22. Dezember 2024

Alptraum-Horror

Das Horrorpublikum deckt ein weites Spektrum ab, aber am jeweiligen Ende finden sich zwei Extreme. Diese gegensätzlichen Positionen entsprechen weniger einem Interessenkonflikt als dem Grad des Morbiden.

An einem Ende haben wir die Leute, die den Horror genießen, wenn darin das übernatürliche Chaos in Schach gehalten wird. Deren extravaganter Anteil ist relativ gering. Die innere Logik der Horrorgeschichte muss sich nahe am täglichen Leben orientieren. Sie nehmen ihren Horror wie ein Abstinenzler Honig; nur, um den Gaumen ganz leicht zu kitzeln.

Das gegensätzliche Extrem ist eine Gruppe, die die ganze Phantasmagorie des Horrors wie ein All-you-can-eat-Buffett begrüßt. Ihr Hunger nach grausamen Delikatessen ist unersättlich. Das sind jene, die das Schild „Kein Durchgang“, das zu ihrer Sicherheit aufgestellt wurde, ignorieren, diese Leichen fressenden Fabelwesen sind nur allzu willig, den Stacheldrahtzaun nieder zu trampeln, um durch das verbotene Land zu kriechen. Und um so mehr Knochen überall herumliegen, um so grandioser die Lagerfeuer-Legenden, die diesen Ort umgeben, desto glücklicher sind sie. Für sie gibt es nichts Schöneres, als die festen Gesetzte der Vernunft im Rachen der Dunkelheit verschwinden zu sehen.

Es gibt einen Begriff für diese Art von Horror. Es handelt sich dabei nicht um ein eigentliches Subgenre, aber durchaus um ein etwas unterschiedliches Level der Horrorliteratur: Alptraum-Horror.

Mit Alptraum-Horror meine ich nicht zwangsläufig Geschichten, in denen es um Figuren geht, die an schlechten Träumen leiden oder die im Fieberwahn umhertappen. (Obwohl es da einige gute Beispiele gibt: H. P. Lovecrafts Jenseits der Mauer des Schlafs, oder Guy de Maupassants Das unsichtbare Wesen.) Nein, Alptraum-Horror ist jedes Werk, das vom Unheimlichen und vom Dunklen so getränkt ist, dass es unsere logischen Sicherheitsvorkehrungen durchlöchert und uns Erfahrungen beschert, die unseren intensivsten Alpträume gleichen.

In den meisten Horrorgeschichten schleicht sich das „große Böse“ in die Welt, wie wir sie kennen, und wir sind verzweifelt, sie verpestet zu sehen. Und weil einige – vielleicht die meisten – Leser die Auflösung ihrer Konsens-Realität fürchten, gibt es darin mindestens eine Figur, die den redlichen Kampf aufnimmt, um das gängige Leben zu beschützen. Daraus ergeben sich die Handlungen von Spaziergänger-Horrorgeschichten, wo der einzige Konflikt daraus besteht, dass Figuren wie Reißbrettzeichnungen die Papiertiger des Bösen abwehren.

Hingegen interessiert sich Alptraum-Horror nicht im geringsten für den Status Quo. Er brüskiert nicht nur die Gesetze des Wachzustands sondern auch die Richtlinien, die Schriftsteller üblicherweise ziehen, um „gute Literatur“ zu fabrizieren. Er bietet weder postmoderne Meta-Text-Verspieltheit, noch comicartiges Relief (höchstens, um schwärzeste Ironie darzubieten, oder dekadenten Galgenhumor). Solch ein starkes Konzentrat ist für die einen Gift, für die anderen ist es Ambrosia. Wenn der größte Teil des Horrors das literarische Äquivalent einer Achterbahnfahrt ist, die uns am Ende wieder dorthin zurück bringt, wo wir eingestiegen sind, dann ist Alptraum-Horror ein Fahrstuhl in den Hades. Seine Schöpfer bieten keine Rückkehr nach oben an. Sie locken dich, die Kabine zu betreten, und wenn die Türen erst geschlossen sind, schneiden sie das Kabel durch.

In diesen Geschichten strahlen selbst die banalsten Dinge eine numinose Energie aus, und all die Maßeinheiten, die wir gewöhnlich dazu verwenden, die Glaubwürdigkeit einer Geschichte zu überprüfen (überzeugende Dialoge, Originalschauplätze, plausible Charaktermotivation, etc.) werden heimtückisch gegen den Leser eingesetzt. Alles sondert Bedrohung ab. Außerdem gibt es keine Moral in diesen Geschichten. Alptraum-Horror bietet weder Trost noch Auflösung. Die Normalität, die wir aufrechterhalten, ist unwiederbringlich durch den rostigen Abwasserkanal am Rande der Vernunft entwichen, hinfortgespült von der Flut eines wiederauflebenden Atavismus aus dem Keller unseres Bewusstseins.

