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Wer war das Vorbild für Dracula?

Tika lebt in einer Wohnung in Oakland, Kalifornien, die von zwei grauen Katzen beherrscht wird. Außerdem hat sie sich mit genug Gin, Büchern, Pflanzen und Garn umgeben, um ein Leben lang zu überleben; ihr Geschmack ist in allen vier Bereichen sehr bunt. Wenn sie nicht gerade liest oder strickt, kann man sie beim Boxen oder Laufen (widerwillig) antreffen. Sie schreibt für Book Riot.

Wollen wir doch mal damit beginnen, einige Punkte der Verschwörung und des Skandals zu setzen. Von Anfang an entbinde ich mich von der journalistischen Integrität und der üblichen Notwendigkeit, Beweise für meine Behauptungen vorzulegen, oder – was in vielen Fällen noch wichtiger ist – Beweise, die meine Behauptungen widerlegen. Jeder, der in diesen Skandal verwickelt war, ist schon lange tot, und echte Wissenschaftler haben über dieses Thema geschrieben und es untersucht. Im Sinne einer Person, die sich der Wahrheitsfindung verschrieben hat, bin ich in diesem Moment weder eine Journalistin noch eine Wissenschaftlerin, sondern biete lediglich ein wenig literarischen Klatsch und Tratsch, und ich liebe einen guten Skandal.

Um eines gleich vorweg zu nehmen: Vampire – die blutsaugenden, unsterblichen, sich in Fledermäuse verwandelnden, im Sonnenlicht funkelnden, “Ich-will-dein-Blut-saugen”-Vampire – sind nicht real. Zumindest nicht auf unserer Ebene der Realität. Soweit ich weiß. Und um ehrlich zu sein, möchte ich lieber nicht wissen, ob sie vielleicht doch real sind. Aber wenn ihr zufällig einem begegnet, fragt ihn (es ist immer ein “er”), warum seine Art sich zu jungen, beeinflussbaren Frauen hingezogen fühlt, die noch keinen Sinn für ein autonomes Selbst entwickelt haben. Wenn ich es mir recht überlege, streich das wieder. Ich glaube, ich habe gerade meine eigene Frage beantwortet.

WIE DEM AUCH SEI. Wir sind hier, Liebhaber der Rebe, um über die berüchtigtste aller literarischen Figuren zu sprechen: Dracula.

Eine schnelle Internetrecherche wird euch zeigen, dass Bram Stokers Figur Dracula auf Vlad Dracula, Vlad III. von Rumänien, Vlad dem Pfähler, basiert. Allerdings ist Stokers Darstellung von Vlad Dracula völlig phantastisch und basiert kaum auf den Grundzügen seines Lebens. Jedem Internet-Historiker – wie mir – ist klar, dass jemand anderes als viel unmittelbarerer und persönlicherer Bezugspunkt für einen so ikonischen Bösewicht gedient haben muss.

Ich präsentiere euch, liebe Freunde, den einzigartigen Oscar Fingal O’Flahertie Wills Wilde, den berühmten Schriftsteller, Dramatiker und Ästheten.

“Was?”, werdet ihr vielleicht denken. “Was in aller Welt hat ein Vampir mit Oscar Wilde, dem Autor von Das Bildnis des Dorian Gray und Bunbury, oder Die Bedeutung des Ernstseins, zu tun?” So langsam komme ich dahinter. Es stellt sich heraus, dass ein Abraham Stoker, ein Ire, und ein Oscar Wilde, ebenfalls ein Ire, in ihrer Jugend zum selben Kreis gehörten. Ihre Eltern waren befreundet, und sie waren zur gleichen Zeit am Trinity College, wo sie befreundet waren. Sehr enge Freunde.

Das heißt, bis sie beide Florence Balcombe, eine gefeierte Schönheit, kennenlernten. Wilde machte ihr zuerst den Hof, und sie nahm seinen Antrag an, obwohl das Paar schließlich auseinanderging und Florence den Namen Mrs. Bram Stoker annahm. Stokers Heiratsantrag war an und für sich schon ein Skandal, wenn man bedenkt, dass Wilde immer noch ihr wichtigster Verehrer war. Und man munkelt, dass Stoker zwar schließlich das Herz der jungen Miss Balcombe eroberte, sich aber nie ganz von der Diskrepanz zwischen Florence’ Liebe zu Wildes extravagantem, übergroßem Dandy-Charakter erholte. Seine Figur dagegen war solider und entschlossener, mit einem festen Job als Theatermanager für Henry Irving.

1897 wurde Oscar Wilde wegen “grober Unanständigkeit” in Bezug auf Sodomie zu zwei Jahren Zwangsarbeit verurteilt, und Bram Stoker begann mit dem, was sein Meisterwerk werden sollte. Darin beschreibt er den titelgebenden Bösewicht mit denselben Worten, mit denen die zeitgenössische Presse Wilde beschrieb: als “überfütterten Blutsauger” und als lebende Verkörperung all dessen, was an der spätviktorianischen Gesellschaft dilettantisch und falsch ist.

Stokers Rache war ein reines Pyrrhusspiel. Auf seinem Dachboden entdeckte Tagebücher (wie kann es sein, dass solche Entdeckungen immer noch gemacht werden??), die 2012 als The Lost Journal of Bram Stoker gedruckt wurden, sprechen in verschlüsselter Sprache über Stokers eigene sexuelle Vorlieben und Neigungen. Weniger verschlüsselt ist der Text seines Briefes an Walt Whitman:

Ich möchte Dich Genosse nennen und mit Dir reden, wie Männer, die keine Dichter sind, nicht oft reden. Ich glaube, ein Mann würde sich zuerst schämen, denn ein Mann kann nicht in einem Augenblick die Gewohnheit der relativen Zurückhaltung brechen, die ihm zur zweiten Natur geworden ist; aber ich weiß, dass ich mich nicht lange schämen würde, vor Ihnen natürlich zu erscheinen. Sie sind ein wahrer Mann, und ich möchte selbst einer sein, und so würde ich mich Ihnen gegenüber wie ein Bruder und wie ein Schüler zu seinem Meister verhalten.

Bram Stoker an Walt Whitman.

Dieser Brief ist zum ersten Mal vollständig in Something in the Blood von David J. Skal abgedruckt. Im viktorianischen Zeitalter kam die Bewunderung für Whitman einem Bekenntnis zur Homosexualität gleich, fast so verwerflich wie eine Beziehung zu Oscar Wilde selbst.

Stoker war bekannt dafür, dass er sich zurückhielt und sein öffentliches Image rücksichtslos bearbeitete. Im Gegensatz zu Wilde und vielleicht als Reaktion auf die von ihm als rücksichtslos empfundene sexuelle Freizügigkeit von Wilde zog er sich immer weiter zurück und ging 1912 sogar so weit zu sagen, dass alle Homosexuellen eingesperrt werden sollten – eine Gruppe, zu der er im Nachhinein sicherlich auch gehörte.

Am Ende ist dieser literarische Skandal weniger lasziv als vielmehr eine Geschichte, die das Herz berührt. Zwei Freunde, Rivalen, Liebhaber und Autoren: Stoker lässt sie in Dracula gegeneinander antreten, wobei er Mina die Hauptrolle der Liebe zuweist, aber letztendlich ist es die Spannung zwischen dem

Dracula

Dracula (Der zeitlose Sauger)

In der Geschichte des Schauerromans gibt es einige Werke, die in der Vorstellung der Menschen lebendig geblieben sind. Eines davon ist Mary Shelleys Frankenstein von 1818; fast jeder ist mit der Handlung vertraut, unabhängig davon, ob er das Buch gelesen hat oder nicht. Im Jahr 1887 veröffentlichte der irische Autor Bram Stoker seinen gotischen Horrorroman Dracula. Er erzählt die Geschichte des Vampirs Dracula, eines Grafen, der versucht, von Transsylvanien nach England zu ziehen, um frisches Blut zu finden und den Fluch der Untoten zu verbreiten.

Die Geschichte von Dracula ging um die Welt und hat die menschliche Psyche seitdem nicht mehr verlassen.

Obwohl Stoker die Vampirlegende nicht erfunden hat, hat sein klassisches Werk den Mythos über Kontinente und Generationen hinweg definiert und populär gemacht. Ursrünglich hat Stoker seine Figur als eine Kombination aus einem Werwolf und einem Vampir geschaffen. Eine andere von Stoker geschriebene Geschichte, “Draculas Gast”, sollte das erste Kapitel des Romans werden, aber der Verlag strich sie, weil er der Meinung war, sie sei für die Handlung überflüssig. In diesem Kapitel ist der Werwolf, in den sich Dracula verwandelt hat, eine positive Figur, die Jonathan Harker – der hier namentlich nicht genannt wird – vor anderen übernatürlichen Kreaturen schützt.

Es ist offensichtlich, dass die Menschen düstere Geschichten über Untote lieben, aber die gab es schon lange bevor Stoker sein wichtigstes Werk schrieb.

Nachdem er Ármin Vámbéry, einen ungarischen Reisenden und Schriftsteller, kennengelernt hatte, interessierte sich Stoker für die europäische Mythologie und stieß dabei auf die Legenden der Vampire. Nach jahrelangen Recherchen veröffentlichte Stoker 1897 Dracula. Der aus Tagebucheinträgen, Briefen und Zeitungsausschnitten bestehende Roman erzählt die Geschichte eines Vampirs, der von Transsylvanien nach England reist, in der Hoffnung, neue, ahnungslose Opfer zu finden. Obwohl es kein überwältigender Erfolg war, fielen die Kritiken positiv aus. Die Daily Mail lobte Stokers Werke und stellte sie neben jenen von Edgar Allen Poe, Mary Shelley und Emily Brontë.

Er ließ sich bei Dracula von ziemlich vielen Personen inspirieren, unter anderem von dem berüchtigten Vlad, den man den Pfähler nannte, der Blutgräfin Bathory, und den volkstümlichen Überlieferungen über Vampire, die in Transsylvanien und den umliegenden Regionen weit verbreitet waren.

Interessant ist aber auch, dass Stoker die Figur des Dracula nach Henry Irving, dem berühmtesten Schauspieler der damaligen Zeit, gestaltete. Stoker war Irvings Geschäftsführer, und es scheint, dass er den Mann sowohl bewunderte als auch fürchtete. Tatsächlich wollte er, dass Irving die Rolle des Dracula auf der Bühne spielte, aber Irving lehnte ab, weil er vielleicht glaubte, dass es unter seiner Würde sei, “moderne” Figuren wie Dracula zu spielen.

Nach Stokers Tod galt das Originalmanuskript von Dracula als verschollen. Erstaunlicherweise wurde es jedoch in den 1980er Jahren in einer Scheune in Pennsylvania wiedergefunden. Die 541 getippten Seiten enthielten Stokers Korrekturen und den handschriftlichen Arbeitstitel “The Undead”, “Die Untoten”. Nach seiner Entdeckung wurde das Dokument von Paul Allen, dem Mitbegründer von Microsoft, erworben. Es befindet sich – so hört man – heute noch in seiner Privatsammlung.

Im letzten Jahrhundert der Popkultur ist Draculas Geschichte vor allem durch eine Vielzahl von verwässerten Verfilmungen bekannt geworden, präsentiert der Roman doch selbst eine verworrene und manchmal sogar ein wenig überambitionierte Handlung. Es gibt darin nicht weniger als neun Hauptfiguren. Außerdem scheint sich kein vernünftiges Lektorat der Sache angenommen zu haben. So gibt es zum Beispiel nur wenige Erläuterungen für bestimmte Verbindungen oder Ereignisse, und jede moderne kritische Ausgabe des Romans weist darauf hin, dass Stoker die Briefe und Tagebucheinträge seiner Figuren versehentlich falsch datiert hat. Kein Verlag würde das unausgegorene Manuskript heute in dieser Weise akzeptieren.

Abraham Stoker wurde am 8. November 1847 geboren und wuchs in einer Stadt außerhalb von Dublin, Irland, auf. Stoker war ein kränkliches Kind und verbrachte den Großteil seiner frühen Jahre im Bett. Während dieser Zeit entwickelte er ein Interesse an allem, was unheimlich war – er las irische Folklore und hörte Horrorgeschichten, die ihm seine Mutter erzählte. Im Alter von sieben Jahren erholte sich Stoker vollständig von seiner Krankheit und wurde sogar so etwas wie ein Sportler.

Stoker war ein hervorragender Akademiker und besuchte das Trinity College in Dublin, wo er Mathematik studierte und mit Auszeichnung abschloss. Während seiner Studienzeit trat er in den irischen Staatsdienst ein und arbeitete im Dubliner Schloss. Außerdem schrieb Stoker als freiberuflicher Journalist und Theaterkritiker für die Dublin Daily Mail. Durch seine schriftstellerische Tätigkeit lernte er den berühmten Schauspieler Henry Irving kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband.

1878 zog Stoker nach London, nachdem er eine Stelle als Manager am Lyceum Theatre angenommen hatte, wo er direkt mit Irving, dem Besitzer des Theaters, zusammenarbeitete. Diese neue Karriere brachte Stoker in Kontakt mit einigen der einflussreichsten Persönlichkeiten seiner Zeit, darunter: Theodore Roosevelt, Walt Whitman und Hall Caine, dem er später Dracula widmete. Im Jahr 1878 heiratete Stoker Florence Balcombe, eine Schauspielerin, die zuvor mit Oscar Wilde verlobt war.

Das Leben in der Welt des Theaters, inmitten berühmter Persönlichkeiten, inspirierte Stoker zu seiner literarischen Karriere. 1872 veröffentlichte die London Society seine Kurzgeschichte The Crystal Cup, und 1875 erschien sein erster Roman The Primrose Path, der in einer Reihe von Fortsetzungen in der irischen Zeitschrift The Shamrock veröffentlicht wurde. Nach diesem ersten Erfolg schrieb er weiter fleißig. Es dauerte jedoch über zwanzig Jahre, bis er Dracula schrieb.

Die Handlung ist natürlich der Schlüssel zu jeder Geschichte. Aber in Dracula wird die Handlung auf eine andere Weise erzählt. Das Buch besteht nur aus Tagebucheinträgen und Briefen. Es ist, als würde man etwas lesen, das man nicht lesen dürfte.

Die Geschichte folgt den Abenteuern eines jungen britischen Anwalts, der nach Transsylvanien reist, um Graf Dracula bei der Rechtsberatung in Bezug auf einige Londoner Anwesen zu helfen. Der Graf, der als mächtiger, intelligenter und mysteriöser Gentleman dargestellt wird, zeigt gleich zu Beginn des Romans seine übernatürlichen Kräfte, hält Harker in seinem Schloss gefangen und führt ihn in eine geheimnisvolle Welt ein.

Die mittelalterliche Landschaft Siebenbürgens ist voll von gotischen Schlössern, und viele Touristen ziehen Parallelen zwischen der Landschaft und der magischen Atmosphäre von Fantasy-Filmen. Obwohl Draculas berühmtes Schloss in Wirklichkeit nicht existiert, ließ sich Stoker von der Architektur und der Lage des Schlosses Bran inspirieren, um die geheimnisvolle Atmosphäre um den Vampirgrafen zu gestalten.

Damals war Rumänien ein Land, das vielen Ausländern nicht bekannt war, meist ländlich geprägt, mit einem starken Glauben an die Kreaturen der Nacht. Ein Land, das noch immer die Erinnerung an einen seiner gefürchtetsten Anführer, Vlad den Pfähler, lebendig hält. Der Name Dracula hat seinen Ursprung im Namen seines Vaters, Vlad Dracul, auch bekannt als Vlad der Drache, ein Name, den er erhielt, nachdem er Mitglied des Drachenordens wurde. Dracula ist die slawische Genitivform des Wortes Dracul (Drache) und bedeutet “Sohn des Drachen”. Im modernen Rumänien bedeutet drac “Teufel”, was zu dem berüchtigten Ruf von Vlad III. beitrug.

Urban Fantasy (2) – Die Geburt eines Genres

Dieser Artikel ist Teil 12 von 17 der Reihe Fantasy-Literatur

Im vorigen Beitrag sprachen wir über die Definition der urbanen Fantasy und ihren Ursprüngen. Nun wollen wir mal sehen, wie dieses Genre entstanden ist und warum es so populär wurde.

Charles de Lint, der Pionier der urbanen Fantasy

Das allererste Werk der Urban Fantasy war wahrscheinlich der 1984 erschienene Roman “Moonheart: A Romance” von Charles de Lint. Den Begriff Urban Fantasy gab es damals allerdings noch nicht. Urban Fantasy wurde 1997 von John Clute und John Grant in ihrer Encyclopedia of Fantasy als Texte definiert,

„in denen die phantastische und die herkömmliche Welt interagieren, sich kreuzen und zu einer Geschichte verschränken, die sich signifikant um eine reale Stadt dreht.“

Ironischerweise war die Serie, die das Genre begründete, nicht in einer realen Stadt angesiedelt, sondern in einer imaginären. Newford, das von Charles de Lint erfunden wurde, stellt eine typisch amerikanische Stadt dar, mit seinen wohlhabenden Wohngebieten und Slums, seinen Stränden und Brachflächen und natürlich seinem ausgedehnten Netz von unterirdischen Tunneln. Die Newford-Serie begann mit der Kurzgeschichte “Uncle Dobbin’s Parrot Fair”, die 1987 zum ersten Mal in Isaac Asimovs Science Fiction Magazin erschien. 1993 wurden mehrere Kurzgeschichten von Charles de Lint, alle in Newford angesiedelt, von Terri Windling zusammengestellt und unter dem Titel “Dreams Underfoot” veröffentlicht.

