Atlantis-Legenden 2: Die Saat des Schwarzen Todes

Der zweite Teil der Atlantis-Legenden zieht die Schraube merklich an. Während uns der erste Teil mit den Problemen und den Freund/Feind-Konstellationen vertraut macht und den Einschlag der „Träne aus Feuer“ schildert, beginnt in „Die Saat des Schwarzen Todes“ der Kampf um das Schicksal von Atlantis und wir erleben, wie Kara zur Auserwählten der Stummen Götter wird. Sie ist ein junges Mädchen mit dem Herz am rechten Fleck. 

Der Schwarze Tod, geschaffen von den Großen Alten, ist mit dem Kometen auf Atlantis angekommen. Ein mächtiger grausamer Dämon, dem niemand gewachsen zu sein scheint. Weder der Eiserne Engel, noch Myxin, noch Asmodis selbst. Hier fällt auf, dass der Schwarze Tod eine wirklich beängstigende Macht besitzt, ganz anders wie in der Hauptserie Geisterjäger John Sinclair. Zumindest hat man das Gefühl, hier von zwei ganz unterschiedlichen Wesen zu lesen, was aber damit zu tun hat, dass Jason Dark diesen Dämon in der Serie erst einmal einführen und ausarbeiten musste. Was in Atlantis geschah, erfahren wir immer nur am Rande. Es bleibt verschwommen. Gerade deshalb ist diese Mini-Serie so wertvoll, denn wir tauchen direkt in den Konflikt ein, sehen wie sich die unterschiedlichen Lager zueinander verhalten und wie all das entsteht, was wir dann später in der Hauptserie verfolgen können. Hier bekommen wir also das Hintergrundwissen mit auf den Weg, und das ist es ja, was Ian Rolf Hill die ganze Zeit über leistet. Er sucht und findet lose Enden, unausgegorene Konzepte, fallengelassene Figuren und unaufgeklärte Fragen, die man sich als Fan vielleicht stellt. Da Hill selbst ein großer Fan und Kenner dieser Serie ist, weiß er um diese Dinge Bescheid, stellt sich selbst diese Fragen aus der Sicht eines Fans – und macht sich an die Arbeit, um Lücken zu schließen. Und d gibt es einige, was ja gar nicht ausbleiben kann bei einer derart gigantischen Anzahl an Geschichten über viele Jahrzehnte hinweg.

Karas Schicksalsweg nimmt hier Gestalt an, als ihr Vater Delios mit einer kleinen Delegation zur Einschlagstelle des Kometen reist, um ihn zu untersuchen. Kara ist das überhaupt nicht recht, vor allem da sie nicht mitkommen darf und auch noch erfährt, dass Haro dieser Delegation angehören wird. Es liegt in ihrer Natur, dass sie sich das nicht gefallen lassen will und beschließt, der Gruppe auf eigene Faust zu folgen. Doch die Gefahren sind gewaltig und so gerät sie in eine magische Falle, die sie direkt zu den Flammenden Steinen spült, die eigentlich für niemanden erreichbar sind, außer ein paar Auserwählten. 

Und genau auf diese Auserwählten trifft sie dort. Es handelt sich um die Weisen von Atlantis, die von Karas plötzlichem Auftauchen ziemlich überrascht sind. Das kann nur eines bedeuten: die Stummen Götter haben einen Plan mit dem Mädchen. Und tatsächlich gelingt es ihr mithilfe einer mysteriösen Kugel, die „Lebensatem“ genannt wird, einen Teil der Saat des Schwarzen Todes aufzuhalten, die Lebewesen nach und nach in Zombies verwandelt, besser gesagt: in schwarze Skelette, denn der Schwarze Tod ist ja genau das. Ein riesengroßes schwarzes Skelett. Der Eiserne Engel ist nach dem ersten Kampf mit dem Schwarzen Tod noch immer nicht bei Bewusstsein, viele seiner Vogelmenschen haben nicht überlebt. Jetzt liegt er inmitten der Flammenden Steine, wo Kara mit dem Lebensatem verschwunden ist. Der Eiserne lag vorher in einem Stall, in Sicherheit gebracht von einer Bauernfamilie. Und dort findet sich jetzt Kara wieder, die von den Bauern erst für eine Hexe, dann aber für eine Zauberin gehalten wird, weil sie besagte Saat, die mit Schwellungen an den Lymphdrüsen beginnt, mithilfe der Kugel aufhalten und rückgängig mache  kann. Kara begreift, dass die Stummen Götter sie nicht grundlos in die Nähe der Einschlagstelle gebracht haben. Sie glaubt, dass sie den Lebensatem ins Zentrum des Bösen tragen muss. 

