Dr. Anna Fox lebt allein in ihrem schicken Haus in einem vornehmen Viertel von Harlem. Seit einem mysteriösen Unfall vor fast einem Jahr leidet Anna an einer schweren Agoraphobie und ist unfähig, einen Fuß vor die Tür zu setzen oder mit anderen Menschen zu interagieren. Ihr Mann und ihre Tochter stehen ebenfalls auf der Liste, und obwohl Anna sie liebt und vermisst, sind beide ausgezogen, um sie nicht mit „zu viel Kontakt“ zu belasten.
Anna erhält regelmäßige Besuche von ihrem Physiotherapeuten und ihrem Arzt, der ihr weiterhin Tabletten verschreibt, die Anna zusammen mit ihren Einkäufen und allem, was sie sonst noch braucht, zu sich nach Hause bringen lässt. Die Zeit vertreibt sie sich mit Online-Schach, Filmen und – vielleicht ihr liebstes Hobby – am Fenster zu sitzen und die Nachbarn zu beobachten. Eigentlich besteht ihr Leben aus einer Mischung aus Leute beobachten und Trinken. Anna trinkt Wein wie kein anderer, und ja, sie lässt auch den nach Hause liefern.
Die Geschichte entwickelt sich zunächst langsam, während Finn seinen Plan ausarbeitet und die Dinge mehrere Züge vorausdenkt, ähnlich wie Anna auf dem Schachbrett. Alles kommt in Bewegung, als eine neue Familie auf der anderen Straßenseite einzieht. Zuerst scheinen sie ganz nett zu sein, und je länger Anna sie beobachtet, desto mehr scheinen wie die perfekte Familie … bis sie Zeuge von etwas Schockierendem wird.
Sie meldet, was sie gesehen hat, aber das führt zu nichts, denn Anna ist offensichtlich keine glaubwürdige Zeugin. Andere behaupten, ihre Geschichte sei falsch, und diejenigen, die sie widerlegen, sind keine alkoholkranken, tablettenschluckenden Einsiedler, so dass die Polizei ihnen natürlich eher glaubt als Anna. Selbst Anna fragt sich, ob sie nicht doch ein Glas Wein zu viel getrunken hat, während sie ihre Medikamente nahm, und beginnt an sich zu zweifeln. Vielleicht hat sie gar nicht gesehen, was sie zu sehen glaubte, überlegt sie, aber ihr Bedürfnis, die Wahrheit herauszufinden, führt zu weiteren schockierenden Momenten, während A.J. Finn in seinem Debüt den Spannungsfaktor auf die Spitze treibt.
Finn ist das Pseudonym von Dan Mallory, Vizepräsident und Chefredakteur von William Morrow, einem Imprint von HarperCollins. Im Jahr 2016 wurde berichtet, dass William Morrow die Veröffentlichungsrechte an The Woman in the Window erworben hatte, die für einen angeblich siebenstelligen Betrag versteigert wurden.
Angeblich benutzte Mallory das Pseudonym, um seine Karriere als Schriftsteller von der als Verleger zu trennen. Als Brancheninsider weiß Finn jedoch, was es braucht, um einen todsicheren Hit zu landen, und genau das ist ihm gelungen. Die Geschichte selbst ist nach über hundert Seiten eigentlich ziemlich vorhersehbar. Der geübte Leser wird nicht mit knallharten Enthüllungen überrascht. Das ist aber auch gar nicht nötig, denn Finn hat seine Geschichte wunderbar ausgearbeitet und setzt mehr auf die Entwicklung der Charaktere als auf unvorhersehbare Wendungen.
Während The Woman in the Window sich Vergleiche mit Gone Girl und Stieg Larssons Verblendung gefallen lassen muss, ist Finns Psychothriller tatsächlich eher ein Hitchcock-Thriller mit einer Prise Stephen King und einer kleinen Prise Harlan Coben.