“Dreams Underfoot” ist eine denkwürdige Lektüre. Wir treffen auf farbenfrohe Charaktere, lernen sie lieben und erforschen die Geheimnisse Newfords und ihrer Gesellschaft. Manche Geschichten grenzen an den Magischen Realismus oder den Surrealismus, zum Beispiel “Freewheeling”, wo ein Straßenkind Fahrräder klaut, um ihnen die Freiheit zu schenken. Für den Protagonisten haben selbst unbelebte Objekte eine Seele, einen eigenen Geist und verdienen es daher, frei zu sein. Ist er wahnsinnig, oder nimmt er etwas Reales wahr, eine Magie, die in weltlichen Objekten versteckt ist? Wir werden es nie erfahren. Während des gesamten Buches verflechten sich Realität, Mythos und Magie so eng miteinander, dass es manchmal unmöglich ist zu sagen, was real und was eingebildet ist. Ob die Magie echt ist oder nicht, ändert aber nichts an der Bedeutung der Geschichten. Wichtig ist, woran die Menschen glauben. Das ist die Theorie der einvernehmlichen Realität: Dinge existieren, weil wir wollen, dass sie existieren.

“Dreams Underfoot” wurde mit Werken literarischer Fantasy wie “Little, Big” (1981) von John Crowley und Mark Helprins “Wintermärchen” (1983) verglichen. In Übersetzung liegt kaum etwas von de Lint vor und schon gar nicht seine wichtigsten Werke.

Sex, das Übersinnliche und Rock and Roll!

Einige würden sagen, dass der erste urbane Fantasy-Roman “War for the Oaks” (1987) von Emma Bull war. Ich bin mir nicht sicher, ob ich dem zustimme, aber lasst uns über dieses Buch reden. Es erzählt die Geschichte von Eddi McCandry, einer jungen Sängerin, die in Minneapolis lebt. Sie hat einen schlechten Tag, oder besser gesagt, eine schlechte Nacht. Sie hat sich von ihrem Freund getrennt und verließ seine Band, und später begegnet sie einem finsteren Mann und einem riesigen Hund. Die beiden Geschöpfe sind ein und dasselbe: ein Phouka, ein Feenwesen, das Eddi zum Bauernopfer im jahrhundertealten Krieg zwischen den Höfen von Seelies und Unseelies auserkoren hat.

“War for the Oaks” ist nicht der passendste Titel für diesen Roman, da der Krieg der Feenhöfe nicht im Mittelpunkt der Geschichte steht. Rockmusik schon. Ein guter Titel für dieses Buch wäre “Eddi and the Fey “(der Name von Eddis Band) oder noch besser “Sex & Fey & Rock & Roll!” Emma Bull war Musikerin; sie spielte Gitarre und sang bei den Flash Girls, einem Goth-Folk-Duo, und war Mitglied von Cats Laughing, einer psychedelischen Folk-Jazz-Band. Zweifellos hat ihre Leidenschaft für die Musik den Krieg um die Eichen inspiriert.

Dieser Roman würde eher als paranormale Romanze denn als urbane Fantasy durchgehen. Die Handlung dreht sich um Eddi und ihr Liebesleben (und ihr Sexualleben, obwohl es keine expliziten Sexszenen gibt). Es gibt sogar eine Dreiecksbeziehung zwischen Eddi und zwei übernatürlichen Wesen, ein Erzählmuster, das später zu einem Markenzeichen paranormaler Romantik werden wird.

Insgesamt gibt es in diesem Buch nicht viel Action. Das meiste davon (vor allem der mittlere Teil) ist gefüllt mit Dialogen zwischen Eddi und dem Phouka oder anderen Mitgliedern ihrer Band. Obwohl es einige gute Ideen enthält, werden sie in diesem Roman nicht ausgenutzt. Auf der positiven Seite ist der Schreibstil begeisternd, und die Geschichte ist sehr einfallsreich, aber die Charaktere sind klischeehaft (der Preis des Tapferen, die edle Königin, die böse Hexe, usw.). Der Phouka ist eine Ausnahme, da er subtiler zu sein scheint als die anderen.

Ich erwähnte dieses Buch aus historischen Gründen, weil es die Voraussetzungen für jene erfolgreicheren Romane und Serien schafft, die urbane Fantasy mit paranormaler Romantik verbinden.

Der Vollständigkeit halber erwähne ich auch Bedlam’s Bard (1998) von Mercedes Lackey, das Ähnlichkeiten mit dem Krieg um die Eichen hat. Auch hier handelt es sich um eine Geschichte über Musik und Elfen in einer zeitgenössischen Umgebung. Es ist interessant zu sehen, wie urbane Fantasy-Autoren Folk- und Rockmusik in ihre Erzählungen integriert haben. Charles de Lint erzählt in seinen Geschichten oft von Musik, und das ist kein Zufall. In den 70er Jahren beeinflusste die Fantasy- und Horrorliteratur die Populärmusik in hohem Maße, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass die Musik in den 80er und 90er Jahren sozusagen diese Gunst erwiderte, indem sie eine neue Generation von Fantasy-Geschichten inspirierte. Dieses riesige Thema verdient allerdings einen gesonderten Beitrag; denn nun wollen wir wieder zur Sache kommen und über Vampire sprechen!

Hier sind Vampire!

Heute sind Vampire aus der urbanen Fantasy nicht mehr wegzudenken. Sie sind überall. Anfang der 90er Jahre war dies jedoch nicht der Fall. Der Roman, der Vampire in die urbane Fantasy einführte, war 1993 “Bittersüße Tode” von Laurell K. Hamilton, der erste Teil der Anita Blake-Serie.

Wie ich bereits im Artikel über die Ursprünge der urbanen Fantasy erwähnt habe, ist es schwierig, die Grenzen zwischen Vampir-Fantasy (einem Subgenre der Horrorliteratur) und urbaner Fantasy zu ziehen. Meiner Meinung nach besteht der Unterschied zwischen Horror und Fantasy darin, dass ersteres eher introvertiert und letzteres eher extrovertiert ist. Horrorliteratur konzentriert sich oft auf das, was die Charaktere fühlen, mit einem Schwerpunkt auf starke negative Emotionen wie Ärger, Angst, Trauer, etc.. Fantasy stützt sich mehr auf den Sinn für das Wunder, und beinhaltet in der Regel einen umfangreichen Weltenbau, um diese Wirkung zu erzielen. Das ist keineswegs eine absolute Regel, aber sie gilt doch recht häufig.

“Bittersüße Tode” ist schwer zu kategorisieren, da es sich gleichermaßen an Horror-, Thriller- und Fantasy-Genres anlehnt. Der Roman spielt in einer Welt, in der Vampire den Lebenden ihre Existenz offenbarten. Wie zu erwarten war, sorgte eine solche Offenbarung für Aufregung, wenn nicht gar Panik. Schließlich sind Vampire für Menschen keine Opfer. Was sollte also der rechtliche Status eines Vampirs in unserer Gesellschaft sein? Sollten sie die gleichen Rechte wie die Lebenden haben?

Die Autorin überspringt gerne die sozialen und rechtlichen Aspekte dieses Problems, um sich auf die Handlung zu konzentrieren. Anita Blake hat einen ungewöhnlichen Beruf: Sie ist Animatorin und arbeitet für die Polizei. Sie erweckt die Toten, damit die Polizei sie verhören kann. Praktisch für die Polizei, nicht wahr? Ihre Hauptzeugen sind tot? Keine Sorge, Anita Blake wird sie für Sie wiederbeleben!

Ihr anderer Job ist noch gefährlicher: Sie richtet Vampire hin. Wenn sie einen Gerichtsbeschluss zur Hinrichtung hat, kann sie einen Vampir in aller Legalität töten. Wenn sie keinen Gerichtsbeschluss hat … Nun, sie tötet diese Blutsauger sowieso. Nicht alle Vampire werden im Roman als blutrünstige Monster dargestellt, aber es wird angedeutet, dass die meisten von ihnen genau das sind. Wir sind nicht weit von der TV-Serie Buffy – Im Bann der Dämonen (1997-2003) entfernt. Kurz gesagt, Anita Blake ist eine selbsternannte Agentin 007 mit einer Lizenz zum Töten, und sie benutzt diese Lizenz recht großzügig und eliminiert die bösen Jungs, ob sie nun leben oder untot sind. Mit „Jungs“ meine ich sowohl Männer als auch Frauen, denn der Hauptschurke des Romans ist ein weiblicher Vampir. Kein Sexismus hier.

“Bittersüße Tode” ist ein Roman, der den Leser von der ersten bis zur letzten Seite beschäftigt. Hamilton zeichnet sich durch die Kunst aus, Spannung zu erzeugen und aufrechtzuerhalten. Ihr Stil ist voller starker Empfindungen. Es wäre jedoch unfair zu sagen, dass der Roman nur sensationslüstern ist. Unter einer relativ flachen Vampirjägergeschichte kann man einige interessante Beobachtungen über die menschliche Psychologie ausmachen.

Hamilton ist wahrscheinlich die erste urbane Fantasy-Autorin, die sich in das Reich der weiblichen Fantasien vorwagt. Im folgenden Jahrzehnt werden wir vielen Schriftsteller/innen auf diesem Weg folgen. Diese Fantasien sind nicht so unschuldig, wie es sich männliche Autoren vielleicht vorgestellt haben. Zum Beispiel werden viele Frauen von Männern mit starken Persönlichkeiten angezogen. Das wussten wir spätestens seit Byron und seinen Gedichten über charismatische, aber gefährliche Männer. Seit Anfang der 40er Jahre beschäftigt sich das Kino mit diesem Thema. Gefahr und Romantik – eine gewinnbringende Kombination! Humphrey Bogarts Verkörperungen mögen hart, manchmal sogar gefährlich gewesen sein, aber keine von ihnen konnte sich in Raffinesse und Wildheit mit Anne Rices Lestat oder Hamiltons Jean-Claude messen.

Raffinesse, Wildheit und Sexappeal – das ist die siegreiche Kombination für einen Vampir in einem urbanen Fantasy-Roman. Hamilton verstand das und stellte Vampire als die Verkörperung der tiefsten weiblichen Wünsche dar. Obwohl diese Ansicht zunächst schockierend erscheinen kann, ist sie angesichts der jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse überraschend aufschlussreich. (Für wissenschaftliche Informationen zu diesem Thema empfehle ich das Handbuch der Evolutionären Psychologie von D. M. Buss. Siehe insbesondere das Kapitel Sexuelle Interessen von Frauen über den gesamten Ovulationszyklus hinweg: Funktion und Phylogenie von S. W. Gangestad, R. Thornhill und C. E. Garver-Apgar.)

Sprechen wir nun über einen anderen urbanen Fantasy-Autor, der das Genre mitgestaltet hat. Er braucht keine besondere Vorstellung; meine Damen und Herren, hier ist Neil Gaiman!

Niemalsland von Neil Gaiman

“Niemalsland” begann als Fernsehserie, die erstmals 1996 auf BBC Two ausgestrahlt wurde. Sie wurde von Neil Gaiman und Lenny Henry geschrieben und von Dewi Humphreys inszeniert. Im selben Jahr adaptierte Gaiman die Serie zu einem Roman. Und was für ein einflussreicher Roman das war!

Niemalsland ist eine Parallelwelt, die neben der unseren existiert, aber normalerweise von uns nicht gesehen werden kann. Manchmal fallen Menschen aus unerklärlichen Gründen „durch die Ritzen“ und werden Teil dieses unsichtbaren Universums. Gaiman benutzt dies als Metapher für soziale Ausgrenzung; diese Menschen sind nicht mehr Teil der zivilisierten Gesellschaft, verloren alles, was sie besaßen, sind obdachlos und müssen den rücksichtslosen Regeln der Unterwelt gehorchen. Doch so grimmig dieser Ort auch erscheint, er ist voller Abenteuer und Magie, was ihn für eine romantische Seele attraktiver macht als unsere scheinbar sichere und berechenbare technologische Welt.

Es gibt keine Vampire oder Werwölfe in Niemalsland, aber es gibt alle möglichen fantastischen Kreaturen, einige von ihnen sind dabei fremdartiger als andere. In diesem Roman entdeckt der Protagonist die Existenz eines unsichtbaren London, eines unterirdischen London. Hinter jeder Londoner U-Bahn-Station verbirgt sich eine geheime Welt, die an die mittelalterliche Vergangenheit der Stadt erinnert. Es gibt ein Kloster unter Blackfriars, am Earl’s Court lebt ein echter Graf mit seinem Hof, und unter Angel versteckt sich … na ja, ein Engel! Interessanterweise gibt es in Niemalsland keine paranormale Romanze, nicht einmal einen Hinweis darauf – das ist urbane Fantasy in ihrer reinsten Form.

Ich glaube, Niemalsland ist einer der besten urbanen Fantasy-Romane überhaupt. Witzig, fantasievoll, aber auch zum Nachdenken anregend – so sollte das Genre sein. Im Mittelpunkt einer urbanen Fantasy-Geschichte sollte die Stadt stehen, das urbane Leben mit seinen Gegensätzen und Paradoxien.

Urbane Fantasy mag ein eskapistisches Genre sein, aber dies ist ein zweideutiger Eskapismus, der uns immer wieder in die Realität zurückführt. In Niemalsland wird dieser zweideutige Eskapismus durch die Konflikte, die der Protagonist im oberen und auch im unterirdischen London hat, aufgezeigt. Ersteres repräsentiert die Realität, zweites die Fantasie.

Gaiman produzierte weitere bemerkenswerte Werke, insbesondere die Comic-Serie “Sandman” und den Roman “American Gods” (2001), für die er mehrere Preise erhielt, darunter Hugo, Nebula, Locus und Bram Stoker Awards.

Im nächsten Beitrag zur urbanen Fantasy werden wir über die Entwicklung des Genres im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts sprechen, beginnend mit Jim Butcher und Kelley Armstrong.

Vampir

Die 20 besten Vampir-Bücher aller Zeiten

Dieser Artikel ist Teil 6 von 17 der Reihe Fantasy-Literatur

Der Vampir – Herkunft, Mythos und Geschichte

Es gibt eine wahre Schwemme an Vampirbüchern da draußen. Um ehrlich zu sein, taugen die meisten nicht viel, auch wenn sie zu Bestsellern wurden. Doch wenn man an das richtige Buch gerät, macht der Vampirmythos wieder Spaß. Wir haben 20 nennenswerte Bücher über  Blutsauger (die manchmal auch Teil einer Serie sind) herausgesucht, die unserer Meinung nach zur Spitze der Vampirliteratur gehören. Auf eine Platzierung wird verzichtet, weil die Zeitspanne der Entstehungsgeschichten zu weit auseinander liegt, um sie sinnvoll gegeneinander abzuwägen. In diesem Sinne ist diese Liste als Aufzählung zu verstehen.

1. George R. R. Martin – Fiebertraum (Heyne)

Martin ist nicht nur der Schöpfer von “Ein Lied aus Eis und Feuer”, sondern unter anderem auch der Autor dieser blutigen wie faszinierenden Geschichte, die sich um Abner Marsh dreht, einen Bootskapitän auf dem mächtigen Mississippi, der im Jahre 1857 ein ungewöhnliches Angebot von einem Fremden erhält. Wenn es auf einem völlig gesättigten Markt  ein “Vampir”-Buch gibt, das man unbedingt lesen sollte, dann ist es dieses hier. Das Setting ist völlig exotisch, die Charaktere herausragend und komplex gezeichnet. Wer immer auf der Suche nach einem exzellenten Vampir-Roman ist, hat ihn hiermit gefunden.

2. Stephen King – Brennen muss Salem (Heyne)

Viele würden, wenn es um Stephen Kings Meisterwerk geht, auf “Shining” verweisen, aber sein zweiter Roman ist nicht weniger unterhaltsam, emotional und erschreckend. Der Schriftsteller Ben Mears kehrt in seine Heimatstadt zurück, um über das Marsten-Haus zu schreiben, wo er als Kind etwas Schreckliches erlebte. Aber seine Ankunft fällt mit der des neuen Bewohners des Hauses zusammen, und die Dunkelheit breitet sich schnell aus. “Brennen muss Salem” ist von der gotischen Tradition durchdrungen, aber King zeigt hier seine Gabe und sein Geschick, über Kleinstädte zu schreiben, die auseinander gerissen wurden. Das Böse, das aus dem Marsten-Haus sickert, wendet Nachbarn und Familienmitglieder gegeneinander und führt zu einem fantastisch eisigen Roman, der einer der besten Vampirbücher bleibt, die  je geschrieben wurden.

3. Anne Rice – Interview mit einem Vampir (Goldmann)

Dieses Buch enthält alle Bekenntnisse eines Vampirs, angefangen von dem Moment, in dem Louis gebissen wird, schildert seinen Überlebenskampf in New Orleans bis hin zu dem Tag, an dem er beschließt, die junge Claudia zu verwandeln. Mehr noch, es ist ein Buch, das die öffentliche Wahrnehmung über Vampire für immer verändert hat, als es 1976 erschien. Innovativ und dunkel-sinnlich ist das hier das Buch, das ein ganzes Genre wiederbelebt hat und die einflussreichste Post-Stoker-Interpretation über Vampire. Zum größten Teil sind heutige Ergüsse nur Nachahmungen dieser grandiosen Reihe.