Doch an der Einschlagstelle geschieht etwas völlig Unerwartetes. Myxins Schwarze Vampire tauchen auf und der Lebensatem ist spurlos verschwunden. Eigentlich der sichere tot für die junge Dame, würde Myxin nicht eingegriffen haben. Wahrscheinlich aus Neugier. Für Fans ist diese erste Begegnung zwischen Kara und Myxin natürlich ein weiterer kleiner Leckerbissen, auch wenn er hier als einer der beiden Cliffhanger fungiert.

Der zweite Cliffhanger betrifft Beela, die Anführerin der Schwarzen Vampire, die Myxin aber hörig ist. Sie ist auf einer Mission, um den Schwarzen Tod auszuspähen, wird aber entdeckt. Da der geistige Kontakt zu Myxin abgebrochen ist und sie dem Tod ins Auge sieht, bietet sie ihm ihre Dienste an.

Das popkulturelle Phänomen John Sinclair

Es ist gar nicht so einfach, etwas zu John Sinclair zu schreiben, vor allem, weil man gar nicht wirklich weiß, wo man beginnen soll. Zumindest war es nicht ganz so einfach wie über Larry Brent als erste Gruselserie zu schreiben. Viele Leser:innen kennen die Serie aus unterschiedlichen Perspektiven und sie lesen sie aus unterschiedlichen Gründen, wobei es wirklich schwer ist, das Gesamtbild im Auge zu behalten. Also dachte ich mir, es wäre vielleicht angebracht, dieses Gesamtbild einmal als Basis zu betrachten, von der aus dann weitere Artikel folgen könnten.

Zwischen Grusel und Gewohnheit

John Sinclair Kreuz
(c) Bastei

Die Figur des John Sinclair, geschaffen von dem deutschen Autor Helmut Rellergerd (Pseudonym: Jason Dark), gehört zu den bekanntesten Figuren der deutschsprachigen Unterhaltungsliteratur. Seit seinem ersten Erscheinen 1973 in der Heftromanserie „Gespenster-Krimi“ entwickelte sich Sinclair schnell zu einem eigenständigen Serienhelden und Mythos. Bis heute erscheinen wöchentlich neue Hefte, inzwischen ergänzt durch Sonderbände, Taschenbuchreihen, Hörspiele, E-Books, Podcasts und Merchandising.

Diese außergewöhnliche Langlebigkeit ist kulturgeschichtlich bemerkenswert: Sie zeigt, wie stark bestimmte narrative Muster und Figuren in kollektiven Vorstellungswelten verankert sein können – gerade wenn sie sich geschickt an kulturelle Wandlungsprozesse anpassen, ohne ihre Grundstruktur aufzugeben. John Sinclair ist ein Paradebeispiel dafür, wie populäre Unterhaltungsliteratur trotz (oder gerade wegen) ihrer oft von kenntnisarmen Kritikern belächelten Trivialität eine dauerhafte kulturelle Präsenz entfalten kann.

Serialität als Erfolgsprinzip

Ein zentrales Strukturprinzip der John Sinclair-Reihe ist ihre konsequente Serialität. Über 2000 Einzelhefte (Stand 2025) sind bisher erschienen – eine beeindruckende Zahl, die weit über das hinausgeht, was klassische Romanzyklen erreichen. Diese Serialität folgt einem bestimmten Rhythmus, der von Wiederholung und Variation lebt: Stets gibt es einen oder mehrere Antagonisten, die sich übernatürlicher Mittel bedienen; John Sinclair und sein Team ermitteln, geraten in Gefahr und siegen schließlich durch Mut, Glauben, Freundschaft und (nicht selten) göttlichen Beistand.

