Mond, wir stehen in seinem silbernen Licht, jede Waffe kann daraus geschmiedet sein.

Es beugen sich die Ränder in die Bildmitte, lassen ihrer Unschärfe freien Lauf, alles zentriert sich, fokussiert sich auf das lauschig aufgeheizte Zimmer.

»Lasst uns ein Fenster öffnen!«

Es knackt und peitscht das Holz, Nadelbrausen dringt herein. Im Schloss angekommen ist der neue Kastellan, von dem man leise zischelnd spricht. Sein Name wurde nirgendwo noch gehört, man sah nur Kutsche um Kutsche rollen, erst wenn die Sonne kühler wurde, erst wenn die Wolken sich zu Bett begaben, wenn Werkzeug und Tagwerk langsam verödete. Aus dem ehemaligen Liebesnest mit allerlei besonderem Zauber, blieb nur der Küchenflügel noch bestehen. Der Hauptteil wurde abgesprengt und fiel in sich zusammen. Der Pavillon, im Prunk geplant, verprellte all sein Holz und morschte vor sich hin.

Kein Fürst, kein Förster bändigte die Heerschar der Timbermänner, den Raub der Sabinerinnen.

In vielen Jahrhunderten standen die Sumpfwälder mit ihren Röhrichten unbeeindruckt von einem – zugegeben – langsamen Lauf der Menschengeschicke. Wollgras flankierte die Moorkiefern, seggenreiche Flach- und Übergangsmoore fanden sich verwoben mit Pfeifengrasbrachen und Borstgrasrasen, so dass man sich vorkam, wenn man darauf spazieren ging, wie eine kleine Mücke auf einem Bisonfell. Hier wurden Hausmittel, Schmierstoffe und Dichtmaterial aus Pech gewonnen, dem Harz der Fichten, Kiefern, Tannen und Lärchen, die sich hier in großer Zahl in den Himmel schraubten. Das Harzen der Bäume geschah in folgender Weise : Man befreite im Juni und Juli die Stämme von Bäumen, auf zwei Drittel der Stammbreite, bis auf eine bestimmte Höhe, von der Rinde und entfernte den Splint. Das aus der Wunde fließende Weichharz sammelte man durch Abkratzen und brachte es in die Pechhütte. Hier wurde es in kupfernen oder eisernen Kesseln geschmolzen, durch Abschöpfen der Verunreinigung und Durchseihen der geschmolzenen Masse gereinigt. Oder man nutze die Pechpfanne, indem man in sie längsgespaltenes, verharztes Kiefernholz aufstellte und dieses mit einer Rasenschicht bedeckte. Dann zündete man den Inhalt an – und ähnlich wie bei der Holzkohlegewinnung begann eine Art Verschwelung. Ein darunter gestelltes Gefäß nahm das tropfende Pech auf. Man verrührte es im Verhältnis eins zu vier mit Leinöl. Was dabei herauskam, wurde zum Pichen der Bierfässer benötigt, denn Bier – beim Karpfengott – ist zwar keine oberfränkische Erfindung, aber es gibt nirgendwo auf der Welt besseres, und vor allem nirgendwo mehr Brauereien.

Esrabella lauschte den Stimmen in ihrem Kopf, vor allem der Stimme ihres Vaters, einem der letzten Pechbrenner, wie er in der Kemenate sitzend, nachdem die Sonne längst schon untergegangen war, seine harzig gewordenen Stiefel noch eine Weile anbehielt, weil die Füße erst abschwellen mussten (an den Donnerstagen, wenn es im Gasthof Schlachtschüssel gab, zog er sie überhaupt nie aus, weil er an diesem Tag einen Rausch sonderer Güte mit nach Hause brachte, und der machte ihn fast doppelt so schwer als er eh schon war, erklärte er seiner Tochter).

»Aber wenn ich an diesem Tag nicht so viel Bier tränke, dann wäre der Hopfen beleidigt und würde sich von seiner bitterer Seite zeigen. Ein Mannsbild, das sich nicht einmal in der Woche in die goldgelben Wogen stürzt, ist ja gar keins, war nie eins und wird wohl nie eins werden.«

Esrabella drehte den Pechstein in den knotigen Fingern, von denen es heute nur noch wenige gab, weil sie überwachsen der Vergessenheit anheimgefallen sind, da auch die Menschen, die davon wussten, längst nicht mehr lebten.

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