Pupillenängste

Glotzende Gesichter. Pupillenängste; eine lachende Taube in einer nichtbeleuchteten Gasse; die Stille hat ein Gesicht, zeigt sich im kalten Stein, poliert, erinnert an die Vergänglichkeit. Unkraut umrankt eine Oase des Friedens, Verlassenheit lehnt sich aus einem dunklen Fenster. Die Tür ist schwer zu öffnen, es riecht nach gar nichts. Bilder vergangener Tage ziehen gleichmütig vorbei, kein Vogel pfeift : niemals; kein Blatt fällt: jemals. Irgendwann muss man eines Tages Tagwerk beginnen. Aufgeblasene Scham, pumpende Energie, wie ein Schiff, senkrecht angeordnete Zylinder, Schaufelräder gegen Wind und Flut. Wo wohnst du? Bei der Nachbarin im Bett. Stinkende Straßen, kalte Keller : dreh dich doch einfach mal um!
Ich rittere nach dem Gral, folge den Zeichen, plane nichts. Die Pfütze, die sich nach einem Tritt nicht leert, der Fuß, der darin verschwindet (die Wasserflut schwappt über den Schuh hinweg, rankt das Bein hinauf). Da ist ein Loch, ein verrücktes Loch (im Universum). Diese Löcher; wie wäre es mit uns? Abgetaucht, die Atemluft wird knapp, die See; sieht das denn niemand? Die See auf langer Wanderschaft. Sieht das denn niemand: da ertrinkt doch einer!
Die Sehkraft schwindet, aber der Wald ist da, durch den das Frühjahr gerade gezogen kommt. Obskurer Wechsel der Ortschaft, da blättert es, dort grünt es, Blick in das schlanke Rauschen (auch Tanzen der Zweige); beschlagene Räder, Deichsel der Zeit. Jemand macht sich auf, dem Geräusch entgegenzugehen. Unsere Welt, das ist eine Welt der Wahrnehmung; ändern wir die Wahrnehmung, ändern wir die Welt. Kommt mir bekannt vor, so dreckig hier unten.
»Sie zogen mich durch den Schweinepfuhl!« (Du erfindest dir Geschichten.)
Ich erinnere mich an die Speisen vor hundert Jahren, ich erinnere mich an dich und an die Bibliothek : jedes Buch hatte Flügel, aber keine Seiten. Alle Bücher schreiben sich selbst.
Sie kamen am hellichten Tag, wir bohrten Früchte aus dem Acker, der wenig hergab in diesem Jahr. Was übrigblieb (die Vogelscheuchen fielen um, so fragil erbaut), verschlangen die kehlenden Krähen, wie Totenvögel sahen sie aus, rissen den Strohkopf von deinem Leib. Mit der Axt wollten wir die Ernte retten, die Vögel klagten.

Regen in der Stadt

Regen in der Stadt, er bringt die Oberflächen zum Glänzen
(reinigt die Skulpturen menschlicher Behausung)
der Wetterbericht, der Sturm nicht angekündigt, der sich über Mülleimer hermacht, wie ein zorniges Kind Zweige von den Bäumen der Alleen bricht und die herabstürzenden Tropfen in jeden Winkel wirbelt, wer in den Betten liegt
– Es geht etwas vor
wird durch das Trommeln gegen die Fensterscheiben und heruntergelassenen Rolladen dazu ermuntert, sich tiefer in den Schlummer zu begeben, niemand wagt sich um diese Zeit freiwillig nach draußen, sag es mir, wo bist du gewesen
– Wo gehst du hin
wenn du dich aus dem Atelier schleichst, wenn du
(wie ich weiß)
im Werkzeug wühlst, was uns trennt, was uns noch nicht trennt, die Nacht das Zepter in der Hand, wie es aussieht, wird es einen neuen Tag nicht geben
-Ein Traum
wenn es gut geht, läuft es auf ein Unentschieden hinaus, die Sonne brennt ein diffuses Licht in die Schwärze, ohne sich auch nur einmal sehen zu lassen, das Ergebnis ist ein nebelverhangener Schleier, der wie eine Glocke über allem hängt
(kein Traum, sondern)
niemand ist da, um die Gestalt in dem knöchellangen Mantel zu beobachten, die dem Wind trotzt, ihre linke Hand faßt den Kragen enger, als würde sie sich selbst würgen, die rechte trägt einen hellen Ballon, torkelnd kommt das Wesen, sich weit nach vorne beugend die Straße entlang, hält im Torbogen kurz inne und müht sich weiter zum Rain, seit 1478 das Festgelände, dort findet es, was es sucht
– Da geht etwas vor sich und du wirst mir nicht erlauben, was es ist
(einen Pfahl, an dem noch lose ein paar Drahtreste hängen)
der Draht ist unwichtig, aber auf dem Pfahl soll das Ding, das der Mann mit sich führt, seinen Platz einnehmen
– Sei ruhig, sei wieder ruhig
vereinzelt tropft immer noch Blut aus dem abgeschlagenen Kopf, rinnt durch den Regen begünstigt das Holz hinunter als er aufgespießt wird
(werden es morgen wissen)
der Umfang des Pfostens ist wie eigens dafür geschaffen in den abgehackten Hals zu gleiten, kurz betrachtet der Unheimliche sein Werk, nickt
(und das Haus hat Schaden genommen)
und schlenderte an der Unteren Mühle vorbei Richtung Rotmoos, wo er verschwindet
– Es geht etwas vor
– Was denn
sei ruhig, es war nur ein Traum, ein Traum, der dich einlud, vor die Türe zu sehen, aber da war nichts
– Aber es geht etwas vor
– Aber da ist nichts, nur ein Wetter
nur das Wetter gegen das Haus, alter grober Wind, was bläst du so stark
(alter grober Wind)
wie eine übermütiges Kind

