Geschrieben von Simon Strantzas
Wir hören in letzter Zeit viel über die steigende Popularität der Weird Fiction. (Anm. Ich behalte hier die Originalbezeichnung bei, weil der Begriff in seiner eigentlichen Bedeutung nicht ins Deutsche übertragen werden kann, ohne fälschlich behandelt zu werden. Die häufigen und gebräuchlichen Übersetzungsfehler „Literatur der Angst“, „Unheimliche Literatur“ usw. führen hierbei nur in eine Sackgasse.)
Wie viel oder wie wenig dieses neue Aufkommen mit der New Weird-Bewegung von vor einigen Jahren zu tun hat, überlasse ich den Diskussionen der Gelehrten. Über kurz oder lang kann man sagen, dass uns alle paar Jahre ein neues Konzept als das neue große Ding der Horrorliteratur präsentiert wird, und im Moment ist es ein Stamm unheimlicher Erzählungen, die ihre Inspiration hauptsächlich (wenn auch nicht immer offensichtlich) von Lovecraft, aber auch von Chambers, Howard, Ligotti und so weiter beziehen. Sie wird mit anderen Genres kombiniert, verdünnt und in verschiedenen Formen verzerrt, aber am Ende des Tages, im Hier und Jetzt, ist die „Weird Fiction“ König.
Das gilt zumindest für Nordamerika. Ich würde sagen, dass dieses Horror-Subgenre anderswo, vor allem in Europa, weniger populär ist. Und das ist wohl auch logisch. Die Weird Fiction, um die es hier geht, ist in Amerika entstanden, aus der Feder Lovecrafts. Die Erforschung der kosmischen Gleichgültigkeit (im besten Fall, im schlimmsten Fall Bösartigkeit) verschmolz mit der Abenteuergeschichte, die der Mentalität der Neuen Welt entsprach, deren Mythologie zu philosophischen Entdeckern tendierte. In diesem Sinne hat selbst der unfähigste Wissenschaftler eine Art „männliche Neugier“ ihm gegenüber.
Diese Art von Geschichten, mit all dem Wahnsinn, den sie verkörpern, bilden ein Genre, das nicht selten auf subtile Weise das Potential des Schreckens vermeidet. Große Enthüllungen und opernhaftes Verhalten füllen die spannungsgeladene Rolle des Abenteurers aus, und alles ist tendenziell größer, als der Protagonist zu Beginn der Erzählung erwartet hat. Weird Fiction handelt vom Universum und unserer Existenz darin. Das kann hier und da unheimlich sein, aber meistens geht es um Ehrfurcht.
Auf der anderen Seite haben wir die „Strange Story“, und obwohl beide Varianten viel gemeinsam haben, sind ihre Schwerpunkte unterschiedlich. Sie gilt als Ableger der Geistererzählung und wird oft zusammenfassend als „Geistererzählung ohne Geister“ bezeichnet. Es sind Geschichten, in denen ein Jenseits weniger bekannt ist als angedeutet wird, und anstatt die Philosophie unserer gemeinsamen Existenz zu erforschen, liegt der Schwerpunkt mehr auf der Psychologie unseres individuellen Lebens. Wenn „Weird“ das Kosmische betont, dann ist „Strange“ mikrokosmisch und erforscht das Universum durch unsere psychische Existenz.
Da die „Strange Story“ ihren Ursprung in der Geistergeschichte hat, ist es nicht verwunderlich, dass viele ihrer Autoren aus diesem Bereich stammen. Zu ihren Vorläufern gehören Schriftsteller wie Edith Wharton und L.P. Hartley, vor allem aber Walter de la Mare, dessen Seatons Tante das beste Beispiel für eine Erzählung ist, die als Prototyp der „Strange Story“ gelten kann, weil sie den Leser mit dem Gefühl zurücklässt, dass mehr dahinter steckt, als man oberflächlich lesen kann.
Aber es war Robert Aickman, der sich der Seltsamen Geschichte annahm und sie zu seiner Sache machte. Unter seiner Führung bekam das Unheimliche einen geheimnisvollen Anstrich, etwas, das in der geschriebenen Sprache weniger Sinn machte als im Instinkt – oder zumindest mehr von der Logik des Traums geprägt war. Ähnlich dem „Alptraum-Horror“ ist das Unheimliche dann auf der Höhe seiner Kunst, wenn es die Kraft der Traumbilder nutzt, um unser unterbewusstes Verständnis davon zu aktivieren, wie Ereignisse und unsere biologisch kodierten Wünsche aus den unterschiedlichsten Elementen Muster formen.
Wenn eine Geschichte keinen wirklichen Sinn ergibt, baut unser Unterbewusstsein Brücken, die die Ereignisse miteinander verbinden, und generiert so die Geschichte für uns. In den Händen eines Experten kann diese Überbrückung zu einer befriedigenden Erzählung führen, ohne dass ein logischer Zusammenhang notwendig ist. Das ist die Kraft des Seltsamen.