4. Bram Stoker – Dracula (Fischer)

Der Königs-Vampir regiert noch immer, auch wenn Draculas Bedeutung über ein Jahrhundert ständiger Anpassungen und Neuinterpretationen vernebelt wurde. Der Roman ist wunderbar überdeterminiert, vollgepackt mit konkurrierenden Ängsten – und gleichzeitig steht im Mittelpunkt der Geschichte ein leerer Raum. Dracula nämlich schreibt, im Gegensatz zu den anderen Charakteren, seine eigene Geschichte nicht auf. Der Leser wird dazu eingeladen, eine eigene Interpretation zu finden.

 

5. John Ajvide Lindqvist – So finster die Nacht (Lübbe)

Es ist Herbst 1981 in Blackeberg, Schweden. Oskar ist ein zwölfjähriger Junge. Eli ist das Mädchen, das gerade nebenan eingezogen ist. Aber das ist nicht der Anfang deiner alltäglichen YA-Romanze, denn Eli ist vielleicht nicht so sehr Jemand wie ein Etwas. Der nachfolgende Film (eigentlich sind es zwei) mag eine breitere Zustimmung erhalten haben, aber Lindqvists Roman ist eine atmosphärisch wiedergegebene Geschichte der Isolation im Kindesalter und der Notwendigkeit von Gesellschaft. Oskar wird in der Schule routinemäßig schikaniert und seine Mutter hat keine Zeit, sich um ihn zu kümmern. Als er sich mit Eli anfreundet, entdeckt er die Vorteile und die Gefahr, sich auf jemand anderen zu verlassen. Der Roman ist in seiner Darstellung des Horrors viel expliziter als der Film, ein grausames Märchen, das den Schmerz der einsamen Jugend hervorragend darstellt. Viel gelobt, und das zu Recht.

6. Elizabeth Kostova – Der Historiker (Bloomsbury Berlin)

Der Historiker” ist ein funkelnder Debütroman von Elisabeth Kostova und erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die in der Bibliothek ihres Vaters etwas Seltsames entdeckt: Die Überreste vergilbter Briefe einer jahrhundertealten Jagd nach einem legendären Herrscher. Jetzt muss sie entscheiden, ob sie die Herausforderung annimmt oder nicht, auch wenn sie sich dann der furchterregenden Frage gegenüber sieht, die jedem Historiker, der versucht hat, sie zu beantworten, den Ruin gebracht hat: Wer ist Vlad der Pfähler wirklich? “Der Historiker” spielt mit der Struktur und den Details von Stokers Dracula, aber Kostova verwendet den Hintergrund, um eine rasante Abenteuergeschichte abzuspulen. Das Buch ist eine äußerst unterhaltsame Tour-de-Force mit Witz und Intelligenz.

7. Richard Matheson – Ich bin Legende (Heyne)

Eines der einflussreichsten Bücher in diesem Genre stellt Robert Neville vor, den letzten Überlebenden in einer Welt, die von einem Virus ausgelöscht wurde, der Menschen in Vampire verwandelt. Jetzt muss Neville die infizierten Kreaturen abwehren, die ihn jede Nacht vor seiner Haustür bedrohen. Hier sei gesagt (man muss es leider wieder und wieder betonen): Das Buch ist nicht der Film mit Will Smith, den man schnell vergessen sollte. Mathesons Roman von 1954 ist eine der größten Vampirgeschichten, die je geschrieben wurden. Das starke Gefühl der Isolation ist nach der kraftvollen moralischen Wendung des Finales des Buches zweitrangig, als Robert gezwungen ist, seine Position in der neuen Welt zu bedenken. Pflichtlektüre gibt es an sich kaum, das hier aber ist eine.

8. Octavia Butler – Vom gleichen Blut (Lübbe)

Octavia E. Butlers Roman, der nach seiner Veröffentlichung hochgelobt wurde, ist eine Meistererzählung der Science-Fiction. Dies ist die Geschichte von Shori Matthews, einem 10-jährigen Mädchen, das herausfindet, dass sie in Wirklichkeit eine 53-jährige Vampirin ist. Die eiserne Entschlossenheit, ihre Amnesie zu bekämpfen, führt sie auf eine atemberaubende und traumatische Reise. Aber sie will herausfinden, wer sie ist – und wer sich solche Mühe gibt, sie tot zu sehen.

9. Laurell K. Hamilton – Bittersüße Tode (Lübbe)

Willkommen in St. Louis! Dies ist das Revier von Anita Blake, professionelle Vampirjägerin und Nekromantin. Sie ist immer zur Stelle, um ein paar Untote zu beseitigen, wenn die Dinge außer Kontrolle geraten. Natürlich ist sie die Beste in ihrer Branche, was bedeutet, dass sie mit vielen Kreaturen interagiert – vor allem mit Jean-Claude, dem Meistervampir, den sie konsultieren muss, als sie gebeten wird, eine Reihe von Vampirmorden zu untersuchen. Leider fühlt sie sich auch schrecklich zu ihm hingezogen. Wer seine Vampirgeschichten mit einer Dosis Sex (und harter Detektivarbeit) mag, ist mit dieser sehr erfolgreichen Reihe auf der richtigen Fährte

10. John William Polidori – Der Vampyr (Hoffenberg)

Dieses 1819 veröffentlichte Buch ist wahrscheinlich die Geburt der Vampirliteratur. Sicher aber war Polidori einer der Begründer des romantischen Vampirmythos. Erzählt wird die Freundschaft zwischen einem Herrn namens Aubrey und dem rätselhaften Aristokraten Lord Ruthven. Obwohl es sich um ein kurzes Werk handelt, ebnete John William Polidori damit den Weg für die späteren Giganten des Genres.

11 Joseph Sheridan Le Fanu – Carmilla (Diogenes)

Diese Novelle ist eine der erfolgreichsten Vampirgeschichten, die je geschrieben wurden, und enthält auch einen der sympathischsten Vampire der Literatur. Der Angriff des Vampirs wird hier zu einer langen Verführung, einer romantischen Freundschaft, der Laura, Carmillas vorgesehenes Opfer, nur schwer zu widerstehen vermag. Carmilla ist eine der ersten Vampire, die sich für ihr Existenzrecht einsetzen, genau wie jedes andere Wesen in der Natur. Ihre Gegner sind so stumpfsinnig und selbstgefällig, dass man hofft, sie werden sie nicht aufhalten. Die Geschichte wurde 1872 veröffentlicht und ist ein faszinierendes Fenster in eine Zeit, in der die Vampirmythologie – und alles, was sie umfasst – noch erfunden werden musste.

12. Theodore Sturgeon – Blutige Küsse (Fischer)

Von einem der Paten der modernen Science-Fiction stammt dieser Briefroman über einen Soldaten, der ein wenig … verändert nach Hause kommt. Er hat sich an den Armeepsychiater gewandt, der ihn bat, seine Geschichte aufzuschreiben. Das Ergebnis ist diese schockierende und seltsame Sammlung von Briefen, Transkripten und Fallstudien. Ein kurzer Roman, der dennoch einen grandiosen Biss mitbringt.

13. Kim Newman – Anno Dracula (Heyne)

Fans der Vampirliteratur sollten sich unbedingt ein Exemplar von Kim Newmans alternativer Geschichte besorgen, in der Jonathan Harker und Van Helsing Dracula nicht aufhalten konnten. Der Graf hat Königin Victoria geheiratet und Menschen und Vampire leben jetzt Seite an Seite … bis Jack the Ripper anfängt, Blutsauger mit seinem silbernen Messer auszunehmen. Der Roman ist vollgepackt mit Charakteren aus Film und Literatur (John Merrick, Lestat de Lioncourt und Graf Orlock tauchen auf) und ein absoluter Genuss für Fans des Genres.

14. Dan Simmons – Kinder der Nacht (Heyne)

Als ein Forschungsteam auf medizinischer Mission nach Rumänien reist, sind die Mitglieder ziemlich erschüttert, als sie ein Kind in einem Waisenhaus entdecken, dessen Immunsystem der Schlüssel zur Heilung von Krebs und AIDS sein könnte. Das Kind heißt Josua, und ihm wurde inmitten einer tödlichen Krankheit die falsche Bluttransfusion verabreicht. Aber jetzt ruft seine bloße Existenz auch einen mysteriösen Clan auf den Plan … in satten Farben dargestellt und insgesamt ungeheuer spannend, ist “Kinder der Nacht” ein Roman, der den Vampirmythos auf den Kopf stellt.

15. Robert McCammon – Blutdurstig (Knaur)

Im modernen Los Angeles, das in “Blutdurstig” auf anschauliche Weise dargestellt wird, senkt sich das Böse zunächst langsam herab: eine Leiche hier und eine andere dort. Aber dann sorgt die Anzahl der Toten doch für Aufsehen – und alle Morde scheinen nachts zu geschehen. Die Hinweise deuten alle auf eine dunkle Macht hin, die älter ist als die Zeit, und die eine Legion von Anhänger zu haben scheint. Noch bedrohlicher aber ist deren Durst, denn der kann nie gestillt werden.

16. F. Paul Wilson – Das Kastell (Festa)

Mitten im Zweiten Weltkrieg wird eine Einheit deutscher Truppen zu einem abgelegenen Bergfried in den Siebenbürger Alpen entsandt, um ihr Territorium zu schützen. Zuerst scheint es sich um einen leichten Auftrag zu handeln – bis die Männer von Captain Wörmann am Morgen tot, mit schrecklich zerfetzten Kehlen, aufgefunden werden. Kein Mensch könnte diese Gewaltakte begangen haben, und kein Mensch kann auch nur hoffen, die Situation zu klären …. oder doch? Mit der durch den Krieg verschärften Spannung im Hintergrund verbinden sich die Kräfte von Gut und Böse in diesem Buch zu einem Schauspiel reinen Horrors.

17. Charlaine Harris – Vorübergehend tot (Feder & Schwert)

Hier beginnt die Reihe um Sookie Stackhouse. Sie ist eine ruhige, bescheidene Kellnerin aus der kleinen Stadt Bon Temps, Louisiana und ein ganz normales Mädchen – abgesehen davon, dass sie Gedanken lesen kann. Oh, und sie geht mit einem Vampir aus. Wie man vielleicht erwarten darf, verursacht das ein paar Probleme, besonders als mehrere Leichen auftauchen. Vorübergehend tot ist die perfekte Mischung aus Komödie, Action und Romantik. Der Roman hat HBO zu seiner preisgekrönten Serie True Blood inspiriert.

18. Suzy McKee Charnas – Der Vampir-Baldachin (Knaur)

Tagsüber ist Dr. Edward Lewis Weyland Professor. Aber nachts ist er ein Vampir, und obwohl er seine Kräfte nicht durch übernatürliche Mittel erworben hat – sein Zustand ist biologisch begründet -, hat sich sein Bedürfnis, sich vom menschlichen Blut zu ernähren, deshalb nicht geändert. In vier episodischen Kapiteln sehen wir, wie sich dieser Drang manifestiert und wie der Vampir trotzdem noch versucht, mit der Gesellschaft zu interagieren. Spannende Prosa, straffe Handlung und ein charismatischer Vampir im Mittelpunkt zwingen den Leser in dieses bahnbrechende Buch, das 1980 erstmals veröffentlicht wurde, hinein. (Die deutsche Version erschien 1984 bei Knaur und ist nur noch antiquarisch abrufbar).

19. Seth Grahame-Smith – Abraham Lincoln: Vampirjäger (Heyne)

Dieses Buch eignet sich hervorragend dafür, sich erneut mit Abraham Lincoln vertraut zu machen: Retter der Union, größter Präsident der Vereinigten Staaten und vereidigter Jäger aller Vampire. Als er von der wahren Ursache des Todes seiner Mutter erfährt, schwört Abraham Lincoln, sie zu rächen – und dokumentierte dies alles in seinen Aufzeichnungen, die später von Grahame-Smith entdeckt wurden. Dieses Geheimnis blieb jahrhundertelang verborgen, aber durch dieses Buch ist es möglich, Licht auf Lincolns mutigen Kampf gegen die Untoten zu werfen, und wie dadurch die Geschichte Amerikas geprägt wurde.

20. Scott Snyder / Stephen King / Rafael Albuquerque – American Vampire (Vertigo)

In dieser Graphic Novel, geschrieben von Stephen King und Scott Snyder, treffen die Leser auf zwei Vampire, deren Geschichten sich verflechten: eine junge Frau, die Rache begehrt, und ein gefährlicher Bandit, der ihr hilft, sie zu bekommen. Kings Teilnahme an diesem Werk begründete er damit, dass er den Vampiren “die Zähne zurückgeben” wollte, das heißt, sie nach dem völlig unverständlichen “Twilight”-Wirbel wieder zu blutrünstigen Killern zu machen.

Unübersetzte Meisterwerke: Was auch wieder betont werden muss, ist die immense kulturelle Wüste deutschsprachiger Phantastik, was vor allem daran liegt, dass in unseren Verlagen kaum Experten zu finden sind. Hier eine kleine Auswahl wichtiger Bücher, die es nicht zu uns geschafft haben: Steven Brust – Agyar; Carlos Fuentes – Vlad; Robin McKinley – Sunshine; Brian Wilson Aldiss – Dracula Unbound; E.E. Knight – Vampire Earth (von Heyne mittendrin abgebrochen, was noch schlimmer ist, als die Bücher gar nicht übersetzt zu haben); Andrew Fox – Fat White Vampire Blues; Silvia Moreno-Garcia – Certain Dark Things; Florence Marryat – The Blood of the Vampire; Paul Féval – La Ville-Vampire; Poppy Z. Brite – Lost Souls;

Stephen King – Der amerikanische Meister

Im Phantastikon, dem Magazin, gab es eine spezielle Abteilung für Kingmania. Die Kontroverse um seinen literarischen Wert muss an dieser Stelle nicht wiederholt werden (obwohl wir es im Laufe dieser Rubrik tun müssen), der Autor selbst hat sich seine Falle von Anfang an selbst gestellt: Wer seine eigene Arbeit als literarisches Äquivalent eines Burgers mit Pommes bezeichnet, wird schließlich von einer wenig gebildeten Öffentlichkeit auch so wahrgenommen. Das Problem an der Sache: es stimmt nicht, aber das bemerken jene, die tatsächlich nur Burger mit Pommes lesen ohnehin nicht, und die Kettenhunde der elitären Maskerade rümpfen oftmals die Nase, ahnungslos von allem, was nicht auf der Liste steht, die ihnen ihre Eltern, ihre Lehrer und später die guten Kreise, in denen sie verkehren, in die Hand und ins Hirn gedrückt haben. Dabei ist es nicht verkehrt, King nicht zu mögen oder lesen zu wollen (man pflegt seine Abneigungen – begründet oder unbegründet), aber eine wirkliche Kritik kann sich nur dann entspinnen, wenn man eine Ahnung hat, wovon man redet.

Obwohl meine Lieblingsautoren sich in gewisser Weise aus der sogenannten Hochliteratur speisen, habe ich selbstverständlich immer auch King gelesen, einen Meister der Erzählkunst und tatsächlich einer der begnadetsten Autoren, die Amerika je hervorgebracht hat. Denis Scheck, einer der wenigen deutschen Kritiker, die nicht von ihrer Ignoranz zerfressen werden, hat King einmal den Charles Dickens unserer Zeit genannt. Jetzt darf man natürlich wissen, dass auch Dickens wegen seiner Popularität angeklagt wurde, was heute niemanden mehr interessiert. Und ähnlich wie Dickens wird auch King in einigen Hundert Jahren (insofern unsere substanzlose Rasse soweit kommt) gelesen werden, was auf einige der Lieblinge der Gralshüter garantiert nicht zutrifft, weil sie tatsächlich nichts Ewiges zu verkünden haben.

Stephen King hat die Geschichte oft genug erzählt, in der ein Fan ihn erkannt hat und sagt: “Du bist Stephen King! Ich liebe all deine Filme!” Anfangs hatte King den Leuten noch erklären müssen, dass er ein Schriftsteller sei und diese Filme seine Bücher als Vorlage hatten. Diese kleine Anekdote hört sich zwar überzogen an, zeigt aber durchaus die Tendenz, Literatur nicht mehr als solche wahrzunehmen, sondern von vornherein die Auswahl zu treffen, ob ein Buch als Vorlage für einen Film geeignet ist oder nicht. Da King der meist verfilmte Autor überhaupt ist, entsteht das eigentliche Dilemma. Die überwältigende Mehrheit dieser Filme sind künstlerischer Müll – und das rekurriert in der öffentlichen Wahrnehmung auf Stephen King, den Autor, den man dann natürlich auch kaum mehr als jenen Meister wahrnehmen kann, der er ist, weil sein eigentliches Können von der Popkultur – in der Literatur ohnehin nur eine untergeordnete Rolle spielt – ausgeblendet wird. Kings Ideen schwingen somit frei und weniger begabte Künstler machen sich über seinen Stoff her wie Schmeißfliegen, adaptieren ihn und zerstören damit eigentlich ein erstaunliches literarisches Vermächtnis.