Jason Dark
Jason Dark (Helmut Rellergerd)

Die wiederkehrenden Elemente – etwa Sinclairs Kreuz aus geweihtem Silber, seine Gefährten wie Suko oder Jane Collins, Scotland Yard als Basis oder Gegenspieler wie Asmodina, Dracula II oder der Schwarze Tod – erzeugen eine vertraute Welt, in der sich die Leser:innen orientieren können. Im Laufe der Jahre entwickeln sich Metaplots, in denen alte Feinde zurückkehren, Allianzen sich verändern und vergangene Ereignisse neue Handlungen beeinflussen.

Diese Struktur ermöglicht es Neuleser:innen, jederzeit einzusteigen, während Stammleser:innen ein tiefes Wissen über die Mythologie der Serie entwickeln. Damit verbindet die Serie episodisches Erzählen mit dem kontinuierlichen Aufbau einer Welt – ein Prinzip, das auch in anderen Medienformen wie Fernsehserien, Comics oder Videospielen zu finden ist.

Medienkonvergenz und Adaptionen

Ein weiterer Schlüssel zur Langlebigkeit von John Sinclair ist die Fähigkeit des Franchises, sich an verschiedene Medienformate anzupassen. Besonders hervorzuheben ist dabei die seit dem Jahr 2000 produzierte Hörspielreihe „John Sinclair – Edition 2000“, die mit ihrer hochwertigen Inszenierung, namhaften Sprecher:innen (z.B. Frank Glaubrecht als Sinclair) und atmosphärischen Soundkulisse Maßstäbe gesetzt hat.

Die Hörspiele erreichen oft eine ganz andere Zielgruppe als die Heftromane – jüngere Menschen, Podcast-Hörer:innen, Fans von Audio-Storytelling – und haben mit ihrer stilistischen Nähe zu modernen Serienformaten (etwa Supernatural oder Buffy) dem Franchise neues Leben eingehaucht. Auch Digitalausgaben, E-Books und eine eigens entwickelte App tragen dazu bei, John Sinclair für neue Generationen zugänglich zu machen.

Hier zeigt sich exemplarisch, wie ein ursprünglich printbasiertes Phänomen in einer konvergenten Medienwelt bestehen kann – indem es seine Inhalte an neue Rezeptionsgewohnheiten anpasst, ohne seine narrative DNA zu verlieren.

Populärkultur, Mythos und Moral

Inhaltlich bewegt sich John Sinclair an der Schnittstelle von Kriminalliteratur, Horror, Fantasy und Mystery. Der Protagonist ist ein Ermittler im Dienste des Guten, dessen christlich aufgeladene Waffen (u.a. das geweihte Kreuz, der „silberne Nagel“) im Kampf gegen das personifizierte Böse eingesetzt werden. Dieses Böse tritt in vielfältiger Gestalt auf: Vampire, Dämonen, Hexen, Wiedergänger, schwarze Messen, okkulte Zirkel – die Serie schöpft aus einem reichen Repertoire an Horror- und Volksglaubensmotiven.

Dabei ist die moralische Struktur der Serie oft klar dualistisch: Das Böse ist radikal böse, das Gute darf leiden, wird aber am Ende triumphieren. Diese klare ethische Trennung kann als konservativ oder naiv empfunden werden – sie bietet aber auch eine psychologische Sicherheit, die im Kontext von Eskapismus und Angstbewältigung (gerade in Zeiten gesellschaftlicher Verunsicherung) wichtig ist.

Gleichzeitig bedient sich John Sinclair zahlreicher archetypischer Strukturen, wie sie in der Mythenforschung (z.B. nach Joseph Campbell oder Mircea Eliade) beschrieben wurden: Der Held mit einer besonderen Bestimmung, die Initiation, die Reise ins Totenreich, der magische Mentor, das wiederkehrende Böse. Diese mythischen Grundmuster sind zentral für den Erfolg des Formats – sie bieten kulturelle Anschlussfähigkeit über Generationen hinweg.