Auch wenn die Erzählung nicht alle Vorteile der Traumlogik nutzt, um ihr verbindendes Gewebe zu bilden, kann die „Strange Story“ beim Leser einen traumähnlichen Zustand hervorrufen, indem sie einen anderen Rhythmus als in der Realität verwendet. Im Wesentlichen ist dieser veränderte Zustand ein wichtiger Teil ihrer Atmosphäre. Man denke nur an den Bewusstseinszustand, der in Filmen wie Picknick am Valentinstag von Peter Weir oder Inland Empire von David Lynch erzeugt wird; die Zeit wird verlangsamt und die Handlung bekommt etwas Zusammenhangloses. Oder man denke an die Stadt hinter dem Nebel in Ligottis Our Temporary Supervisor, deren Ton eine ähnliche Traumlandschaft suggeriert, wie sie in einem Stück von Robert Aickman zu finden ist. Diese vagen Andeutungen einer aus den Fugen geratenen Welt sind ein wesentlicher Aspekt dessen, was wir Horrorliteratur nennen; aber wo immer wir diese Technik in traditionellen Erzählungen finden – das Gespenst im Spiegel, das Gefühl, von Schatten beobachtet zu werden -, in der „Strange Story“ wird all dies voll ausgeschöpft und präsentiert sich als voll entwickelt.
Es ist dieses Gefühl des Getrenntseins, das die primäre Kraft der Unheimlichen Geschichte ausmacht und aus dem sie den größten Teil ihrer emotionalen Verstörung bezieht. Reale Momente von Verlust, Verzweiflung und Niedergeschlagenheit erzeugen in uns ein gewisses Gefühl von Chaos, sie können unser Verständnis der Welt buchstäblich verzerren. In vielerlei Hinsicht überschneiden sich diese Verzerrungen mit der angesprochenen Traumlogik, und die „Strange Story“ bietet sich hier als Stellvertreter an, damit der Leser sich direkt mit seiner Erschütterung auseinandersetzen kann. Es wäre allerdings unverantwortlich zu behaupten, der Leser könne sich dadurch vor diesen Kräften schützen; niemand kann sich der „Strange Story“ in ihrer Wirkung entziehen. Diejenigen, die überleben, tragen Narben davon – und diese Narben sind lebensnaher und realistischer als in jedem anderen Horror-Subgenre. Existentielle und bleibende Wunden begleiten die Protagonisten wie die Leser, weil sie durch die Wirkung des wahrhaft Unheimlichen einen zeitweiligen Wahnsinn vor dem Unmöglichen auslösen.
Dieses Gefühl der Zusammenhanglosigkeit der „Strange Story“ illustriert auch eine der größten Herausforderungen. Es ist kaum möglich, die nötige Spannung über die Länge eines Romans aufrechtzuerhalten. Der Leser kann sich dem unterbewussten Wirkungsmechanismus dieser Erzählung nur bis zu einem gewissen Grad unterwerfen, bevor er sich aus dem Staub macht. Es sind daher die Kurzgeschichten und Kurzromane, in denen das Unheimliche am besten funktioniert. Die Weird Tale leidet nicht in gleichem Maße darunter, da ihr hybrider Charakter und ihre abenteuerliche Form es leicht machen, für ihre Figuren einen Handlungsstrang zu entwerfen, in dem die Informationen so miteinander verknüpft werden, dass alles auf diese eine Offenbarung hinausläuft. Und da der Roman unaufhaltsam zur beliebtesten Form geworden ist – sowohl bei den Verlegern als auch beim Publikum – verschwindet die Möglichkeit für Erzählformen wie die „Weird Tale„Strange Story“, auf einem größeren Markt Fuß zu fassen.
Und vielleicht sollte man dafür auch dankbar sein. Denn trotz des wachsenden Erfolgs anderer Bereiche der Horrorliteratur schreitet das neu erwachte Interesse am Seltsamen langsam und unaufhaltsam voran. Es mag länger gedauert haben, bis es in das zeitgenössische Bewusstsein vordrang, als dies bei der Weird Tale der Fall war, aber mit einer stetig wachsenden Zahl talentierter Autoren, die sich dieser Stimmung annehmen, beginnen sich neue Verbindungen zu etablieren (derzeit vielleicht am besten erkennbar an den osteuropäischen Schriftstellern, die das Feld des Dekadenten-Seltsamen bearbeiten), die die Lebendigkeit und Vitalität des Genres dokumentieren. Das Seltsame erhält in Amerika vielleicht nicht die Aufmerksamkeit, die es verdient (das Gleiche gilt für Deutschland), aber da unsere globale Gemeinschaft wächst und die Grenzen zwischen den Nationen verschwinden, glaube ich, dass das Format der „Seltsamen Geschichte“ in den kommenden Jahren immer stärker werden wird.