Von Anfang an sprachen Kings dunkle Parabeln die Ängste des späten zwanzigsten Jahrhunderts an. Als stellvertretender Erzähler in “Der Nebel” erklärt King seine Mission:

“Wenn die Technologien versagen, wenn… religiöse Systeme versagen, müssen die Menschen etwas haben. Selbst ein Zombie, der durch die Nacht taumelt”, ist ein “heiterer” Gedanke im Angesicht einer “sich auflösenden Ozonschicht”.

Kings Fiktionen beginnen mit Räumlichkeiten, die von Amerikanern der Fernsehgeneration akzeptiert werden und in den Vorstädten oder Kleinstädten Amerikas eröffnet werden – in Derry, Maine, oder Libertyville, Pennsylvania – und haben die Vertrautheit des Hauses nebenan und des 7-Eleven-Ladens. Die Figuren haben die vertraute zweidimensionale Realität des Kitsches: Sie entstammen Klischees wie dem High-School-“Streber” oder dem weisen Kind. Von solchen Räumlichkeiten aus bewegen sie sich filmisch durch eine Atmosphäre, die einer populären Mythologie nachempfunden ist. King wendet naturalistische Methoden auf eine von der Populärkultur geschaffene Umgebung an. Diese bereits vermittelte Realität lässt sich leicht in übernatürliche Begriffe übersetzen, die eine alptraumhafte Qualität annehmen. Kings Phantasie ist vor allem archetypisch: Seine “Pop”-Vertrautheit und sein jugendlicher Humor schöpfen aus dem kollektiven Unbewussten.

In “Danse Macabre”, einer Studie über das zeitgenössische Horrorgenre, die die gegenseitige Befruchtung von Fiktion und Film betont, unterteilt er sein Thema in vier “Monster-Archetypen”: den Geist, das “Ding” (oder von Menschenhand geschaffene Monster), den Vampir und den Werwolf. Wie bei seiner Fiktion sind seine Quellen die klassischen Horrorfilme der 1930er Jahre, die von der Pulp- und Filmindustrie der 1950er Jahre übernommen wurden. Er weist auf ihre Ableitungen aus dem Schauerroman, dem klassischen Mythos, den Brüder-Grimm-Volksmärchen und der mündlichen Überlieferung im Allgemeinen hin. In einem Zeitalter der Angst, in der man dem Mythos gleichzeitig skeptisch und hungrig gegenübersteht, ist das Grauen grundsätzlich beruhigend und kathartisch; der Geschichtenerzähler verbindet die Rollen des Arztes und des Priesters als Hexendoktor, als “Sündenesser”, der die Schuld und Angst seiner Kultur auf sich nimmt. Im Neoprimitivismus des späten zwanzigsten Jahrhunderts haben diese alten Rollen und die alten Monster eine neue Mystik angenommen.

In “Kinder brauchen Märchen” (1976) sagt der Psychologe Bruno Bettelheim, dass die Magie und die Schrecken des Märchens existenzielle Probleme in Formen darstellen, die Kinder verstehen können. Kings paranormale Schrecken haben für Erwachsene eine ähnlich kathartische und erzieherische Funktion; sie externalisieren die Traumata des Lebens, insbesondere die der Adoleszenz.

Die etwas ermüdende Meinung vieler geht dahin, King als Schreiber von Horrorgeschichten abzutun, obwohl er längst als Chronist der amerikanischen Gegenwart bekannt ist (und außerdem jedes literarische Genre beherrscht und schreibt). Dass er dabei auf übernatürliche Phänomene als Stilelement zurückgreift, kann nichts daran ändern, dass er einer der besten Figurenzeichner der Literaturgeschichte ist; und einer der besten Erzähler. Überhaupt gibt es nur zwei literarische Genres: den weniger umfangreichen bürgerlichen Realismus und die gewaltige Welt der phantastischen Literatur. King verbindet beides auf nicht immer makellose Weise, was ihm wiederum zugute zu halten ist und nicht etwa Kritik heraufbeschwören sollte.

Das Unvollkommene ist das Ehrliche, das jedem großen Schriftsteller anhaftet. In seinen Niederungen kann man also den Burger mit Pommes tatsächlich aufstöbern. Ich will beides tun. Die Filetstücke hervorheben und über das Fastfood schmunzeln.

Erwähnen möchte ich noch die Arbeit von Michael Collins, einem Professor für englische Literatur, weil er einer der erste war, die wissenschaftliche Studien über Kings Arbeit verfassten. Anfang der 1980er Jahre wurde King als nicht geeignet als Lektüre ernsthafter Literaturstudenten angesehen. Dieser Snobismus, den es also auch in einem literarisch aufgeschlossenen Land wie den USA gab, war für Collins inakzeptabel (für Deutschland gilt er wohl für alle Zeiten). Ein Grund, warum Collins mit Kings Werk arbeiten wollte, war der kolportierte Unterschied zwischen Literatur und Trivialliteratur. Seine Studien über das Schreiben im Mittelalter und in der Renaissance hatten ihm gezeigt, dass die Leser und Gelehrten während des größten Teils der Geschichte des geschriebenen englischen Wortes keine solche Unterscheidung getroffen hatten. Der Glaube, dass ein kommerziell erfolgreicher Autor auch künstlerisch verdächtig sein müsse, war ein ziemlich neues Konstrukt. Wir hatten es vorhin von Charles Dickens, aber Collins behauptet in einem seiner Artikel sogar, dass Shakespeare der King seiner Zeit gewesen sei. Das war natürlich ein starkes Stück für die Fundamentalisten, die nicht begreifen, wie Literatur wirklich funktioniert und was sie tatsächlich ist.

Collins ist es zu verdanken, dass King zu einer Institution mit einem eigenen wissenschaftlichen Gerüst wurde. Heute kann jeder fortgeschrittene College-Abschlüsse in spekulativer Literatur erwerben, oft mit dem Schwerpunkt King.

Doch nicht nur Collins allein ist zu erwähnen, sondern auch eines der ersten Bücher, die Kings Werk mit frühen Meistern vergleicht: Tony Magistrales einflussreiches “Landscape of Fear” aus dem Jahre 1988. Dieses Buch trug dazu bei, King in das Gespräch der Hochkultur mit einzubeziehen. Verlage wie Cemetery Dance haben ebenfalls eine lange Geschichte an kritischen, literarischen Schriften über King, und in jüngerer Zeit Pennywise Dreadful (eine von Fachleuten betriebene Online-Präsenz mit King-Exegesen) haben Magistrales Vermächtnis verinnerlicht. All diese King-Chronisten haben bewiesen, dass King mehr Fleisch auf den Knochen hat als von Ignoranten angenommen. Mit Hilfe literarisch-linguistischer Theorien wollte Magistrale beweisen, dass Kings Werk einen Grad sprachlicher Komplexität aufweist, der ihm oft nicht zugestanden wird, und das ist ihr auch gelungen.

King hat es sich selbst nicht immer leicht gemacht, von einem spießigen Establishment ernst genommen zu werden, wenn er zum Beispiel in einer albernen Werbung für American Express als er selbst auftritt und, in ein rauchumwölktes Jacket gekleidet in einem Spukhaus herum turnt. Bis zur Jahrhundertwende hatte King Alkoholismus, Drogenabhängigkeit und einen fast tödlichen Unfall im Jahr 1999 überlebt, bei dem er bei einem Spaziergang entlang der State Route 5 in Maine von einem Lieferwagen angefahren wurde.

Im Jahr 2000 erschien mit “Das Leben und das Schreiben” eine reifere und nüchterne Version des Mannes, der seine Bücher einmal mit Big Macs verglichen hatte. Diese Memoiren waren ein Beichtstuhl und ein Führer zu seinem Handwerk, wahrscheinlich eines der besten Arbeiten über das Schreiben neben Mario Vargas Llosas “Briefe an einen jungen Schriftsteller”. Es fiel selbst dem standhaftesten Kritiker des King schwer, darauf zu bestehen, dass es keine klugen Ratschläge enthielt. Es war auch unmöglich, so zu tun, als sei King nicht in der Lage, in mehr als einem Genre einen Beitrag zu leisten. King erhielt von Präsident Obama die National Medal of the Arts 2014, was gut zu seinem National Book Award 2003 (eine Seltenheit für einen “populären” Schriftsteller), seinem O. Henry Award 1996 und einer langen Liste anderer literarischer Lorbeeren passte. “King hat das erreicht, was ich die Trilogie des Erfolgs als Schriftsteller in Amerika nenne”, sagt der langjährige King-Chronist Stephen J. Spignesi, der Kings Karriere mit der von John Steinbeck vergleicht:

“Er ist erfolgreich im akademischen Bereich, im populären Bereich und begehrt bei den Sammlern”.

Der Ursprung der Geister und berühmte Darstellungen in der Literatur

Der Ursprung der Geister und berühmte Darstellungen in der Literatur lautet der Titel der heutigen Sendung, zu der ich euch herzlich begrüße. Es handelt sich dabei um einen Themenschwerpunkt, der die Sendungen um das Spukhaus, den Vampir, die Schauerliteratur, den kopflosen Reiter usw, erweitert. All diese Artikel zu den Sendungen findet ihr auf phantastikon.de

Empfohlen sei außerdem die Sendung Die Welt bei Kerzenschein, in der es um das Erzählen als phantastische Tradition ganz allgemein geht.

Seit der Mensch sich seiner selbst bewusst ist, scheint er sich auch der Geister bewusst zu sein. Das Konzept der Geister, aber auch der Geistergeschichten lässt sich bereits in den Anfängen der Menschheitsgeschichte finden und fasziniert uns seit Generationen. Ein Rascheln im Gebüsch, ein knarrendes Geräusch, und die Angst, die sich mit unserem Überlebensinstinkt verbindet, lässt uns Dinge sehen oder fühlen, die vielleicht nicht da sind.

Aber auch der Glaube, dass etwas jenseits des Todes existieren könnte, hält uns gefangen. Was wir heute als Geist interpretieren, hat seine Wurzeln und den Mythen und Überzeugungen der alten Kulturen. Gespenster waren und sind manchmal die Geister von Personen oder von Tieren, die nach dem Tod des Körpers weiterexistieren. es liegt zum Teil an diesem Glauben, dass viele Beerdigungsrituale ursprünglich stattfanden und praktiziert wurden, um zu verhindern, dass der besagte Geist auf der Erde verbleibt und die Lebenden verfolgt. Darüber hinaus wird an die Existenz von Geistern oft aufgrund der menschlichen Erfahrung festgehalten, sich verfolgt oder verflucht zu fühlen. Dieses Gefühl wird noch heute nicht gerade selten damit erklärt, sich in der Gegenwart von Geistern zu befinden. Dies kann vom Hören, Sehen, Fühlen von seltsamen Wahrnehmungen bis hin zu anderen unerklärlichen unheimlichen Ereignissen reichen. So wird beispielsweise ein unbelebtes Objekt, das sich von selbst und ohne Zutun bewegt, oft als von einem Geist verursacht zitiert.

Geistergeschichten sind alles andere als ein zeitgenössisches Phänomen. Sie werden seit Jahrhunderten von Generation zu Generation weitergegeben, entweder mündlich oder durch das geschriebene Wort. Alte Kulturen glaubten, dass eine menschliche Seele oder der Geist weiterexistiert, wenn der physische Körper das längst nicht mehr tut, und dass es eine jenseitige Welt geben muss. Deshalb war das Erscheinen von Geistern in der lebendigen Welt ein verstörender Gedanke. Der Grund, warum ein Geist in die Welt der Lebenden übergehen sollte, war ein traumatisches Ereignis oder ein unerledigtes Geschäft. Man glaubte, dass dies in der Regel auf eine unsachgemäße Bestattung, Ungerechtigkeit oder die Notwendigkeit zurückzuführen war, dass der Tod gerächt werden musste. Eine wirklich unangenehme Erfahrung für die Hinterbliebenen.

Diese Geschichten wurden in allen Kulturen auf der ganzen Welt erzählt, von Japan bis Irland. Die Orestie – eine Trilogie griechischer Tragödien, die erstmals 458 vChr. aufgeführt wurde, erzählt die Geschichte von Mord, Rache und Gerechtigkeit. Die Trilogie, die weithin als Aischylos bestes Werk gilt, zeigt eine Figur namens Klytaimnestra, einem weiblichen Geist, der Gerechtigkeit gegenüber ihrem Sohn sucht, der sie ermordet hat. Dies ist eine der ersten Erscheinungen eines Geistes in der Literatur und typisch für den altgriechischen Glauben an das Leben nach dem Tod und den Übergang der Geister in die Welt der Lebenden.

Geister bei den Römern

Plinius der Jüngere erzählte seine berühmte Geistergeschichte um 100 nChr., und beweist damit, dass diese furchterregenden Geschichten seit mindestens 2000 Jahren alltäglich sind. Seine Geschichte handelt von einem gespenstischen alten Mann mit einem langen Bart und rasselnden Ketten, der in einem großen Haus in Athen herumspukt. Obwohl die Geschichte vor so langer Zeit erzählt wurde, enthält sie alle wichtigen Bestandteile einer klassischen Geistergeschichte. Unerklärliche Geräusche, Ruhelosigkeit und unheimliche Albträume.

In der modernen westlichen Kultur gehen wir davon aus, dass Geister typischerweise einem unerledigten Geschäft nachgehen. Das war bereits bei Plinius der Fall, der in seiner Geschichte erwähnt, dass der kettenrasselnde Geist erst seinen Frieden fand, als seine Leiche entdeckt wurde.

Die Römer hatten viele Vorstellungen von Geistern, und obwohl nicht gesagt werden kann, dasss ie alle an sie glaubten, kann man doch zu dem Schluss kommen, dass Geistergeschichten beliebt waren. Die Römer glaubten an zwei Arten von Geistern. Der Geist von Plinius fällt in die erste Kategorie, bekannt als Lemuren. Diese wütenden Geister verfolgten und belasteten die Lebenden, wurden aber dennoch mit einer Reihe von jährlichen Festtagen geehrt. Im Gegensatz zu den Lemuren standen die Manen, Geister, die ihre nahen lebenden Verwandten führten und schützten. Die oft als Götter bezeichneten Manen wurden mit dem Parantella-Fest gefeiert und galten als in oder unter der Erde existent. Um den Manen zu gefallen, brachten die Römer ihnen Opfer dar und ließen oft Speis und Trank an ihrem Grab zurück.

Der antike Satiriker Lukian von Samosata formulierte in seinem Roman “Der Lügenfreund” den Unglauben an Geister. Lukian, geboren 120 nChr., war ein gelehrter Mann mit einem einzigartigen Sinn für Humor, und nutzte seine akademischen Fähigkeiten, um seine Zeitgenossen zu verspotten. In diesem Roman zieht er von der Warthe des gesunden Menschenverstandes und der Logik alle Register, um all jenen eins auszuwischen, die auch nur im Entferntesten an das Übernatürliche glaubten. In seiner Geschichte erzählt Lukian von einer Figur namens Demokrit, die in einem Grab vor den Stadttoren haust, nur um zu beweisen, dass Friedhöfe nicht von Geistern heimgesucht werden. Er berichtet, dass junge Einheimische versuchten, Demokrit zu erschrecken, indem sie sich in schwarze Roben und Totenkopfmasken kleideten, aber trotz dieser effektiven Witze weigerte er sich, an das Übernatürliche zu glauben. Auch wenn Lukian ein entschiedener Ungläubiger gewesen sein mag, ist es interessant, auf seine klassische Idee des Aussehens eines Geistes hinzuweisen, weil diese bis heute Bestand hat.

William Shakespeares Geister

Ob er nun an Geister glaubte oder nicht – William Shakespeare war furchtlos in seinem Streben, sie zu einem integralen Bestandteil seiner Stücke zu machen. Während er sicher nicht der einzige Dramatiker war, der Geister in seinen Aufführungen zeigte, unterscheiden sich jene Shakespeares in ihrer Bedeutung doch durch ihre Interaktion mit den Lebenden. Das früheste Shakespeare-Drama, das Geister vorstellt, ist Richard III., in dem der gleichnamige Charakter von den Geistern seiner Opfer heimgesucht wird. Diese Geister verspotten Richard mit den Geschichten über ihr Ableben und sagen voraus, dass er in seinem nächsten Kampf eine Niederlage erleiden wird. Es scheint dem Publikum so, als ob die Geister Richard in seinen Träumen erschienen sind, was die Beziehung zwischen Geistern und Albträumen festigt. Wenn sie jedoch auf der Bühne aufgeführt werden, sind die Geister physisch präsent, besetzt mit Schauspielern, die sich and ie klassische Geisterdarstellung halten: aufgehellte Haut und ein untotes Aussehen.

Shakespeares Behandlung der Geister wurde zum zentralen Werkzeug zum Erzählen von Geschichten verwendet, wie er es in seinem berühmten Stück Macbeth gezeigt hat. Auf völlig unkonventionelle Weise erscheint der Geist von Banquo nur Macbeth und ist für alle anderen Gäste unsichtbar. Shakespeare nutzt den Geist, um zu vermitteln, dass die Last von Banquos Mord allein bei Macbeth liegt.

