Bartholomäus suchte den Boden um die Telefonzelle herum nach Zigarettenkippen ab. Viele waren es nicht, aber einige von ihnen klaubte er in seinen Brotzeitbeutel, um sie später zu rauchen. Die meisten lagen schon etwas länger, waren nass geworden und wieder trocken – und erneut nass. Eine größere Beute machte er in den Kneipen, von denen es hier gleich drei gab. Aber ließ man man ihn überhaupt rein? Gestand man einem Verirrten zu, die Nachtwächter zu trinken und vielleicht auf dem Klo rumzustehen? Er versuchte es. Tatsächlich schenkte ihm der Wirt des Gasthofs zwei Krüge randvoll.
Bartholomäus: 6 Wie heißt dieses Nest? weiterlesenVor der Erfindung der Pulvermaske
Geschrieben von A. Anders
Aufgrund des Durcheinanders und der Angst,
dass die Zeit Haarpulver erzeugen könnte,
befinden sich in den Ecken Medaillons und Tröster-Krawatten.
Es ist absolut exquisit.
In diesem romantischen Kit dreht sich alles darum,
elegante Epochen der Vergangenheit zu romantisieren
und mit Rosen zu vermischen.
Es gehört zur Nostalgic Essence Collection.
Sie sehen keine Fälschungen mit angeblicher „Weichzeichnung“
oder selbstgemachten zerstörten Stoffstrümpfen.
Einseitig sind noch die alten Halterungen für den Himmel vorhanden. – Dieser fehlt jedoch.
Er wurde früher in die Kupferwanne gelegt, um den Badegast vor der Hitze der darunter liegenden Brände zu schützen. Man konnte ihn aufhängen oder hinter einen alten Spiegel klemmen.
Gekauft wurde er vor vielen Jahren von einer wundervollen Dame mit langen irisierenden Hahnenfedern und einer glorreichen fliegenden Krähe in einem kleinen Dorf zwischen Bergerac und Monbazillac in der Dordogne.
Ein Verbrechen in der Nacht
Was immer der Kriminalroman ist – das Unheimliche, das Böse, das Verbrechen, das Rätsel – beherbergt er wohl aller Menschen Los. Was aber, wenn einmal kein Verbrechen geschieht? Dann ist die Fiktion immer noch ein Rätsel, mehr als es das Leben ist. Und vielleicht ist schon mit aller Existenz ein Verbrechen im Gange, nur gelöst werden kann es nicht.
Zur Nacht – ich mag an einer bestimmten Stelle der Nacht Müdigkeit empfinden – aktiviert sich das Nachtgehirn, das sich ganz und gar von dem des Tages unterscheidet. Vielleicht tritt es gerade durch die Erschlaffung der körperlichen Funktion hervor. Ich ging auf und ab vor meiner Bücherwand; gehe ich nahe an sie heran, sind es viele, trete ich etwas zurück, bemerke ich vor allem das Fehlen jener Bücher, die noch nicht da sind. Dieses Fehlen fällt mir auf, weil noch Wand zu erkennen ist. Ich habe Mühe, die Nacht zu verschlafen – ein Traum ist ja nicht garantiert. Eine Nacht ohne Traum währe allerdings vertan, also muss der Ersatz, der sichere Ersatz, die Lektüre sein. Nicht das lineare Zeilenfolgen, sondern das Fliegen durch auffällige Bände, die sich anbieten durch ihr leichtes Vorstehen, das Durchbrechen der sauberen Linie.
Bartholomäus: 5 Wie kam die Dunkelheit zustande?
Als sie den Schrei vernahmen und sahen, wohin Roland deutete, riss Ludwig sein Lasso von seiner Gürtelschnalle und sprintete augenblicklich los. Sie waren gerade so weit gekommen, um zu erkennen, dass keiner die beiden Toten kannte, was einerseits eine Erleichterung war, andererseits die Sache schwieriger machte, denn Fremde würde man unweigerlich suchen. Ludwig sah Bartholomäus vor sich, der keine Anstalten machte, sich von der Stelle zu bewegen, so als erwarte er ganz gelassen sein Schicksal. Hinter ihm klirrte Richard mit den Messern und kam ihm hinterher geeilt. Doch plötzlich geschah etwas Merkwürdiges. Es wurde dunkel, und zwar in einer Geschwindigkeit, als knipse jemand das Licht in einem Wohnzimmer aus. Eingerahmt von Haselnuss, Wacholder und Vogelbeere stand Bartholomäus wie eine Vogelscheuche still und blickte zum Himmel hinauf. Sein Gesicht war eine blasse Menschenscheibe, die Haut gegerbt, von Rundschuppen überzogen. Ludwig konnte ganz deutlich die Fischaugen erkennen, den Haken unter einer verkümmerten Flosse. Er ließ das Lasso kreisen, obwohl er doch sichtlich irritiert war.