Rezeption, Kritik und kulturelle Bedeutung

Trotz (oder gerade wegen) ihres großen Erfolges wurde die John-Sinclair-Serie von der Literaturwissenschaft lange Zeit kaum beachtet. Triviale Massenliteratur galt als unseriös, formelhaft und künstlerisch anspruchslos. Erst mit dem kulturwissenschaftlichen Paradigmenwechsel ab den 1990er Jahren, der Populärkultur nicht mehr als bloße Unterhaltung oder „Minderkultur“ abtat, begann eine differenziertere Auseinandersetzung mit solchen Phänomenen.

Kritische Stimmen bemängeln an John Sinclair etwa stereotype Geschlechterdarstellungen – Frauen erscheinen häufig als Opfer, Verführerinnen oder Sidekicks. Auch die exotisierende Darstellung des „Anderen“, etwa in Form „dämonischer“ Religionen oder asiatischer Kampfkunstklischees, wird zu Recht problematisiert. Gleichzeitig muss jedoch anerkannt werden, dass sich die Serie seit den 2000er-Jahren teilweise modernisiert hat: Es gibt stärkere Frauenfiguren, mehr Diversität im Personal, und gelegentlich sogar Selbstironie im Umgang mit den eigenen Tropen.

John Sinclair ist zudem ein wichtiger Marker kollektiver Erinnerung: Für viele Leser:innen der 1970er- bis 1990er-Jahre war die Serie ein Einstieg in phantastische Literatur, ein Tor zu Genrevielfalt und ein Ort des pubertären Grusels. In diesem Sinne ist sie auch ein nostalgisches Kulturgut – vergleichbar mit Edgar Wallace, Perry Rhodan oder den Drei ???.

Zwischen Trash, Tradition und Transmedialität

Das Phänomen John Sinclair ist nicht nur eine Kuriosität der deutschen Unterhaltungsliteratur, sondern ein bedeutsames Beispiel für die Langlebigkeit narrativer Muster, die Anschlussfähigkeit populärer Mythen und die Fähigkeit, sich medientechnisch wie inhaltlich weiterzuentwickeln. Zwischen Trash und Tradition, zwischen romantischer Gothic-Ästhetik und moderner Serienlogik, hat sich eine Erzählwelt etabliert, die Millionen Leser:innen, Hörer:innen und Fans seit über fünf Jahrzehnten fesselt.

Für die Kultur- und Medienwissenschaft bietet John Sinclair somit ein reiches Analysefeld: als Spiegel gesellschaftlicher Ängste, als Experimentierfeld für Serialität und Transmedialität, und als lebendige Popkulturtradition, die den Grusel in die Alltagserzählungen ihrer Rezipient:innen einschreibt.

Smee / A. M. Burrage

Der Schriftsteller A. M. Burrage äußerte einst den Wunsch, seinen Lesern einen wohligen Schauer über den Rücken zu jagen, so dass sie mit einer brennenden Kerze zu Bett gehen wollen (heute würde man wohl einfach das Licht anlassen). Doch seine Gespenstergeschichten, von denen eine Auswahl 2022 in einer opulenten Ausgabe der British Library erschien, bieten weit mehr als bloßen Grusel. Der in Middlesex geborene Burrage (1889-1956) begann bereits während seiner Schulzeit mit dem Schreiben von Geschichten, zunächst für Jugendmagazine. Doch erst nach seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg 1918 reifte er zu einem meisterhaften Autor übernatürlicher Geschichten heran. Seine besten Werke entstanden in den 1920er Jahren, einer Zeit, in der die Gespenstergeschichte eine ihrer zahlreichen Renaissancen erlebte. Dennoch ist sein Werk hierzulande weitgehend unbekannt: Eine deutsche Ausgabe seiner Erzählungen gibt es bis heute nicht.