Hamlet, geschrieben zwischen 1599 und 1602 ist eine der berühmtesten Geistergeschichten der Literatur. Das Stück, das sich um Hamlets Wunsch dreht, Gerechtigkeit für den Mord an seinen Vater zu suchen, gilt als eines der mächtigsten literarischen Werke aller Zeiten. Wesentlich für die Handlung ist der Geist von Hamlets verstorbenem Vater. In den Bühnenanweisungen als “Geist” bezeichnet, erscheint er nur drei Mal im Stück und wirkt als Impulsgeber der Handlung. Shakespeares Darstellung des Geistes steht im Einklang mit alten Geistergeschichten, wo sie stehts ein ungelöstes Verbrechen oder Ungerechtigkeit symbolisieren und vermitteln. Der Geist sucht Rache, um aus dem Fegefeuer befreit zu werden.

Es sei darauf hingewiesen, dass es unter Akademikern und Dramatikern viele Diskussionen darüber gibt, ob der Geist wirklich eine Darstellung des verstorbenen Königs ist, oder tatsächlich eine phantastische Erfindung des jungen Hamlet. Aber Shakespeare hat im Grunde wieder einmal das Konzept eines Geistes dazu genutzt, um eine ganze Erzählung voranzutreiben. Die Existenz des Geistes offenbart ebenso viel über das Innenleben der lebenden Charaktere wie über den verstorbenen König.

Geister bei Charles Dickens

Geister, die sich über Shakespeares Jahre und darüber hinaus bewegen, begründen in der viktorianischen Epoche ihr eigenes literarisches Genre. Der Schriftsteller und Sozialkritiker Charles Dickens war sehr einflussreich, was die Etablierung und die Beliebtheit der Geistergeschichte betrifft. Von David Copperfield bis Oliver Twist schuf er einige der berühmtesten fiktiven Figuren aller Zeiten. 1843 schrieb Charles Dickens mit “A Christmas Carol”, die wir uns hier im Phantastikon bereits näher angesehen haben, die wohl berühmteste Geistergeschichte aller Zeiten, die die Wandlung von Ebenezer Scrooge vom geizigen Geldgeber zu einem freundlichen und liebevollen Mann zum Inhalt hat. Die Geschichte wird in fünf Kapiteln – oder Stäben, wie Dickens sie nannte – erzählt. Scrooge wird an Heiligabend von vier Geistern besucht, von denen jeder seine Wahrnehmung für die Welt um ihn herum öffnet. Zunächst wird er vom Geist seines ehemaligen Geschäftspartners Jacob Marley besucht. In schweren Ketten dargestellt und von schweren Geldtruhen nach unten gezogen, versucht Marley Scrooge sein Schicksal zu zeigen, sollte er nicht seine gierigen und egoistischen Wege ändern. Ihm wird gesagt, dass er von drei geistern, den Geistern der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Weihnacht besucht wird, denen er zuhören soll, oder dazu verdammt sein wird, die Last von Ketten zu tragen, die noch schwerer sind als die von Marley.

Wie Shakespeares Geist von Banquo erscheinen Dickens Geister ausschließlich Scrooge allein. Die Erscheinungen reichen von einem unheimlich kindlichen Mann bis hin zum phantomartigen Geist der zukünftigen Weihnacht. Charles Dickens selbst hatte ein persönliches Interesse an Geistern, wobei sein Freund und Biograf John Foster bemerkte, dass er leicht ganz vom Übernatürlichen hätte verzehrt werden können, wenn er nicht durch seinen eigenen gesunden Menschenverstand eingeschränkt worden wäre. Dickens erinnerte sich, dass er von seinem Kindermädchen Miss Mercy vor dem Schlafengehen als Kind schreckliche Geistergeschichten erzählt wurden. Als Teenager verschlang er Geistergeschichten und genoss es, sich bis ins Mark zu erschrecken. Als er ins Erwachsenenalter eintrat, wurde Dickens dem gegenüber eher skeptisch, aber seine Fantasie wurde durch die Faszination für Geister in seiner Kindheit angeheizt. Die Erzählung “A Christmas Carol”, die sich an nur einem Abend innerhalb einer einfachen und logisch gestrickten Struktur abspielt, veranschaulicht, dass Geistergeschichten am besten innerhalb einer Kurzgeschichte oder im Novellenformat funktionieren. Auch heute noch. Kurze und prägnante Geschichten wie diese können leicht mündlich erzählt werden, wie viele andere der besten Geistergeschichten auch.

Stilistische Bravour in Peter Straubs “Geisterstunde”

Der umfassende Datenspeicher von Goodreads wirft Peter Straubs “Geisterstunde” auf Platz 15 der größten Horrorromane aller Zeiten aus. Es gibt nur wenige Romane des Genres, die in den 70ern geschrieben wurden und den Test der Zeit so makellos bestehen konnten. Straubs großes Können und seine subtile Überlegenheit lässt fast alle Romanciers der düsteren Thematik ziemlich alt aussehen. Gegenüber den besten Horrorgeschichten haben Romane ganz allgemein kaum eine Chance, aber die Handvoll überragende Werke, die es da draußen gibt, stehen jeder Bestenliste gut zu Gesicht. So natürlich auch dieses, obwohl es nicht mein Lieblingsbuch von Straub ist.

Es besteht kein Zweifel daran, dass Peter Straub seinen bahnbrechenden dritten Bestseller als Rückgriff und Fortsetzung seiner literarischen Vorfahren verstehen wollte. Straub beschwor bewusst jene großen Geistergeschichtenerzähler vergangener Zeiten herauf: Edgar Poe, M.R. James, Nathaniel Hawthorne, Henry James, Ambrose Bierce und so weiter. Ein Leser muss mit diesen Autoren nicht vertraut sein, um “Geisterstunde” genießen zu können, aber diejenigen, die es tun, werden in den zahlreichen Anspielung einen höheren Genuss finden.

Ebenso wie Stephen Kings Romane zu jener Zeit läutete “Geisterstunde”, das 1979 erschien, die große Ära des 80er-Jahre-Horrors ein. Nur wenige moderne Horrorautoren können sich mit deren Ambitionen messen.

Im fiktiven Milburn, einer kleinen Stadt im Hinterland von New York, die bald von einem furchterregenden Winterschneesturm belagert werden wird, treffen sich die Mitglieder der Chowder Society bei Whisky und Zigarren, um sich gegenseitig Gesellschaft zu leisten, während das Alter unaufhaltbar auf sie zukommt: Frederick “Ricky” Hawthorne, Sears James, Lawrence Benedikt, John Jaffrey und, bis zu seinem Tod ein Jahr zuvor, Edward Wanderley. Sie sind durch eine gemeinsame Vergangenheit gebunden, die wichtiger ist als ihre Gegenwart, eine Vergangenheit, die etwa 50 Jahre zurückliegt. Seit Edwards völlig unerwartetem Tod auf einer Party für eine schöne junge Schauspielerin namens Ann-Veronica Moore sind Albträume für alle Männer des Clubs zur Gewohnheit geworden. Mit Geistergeschichten vertreiben sie sich nun die Zeit, aber sie finden in der Stadt um sie herum – und in Edwards angstverzerrter Totenmaske – Hinweise darauf, dass ihre unheilige Vergangenheit sie einholt. In ihrer Not schreiben sie an Edwards Neffen Donald Wanderley, der ausgerechnet ein Horrorschriftsteller ist.

Dons Roman “Nightwatchers” beeindruckt die Chowder Society und ist der Anlass für ihren Brief, in dem sie um Hilfe bitten (Ich bin ihr Van Helsing, stellt Don süffisant fest). Obwohl dieser Aspekt noch nicht so weit entwickelt ist, wie er hätte sein können, spielen Dons kreative Fähigkeiten in das hinein, was später im Roman passiert und eröffnet damit eine Metaebene.

Natürlich muss er eine Geistergeschichte erzählen, um das Vertrauen der alten Männer zu gewinnen, und seine Vergangenheit enthüllt auch eine Beziehung zu einer fremden Frau, die ihn verlässt, um eine Beziehung mit Dons Bruder David einzugehen, der am Ende tot sein wird

Don verdächtigt diese Frau namens Alma Mobley des Mordes, kann aber nichts beweisen. Als die Chowder Society, oder was davon übrig geblieben ist, ihm schließlich die Geschichte von Eva Galli erzählt, einer unwahrscheinlich schönen und schwierigen Frau, die sie alle in ihrer Jugend kannten, und von ihrem erbärmlichen Schicksal, wird Don klar, dass sie eine Art Gestaltwandlerin war, vielleicht sogar der “Manitou” selbst. In der Tat gibt uns Straub eine Art Geist, einen Werwolf und einen Vampir: alles, was man braucht, um Schrecken zu verbreiten. Sie und ihre Schergen sind zurückgekehrt, und die Männer werden nun in eine Zeit versetzt, in der der Wahnsinn ein wahrhaftigeres Bild der Ereignisse bot als der gesunde Menschenverstand.

Straub trägt seinen langen Roman in meist kurzen Kapiteln vor, in denen er zwischen Figuren wechselt. Sein Stil ist wie immer literarisch, ohne prätentiös oder protzig zu sein, seine Fähigkeit, einen glaubwürdigen Schauplatz zu schaffen und zu bevölkern, ist der von Stephen King ebenbürtig. Tatsächlich ist “Brennen muss Salem” zweifelsohne das strukturelle Modell für diesen Roman.

Straub verbindet die großen alten Geistergeschichten vergangener Zeiten mit modernen, episch angelegten Horrorgeschichten. Und obwohl es funktioniert, ist der das Buch kühl und frostig, trotz seines reichen charakterlichen und psychologischen Wandteppichs, und die Geschichte bleibt immer auf Distanz zum Leser, ein Effekt, der das klaustrophobische Gefühl der Erzählung maximiert.

Die alten amerikanischen Geistergeschichten verorten die der Menschheit innewohnende Sünde und Schuld in den wilden Wäldern Neuenglands; hier steht Lewis Benedikt einer tödlichen Fantasie über den abgründigsten Moment seines Lebens gegenüber. Da gibt es Sears James’ erstaunliche Geschichte des alptraumhaften kleinen Jungen Fenny Bate, der so schmutzig und ignorant ist wie unsere prähistorischsten Vorfahren, und der sein Mitleid heraufbeschwört, aber für seinen Untergang sorgt. Andere Einwohner von Milburn werden einen schrecklichen Tod erleiden, wenn sie für eine Sünde bezahlen, die nicht die ihre war, gegen die sie sich nicht wehren können, die aber genauso Teil der Landschaft ist wie die sie umgebenden Felder und Wälder.

Wie der rudimentäre Titel schon andeutet, will “Geisterstunde” ein Urtext des Grauens sein, der alle Geschichten umfasst, die ihm vorausgegangen sind und die nach ihm kommen werden. Eine übernatürliche Schlacht findet in einem Kino statt, das den ersten modernen Horrorfilm zeigt: “Night of the Living Dead”. Die auffällige Ähnlichkeit mit “Brennen muss Salem” und, in einem winzigen Hinweis im Epilog, mit “The Shining”, ist beabsichtigt; Altes begegnet Neuem in dieser Geschichte. Die formwandelnden Obszönitäten, die Milburn und die Chowder Society terrorisieren, begleiten uns schon seit ewigen Zeiten und sagen: Ihr seid eurer menschlichen Vorstellungskraft ausgeliefert, und wenn ihr nach uns sucht, solltet ihr immer an den Orten eurer Vorstellungskraft suchen… wo ihr Geschichten erfindet, um Dämonen auszutreiben, aber ihr vergesst, wer diese Dämonen sind.

In all diesen Geschichten in Geschichten, Charakteren in Charakteren, Spiegeln in Spiegeln, ist die Einbildung das, was uns verfolgt. Es sind immer nur wir selbst.

Die Welt bei Kerzenschein (Folklore und Legenden)

Dieser Artikel ist Teil 4 von 17 der Reihe Fantasy-Literatur

Folklore und Legenden sind Teil eines Vermächtnisses unserer ursprünglichen Ängste, die in der Morgendämmerung der Menschheit ihren Ursprung haben, als die Welt noch vom Übernatürlichen dominiert war: Wälder, Hügel, Berge und Flüsse waren der Lebensraum von alten, unsichtbaren Dingen. Leben bedeutete, im Schatten dieser Geheimnisse zu leben. Kerzen drückten die tiefe Angst des Menschen aus, nur in einem kleinen Lichtkreis inmitten einer riesigen, dunklen Welt zu leben.

Dieses Motiv ist eine Konstante in fast jedem Mythos. Hrothgar, der König der Dänen, erbaute eine große Festhalle in den wilden Mooren Dänemarks und brachte damit das Licht und das Lachen der Menschen in die dunkle Landschaft seines Reiches. Grendel, einer der drei Gegenspieler des Beowulf, zahlt es den Eindringlingen in sein Gebiet heim, indem er sich nachts in die Halle schleicht und alle Anwesenden ermordet. Die goldenen Tapeten sind abgerissen, die Lichter der Halle erloschen, und das Moor liegt wieder still und leise da.

Einer der berühmtesten Gelehrten jener Geschichten bei Kerzenschein in der Folklore war der Brite JRR Tolkien. In seinem berühmten Aufsatz “Beowulf. The Monsters and the Critics” vertritt er das Argument, dass Beowulf, abgesehen davon, dass er ein Artefakt alter germanischer Kultur ist, noch einen weitaus größeren Wert besitzt, dass die Geschichte von einem Mann, der gegen mächtige Urkräfte kämpft, nämlich auch einen literarischen Wert hat.

Die Wildnis

Die Mythologie hat die Fantasy-Autoren schon immer beeinflusst. Bei genauerer Betrachtung Tolkiens, dem Begründer der modernen High Fantasy, und den Autoren des Weird Tales Magazine, den Urvätern der Sword & Sorcery, entdecken wir ein ganzes Netz von Verbindungen und Einflüssen, die auf eine Welt bei Kerzenschein zurückweisen. Dieser Einfluss hält bis heute an: zwei der berühmtesten und angesehensten Schriftsteller des Genres, Ursula LeGuin und gegenwärtig George R.R. Martin, spinnen den Kampf zwischen der Menschheit und der Dunkelheit in ihren Romanen weiter.

Um diesen Kampf jedoch zu verstehen, müssen die Leser einen Blick auf die Mythen werfen. Drei Vorstellungen werden wieder und wieder aufgegriffen: die Wildnis, der Grenzbereich zwischen Mensch und Welt, und die Dunkelheit. Das sind die Elemente der Welt bei Kerzenschein in der Folklore, von denen unsere Fantasy so tiefgreifend durchdrungen ist, und die ohne diese Elemente gar nicht zu denken wäre.

Der greifbarste Aspekt der Welt bei Kerzenschein ist die Wildnis. Laut James Frazer, einem bahnbrechenden Gelehrten magischer und religiöser Traditionen, war

“Europa von immensen Urwäldern bedeckt, in denen die vereinzelten Lichtungen wie Inselchen in einem Meer von Grün gewirkt haben müssen.”

Wälder und die übrige Wildnis waren unbekanntes Gebiet, das außerhalb der Kontrolle und des Wissens des Menschen lag. Natürlich waren diese ungezähmten Orte von Geschichten der Angst umgeben: die russischen Waldgeister, Leshys genannt, stöhnten und kreischten im Wind, der durch die Bäume fuhr, die geisterhaften Irrlichter führten die Menschen ins tödliche Moor, und schottische Redcaps schnappten sich ihre Opfer auf verlassenen Feldern.

Selbst nach der Christianisierung Europas waren die Wälder Orte einer tiefsitzenden Angst. Raub- und andere wilde Tiere waren eine ständige Bedrohung für Schäfer und Jäger, und Wölfe wurden zur besonderen Ikone dieser Gefahr.

Grenzen und Wälle

Einhergehend mit der Wildnis als Bedrohung des Menschen, wurden Grenzen und Wälle notwendig, um die realen und übernatürlichen Gefahren fern zu halten. Dies ist das zweite Merkmal der Welt bei Kerzenschein in der Folklore: das Bedürfnis nach Grenzen.

Dieses Konzept hatte seinen großen Auftritt in Joseph Campbells Modell des “Helden in Tausend Gestalten”. Hierbei handelt es sich um die Reise des Helden, gekennzeichnet vom Überschreiten der ersten Schwelle, indem sich der Held außerhalb der Grenze der menschlichen Bereiche begibt, in jene Regionen des Unbekannten, wie beispielsweise Wüste, Dschungel, die Tiefsee, oder in ein unbekanntes Land. Campbells Abgrenzung zwischen dem Reich der Menschen und “dem Unbekannten” gründet sich auf die Idee der Welt bei Kerzenschein in der Folklore, wo es Sicherheit innerhalb der Grenzen, dort, wo das Licht brennt, zu finden gibt, und die Gefahr draußen bleibt.Grenzen spielen in der irischen Mythologie eine bedeutende Rolle, wo man sich Zwischenreiche vorstellte, Barrieren zwischen Tag und Nacht, Sommer und Winter, ein Zwielicht, das alles verwischte. Wo die Grenzen schwach waren, konnte es dem Chaos gelingen, in die Welt zu schleichen. Eines der bekanntesten Beispiele für übernatürliche Grenzen hat mit Vampiren zu tun. Die meisten Vampire können nicht ins Haus gelangen (die Schwelle nicht überschreiten) ohne Einladung. Das ist so, weil das Haus die Domäne des Menschen ist, von der Außenwelt durch seine Mauern getrennt.