Bartholomäus: 5 Wie kam die Dunkelheit zustande? weiterlesenBartholomäus: 4 Dieses Land est Noir
Alvin Gerard war gerade damit beschäftigt, einen Kunststoffbottich, der einmal ein Rührwerk bekommen sollte, mit seiner Ameise zur Weiterverarbeitung durch das Tor in die Betriebshalle zurückzubefördern, als Roland laut rufend aus dem Waldstück gerannt kam. Eigentlich war der Franzose zuständig für den Karosseriebau der Firma Netzsch Kunststoff. Als ein Monteur von Citroen genoss er hier einige Privilegien, fuhr selbst einen Méhari, der in Deutschland wegen der leicht brennbaren Kunststoffkarosserie eigentlich gar nicht zugelassen werden durfte. Hier bei les boches in den montagnes, die sie nach ihren épinettes, den Fichten benannt hatten (obwohl er kaum welche zu sehen bekam), scherte man sich nicht wirklich um sein Auto, das aussah wie ein Spielzeugjeep. Hier war alles etwas anders, sehr anders. Alvin hatte sich daran gewöhnt, er verdiente schließlich eine Menge Geld hier am Arsch des Universums, und wenn er alle zwei Wochen nach Levallois zurückkam, hatte er seinen Freunden eine Menge zu erzählen. Zum Beispiel von einem monsieur du grenier, dem Schwarzen Mann, an den sie hier wirklich glaubten, und den sie Agilmo oder Agil-up-fer nannten. Genau das rief Roland, gefolgt von seinen hechelnden und wesentlich kleineren Spielgefährten, die ihm kaum nachkamen.
Bartholomäus: 4 Dieses Land est Noir weiterlesenBartholmäus 3: Mechanismus der Sublimierung
Die Gedanken hat man früher Vögel genannt, mächtige Steinadler hoch im Himmel, insektenfleißige Wintergoldhähnchen weiter unten, beide verschwindend in der rauen Nacht. In kanutischen Kreisen produziert der Malstrom undenkbare Wirren. Weit ist das rettende Ufer; wer es erreicht, der hat sich deshalb noch lange nicht in Sicherheit gebracht, der lässt sich vielleicht täuschen von den Schwarzerlen, der artenreichen Krautschicht, die es hier zu finden gibt, der wird ganz versessen darauf sein, die Auwälder zu betreten, nachdem er gerade dem finsteren Schlund seiner eigenen Vergangenheit entkommen ist. Wo will er hin, Bartholomäus, der Wanderer? Er kommt von dort, wo man einst Monstren an die Wände malte, wo man statt der Säulen geriefelte Stengel mit krausen Blättern und Voluten malte, statt der Giebel Zierwerk, ebenso Kandelaber, die gemalte Ädikulen trugen. Auf deren Giebel wuchsen aus Wurzeln sich ein- und ausrollende zarte Blumen, auf denen dann ganz sinnlose Figürchen saßen. Und schließlich trugen die Stängelchen sogar Halbfiguren, die einen mit Menschen-, die anderen mit Tierköpfen.
Bartholmäus 3: Mechanismus der Sublimierung weiterlesenBartholomäus: 2 Ein Hasentod
Dann schlief er ein – und erwachte mit steifen Gliedern. Sein Magen begann augenblicklich laut zu knurren. Er raffte schnell seine Decke zusammen und blinzelte aus der Tür heraus den frühen Morgen an. Über dem Tal verflüchtigte sich gerade der Nebel. Es konnte nicht später als sechs Uhr sein. Die grüngestrichenen Fensterläden ließen kaum Licht in dem fünfeckigen Schuppen mit dem roten Dach; wäre er betrunken oder zumindest satt gewesen, wäre er bis mittags liegengeblieben, bis die dunstige Hitze ihn schließlich aus dem Bau gejagt hätte.
Bartholomäus: 2 Ein Hasentod weiterlesen