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Der Quinkunx / Walter de la Mare

Walter de la Mares „Der Quinkunx“ ist eine Geistergeschichte, die erstmals im Dezember 1906 in Lady’s Realm veröffentlicht und später für die Sammlung A Beginning and Other Stories (1955) überarbeitet wurde. Die Erzählung folgt einem namenlosen Protagonisten, der von seinem Freund Walter in ein kürzlich geerbtes Haus eingeladen wird, um ihm bei einem Problem zu helfen.

Diese Erbschaft erfolgte nach dem Tod von Walters Tante, deren Präsenz im Haus auf gespenstische Weise spürbar bleibt. Besonders ihr Porträt verhält sich unheimlich: Es dreht sich nachts auf mysteriöse Weise wieder nach vorne, obwohl Walter es explizit umgedreht oder gar entfernt hatte. Diese verstörenden Vorkommnisse deuten auf einen übernatürlichen Versuch hin, die Entdeckung eines verborgenen Geheimnisses zu verhindern. Walter bittet nun den Erzähler, im Zimmer mit dem Bild Wache zu halten, um das Rätsel zu lösen.

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Atlantis-Legenden 1: Zeichen des Untergangs

Möglicherweise wird das Gen des „Heftromans“ von Generation zu Generation weitergegeben. Das bedeutet, dass man eine bestimmte Art von Schreiber sein muss, um diesen Beruf tatsächlich sinnvoll ausfüllen zu können. Ian Rolf Hill ist jemand, der das mit Bravour exerziert. Davon kann man sich in der Hauptreihe des John-Sinclair-Universums, bei Professor Zamorra oder Maddrax reichlich überzeugen. Tatsächlich ist Hill jemand, dem es zu  verdanken ist, dass  die Serie um den Geisterjäger auch nach 50 Jahren noch so einen Elan versprüht, mehr noch: ein tatsächlich ernstzunehmendes populäres Phänomen geworden ist. Nicht dass wir Jason Dark als Schöpfer des Ganzen zu verschweigen ist, aber ich glaube, er wäre nicht derjenige gewesen, der die Romane in seinem ehrenwerten Alter zukunftsfähig hätte machen können, das lag völlig außerhalb seiner Reichweite. Doch das sind alles Überlegungen, die nichts mit dem vorliegenden Projekt zu tun haben.

Nach dem verkorksten Spin-Off „Dark Land“ (für das Hill gar nicht geschrieben hat, soweit das bekannt ist), gibt es nun mit „Atlantis“ einen weiteren Versuch, das Sinclair-Universum auszuleuchten. Der Vorteil hier liegt auf der Hand: Es ist auf 6 Folgen ausgelegt und … der Autor ist Ian Rolf Hill, und nicht gleich eine ganze Autorengruppe, wo jeder sein eigenes Süppchen kocht. Nein, gegen Autorengruppen ist rein gar nichts einzuwenden, aber man muss sie eben koordinieren können, was sich oft als schwierig herausstellt. Außerdem ist Hill derart kenntnisreich, dass man sich fragen muss, ob er nicht irgendwo in seinem Kopf eine versteckte „Sinclair-Festplatte“ installiert hat. Ich mag den Spruch „Ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen“ eigentlich gar nicht, weil er einfallslos ist, aber bei Hill verhält es sich genau so. Die Seiten wandern vorbei und man nichts dagegen unternehmen, bis das Wort „Ende“ auftaucht.

Tatsächlich ist die Idee, den untergegangenen Kontinent Atlantis gesondert zu betrachten, großartig. Vor allem, weil von dort nicht nur bekannte und beliebte Figuren wie der Eiserne Engel oder Kara stammen, sondern auch schreckliche Feinde wie der schwarze Tod, Arkonada oder Myxin (der später einen wirklich großen Wandel vollzieht). Aus der Serie kennen wir diese Figuren alle nach dem Untergang des Inselreichs. Im Spin-Off erleben wir den Untergang hautnah aus der Sicht von Kara, der Schönen aus dem Totenreich, die zu diesem Zeitpunkt etwa 16 Jahre alt ist.