Die Ur-Schwelle ist der Sonnenuntergang, bei dem das dritte Element die Welt überflutet: Dunkelheit. Dunkelheit ist das alles beherrschende Element der Welt bei Kerzenschein in der Folklore. Sie zieht sich durch den Mythos als Quelle einer allesdurchdringenden Furcht: Es ist Nacht, wenn Grendel Hrothgars Halle angreift, es ist Nacht, wenn die irischen Feen sich die Kinder holen, wenn die Vampire aller Kulturen erwachen, wenn Werwölfe sich verwandeln und Gespenster aus dem Grab steigen. Wenn die Sonne aufgeht, und das Licht zurückkehrt, wäscht es alle Dunkelheit mitsamt seinen Kreaturen hinfort, die sich in Höhlen, Wälder, Bergtäler oder in U-Bahnschächte zurückziehen. Der grundsätzliche Aspekt der Dunkelheit ist seine Gleichsetzung mit dem Unbekannten: in der Folklore sind die größten Ängste oft namenlos, nehmen die Gestalt von Tabus und Aberglauben an. Eine der ältesten Mythen beginnt mit einer Welt, belagert von ewiger Nacht. Dann erscheint eine Figur, wie der Rabe der nordamerikanischen Ureinwohner, und entzündet die Sonne. Meistens aber wird den Menschen ein Geschenk gemacht: Feuer; wie im griechischen Mythos von Prometheus. Feuer, die Quelle des Lichts, spielt eine herausragende Rolle in fast allen Mythen, vor allem im ländlichen Irland, wo das Herdfeuer zum Symbol für die Sicherheit und das Wohlbefinden der Familie wurde, und das über Jahre hinweg am Brennen gehalten wird. Feuer ist, abgesehen vom Kochen und Heizen, die erste Verteidigung gegen die Dunkelheit.

Weil die Ideen der Wildnis, der Grenzen, und der Dunkelheit die Mythen so grundsätzlich durchziehen, hatten sie einen tiefgreifenden Einfluss auf jene Autoren, die die moderne Fantasy definierten, namentlich: JRR Tolkien, H.P. Lovecraft, Robert E. Howard und Clark Ashton Smith. Jeder von ihnen hat sich ausgiebig mit Folklore und Legenden befasst, und aus ihrer Arbeit leiten wir die Genres der High Fantasy und der Sword & Sorcery ab, die beide zu den beständigsten und beliebtesten Formen dieser Literatur gehören.

Tolkiens Wissen über Mythologie erstreckt sich über Homers Ilias bis hin zu den nordischen Sagen, in seiner Arbeit wird dem Leser ein Urgefühl der Angst nahe gebracht, vor allem jene gegenüber des Waldes. Eines der besten Beispiele aus “Die Gefährten” ist der Alte Wald: Fredegar Bolger, einer von Frodos Freunden, erschrickt zutiefst bei Merrys Plan, ihn zu betreten. Er behauptet, dass dies ein Ort sei, der aus Alpträumen bestehe, und niemand es wage, hineinzugehen. Tatsächlich gibt es eine Grenze zwischen dem Alten Wald und Bockland – die Hecke. Die Bäume hatten diese Hecke schon einmal angegriffen und die Hobbits mussten sie mit Äxten und Feuer zurückdrängen. Es war der sich wiederholende Kampf der Zivilisation gegen die Wildnis.

Im Innern des Waldes sind die Hobbits deutlich erkennbar Eindringlinge. Merry muss die Bäume beruhigen und ihnen erklären, dass sie als Freunde kommen und dass sie nicht hier sind, um ihnen irgendwie zu schaden. Die Bäume führen die Hobbits jedoch in die Irre und immer tiefer in den Wald hinein, bis hin zu einer mächtigen Weide, von der sie angegriffen werden. Der Alte Wald und auch der noch ältere Düsterwald (Mirkwood) sind Reflexionen der Feindseligkeit und der Gefahr, die in der Wildnis lauern. In „Der kleine Hobbit“ liegt der Düsterwald in ewiger Dunkelheit, dort hineinzugehen birgt die Gefahr, für immer in ihm verloren zu gehen.

Die Berge des Wahnsinns

1923, über ein Jahrzehnt, bevor der Hobbit das Licht der Welt erblickte, kam das Weird Tales Magazine auf den Markt, das von Abenteuergeschichten bis zu Horror-Geschichten alles veröffentlichte. Den Schwerpunkt bildete allerdings der „Lovecraft-Zirkel“, also jene Gruppe von Autoren, mit denen Lovecraft rege in Kontakt stand und die von ihm inspiriert wurden. H.P. Lovecraft beschrieb seine Sicht der Weird Fiction (was wir bei uns mit „unheimlicher Literatur“ oder „Schauerliteratur“ nur unzureichend übersetzen können) folgendermaßen:

„Eine gewisse Atmosphäre atemloser und unerklärbarer Angst vor äußeren, unbekannten Kräften muss gegenwärtig sein; und es muss einen Hinweis darauf geben … auf die schrecklichste Vorstellung, die ein menschliches Gehirn ersinnen kann – eine unheilvolle und einmalige Übertretung oder Aussetzung der Naturgesetze, die unser Schutz gegen die Angriffe des Chaos und der Dämonen aus dem ungestalteten Raum sind.“

Seine klassische Erzählung „Berge des Wahnsinns“ beginnt mit einer Gruppe Wissenschaftler, die in ein unerschlossenes Gebiet der Antarktis ziehen, um dieses zu untersuchen. Diese Wildnis ist, wie so oft, die Domäne älterer, feindseliger Wesen. Die Wissenschaftler finden die Überreste einer uralten Rasse, die einst die urzeitliche Erde regiert haben musste. Diese erwacht zum Leben und tötet die Crew, bevor sie wieder zu ihren Ruinen in den Bergen des Wahnsinns zurückkehrt. Die Protagonisten, Danforth und Dyer, folgen den Kreaturen in die uralte Stadt Leng und entdecken, dass die Erde nur aufgrund der Gnade dieser mächtigen, finsteren Wesen noch existiert, die in den Tiefen des Ozeans und in den Weiten des dunklen Raums lauern.

Inspiriert von Arthur Machen, der selbst fasziniert war von einem mittelalterlichen, unbekannten Zeitalter, hatte Lovecraft einen gewaltigen Einfluss auf viele seiner Zeitgenossen, besonders auf die seines Zirkels, wie z.B. Robert E. Howard, dem Erfinder des Conan, und Clark Asthon Smith, dem Schöpfer der Welt Zothique. Beide Autoren, deren Geschichten sich um Diebe, Totenbeschwörer, Krieger und Abenteurer in vergessenen Tempeln drehen, pflegten während ihrer gesamten schriftstellerischen Karriere einen regen Briefkontakt mit Lovecraft; sie entlehnten Ideen von ihm und aus seinem Werk, ganz besonders aus dem Cthulhu-Mythos.

Ursula Le Guin

Das Erbe des „Kerzenscheins“ in der Folklore wirkt auch heute noch in den Werken der bekanntesten Fantasy-Autoren nach. 1970 schrieb Ursula Le Guin, die gefeierte Verfasserin der Erdsee-Saga, „Die Gräber von Atuan“. Darin wird das Leben der Tenar beleuchtet, einem jungen Mädchen, das zur Hohepriesterin der Gräber der Namenlosen gewählt wird. Es handelt sich hierbei um ein unterirdisches Labyrinth, in immerwährender Dunkelheit gelegen. Durch das ganze Buch hindurch wird „die Dunkelheit“ als der Verschlinger von Tenars Selbst und als Synonym für die „Namenlosen“ genannt. Deren Höhle ist der Sitz der Ur-Finsternis: es wurde nie vom Licht der Schöpfung der Welt berührt. Als Tenar und der Zauberer Ged versuchen, den Gräbern zu entkommen, beginnt die Dunkelheit Tenar derart in Panik zu versetzen, dass sie Ged anfleht, sein magisches Licht einzusetzen. Aber Ged offenbart ihr, dass seine gesamte Kraft dabei aufgebraucht wurde, die Dunkelheit daran zu hindern, sie beide zu verschlingen.
Im ersten Band der Erdsee-Saga, Der Magier von Erdsee, ist Geds Stolz daran schuld, dass die Finsternis überhaupt in die Welt gelangen kann. Nachdem er von einem anderen Magier permanent verspottet und verlacht wird, will Ged seine Macht beweisen, indem er Tote wieder zum Leben erweckt. Er beschwört den Schatten von Elfarran herauf, aber dann –

„das fahle Oval zwischen Geds Armen wurde breiter und weiter, ein Riss in der Finsternis der Erde und der Nacht, ein Zerreißen des Gewebes. Durch diese leuchtende, unförmige Verletzung kletterte etwas wie ein Klumpen schwarzen Schattens …“

Ged hat in seiner Arroganz die Schwelle zwischen der Welt und der Finsternis zerstört.

Das Herz der Fantasy

George R. R. Martins Werk  “Das Lied von Eis und Feuer”, birgt ebenfalls deutliche Spuren einer „Welt bei Kerzenschein“, die wir aus der Folklore kennen. Das erste Kapitel von “Die Herren von Winterfell” trägt den Leser in das Reich von Eddard Stark, einem Landstrich am Rande der zivilisierten Welt. Starks Pflicht ist es, die „Mauer“, die Grenze also zwischen einem wilden, gefährlichen Land im Norden, und den Sieben Königreichen, zu erhalten.

Das ist das Herz der Fantasy: die Kämpfer, Waldläufer, und Magier, die unsere Seiten bevölkern, sind jene Archetypen, die als Wächter unserer Grenzen und Schwellen zwischen den Menschen und der Dunkelheit begannen. Wohin auch immer sich die Fantasy noch entwickeln wird, dieses Erbe ist und wird der Kern der Sache bleiben.

Horror

Den Horror nach Hause bringen

Dieser Artikel ist Teil 9 von 24 der Reihe Was ist Horror

Vergiss die Blutflecken auf dem Flur zum zweiten Schlafzimmer – das war nur ein Mythos, erfunden von meinem sadistischen Onkel, um mich und meine Schwester mit schlaflosen Nächten zu peinigen. Niemand ist je in diesem Schlafzimmer gestorben, ganz egal, was er behauptete. Nein, der wirkliche Spuk hat seine Wurzeln tiefer in dieser Geschichte, eine wahre Geschichte, die auf das Jahr 1912 zurückzuführen ist, ein Datum, das in den aufwändigen Eisenklopfer an der Tür geätzt ist.

Meine Eltern hatten das Haus von Mr. Davis gekauft – ich kannte seinen Vornamen nicht – und Mr. Davis hatte es von Mr. Armstrong, der es gebaut hatte, quadratisch, kalt und stark, mit kunstvollen Stuckdecken und glänzenden Eichenholzarbeiten, wie man sie heute in keinem Haus mehr haben will.

Aber Davis war – meiner Ansicht nach – das Problem, im Leben wie im Tod. Meine Eltern wurden zu dem Zeitpunkt die Mieter dieses Hauses, als Davis in ein Pflegeheim kam. Sie endeten als Käufer – des Hauses mit allem, was sich in ihm befand – also konnten seine Töchter ihm den Aufenthalt dort ermöglichen. Der Spuk begann nicht lange nach seinem Tod, als mein Vater, spät an diesem Morgen, an seiner Dissertation arbeitete, die Temperatur in unirdische Tiefen sank und etwas den Raum betrat, eine unsichtbare Präsenz, wachsam und besitzergreifend. Das geschah drei mal, und bald darauf begab sich mein Vater mit uns allen früh zu Bett. Das konnte jedoch das Flüstern nicht beenden. Nur am Rande konnte man in der Stille der Nacht wahrnehmen, dass es schwach und aus weiter ferne kam, die Worte waren nicht voneinander zu unterscheiden, wie sie da über den weiten Ozean der Unendlichkeit drangen (um Lovecrafts Sprache zu verwenden, wenn auch nicht dessen Bedeutung), um sich an dem festzuhalten, was sie verloren hatten.

Nichts konnte es aufhalten, solange nicht, bis meine Eltern Jahre später die letzten Möbel von Mr. Davis entfernten und sich so von seiner letzten Verbindung mit dem Haus trennten, zumindest dachte ich das immer. Bis auf wenige Ausnahmen – Anne Rivers Siddons Das Haus nebenan ist das beste Beispiel – dreht es sich bei einem Spukhaus, und bei anderer Schauerliteratur ebenfalls, hauptsächlich um eine Verbindung der Vergangenheit mit der Gegenwart; der schwere Verlust, der aus der Ewigkeit herausgreift, um sein Eigentum zurückzufordern. Das ungesühnte Verbrechen, das die Gegenwart überschattet und seine schreckliche Rache fordert. Der Kanon ist voll davon, von Hawthornes Haus mit den sieben Giebeln und Poes Haus Usher bis zu Henry James’ Das Durchdrehen der Schraube und Shirley Jacksons Hill House.

In Danse Macbre, seiner nahezu klassischen Abhandlung über den Horror im 20. Jahrhundert, gibt uns Stephen King drei Archetypen an die Hand, von denen er glaubt, dass sie das moderne Genre beherrschen: den Vampir, den Werwolf, und das namenlose Ding. Doch er unterschlägt uns etwas: das Spukhaus, und er erklärt uns nicht, warum diese übernatürliche Mythe bei ihm keinen Kredit genießt. Aber das Spukhaus der amerikanischen Gothic – und das Spukschloss als dessen europäische Wiege – ist, so würde ich meinen, der wichtigste Archetyp der gesamten Schauerliteratur.

Von hier aus attackiert Dracula, der bahnbrechende Vampir, mit seinen drei Bräuten den Helden des Romans, Jonathan Harker, und von hier aus – in der besser bekannten Filmversion – ruft Frankenstein das Feuer vom Himmel herab, um seinen namenlosen Horror zu animieren. Von hier geht die Europäische Tradition der Schauergeschichte den institutionalisierten Sünde aus (Aristokratie und Geistlichkeit), die sich in der amerikanischen Tradition mehr zu einer persönlichen Sünde der puritanischen Kolonialisten entwickelt. Das Schloss wurde zum Haus: das sind nur zwei Seiten der gleichen Medaille. Im Werwolf-Mythos allein spielt die Örtlichkeit eine untergeordnete Rolle, weil sich das Bild mehr nach innen richtet, sich mit dem geteilten Zustand der Seele befasst, anstatt mit der Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart – doch selbst hier hat das verfallene gotische Herrenhaus seinen Auftritt, wie zB. In der Filmversion von Der Wolfsmensch.

Kurz gesagt, der Ort – oder wie King sagt, der „böse Ort“ – ist nicht zuletzt das Herz dessen, was moderne Horrorschriftsteller und ihre Vorläufer beschäftigt.

Allerdings ist der „böse Ort“ beides, weniger und mehr als ein Spukhaus. Es ist mehr in dem Sinne, dass dieser Ort von Tolkiens Fangornwald bis hin zu dieser (scheinbar) friedlichen Bucht, wo der namensgebende Schrecken des Amazonas schwimmt. Kurz gesagt: der „böse Ort“ kann jeder Platz sein – und oftmals ist es genau das, was ziemlich unheimlich ist. Es ist wie mit einer unerwünschten Person: du weißt nie, wann sie auftaucht (oder schlimmer, wann du zu dieser unerwünschten Person wirst).

Und es ist weniger in dem Sinn, dass die Abgründe des Schreckens, die mit dem fahlen Spukhaus einhergehen ausgerechnet auch in einem völlig herkömmlichen Haus zu finden sein sollen, das wir gewöhnlich als unser geheiligtes Zuhause betrachten. Ein Haus ist, wie das Sprichwort es will, eines Mannes Schloss. Die Gegenüberstellung dieser beiden Begriffe legt nahe, dass dies der Ort ist, wo sich die Europäische und die Amerikanische Schauertradition vermischt, während das Sprichwort behauptet, dass das Haus jener Platz ist, und vermutlich der einzige Platz, an dem wir die Herrschaft über wie auch immer geartete äußeren Einflüsse, die uns bedrohen, besitzen. Wir sperren uns selbst ein und sperren damit die Welt aus, angefangen von den bürokratischen Bedrohungen bis hin zu Hannibal Lecters Schrecken.

Wie stark ist ein Haus als Bild? Zunächst einmal ist es mehr als nur bloße Struktur. Es ist ein Heim, ein Zentrum der Wärme und Sicherheit im Schoße der Familie – der Ort, wie Robert Frost uns erklärt, wo man dich einlassen wird. „Es braucht eine Menge Leben in einem Haus, um es zu einem Heim zu machen“, springt Edgar Guest bei, und statistische Erhebungen bestätigen den Amerikanischen Traum mit einem Haus, einem Auto und 2.4 Kindern. Das ist die Marke unserer primären Ziele als zivilisierte Menschen. Die Familie Lutz, in Amityville Horror, kauft das Haus, in dem Ronald Defeo seine ganze Familie ermordet hat (das zumindest entspricht den Tatsachen), und damit erfüllen sie sich ein Stück des Amerikanischen Traums. Als sie den Zahlungen nicht nachkommen können und die Wände beginnen, zu bluten, finden sie sich direkt im Amerikanischen Alptraum wieder. Den vielleicht symbolisch gesehen gewichtigsten Beitrag liefert Stephen King in seinem berühmten Roman The Shining.

