Ich bin die Nacht: 1 Der Moloch

In der Tiefe der Nacht kann einem alles begegnen. Welten türmen sich auf, entfalten ihre grandiosen weiten Ebenen des Zerfalls, mumifizierte Zeitzeugen murren aus trockenen Mündern von ihren Erlebnissen, ein Gesicht hängt in Fetzen in Höhe des Mondes – die Wangen aufgerissen wie zerschnittener Stoff in einer Bastelstube. Dann ist es vorbei, wie die Fahrt in einer Geisterbahn, die Kufen führen aus der stinkenden Nacht in eine noch tiefere hinein, ruckeln weiter zur nächsten Szene. Und nirgendwo hat das Licht eine sichtbare Qualität, schwarz in schwarz bestätigt es nur eine absolute Dunkelheit. Was man zu sehen bekommt ist merkwürdigerweise unabhängig von einer Lichtquelle. Die Toten leuchten von Innen, die Geister tun es ihnen nach.

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Dunst in Sepia

Der Mensch und die Paarung ertragen Intensität nicht lange; wie aber steht es mit dem Gedankenerwecker?

Ich folge den orphischen Vasallen, die in ihrer Sangeskunst Melodien aus Gedanken formen, die ein tanzendes Wort ergeben. Aus der Höhle erster Dunkelheit heben vergessen Zorn und Sein, Gespenster, die im Geisterrauch den Mund nicht brauchen. Da bist du, trägst uns durch dein Flötenspiel dem Hafen entgegen, den flaschengünen Nixen zu, den sonnenlosen Reichen, die keine Formen missen lassen.

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Hin und wieder zurück

Waldnaab in der Oberpfalz

Im Allgäu gewöhnt man sich im Laufe der Zeit an Pfeifen und Schnabel, das heißt, man gewöhnt sich an ein Leben, wie es die meisten führen wollen: goldene Wollmäuse brechen aus jeder Matratze, die Welt an sich ist ein ewig strömendes Fass. Ich selbst befinde mich seit 1994 in den unterschiedlichsten Gäuen und es ist mir zu einer zweiten Heimat geworden (was eine seltsame Aussage für jemanden ist, der sich selbst als heimatlos bezeichnet). Mein Werk allerdings ist ohne das Gebürg in mir nicht denkbar. Ich denke sogar, dass dies der eigentliche Schlüssel zum Verständnis vieler meiner Arbeiten ist. Sei es wie es seibl post… (auf deutsch: sei es, wie es ist), es kamen in meiner Vergangenheit immer wieder Versuche auf, mich zu transmutieren, mich ins Blätterwerk des Hufeisenlandes zu transportieren (auf dass es mir wohl ergehe und ich lange leb‘ auf Erden). Das Leben aber ist ein Widder (achtet auf den Widder!) und folgt anderen Spuren; das linke Horn weiß oft nicht, was das rechte Horn tut.

Rehau, Maxplatz

In den letzten Tagen ging es deshalb um ein Sondieren, denn es darf nicht verschwiegen werden, dass auch hier die Zeit in einer gewissen Weise vergeht, wenn auch völlig anders, als man das gemeinhin zu glauben hat. Die Destination Rehau liegt leicht oberhalb des Gebürgs, 12 km von Selb entfernt (man erreicht sie über den Tatterdemalion-Express, der die Achse Hof – Oberkotzau – Rehau – Selb abnudelt; das ist eine gute Achse – man kann sehr schnell in die umliegenden Dörfer rauschen, oder nach Böhmen gelangen, das sozusagen nur von einer künstlichen politischen Grenze durchstoßen wird, geographisch aber ebenfalls eine gute Portion Fichtelgebirge in sich vereint).

Es wäre schön gewesen, wenn wir nicht über München geprängelt worden wären, oder wenn wir nicht auf Hin- und Rückfahrt zwei Stunden dort auf einen Anschluss hätten warten müssen. Ja, ich habe dort studiert – und ja, ich war einst ein Verfechter der Schönheiten dieser Großstadt, aber das ist lange her. In der Zwischenzeit hat sich München in die Kloake eines riesigen dreckigen Arsches verwandelt (oder in das, was aus einem großen, dicken Arsch herauskommt, wenn der Darm murrt und der Betreiber des Darmes etwas Falsches gegessen hat). Ich könnte das jetzt zwar im Einzelnen ausführen, aber dann ginge es ja um München, und das tut es nicht. Doch Unbilden müssen erwähnt und kartographiert werden, damit in Zukunft ein anderer Weg hinauf und hinab gefunden wird (es böte sich die Achse Augsburg – Nürnberg – Bayreuth an, auch wenn man von Nürnberg in diesen Tagen ebenfalls nichts Gutes hört).