Die Stadt Atlantis ist klein gehalten. Wir lernen Karas Vater Delios und die Hausangestellten kennen, die wie eine Familie funktionieren. Wir sehen die Stadtwache und den Stadtrat, in dem Karas Vater als Prophet keinen leichten Stand gegenüber den Skeptikern hat, weil eine Vorhersage in der Vergangenheit nicht eingetreten ist und weil er selbst manchmal Visionen nicht von Träumen zu unterscheiden vermag. Doch diesmal sind es nicht nur seine Visionen, diesmal sind es die offensichtlichen Zeichen, die ein Unheil ankündigen: Die Großen Alten kehren zurück. Sie sind die Widersacher der Stummen Götter (die unter anderem den Eisernen Engel aus den vier Elementen geschaffen haben).

Jeder, der Augen hat, kann es am Nachthimmel sehen, in dem zwei Monde kreisen: Das Auge der stummen Götter und das Auge der Dämonen. Letzteres schiebt sich mehr und mehr vor das Auge der stummen Götter, und wenn das passiert – so berichtet eine Prophezeiung -, wird eine Träne aus Feuer auf den Kontinent niedergehen und die Dämonen ihren Siegeszug beginnen.

Wir sehen, wie Kara und Haro sich näherkommen, und wie sie Zeugen der düsteren Prophezeiung werden, als nämlich Delios im Fieber seiner Tochter aufträgt, die Sterndeuter auf dem Berg Uranos zu warnen. Auch Myxin sehen wir in seiner ganzen dämonischen Pracht, und wie er die Ankunft der feurigen „Träne“ erlebt. Für Fans ist das hier richtig großes Kino.

Binde dein Haar hoch / Robert Aickman

Bei vielen von Robert Aickmans Geschichten bleibt uns nichts anderes übrig, als psychoanalytisch vorzugehen und die in den Erzählungen auftauchenden Symbole genauer zu untersuchen. Es ist offensichtlich, dass viele dieser „seltsamen Geschichten“ zahlreiche hocherotische Traumsequenzen enthalten. Andererseits sind alle Erklärungen reine Spekulation. Aickmans Erzählungen zu verstehen, ist eigentlich wie über die Träume eines anderen zu sprechen. (Das ist übrigens auch bei Bruno Schulz der Fall, auch wenn seine Geschichten ganz anders angelegt sind). Im Vorwort zu Fontanas Buch der großen Gespenstergeschichten schreibt Aickman:

„Die Geistergeschichte macht dasselbe wie Dr. Freud: Sie stellt einen Kontakt zu den unterdrückten neun Zehnteln unseres Bewusstseins her.“ Dies ist eine wichtige Aussage über Geistergeschichten im Allgemeinen. Und weiter: „In den meisten Gespenstergeschichten begegnet man gar keinem Gespenst. Vielleicht wird man einen anderen Namen für das Genre finden.“

Die Erzählung ist im ersten Band der Aickman-Ausgabe bei Festa enthalten.

Und tatsächlich nannte Aickman seine Erzählungen strange stories, denn auch die so bezeichnete weird fiction greift hier nicht zur Gänze.

„Binde dein Haar hoch“ ist eine perfekte Erzählung, in der es Aickman gelingt, die verführerischen Geheimnisse eines dionysischen Rituals zu würdigen und gleichzeitig die Schrecken eines Wochenendes mit den Schwiegereltern ironisch zu verspotten. Clarinda Hartley, langjährige Junggesellin, eine Frau, die „niemand zu verstehen schien„, hat sich endlich auf Dudley eingelassen, der sie für ein Wochenende zu seinen Eltern aufs Land eingeladen hat. Auf der Suche nach einem Zufluchtsort vor ihren zukünftigen Schwiegereltern, die „tief im Land lebten, aber keine Ahnung von der Wildnis hatten„, stößt sie in der fast immer nebelverhangenen Landschaft auf die orgiastischen Rituale einer Mrs. Pagani – mit Tierfellen bekleidete Körper, die sich in einer offenen Grube inmitten eines Hirtenlabyrinths winden. Nach anfänglichem Entsetzen deutet ein Abschiedsblick zwischen der Frau und ihrer priesterlichen Nachbarin darauf hin, dass wiederkommen wird. Clarinda, die Mrs. Pagani misstrauisch und ängstlich gegenübersteht, erkennt, dass sie sich in der lüsternen Grube der geheimnisvollen Frau besser amüsieren kann, als im „großen Hummertopf“ ihrer Schwiegereltern zu schmoren.