Das in den Rockies von Colorado gelegene Overlook Hotel, in dem Jack Torrance und seine Familie den Winter über als Hausmeister fungieren, birgt zwei Geschichten. In seiner Eigenschaft als Hotel wäre da die öffentliche (wenn auch nicht veröffentlichte) Geschichte, darunter eine Mafia-Vergangenheit, finanzielle Vergehen und Kurzbesuche von vier Präidenten, darunter auch der Korrupteste von allen, Richard Nixon. Es ist ein flackernder, kurzer Ausschnitt der Schattenseiten amerikanischer Geschichte.

Und dann ist es, wenn auch nur für eine kurze Zeit, das Zuhause von Jack Torrance und seiner Familie. Es sind die Geister von Kindesmissbrauch und Alkoholismus, die Jack Torrance in sich trägt, die ihn letztlich für die übernatürlichen Kräfte, die im Hotel schlummern, anfällig machen. Die Schnittpunkte von zwei Geschichten – nationale und persönliche – führen zur Zerstörung der Torrance-Familie, es handelt sich dabei um eine Zerstörung, die ein Echo in uns allen hinterlässt, weil wir uns davor fürchten: nationale, finanzielle und familiäre Katastrophen.

Was mich wieder zum Schandfleck meiner Familiengeschichte zurückbringt. Eines nachts, als ich ein Junge war (ich muss neun oder zehn gewesen sein, Jahre bevor wir die letzten Überbleibsel von Mr. Davis aus dem Haus schafften) erwachte ich in einem kalten Zimmer und sah eine dunkle Gestalt im Türrahmen stehen. „Dad,“ sagte ich, aber die Gestalt antwortete nicht, und ich lag schweißgebadet da, mein Atem breitete ich in der Dunkelheit aus, bis mich der Schlaf erneut übermannte. Erst viele Jahre später fragte ich mich, ob die Gestalt nicht Mr. Davis gewesen war – jener Mr. Davis, der im Amerikanischen Traum ebenso lebte wie in seiner dunklen Gegenseite, der knauserte und sparte, um sich sein Traumhaus leisten zu können, um es am Ende doch zu verlieren – an das Alter, an die finanzielle Zwangslage, an den Tod. Das gleiche scheint jetzt mit meinen Eltern zu geschehen, wo sie tiefer in ihre 80er eintreten, und eines Tages, so glaube ich, wird es auch mir geschehen.

Und Ihnen.

Was schrecklich ist an Spukhäusern ist, dass sie den Horror nach Haus bringen.

Schauerliteratur

Die Anfänge der Schauerliteratur

Gleich zu Beginn müssen wir zunächst über eine übersetzungstechnische Definition sprechen. Schauerliteratur meint hier Gothic Fiction. Das ist – wie so oft – kein adäquater Ersatz, soll uns aber hier vorerst genügen.

Was genau ist Schauerliteratur?  Und auch hier stellen wir fest, dass es keine konkrete Definition gibt, ob wir das Genre nun Gothic nennen oder nicht. Aber es gibt einige Elemente, die Schauergeschichten tendenziell gemeinsam haben. Aber nicht alle Schauermären, ob nun als Literatur oder als Film, enthalten all diese Elemente.

Es verhält sich etwa so wie bei dem Wort “postmodern”. Es ist ein unglaublich schwer fassbarer Begriff, der sich einer strengen Definition und Kategorisierung entzieht und oft mehrere Dinge auf einmal bedeuten kann.

In der Schauerliteratur geht es weniger darum, welche Art von Handlung, Setting oder Figuren enthalten sind, sondern mehr um das Gefühl, das davon hervorgerufen wird. Wir verbinden die Schauerliteratur mit alten Burgen und Geistern, weil dies beliebte Elemente innerhalb des Genres sind – aber Autoren wie Mary Shelley, H.P. Lovecraft und Robert Louis Stevenson schrieben Schauergeschichten, die ohne diese Elemente auskamen.

Untersuchen wir doch einfach die Tropen, die das verbinden, was wir unter Gothic Fiction verstehen.

Hintergrund

Es war im 18. Jahrhundert, als sich der Roman als eine “neue” literarische Form entwickelte, der aus einer Langform fiktionaler Prosa bestand. Dazu sei gleich vermerkt, dass es sehr wohl heftige Diskussionen darüber gibt, was als der erste Roman zu gelten hat und wie man ihn definiert. Während einige Literaturwissenschaftler ihn am 18. Jahrhundert festmachen, sind einige andere davon überzeugt, dass er wesentlich älter ist, auch wenn er da noch nicht als Roman bezeichnet wurde. Das soll hier nicht unser Punkt sein. Wichtig ist, dass er Buchdruck es ermöglicht hat, Bücher zugänglicher zu machen, was für die damaligen Verhältnisse bedeutete, dass Literatur nicht mehr nur einem Club der Oberschicht zur Unterhaltung zur Verfügung stand.

Eine zweite Sache, auf die hingewiesen werden muss, ist das, was als Rückschritt von der neoklassischen Bewegung zu erkennen ist, die Logik und Vernunft über Emotionen stellte. Dies führt uns zum sentimentalen Roman, bei dem es ich um Werke handelte, die eine emotionale Reaktion des Lesers hervorrufen sollten, im Gegensatz zu Geschichten, die nur die Wirkung einer Geschichte betonten. Der Roman sollte eine Erfahrung sein, nicht nur eine Geschichte. Ich möchte anmerken, dass der sentimentale Roman zwar die Emotion betonte, dies aber auf realistische Weise tat, indem er den Alltag erkundete und oft als Lehrstück über die Gesellschaft oder das Verhalten in ihr (besonders an Frauen adressiert) galt.

Die Gotik selbst entstand als ein Stil der mittelalterlichen Architektur, der in Frankreich zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert seine Blüte erreichte. Erst in der Renaissance (14. bis 17. Jahrhundert) wurde der Begriff allerdings auch allgemein verwendet. Die gotische Architektur, die in großen Kathedralen und Kirchen ihren eigentlichen Stil entwickelte, weckte natürlich die Emotionen; ein Gefühl der Größe, des Erhabenen. Etwas, das Ehrfurcht und gleichzeitig Furcht erregt. Dieser Stil hat dann allmählich nachgelassen, wurde aber kurz darauf während der gotischen Renaissance des 18. Jahrhunderts wiederbelebt. Seine Popularität wuchs im Laufe des 19. Jahrhunderts rapide an, und fand seinen Schauplatz in vielen großen Romanen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts.

Die Goten waren ein germanischer Stamm, der das Römische Reich jahrhundertelang bekämpfte und eine große Rolle bei der Gestaltung des mittelalterlichen Europas und der englischen Sprache, wie wir sie kennen, spielte. Man könnte annehmen, dass die “gotische Architektur” von diesen Leuten stammt, aber das ist ein Irrtum. In der Renaissance begannen die Menschen, die griechisch-römische Architektur wieder zu entdecken, und sie nannten sie “gotisch”, nicht weil das die Gebäude der Goten waren, sondern weil sie die Bauweise, wie den besagten Stamm, für “barbarisch” hielten. Der Name blieb hängen.

Schlösser und Verliese

Während dieser Zeit trat Horace Walpole auf den Plan. Walpole fand den modernen Roman zu eng gestrickt für die Fantasie, aber die alte Romanze des Mittelalters wiederum als zu unglaubwürdig:

“Er (Walpoles Roman) war ein Versuch, die beiden Arten der Romantik, die alte und die moderne, zu verbinden. In der ersten war alles Fantasie und Unwahrscheinlichkeit: In der zweiten ist die Natur immer dazu bestimmt, mit Erfolg kopiert zu werden und manchmal auch kopiert worden. Der Erfindungsreichtum hat nicht nachgelassen; aber die großen Ressourcen der Fantasie wurden durch eine strenge Einhaltung des Alltagslebens verdorben.” – Walpole aus dem Vorwort zur zweiten Ausgabe von “Das Schloss von Otranto”

So sah Walpole die mittelalterliche Literatur insofern als großartig an, als sie der Fantasie die Freiheit gab, sich Monster und mythologische Kreaturen vorzustellen, aber der Leser war so weit von den Geschehnissen entfernt, dass er das erhöhte Gefühl nicht auf die gleiche Weise bekam wie von einem modernen Roman.

Während der moderne Roman jedoch ein angenehmes Gefühl hervorrief, war er auf den Alltag beschränkt und behinderte die Vorstellungskraft. Walpole beschloss, einen Roman zu schreiben, der seiner Fantasie freien Lauf ließ, aber die Geschichte auch auf eine Weise präsentierte, die diese emotionale Verbindung ermöglichte, nach der sich die Leser in der besagten Zeit zu sehnen schienen. Das Ergebnis war das “Schloss von Otranto”, das als erstes Werk der Schauerliteratur gilt und im Jahre 1764 erschien.

Die erste Ausgabe von Otranto ließ die Leser glauben, dass es sich um ein gefundenes Manuskript aus der fernen Vergangenheit handelte und dass Walpole nicht der Autor, sondern der Übersetzer des Manuskripts war. Das war auch zu dieser Zeit nichts Neues – sentimentale Romane verwendeten diese “Methode” oft, um den Leser tiefer eintauchen zu lassen, indem man sie glauben ließ, dass sie Geschichte auf Tatsachen beruhte (z.B. ein Briefroman, der als Sammlung echter Briefe präsentiert wurde). Aber die kritische Akzeptanz gegenüber Otranto änderte sich, als Walpole in der zweiten Auflage erwähnte, dass er der Autor sei.

Diese zweite Ausgabe wurde mit dem Untertitel “A Gothic Story” versehen. Interessant ist, dass Walpole ein verfallenes Haus gekauft und mit Merkmalen, die von der gotischen Architektur des Mittelalters inspiriert sind, mit Türmen und aufwändigen Entwürfen wieder aufgebaut hat. Sein Entwurf von Strawberry Hill House inspirierte andere, das Gleiche für ihr eigenes Zuhause zu tun. In dieser Zeit erleben wir also eine Art Wiederbelebung der gotischen Architektur. (Hier wird klar, warum “Schauerliteratur” eindeutig zu kurz greift).

Walpoles Faszination für gotische Architektur beeinflusste seinen Roman und die Untertitelung als “Gothic Story”. Es ist auch nicht verwunderlich, dass Walpoles Otranto eine Burg und ein mittelalterliches Ambiente bietet. Otranto diente als Ausgangspunkt all jener Elemente, die in späteren Romanen dieses Genres verstärkt vorhanden sein würden.

Das vielleicht grundlegendste Merkmal des neuen literarischen Stils ist die symbolische Bildsprache. In Walpoles Roman ist die Architektur des Schlosses selbst ein mächtiges gotisches Ikonenbild, das wir seitdem immer wieder gesehen haben. Auf Isabellas Flucht vor Manfred werden dem Leser die strukturellen Bestandteile des Schlosses veranschaulicht, während sie durch die verschiedenen Abschnitte und Gänge des Schlosses flieht. Das Schloss wird beschrieben als eine große Galerie mit einer labyrinthischen Struktur, mit Kammern, geheimen Falltüren und unterirdische Pforten. Die wichtigste Rolle der Burg besteht jedoch darin, dass sie der Schauplatz übernatürlicher Ereignisse ist, die während der gesamten Erzählung präsent sind.

In Richtung Fin de Siècle

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts folgten Ann Radcliffes “Die Geheimnisse von Udolpho” und Matthew Lewis’ “Der Mönch”. Beide sind in großen Gebäuden (eine Burg und eine Kirche) untergebracht und behandeln Themen der Religion, des Übernatürlichen und der Gefangenschaft. 1816 wurde John Polidoris “Der Vampyre” geboren, die erste Vampirgeschichte, die auf Englisch geschrieben wurde. Im selben Jahr veröffentlichte Mary Shelley “Frankenstein oder der modern Prometheus”, der, ähnlich wie die Vampirfigur, den makabren Schrecken der Auferweckung der Toten mitbrachte. Diese bahnbrechende Geschichte betonte jedoch die Rolle der Wissenschaft und die Gefahren, die sich ergeben, wenn der Mensch Gott spielt. Man kann natürlich auch sagen, dass es sich hier um eine Verschmelzung von Schauerliteratur und Science Fiction handelt.

1840 erschienen die Kurzgeschichten “Tales of the Grotesque und Arabesque” von Edgar Allan Poe. Sie zeigen nicht nur viele der oben genannten traditionellen Themen der Schauerliteratur, sondern auch psychologischen Schrecken – den “Schrecken der Seele”.

In der Mitte des Jahrhunderts entstand die weibliche Variante der Gothic Novel mit dem Roman “Sturmhöhe” von Emily Bronte. Der Roman zeigte, wie Frauen oft in einem häuslichen Umfeld gefangen sind und von Männern dominiert werden. Natürlich wurde das Buch gefeiert und gleichzeitig verabscheut. Den nächsten Höhepunkt verzeichnen wir 1871 mit Joseph Sheridan Le Fanus “Carmilla”. Obwohl sich “Carmilla” von Coleridges unvollendeten Gedicht “Christabel” beeinflusst zeigt, war die Geschichte selbst sehr einflussreich. Die “Abweichung” der weiblichen Sexualität war in diesem Roman, insbesondere nach viktorianischen Maßstäben, explizit und ebnete den Weg für den Vampir als sexuelle Metapher.

Es sind jedoch vielleicht die letzten dreißig Jahre des neunzehnten Jahrhunderts – weithin als das Fin de Siécle angesehen -, in denen eine Reihe Edelsteine der Schauerliteratur zu finden sind. In dieser kurzen Zeitspanne haben wir plötzlich Robert Louis Stevensons “Der seltsame Fall des  Dr. Jekyll und Mr. Hyde”, Vernon Lees “Hauntings”, Oscar Wildes “Das Bildnis des Dorian Gray”, Bram Stokers “Dracula” und viele Kurzgeschichten, die in viktorianischen Zeitschriften in serialisierter Form erschienen. Obwohl diese Geschichten heute weit verbreitet sind, erzeugten sie zum Zeitpunkt der Veröffentlichung einen ziemlichen Aufruhr, und es ist nicht schwer zu verstehen, warum; dies sind Romane, die die Wissenschaft der Religion vorzogen, das verdrängte “Böse” des Menschen auftauchen ließen und offene homosexuelle Wünsche darstellten. Die Schauerromantik beschäftigt sich also mit dem Tabu. Es war ein Genre, das durch das Übernatürliche, das Phantastische und das Fremde eine Diskussion über alles, was bis dahin unterdrückt wurde, ermöglichte.

Moderne Zeiten

Die Schauerliteratur ist über all die Zeit nie wirklich verschwunden, ob sie nun verlacht oder scharf kritisiert wurde. Ganz im Gegenteil hat sie einige gesellschaftliche Veränderungen einfach mitgemacht und zeigt ihre ungeheure Flexibilität. In den 1920er Jahren finden wir die produktiven Schriften von H.P. Lovecraft. Seine Ästhetik ist gotisch angehaucht, aber sein Thema und sein Schreibstil orientieren sich mehr an der Science Fiction. Wie wir jedoch bei Shelleys “Frankenstein” gesehen haben, passen diese beiden Genres nicht schlecht zusammen.

In den 1940er Jahren kam es zu einer weiteren Verschmelzung von Genres durch Mervyn Peakes epischer Trilogie, die im Schloss Gormenghast angesiedelt ist – eine wunderbar übertrieben barocke Welt, die Schauer- und Fantasy-Literatur durchdringt. Das Werk ist bekannt dafür, dass es großen Einfluss auf so produktive Schriftsteller wie Michael Moorcock und Neil Gaiman hatte.

Als nächstes auf unserer Liste steht Shirley Jacksons “Spuk in Hill House”. Wie viele von Poes Kurzgeschichten und Henry James’ “Das Durchdrehen der Schraube” ist Hill House strenggenommen ein Psychothriller. Obwohl es sich um eine Spukhausgeschichte handelt, verwischt sie die Grenzen zwischen “tatsächlichem” Spuk und psychologischem Spuk. Dies ist ein weiblicher Exeget des gotischen Romans, der sich mit dem Verdrängten und der Auflösung von Grenzen zwischen dem Geist und allem Äußeren beschäftigt. Er folgt der amerikanisch-gotischen Tradition des Spukhauses, das sich zwangsläufig mit der weiblichen Angst vor Eingesperrtheit und Psychose auseinandersetzt.

Eine weitere Variante der amerikanischen “Gothic Haunted House”-Tradition ist dann durchaus eine der bekanntesten. Natürlich handelt es sich um Stephen Kings “Shining“. Selbstverständlich handelt es sich hierbei in erster Linie um klassischen Horror, aber King spielt hier mit vielen Tropen der Schauerliteratur, so dass dieser Roman zumindest an dieser Stelle erwähnt werden muss. Hauptsächlich spielt sich die Handlung im Overlook Hotel ab, einem abgelegenen Ort, an dem es viele verwinkelte Räume und Gänge gibt. Es treten Ereignisse auf, die nicht erklärt werden können. Obwohl nicht offensichtlich übernatürlich, sind wir uns bewusst, dass hier das Psychologische so auf die Spitze getrieben wird, dass die Grenze zum Paranormalen nicht mehr zu erkennen ist. Nehmen wir als Beispiel die Heckenschnitt-Tiere, die zum Leben erwachen. Wir haben es durchaus mit Geistern oder vielmehr mit Überresten der Vergangenheit zu tun, die auf einer Linie zwischen Leben und Tod schweben. Sogar Tony ist eine Manifestation von Dannys verdrängten Problemen, denen er sich nicht stellen will. Damit entsteht erneut die “Rückkehr der Unterdrückten”, jene Problemstellung, die es der Schauerliteratur erlaubt, sich mit Themen auseinanderzusetzen, die von der Gesellschaft oft als tabu angesehen werden. Wahnsinn, Enttäuschung und unerklärliche Ereignisse drücken “The Shining” also zumindest in die Nähe der Gothic Novel, was auch für Kings “Brennen muss Salem” gilt.