Vielleicht liegt das wichtigste Unterscheidungsmerkmal des Alptraum-Horrors im Willen, dem Monströsen zu eigenen Bedingungen zu begegnen, statt das Monströse als bequeme Metapher für Allzumenschliches einzusetzen. Der Freudianische Sessel-Analytiker bringt hier wenig Licht ins Dunkel. Keine Post-Lese-Autopsie wird den „Sinn“ hinter dem Schrecken enträtseln. Manche unserer Alpträume sind sicher nicht mehr als verschlüsselte Botschaften, die, wenn sie erst einmal entschlüsselt sind, uns persönliche Einsichten gewähren, um uns zu besseren Bürgern zu machen. Andere Alpträume sind … ganz einfach Horror. Es hat keinen Sinn, sie in einen dieser Selbstverbesserungspläne hineinzuzwängen. Ihre Missgestalt nimmt keine Rücksicht auf wie auch immer geartete Ambitionen. Ihr wahrer Wert liegt schlicht in der Erfahrung, die sie anbieten: den exklusiven Schock und Ehrfurcht, wenn die harten Wände weich werden und sich das Wasser im Abfluss in die falsche Richtung dreht.

Wie Charles Lamb in seinem Essay von 1821, „Über Hexen und nächtliche Ängste“ festhielt:

Gorgonen und Hydras und Schimären – gräßliche Geschichten über Celaeno und die Harpien – mögen sich im Kopf des Abergläubischen nachbilden – aber sie waren schon vorher da. Es sind Kopien, Arten – diese Archetypen finden sich in uns, und sie sind ewig. Wie sonst sollte uns die Schilderung dessen, was wir im Wachzustand als falsch erkennen, überhaupt berühren?“

Die kraftvollsten Geschichten des Alptraum-Horrors sind meistens kurz, denn um eine Romanlänge zu erhalten, muss der Schriftsteller das Konzentrat verdünnen, um auf eine höhere Seitenzahl zu kommen.

Als Schriftsteller bekenne ich, dass meine eigenen kreativen Versuche mehr im Alptraum-Horror wurzeln als in einem anderen literarischen Modus. Ich fertige meine Arbeit, um Bilder zu übermitteln, die einem Traumzustand ähneln. Eine große Zahl meiner Geschichten (und nicht zuletzt die darin enthaltenen abnormalen Bilder) sind meinen eigenen Alpträumen entnommen. Ich hatte nie das Bedürfnis, meine Träume zu analysieren, ihr Löwenanteil betrifft eindeutig die Nachtseite der Natur. Stattdessen versuche ich, Prosa zu schreiben, um diesen Träumen ein Gefäß zu geben und damit andere sie ebenfalls erleben können, wenn sie das Bedürfnis danach haben.

Ich glaube, meine Literatur ist weniger ausgearbeitet als dass sie einer Reportage gleicht. Ich schreibe, was ich sehe und ich mache keinen Unterschied zwischen den Bildern meines Lebens im Wachzustand und den Erfahrungen während des Schlummerns. Ich glaube, dass Bewusstsein ein Kontinuum ist. Es ist nahtlos. Die Grenzen sind nur jene, die wir selbst verhängen.

Davon abgesehen respektiere ich die Tatsache, dass ich, um meine Träume angemessen zu vermitteln, ihnen einen erzählerischen Kontext geben muss. Nun, was ist wichtiger – das Saatgut des Alptraums oder die erzählerische Technik, die erforderlich ist, um es zu pflegen und zum wachsen zu bringen? – Das erinnert etwas an die Frage nach dem Huhn und dem Ei. Wahrscheinlich ist weder das eine noch das andere für sich genommen stark genug. Ohne irgendeine Form eines traditionellen Erzählbogens, wie immer auch gestaltet, bleibt der Alptraum eine subjektive Erfahrung. Nur einen andersweltlichen Abklatsch subtrahierend, wird die Literatur nachahmend und abhängig von einer Schock-Taktik, und kommt nur selten über einen Würgereflex hinaus.

Am Ende ist alptraumhafter Horror davon abhängig, wie weit seine Schöpfer den Vorhang fortreißen wollen. Vielen genügt es, nur anzudeuten, dass das Universum dunkel und tief ist. Das sind die Horrorautoren für all jene, die das Unheimliche mit der Pipette verwalten. Für den Rest, für die zu viel niemals genug ist, bin ich zuversichtlich, dass es immer Autoren wie mich geben wird, Autoren, die stets bereit sind, mit dem Kopf voran in den Abgrund zu springen.

Autor

  • Der in Ontario, Kanada lebende Richard Gavin ist Autor zahlreicher hochgelobter Werke über Horror und Okkultismus, darunter Charnel Wine, Omens und Primeval Wood. Seine Sachbücher erscheinen regelmäßig in der Zeitschrift Rue Morgue und in anderen Magazinen.

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