Hier spielt der Kontrast zwischen zwei Gemeinschaften eine wesentliche Rolle. Auf der einen Seite steht die bürgerliche Familie, die mit ihrer perfekten Häuslichkeit mehr als zufrieden ist – ein Symbol der Zivilisation im Endstadium, fern von allem Leben; auf der anderen Seite das Heidnische, Orgiastische, Rauschhafte, die Verbindung mit dem Mysterium des Lebens und der Natur (wie leicht aus dem Namen „Pagani“ zu schließen ist).

In der Erzählung heißt es, dass der Friedhof, auf dem sie lebt, extra entweiht werden musste, damit sie dort wohnen konnte… Und ihr Haus ist schließlich eine umgebaute Kapelle (ein Tempel), die nun einem ganz anderen Zweck dient.

In einigen religiösen Kontexten bedeutet das Binden der Haare auch, sich an jemanden oder etwas zu binden, sowie die Geschlechtsreife oder das Erreichen des heiratsfähigen Alters. Es dient also in mehrfacher Hinsicht dazu, die (freiwillige oder unfreiwillige) Aufnahme in diese heidnische Gesellschaft mit ihren Ritualen und ihrer Magie anzuzeigen.

Auf ihrem nächtlichen Spaziergang begegnet sie zwei seltsamen Kindern, die sich nach der Schweineherde erkundigen, die sie zuvor beobachtet hat. Bei den Schweinen könnte es sich tatsächlich um die späteren Zelebranten der Orgie handeln. Es gibt solche, die scheinbar menschlich, aber nackt sind, und solche, die in Tierfelle gekleidet sind und in ihrem Verhalten und ihrer körperlichen Präsenz eher animalisch als menschlich wirken. Es ist denkbar, dass Tiere in solchen Ritualen menschliche Gestalt annehmen können.

Das Schwein ist hier nicht zufällig gewählt; es symbolisiert unter anderem Lust, Fruchtbarkeit und Wohlstand. Betrachtet man die symbolische Bedeutung des Schweins etwas genauer, so fällt auf, dass Schweinehirten im heidnischen Irland visionäre und magische Kräfte zugeschrieben wurden. Möglicherweise gab es eine direkte Verbindung zwischen diesem Amt und dem Druidentum. In der Erzählung erfahren wir nicht, wer der Hüter der Herde ist, aber die beiden Kinder, die Clarinda nach den Schweinen fragen, sind selbst weniger irdisch, als es den Anschein hat. Während das etwa achtjährige Mädchen mit dem lockigen Haarschopf später als Botin fungiert und ihr die Regeln erklärt, wirkt das andere Kind mit der Kapuze auf dem Kopf eher gefährlich:

„Es schien scharfe, bleiche Gesichtszüge und große Augen zu haben. Mit seiner Kapuze ähnelte es fast einem Falken.“

Dieses Kind wird Clarinda später in den Knöchel beißen, so dass Blut fließt. Das mag ein gewalttätiger Akt sein, aber das Fließen des Blutes gehört schließlich zum Aufnahmeritual, auch wenn es hier fast beiläufig geschieht.