Es gibt unterschiedliche Wahrnehmungsmöglichkeiten der Stille. Da gibt es also die Abwesenheit von Lärm oder auch nur irgendeiner akustischen Regung, es gibt ein leichtes Wohltönen der Geräusche des Landes und es gibt ein generelles Fehlen von etwas, nachdem es jedoch war und also auch einer Notwendigkeit entspricht. In Rehau haben wir das zweite Beispiel vor uns. Die Stille hier ist natürlich dennoch ein Fehlen von etwas, hier nämlich einem unsinnigen Lärm, aber das eigentliche Prädikat ist das Wohltönen der Geräusche des Landes. Während ich in Kempten gerne jeden einzelnen Autofahrer aus seiner Raviolidose zerren würde, um ihm den Levitikus zu lesen, ist eine Fahrt mit dem Automobil hier dem Transport geschuldet und fällt in seiner Spärlichkeit nicht unangenehm ins Gewicht (ja, hier würde ich dem Fahrer sogar gerne einen Luftballon schenken).

Pfarrkirche Rehau

Ich weiß, dass der Geist meines Großvaters für immer auf Wanderschaft ist. All die vorhandenen Wege; andere, über die Gras gewachsen ist. Nichts davon ist vergangen. Ich erbte sein Gesicht und seinen Wanderstab.

Wir bezahlen den Wein natürlich

Der Empfang, dem man dem Triumphator bereitet, währt kurz, Io Triumphe, Thriambos, gesiegt hast du, Bacchus! Wolf zwitschert auf einem Grashalm ›Mull of Kintyre‹, die anderen sehen lieber zu, dass sie weg kommen: da brandet bereits der Ärger mit einer Schürze bekleidet heran, naht in Form einer Donnerwolke. Bloß zurück, zurück zu den Strohbundhäusern!

Adam verteilt die Flaschen, der schwarze Asphalt gibt ihren derben Tritten Geschwindigkeit.

»Wir bezahlen den Wein natürlich!«

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Vom Horizont walzt immer noch Licht

Der Mückenschwarm im Spätherbst singt sein Lied, eine Liebelei, ein Necken in den Lüften, in den Gräsern ein Berühren der Beine. Vom Horizont walzt immer noch Licht. Das Männchen hält das berührende Bein des Weibchens fest und beleckt den Kopf des Weibchens, rutscht nach hinten und beginnt mit der Kopulation, Summton und Duftstoff. Der Badeweiher quakt über seinen Fröschen. Zwei tote Schwimmer liegen nicht mehr im Gras. Vom Horizont walzt immer noch Licht. Wiesenschaumkraut zerdrückt, die Fischer schweigen in den Brodem des Räucherofens hinein, in dem ein weiterer Aal golden zwischen Backsteinen glänzt, aufgebaut im breiten Schilfgürtel, der den Weiher vom angrenzenden nassen Erlen- und Birkenbruchwald, sowie einem Gebüsch aus Weiden und Faulbäumen trennt.

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Die Läufer und die Fänger

Der Knecht auf dem Boden: schraubt mit der rechten Hand am Traktor herum, seine linke hält den klobigen Becher zu ihr hoch, würdigt sie keines Blickes, wie sie die Kanne schwenkt, um die Butter wieder unter die frische Milch hüpfen zu lassen. Keines Blickes, bis sie die Milch über den Rand der Kanne, am hingehaltenen Becher vorbei zwischen seine Hosenbeine schwappen lässt. Ssch. Und er dann hochschaut, den Becher senkt, dann hochschaut, überrascht, ihr völlig dämliches Gesicht ganz rot. Sie schielt und ihre Zähne stehen vor wie ein Schwellenreißer, den eine Zunge anhebt, die im Saft geschlafen hat. Unverändert steht sie da, die Kanne zum nächsten Guss bereit, leicht schief, und leckt sich die Werkzeuge: »Kannst’u nicht aufpassen!«

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