Andrè Breton

Breton in einigen wenigen Sätzen zu grundieren, ist ein unmögliches Unterfangen. Ob man ihn nun als den Begründer der einflussreichsten künstlerischen Bewegung, die es jemals gab, anerkennt, oder ihn zum letzten Vertreter der europäischer Intelligenz ausruft. Im Vordergrund steht kein literarisches Schaffen im herkömmlichen Sinn, was Breton sein wollte, war er ganz und gar. Es ist bezeichnend, dass der kontinentale Surrealismus durch ihn initiiert, verstörte und aufbegehrte, beinahe exaktamente mit seinem Ableben ebenfalls das Zeitliche segnete, während der Geist dieser Lebenshaltung – man kann sagen – nach Lateinamerika auswanderte, wo er nicht zuletzt durch Bretons Busenfreund Octavio Paz (aber auch durch Neruda) zu höchsten Weihen fand.

Auswahlbibliothek:

Die Manifeste des Surrealismus
Die magnetischen Felder
 (mit Soupault)
Nadja
L’amour Fou
 (in einer grottenschlechten Übersetzung bei Suhrkamp)

Auch nur ein Hund

Und die Ursel näht den Knopf an und die Ursel kann auch kochen. Königsberger Klopse. Das ist das Beste von ihr. Zunächst die Pellkartoffeln kochen. In der Zwischenzeit die Zwiebeln fein würfeln und in zehn Gramm Margarine glasig dünsten. Da huscht sie um den Tisch herum und ganz verstohlen blickt der Kurt auf seinen angenähten Knopf. Abgekühlt zum Hack geben. Das frische Hack hat der Herr Lekywizc selbst durch den großen Fleischwolf gedreht. Zuvor hat er selbst das Kalb entleibt. Davor hat er es selbst aus dem Uterus gerissen. Davor hat er es selbst gezeugt.

Das Hack mit dem Ei, Paniermehl, Pfeffer und Salz gut vermischen.

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Phantom

Eines Abends, als der Regen in feinen Fäden vom Himmel fiel, saß ich wieder in einem dieser anonymen Cafés. Die Wände waren grau, das Licht zu schwach, um Schatten zu werfen, und die Luft war erfüllt von einem dumpfen Summen, das keinen Ursprung erkennen ließ. Es war die Art von Ort, in dem alles bedeutungslos wurde, weil nichts genug Substanz besaß, um Bedeutung zu erlangen.

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Der junge Wein

Arkadia liegt, auf unserer Weltkugel daheim, etwa 1741 km südöstlich von Paris; in der Phantasie ist Arkadia überall.

Die nackten Leiber glitten, berauscht vom jungen Wein, übereinander hinweg,
verkanteten sich an den geschwollenen Genitalien, fanden saftig zueinander,
im Fluss ihres Liebessaftes.

Bacchus stand inmitten der Felatio,
Wein darbietend, Lüste schürend

die sich miteinander verbanden,
den Wein in ihre aufgerissene Vagina gossen, bevor ein neues Gemächt von hinten in sie einfuhr,
den Mädchenanus voller Trauben

Gerbstoffe troffen von den schönen Gesichtern
Bacchus
ergoss sich Wein in einem nie enden wollenden Quell,
stimuliert von verzückten Weibchen, die selbst schon nur noch Wein urinierten

jeder trank von jedem und der Hain wurde befruchtet,
um im nächsten Jahr wieder Blüte zu tragen

Unter Huf & Egge

Alle Gewässer fallen zusammen und alle Städte fallen zusammen, am Strom, am großen Knoten, Zeitenkelch; der Brunnen gibt und nimmt das Wasser. Die Tropfen in den Kelchen, Pfannen, Augen, sie kochen hoch und regnen davon. Ich suche dich und finde mich, ich brenne aller Feuer mit. Willst du mich wiedersehen, dann reise in das Gestern Zug um Zug, nur langsam mit den Stunden. Erschüttert von den Jahren, die nicht wiederkehren, die neu geträumte Erde jeder Nacht, die heißen Rätsel ihrer Mitte. Als ich die Schatten sehe, spreche ich sie an: »Was tut ihr dort im Morgenrot?«
»Wir ernten«, sagen sie. »Wie weit willst du noch wandern?«
Die tausend Wege haben tausend Köpfe, nichts habe ich für mich getan. Ich will den Blick nach innen wagen, wie viele das schon vor mir taten, wie so viele, die sich ins Feld gesetzt und sangen für den Mais. Die große Schlange ist Ernährer und fordert ihre Opfer ein. Wenn der Sänger das Symbol erforscht, wird er hinter den Verstand geführt, hinter die Spiegel und Pfützen.
»Hier erschaffen wir neues Ackerland«, sagen sie. »Unsere Erde ist unter Huf und Egge.«