Die blaue Stunde / Paula Hawkins

Seit ihrem Durchbruch 2015 mit „The Girl on the Train“ hat sich Paula Hawkins als meisterhafte Erzählerin psychologischer Spannungsromane etabliert. „Die blaue Stunde“ bleibt dieser Linie treu und bietet eine Geschichte, die sich langsam entfaltet, dabei aber zunehmend an Intensität gewinnt. Es ist kein klassischer Krimi oder Thriller, sondern vielmehr ein atmosphärisch dichter Roman, der einer kunstvoll geknüpften Intrige gleicht: Man weiß, dass man irgendwann das Zentrum erreichen wird, doch was einen dort erwartet, bleibt lange ungewiss.

Die Inspiration für den Schauplatz des Romans kam Paula Hawkins während eines Urlaubs, als sie wegen einer Verletzung ans Bett gefesselt war. Sie sah eine Insel und begann darüber nachzudenken, welche Geschichten sich dort abspielen könnten. Ihre Liebe zur Kunst spielte ebenfalls eine große Rolle bei der Entwicklung der Figuren und ihrer Beziehungen zueinander.

Natürlich erfahren wir auch, was es mit dieser „blauen Stunde“ auf sich hat:

wenn die Nacht langsam näher rückte und der Himmel sich allmählich mit Sternen zu füllen begann …

Im Mittelpunkt steht die Künstlerin Vanessa Chapman, die bereits seit fünf Jahren tot ist. Doch durch ihre Tagebücher, ihre Kunstwerke und die Erinnerungen der Menschen, die ihr nahestanden, bleibt sie weiterhin präsent. Einer dieser Menschen ist James Becker, Kurator am Fairburn House, der sich intensiv mit ihrem Werk beschäftigt. Als in einer von Vanessas Skulpturen ein menschlicher Knochen entdeckt wird, droht ein Skandal. Wer war der Tote? Und wusste Vanessa von der makabren Einlage in ihrer Kunst?

Die Spur führt Becker auf die abgelegene Insel Eris, wo Vanessa einst mit ihrer engen Freundin und Mitbewohnerin Grace lebte. Grace, eine ehemalige Ärztin mit schroffer Art, hütet die Geheimnisse von Vanessas Vergangenheit und zögert, Becker alle Antworten zu geben. Doch nach und nach fügen sich die Bruchstücke eines düsteren Puzzles zusammen: das mysteriöse Verschwinden von Vanessas Mann Julian, die Abgründe ihrer Ehe und die Spuren ihres inneren Kampfes, die sich in ihrer Kunst widerspiegeln.

Die Atmosphäre des Romans ist von einer ständigen Unruhe durchzogen. Vanessas Schlaflosigkeit, ihre nächtlichen Wanderungen am Strand, das bedrohlich glitzernde Meer – all das schafft eine surreale, traumartige Stimmung, die sich in ihren Werken manifestiert. Ihre Kunst ist düster, von persönlichen Tragödien geprägt und offenbart tiefe seelische Risse.

Gleichzeitig ist „Die blaue Stunde“ eine vielschichtige Charakterstudie. Nicht nur Vanessa, sondern auch Becker und Grace stehen im Zentrum einer psychologisch fein gezeichneten Erzählung. Während Becker versucht, die Wahrheit hinter Vanessas Leben und Werk aufzudecken, kämpft er mit seinen eigenen Dämonen: Seine Frau erwartet ein Kind, doch er ist zunehmend besessen von Vanessas Geschichte. Grace wiederum ist hin- und hergerissen zwischen ihrer Loyalität zu Vanessa und den düsteren Wahrheiten, die sie mit sich trägt.

Paula Hawkins gelingt es meisterhaft, die Spannung bis zum Schluss aufrechtzuerhalten. Das Buch verlangt (wie jedes gute Buch) Geduld – es entfaltet sich langsam, aber mit jeder Enthüllung werden die Leserinnen und Leser dann durchaus belohnt. Und letztlich stellt sich die entscheidende Frage: Was bleibt von einem Menschen, wenn er geht? In „Die blaue Stunde“ lebt Vanessa Chapman weiter – in ihrer Kunst, in den Erinnerungen anderer und in den Schatten der Geheimnisse, die sie hinterlassen hat.


Übersetzt von Birgit Schmitz
Erschienen am 9. Januar 2025