Wer war der Erste, der eine Geschichte in einer Welt ansiedelte, die nicht die unsre ist?
Wenn wir uns ein wenig mit dem Genre beschäftigen, stellen wir zunächst fest, dass es nicht die eine Geschichte der Fantasy-Literatur gibt. Jeder leitet alles, was wir heute bewundern können, von einem anderen Vorfahren ab.
Dennoch gibt es Unterschiede in der Definition, denn die enorme Bandbreite der Fantasy enthält natürlich verschiedene Merkmale, die für die Bestimmung des Genres wesentlich sind. Die „High Fantasy“ kann im Großen und Ganzen dadurch definiert werden, dass sie in einer Welt spielt, die nicht die unsere ist. Es ist eine Welt mit eigener Geographie und eigener Kulturgeschichte. Es ist also eine andere Welt, in der die Geschichte spielt. Viele Kritiker gehen davon aus, dass mit „High Fantasy“ der Kern umrissen ist, wenn wir von Fantasy sprechen. Das ist aber noch etwas vage. Eine zweite oder fremde Welt ist nicht unbedingt eine andere Welt.
Tolkien wollte mit seinem Entwurf von Arda eine Welt darstellen, die in einer prähistorischen und mythischen Zeit unserer Erde angesiedelt ist. Ebenso spielen Robert E. Howards Geschichten um Conan und Kull in einer Zeit vor aller historischen Geschichtsschreibung, und auch die meisten (wenn auch nicht alle) Erzählungen von Clark Ashton Smith haben einen klaren Bezug zur sogenannten Realität. Smith findet seine Schauplätze überall im existierenden Universum: in der Vergangenheit (Hyperborea, Poseidonis), in der fernen Zukunft (Zotique), auf anderen Planeten, darunter bekannten (Mars) und unbekannten (Xiccarph).
Die Wahl des Settings rechtfertigt die Idee der Fantasy und macht es den meisten Lesern leichter, das Unglaubliche zu akzeptieren, wenn es einen Bezugspunkt zur – wie gesagt – sogenannten Realität gibt. Das Setting gibt der Fantasy also einen Rahmen, der nachvollzogen werden kann. Das wirft eine Frage auf: Wer war der erste, der diesen Rahmen völlig verwarf und den Schritt jenseits aller Realität wagte? Oder besser: Wer war der Erste, der eine Geschichte in einer Welt angesiedelt hat, die nicht die unsere ist?
Was ist eine erfundene Welt?
Lin Carter, der sich zusammen mit L. Sprague de Camp mit dem Nachdruck und der Sammlung alter Fantasy-Werke beschäftigte, beantwortete die Frage so: Der erste, der eine solche Geschichte schrieb, war William Morris, der Autor von „Die Quelle am Ende der Welt“ und „Die Zauberin jenseits der Welt“. (Und auch die deutsche Übersetzung wirbt mit dem Etikett “Begründer der Fantasy”). Auf den ersten Blick wirken diese beiden Romane tatsächlich wie „High Fantasy“. Aber spielen sie wirklich in einer anderen Welt?
Die Geschichte der Fantasy – Teil 1 weiterlesen