Obwohl Spirou nicht von Franquin erfunden wurde, ist es kein Geheimnis, dass er die Figur mit etlichen weiteren Charakteren umgab und die Comics rund um den Pagen und seinen Freund Fantasio zu einem Klassiker der Franko-Belgischen Schule machte. Der Zauberer von Rummelsdorf stellt im Spirou-Kosmos auch gleich eine Revolution dar, denn es ist das erste große Abenteuer der beiden Helden.
Spirou und Fantasio beschließen, in der Nähe des kleinen Dorfes Champignac (das bei uns nun „Rummelsdorf“ heißt) zelten zu gehen. Durch die Übersetzung geht einerseits die Verniedlichung der Champagne verloren, die auch gleichzeitig eine Anspielung an die Zauberpilze ist, mit denen wir es hier unter anderem zu tun bekommen. Trotzdem darf man mit „Rummelsdorf“ zufrieden sein, denn in klanglicher Hinsicht passt er natürlich besser in den Titel, als wenn irgendeine erzwungene Übersetzung hier versucht hätte, das Wortspiel zu retten.
Dort angekommen, entdecken sie blaue Schweine mit schwarzen Tupfen, Kühe, die plötzlich anfangen, ungenießbare Milch zu geben, und beschließen, einem Zigeuner zu helfen, der vom Bürgermeister von Rummelsdorf deshalb Hexerei beschuldigt wird. Das ist geschickt gemacht, denn tatsächlich ist dieser soziale Kommentar überhaupt nicht plump ausgeführt, und auch wenn wir Leser aufgrund des Titelbildes bereits wissen, wer der „Zauberer“ wirklich ist, weckt eine nächtliche Szene, in der ein riesengroßer Hase von diesem Landstreicher gestohlen wird, erst einmal Zweifel.
Sie lernen auch den Grafen von Rummelsdorf kennen, eine exzentrische Person, die ein Schloss mit einem riesigen Park bewohnt. Es ist eine stimmungsvolle Anlehnung an Graf Dracula und den ländlichen Sujets von Agatha Christie, ohne dass dies etwa gleich augenfällig würde. Die meisten Franko-Belgischen Comics arbeiten mit dieser Art von Referenzen, was beweist, dass Kinder die Abenteuer auch ohne all diese Kenntnisse genießen können, während für die Älteren genug intellektueller Spielraum bleibt, wenn sie ihn denn benötigen.
Eines Nachts wird Fantasio entführt. Spirou findet heraus, dass der Graf dafür verantwortlich ist, um sein Produkt X1 an ihm zu testen. Damit ist klar, dass er der Verantwortliche der Phänomene im gemütlichen Dorf ist. Denn irgendwie hat das alles mit den merkwürdigen Pilzen zu tun, die überall dort wachsen, wo bereits etwas Sonderbares passiert ist.
Das Serum, das der Graf X1 nennt, verleiht Fantasio übermenschliche Kräfte, doch die Wirkung hält nur etwa 36 Stunden an. Um die Bauern von Rummelsdorf für die Experimente an deren Tiere zu entschädigen, wendet der Graf das Produkt an sich selbst an, und reist zu verschiedenen Sportwettkämpfen, die er alle mühelos gewinnt und die jeweiligen Preisgelder einheimst. An dieser Stelle wird erneut ein kleiner Verweis fällig. Der Graf verdingt sich nämlich auch als Boxer. Der vorliegende Band erschien zum ersten Mal im Jahre 1951, und es war auch die Zeit von Sugar Ray Robinson, der hier von Franquin in Reg Kuguar Bangebüchse verwandelt wurde.
Dann wird sein Geheimnis von dem Kleinkriminellen Herkules entdeckt, in dessen Laden sich die Banditen Natan (der im Original Narcisse heißt, weil er stets vor einem Spiegel steht und sich die Augenbrauen zupft) und Valentino verstecken. Von dem Banditen verachtet, stiehlt Herkules X1 und X2, letzteres ein furchterregendes Mittel, das den Betreffenden in einer Stunde um siebzig Jahre altern lässt. Mit einer List sorgt er dafür, dass Valentino und Natan sich gegenseitig X2 spritzen, während er mit dem X1 im Blut Banken ausraubt. Spirou und Fantasio fangen ihn schließlich, als die Wirkung des Mittels nachlässt, während der Graf ein Heilmittel für X2 findet, das Natan und Valentino wieder in ihre Kindheit zurückversetzt. Irgendetwas geht bei ihm also immer schief, auch wenn die eingeschlagene Richtung stimmt.
Das Skript des Albums wurde von einem gewissen Jean Darc (in Wirklichkeit Henri Gillain, Lehrer und Bruder des Zeichners Jijé, der die Serie von 1943 bis 1946 übernahm) geschrieben, der sich bei der Gestaltung seines Rummelsdorf von seinem Heimatdorf in Luxemburg inspirieren ließ, während Franquin das Schloss Skeuvre in Natoye (Provinz Namur, Belgien) zum Vorbild nahm, um das Herrenhaus des Grafen zu entwerfen.
Man kann das große Talent von Franquin nicht übersehen, denn mit diesem ersten großen Abenteuer legt er die Grundlagen und die Nebenfiguren (z.B. der Bürgermeister, oder sein Beamter Federkiel…) und die Hauptfiguren (der Graf) einer Serie, die 53 (bald 54) Alben umfasst, ohne die Sonderausgaben zu zählen.
Die Genialität dieses Albums liegt sowohl in der originellen, magischen und stimmungsvollen Geschichte als auch in der Hervorhebung all dieser neuen Figuren, die man heute im Pantheon der europäischen Comics weiterhin gerne sieht.