Die “Vampir-Chroniken” von Ann Rice, die zwischen den 1970er Jahren und 2014 entstanden sind, sollten ebenfalls kurz erwähnt werden. Diese Romane sind weit entfernt vom “traditionellen” Vampir, der stets als reines Übel dargestellt wurde. Selbstbeobachtend, schuldbewusst und charismatisch ebnete das Vampirpaar Lois und Lestat den Weg für den grüblerischen, romantischen Vampir in der Populärkultur. Rices Serie war entscheidend, um das Interesse am Vampirmotiv wieder zu wecken und die Schauerliteratur einem neuen Publikum vorzustellen.

Dieser Artikel soll eine kleine Einführung in die Schauerliteratur sein. Natürlich kann er nur an der Oberfläche kratzen. Zusammengefasst lassen sich folgende Eigenschaften zusammenfassen, die dem Genre ihren Stempel aufdrücken:

  • Eine dunkle und drohende Atmosphäre
  • Unheimlichkeit bis zum tatsächlichen Horror
  • Geheimnisvolle und oft unerklärliche Ereignisse
  • Der überwiegende Teil spielt sich in einem isolierten, großen Haus, Schloss etc. ab
  • Es gibt eine Prophezeiung oder einen Familienfluch
  • Omen, Vorzeichen oder Visionen
  • Religion
  • Psychologische Traumata
  • Eine Rückkehr des Verdrängten

Um die Dinge noch etwas komplizierter zu machen, gibt es auch hier verschiedene Subgenres. So gibt es neben der traditionellen Gothic Novel die American Gothic, die Southern Gothic, die Modern Gothic, die Postmodern Gothic … und was man sich sonst noch vorstellen mag. Aber das ist ein anderes Thema.

Zombies – Voodoo oder Wissenschaft?

Obwohl George Romeros 1968er Film “Nacht der lebenden Toten” oft als der originale moderne Zombiefilm gilt, erschien der erste tatsächlich fast 40 Jahre früher unter dem Titel “White Zombie” mit Béla Lugosi als bösem Voodoo-Priester in Haiti. In all den Jahren sind nur eine Handvoll Zombie-Filme zu ihren haitianischen Ursprüngen zurückgekehrt – vor allem “Schlange und Regenbogen”.

Laut dem Oxford English Dictionary tauchte das Wort “Zombie” erstmals um 1810 im englischen Sprachram auf, als der Historiker Robert Southey es in seinem Buch “History of Brazil” erwähnte. Aber dieses “Zombi” war nicht die vertraute menschenähnliche Monstrosität, sondern eine westafrikanische Gottheit. Später bezeichnete der Begriff die lebenswichtige, menschliche Kraft, die die Hülle eines Körpers ähnlich der Seele verlässt, und letztendlich ein menschliches Wesen, das weder Selbstwahrnehmung, Intelligenz oder eben diese Seele besitzt. Er wanderte durch den Sklavenhandel von Afrika nach Haiti und verselbständigte sich dort zu einem ganz eigenen Mythos.

Voodoo oder Wissenschaft?

Jeder kennt die fiktiven Zombies, aber wenige kennen die Fakten über Zombies. Für viele Menschen, sowohl in Haiti als auch anderswo, sind Zombies äußerst real. Sie sind kein Scherz; Sie sind etwas, das ernst genommen werden muss. Der Glaube an Magie und Hexerei ist in Haiti und der Karibik weit verbreitet, oft in Form von Religionen wie Voodoo und Santeria.

Haitianische Zombies sollen Menschen gewesen sein, die von Voodoo-Priestern, den so genannten Bokors oder Houngan, auf magische Weise von den Toten zurückgebracht (und manchmal auch kontrolliert) wurden. Manchmal wurde die Zombifizierung als Strafe angesetzt (eine starke Angst bei denen, die glauben, sie könnten sogar nach dem Tod noch missbraucht werden ist in der Karibik, aber auch in New Orleans nachweisbar), aber meist wurden die Zombies zur Sklavenarbeit auf Farmen und Zuckerrohrplantagen eingesetzt. 1980 behauptete ein psychisch kranker Mann sogar, zwei Jahrzehnte lang als Zombie-Arbeiter gefangen gehalten worden zu sein, obwohl er die Ermittler nicht zu dem Ort führen konnte, wo er gearbeitet haben wollte. Seine Geschichte wurde nie verifiziert.

Jahrzehntelang sah man im Westen in Zombies kaum mehr als fiktionale Filmmonster, aber diese Annahme wurde in den 1980er Jahren in Frage gestellt, als ein Wissenschaftler namens Wade Davis behauptete, ein Pulver gefunden zu haben, das Zombies erschaffen konnte und somit eine wissenschaftliche Grundlage für Zombie-Geschichten lieferte. Davis glaubte nicht an Voodoo-Magie. Aber er glaubte, dass er etwas gefunden hatte, das die Opfer in einen zombieähnlichen Zustand versetzen könnte: ein starkes Nervengift namens Tetrodotoxin, das in mehreren Tieren, einschließlich Kugelfischen, vorkommt. Er behauptete, Geheimbünde von Bokors infiltriert zu haben und dort an mehrere Proben des Zombiepulvers gekommen zu sein, die später chemisch analysiert wurden.

Davis schrieb ein Buch über das Thema: “Schlange und Regenbogen”, das später in einen Horrorfilm verwandelt wurde. Eine gewisse Zeit lang betrachtete man Davis als den Mann, der das Geheimnis der Zombies wissenschaftlich gelöst hatte. Davis‘ Behauptungen wurden jedoch später von skeptischen Wissenschaftlern angezweifelt, die seine Methoden als unwissenschaftlich ansahen und darauf hinwiesen, dass die Proben des Zombie-Pulvers inkonsistent waren und dass die in diesen Proben enthaltenen Neurotoxinmengen nicht hoch genug waren, um Zombies zu erschaffen. Darüber hinaus müssten die von den Bokors verwendeten Dosierungen exakt sein, da zu viel des Toxins eine Person leicht töten könnte. Andere wiesen darauf hin, dass niemand auf dem kleinen Inselstaat jemals eine der vielen angeblichen Plantagen mit Zombie-Arbeitern gefunden hatte.

In seinem zweiten Buch, “Passage of Darkness” (Die Ethnobiologie des haitianischen Zombies), erkannte Davis die Probleme, die seine Theorien aufwarfen und widerlegte einige der sensationelleren Behauptungen, die ihm zugeschrieben wurden. Dennoch bestand er darauf, dass der haitianische Glaube an Zombies auf (zugegebenermaßen seltenen) Fällen beruhen könnte, in denen eine Person durch Tetrodotoxin vergiftet und später im Sarg wiederbelebt und aus dem Grab genommen wurde. Außerdem fügte er hinzu, dass das Zombie-Phänomen viel mehr sei als nur das Pulver. Das sei nur ein Teil eines tief verwurzelten soziokulturellen Glaubens an die Macht der Hexerei. In der haitianischen Kultur tun Voodoo-Priester viel mehr, als Zombies zu erschaffen. Sie sollen durch Magie sowohl Segen als auch Flüche beherrschen.

Obwohl Zombies im wirklichen Leben ein Mythos bleiben, gibt es mehr als genug Geschichten darüber, um Freunde des Gore und Zombie-Fans für viele weitere Jahre zu befriedigen.

Conan Doyle

Arthur Conan Doyle – Spiritist und Gentleman

Während der Schriftsteller und Arzt Sir Arthur Conan Doyle heute bei den meisten für seinen logisch denkenden Skeptiker Sherlock Holmes bekannt ist, wissen die Horrorbegeisterten aus aller Welt, dass er mit seiner bösartigen Mumie eine der besten Geistergeschichten der englischen Literatur verfasste und erkennen in ihm einen Vorfahren der Lovecraft unterstellten Weird Fiction. Tatsächlich ist Doyle für die Mumie das, was Stoker für den Vampir ist, und seine Geschichten von spitzhackenschwingenden Serienmördern, gespenstischen Folterinstrumenten, Geistern am sonnenlosen Nordpol, verfluchten Werwölfen, gelatineartigen Monstern am Himmel über uns und verunglückten Séancen, sind genauso kühl vorgetragen wie die Holmes-Abenteuer spannend sind. Der enorme Erfolg dieser Detektivgeschichten erlaubte es Conan Doyle, 1891 seine medizinische Praxis aufzugeben und sich dem Schreiben zu widmen. Sein Schaffen war breit gefächert: Theaterstücke, Verse, Memoiren, Artikel über Sport, Kurzgeschichten, historische Romane und schließlich Schauerromane und Schriften über Spiritualismus. Sein erfolgreichstes Werk blieb jedoch Holmes, sehr zu seiner späteren Frustration.

Und damit begrüße ich euch zu einer speziellen Folge über Arthur Conan Doyle. Wir werden diesem Autor im Phantastikon immer mal wieder begegnen, vor allem natürlich dann, wenn wir Sherlock Holmes in unsere Rubrik Helden, Versager und andere Ikonen einreihen. Heute sehen wir uns Doyle allerdings aus einer anderen Perspektive an – nämlich als Spiritist und Gentleman.

Es mag überraschen, dass der Schöpfer dieser beständigsten Ikone der englischen Literatur überhaupt nicht Engländer, sondern Schotte war. Arthur Conan Doyle wurde 1859 in Edinburgh geboren und als kleines Kind in ein katholisches Internat geschickt. Wie eine Reihe schottischer Jungen aus der Mittelschicht seiner Generation entschied er sich für ein Medizinstudium und trat 1876 in die Medizinische Fakultät von Edinburgh ein.

Einer jener Professoren dort war ein Experte in medizinischer Diagnostik namens Joseph Bell, der die Inspiration für den Meisterdetektiv Holmes gewesen zu sein scheint. Bell behauptete nicht nur, die Krankheit eines Patienten aus wissenschaftlicher Beobachtung diagnostizieren zu können, sondern auch seinen Hintergrund und seine Arbeit daraus folgern zu können – er notierte sorgfältig solche Details wie den Gang eines Seemanns oder die schwieligen Hände eines Hausmädchens und benutzte sie, um ein Porträt dessen zu erstellen, was schließlich zu einer Erkrankung geführt hatte. Conan Doyles Autobiografie erinnert auch an den Einfluss seiner Mutter, die selbst eine talentierte und lebendige Geschichtenerzählerin war.

Doyles leidenschaftliche Bemühungen um das Irrationale sind in den Sherlock Holmes-Geschichten und Novellen nicht zu erkennen. Vielleicht sind diese Werke deshalb so beliebt im Gegensatz zu seiner Schauerliteratur, die vor Überzeugung und Rhetorik geradezu strotzt, denn trotz der dramatischen Inszenierung rationalistischer Geisteskraft, die seine Karriere bestimmen sollte, war der Autor ein abergläubischer Mensch, was Sherlock Holmes’ Atheismus kaum vermuten lässt. Noch überraschender ist jedoch, dass er ein unverbesserlicher Imperialist mit einer hasserfüllten Besessenheit gegenüber Ägypten war, einem Land, das er 1893 nur einmal besuchte und in das er nie zurückkehrte. Dieser Mangel an direkter Erfahrung mit Ägypten oder seiner Kultur hat Doyle nie daran gehindert, eindringliche (und wie sich herausstellen sollte, einflussreiche) Meinungen über Relikte des alten Ägypten zum Besten zu geben, die in den späten 1800er Jahren dank der Effizienz und Anstrengung der englischen Archäologen immer häufiger ausgegraben wurden. Während Doyle 1896 schrieb, dass er die ägyptische Zivilisation selbst “verachtenswert” und “entmannt” fand, war er weiterhin begeistert von den Mumien, Pyramiden und Schriftrollen, die gefunden wurden, und nahm sie weiterhin als Requisiten in seine Geschichten auf.

Conan Doyle und der Spiritismus

Die Familie Doyle war streng katholisch. Conan Doyle wuchs zwar in einem streng katholischen Milieu auf, stellte dieses aber schnell in Frage, erklärte sich selbst zum Agnostiker und zeigte ein starkes Interesse am Spiritismus. 1881 besuchte er eine Vorlesung über dieses Thema und 1887 erschien ein Artikel von ihm in einer spiritistischen Zeitschrift, in dem er eine Séance beschrieb, an der er teilgenommen hatte, und 1889 versuchte Professor Milo de Meyer bei seiner Vorlesung über Mesmerismus, Doyle zu hypnotisieren, was ihm jedoch nicht gelang, und erst 1893 trat Conan Doyle der British Society for Psychical Research bei, die ihre Mitglieder aus den höchsten Kreisen der Politik und Wissenschaft rekrutierte. 1894 dann bat ein gewisser Colonel Elmore die Organisation, die mysteriösen Geräusche zu untersuchen, die ihm in seinem Haus in Dorset immer wieder den Nerv raubten. Sogar der Familienhund weigerte sich, bestimmte Teile des Hauses zu betreten, fast seine gesamte Dienerschaft hatte bereits gekündigt. Auch Elmores Frau und seine Tochter bestätigten, dass sich die Geräusche anhörten, als würden Ketten über den Holzboden geschleift, begleitet von einem Stöhnen. Conan Doyle, Dr. Sydney Scott und Frank Podmore wurden entsandt, um den möglichen Spuk zu untersuchen. Sie verbrachten mehrere Abende im Haus, doch ihre Ergebnisse waren nicht schlüssig. Eines Nachts wurden die Ermittler durch einen “furchterregenden Aufruhr” gestört, aber es konnte keine Ursache für den Lärm festgestellt werden. Conan Doyle verließ das Haus in Dorset im Unklaren darüber, ob es dort wirklich spukt oder ob der Spuk nur ein Scherz war.

Später wurde die Leiche eines etwa zehn Jahre alten Kindes entdeckt, das im Garten vergraben lag. Conan Doyle kam zu der Überzeugung, dass er tatsächlich Zeuge psychischer Phänomene geworden war, verursacht durch den Geist des toten Kindes.

Erst im Oktober 1917 hielt Conan Doyle seinen ersten öffentlichen Vortrag über Spiritismus. Er wollte seine gemachten Erfahrungen zum Wohle der Menschheit anbieten. Obwohl er wusste, dass sein Ruf und seine Karriere darunter leiden könnten, wurde er ein unverblümter Befürworter der Bewegung. Er schrieb Bücher, Artikel und trat unzählige Male öffentlich auf, um für seine Überzeugungen zu werben. Seine unbekümmerte Art und sein absolutes Vertrauen in die Bewegung machten ihn zu einem wirksamen Redner. Er war so aufrichtig, dass sogar die Gegner des Spiritismus seinen Aktionen wohlwollend gegenüber standen. Ein Zitat zu dieser Zeit sagte folgendes über ihn aus: “Armer, lieber, liebenswerter, leichtgläubiger Doyle! Er war ein Riese von Gestalt mit dem Herzen eines Kindes”.

Cottingley Fairies

Der bereits angeschlagene Ruf von Conan Doyle erreichte Ende 1920 einen neuen Tiefpunkt. In der Dezemberausgabe des Magazins The Strand erschien ein Artikel von Conan Doyle über einige außergewöhnliche Fotos. Zwei junge Damen aus dem Dorf Cottingley in der Grafschaft Yorkshire machten einige Aufnahmen von Feen, die sie in der Umgebung ihres Landhauses gesehen haben wollten.

Conan Doyle erfuhr Anfang des Jahres von den Fotos und begann, die Angelegenheit zu untersuchen. Negative der Fotos wurden zur Prüfung an zwei Orte geschickt. Die Londoner Vertreter von Kodak erklärten, dass niemand diese Fotos manipuliert habe, dass aber die Herstellung solcher Effekte nicht besonders schwer sei und sie deshalb nicht für ihre Echtheit garantieren könnten. Von dem anderen Experten, der die Negative untersucht hatte, bekam Doyle jedoch einen positiven Bescheid. Harold Snelling erklärte die Fotos für echt, und so schloss sich Doyle dieser Meinung an. Diese Fotos wurden als The Cottingley Fairies bekannt.

Vielleicht beeinflusst durch die Tatsache, dass sein eigener Sohn Kingsley 1918 bei der großen Epidemie der Spanischen Grippe erlag, investierte Doyle fiel Geld und Zeit in diese Dinge, die offensichtlich seinem Ruf schadeten. Nach dem Tod des Autors im Jahr 1930 füllte sich die Royal Albert Hall mit Fans, die an einer großen Séance zu seinen Ehren teilnahmen. Zu diesem Zeitpunkt war seine literarische Unsterblichkeit jedoch bereits gesichert: Laut dem Guinness-Buch der Rekorde ist Sherlock Holmes die am häufigsten dargestellte Film- und Fernsehfigur aller Zeiten.