Spuk im Stanley Hotel

Episode 001

Anmerkung

Wer seinen Glauben an Geister oder übersinnliche Phänomene auf die Probe stellen will oder seinen Skeptizismus in einem tiefen Ozean versinken lassen will, der kann sich hier über das Stanley Hotel informieren.

Musik

  • Kevin MacLeod / Walking Along
  • Gregor Quendel / Music Sketches
  • My Sins alone will wake the Dead
  • Rafael Archangel / Persistence

Im Herbst 1974 befanden sich Stephen King und seine Frau auf der Durchreise nach Estes Park, einer Stadt in Colorado, 80 Kilometer von Denver entfernt, ein beliebter Sommerurlaubsort und der Sitz des Rocky Mountain National Park, der am Big Thompson River liegt.

Wegen der zunehmend verschneiten Straßen waren sie gezwungen, sich eine Unterkunft zu suchen. Das Stanley, das einst zu den großen alten Damen des Westens gehörte, hatte schwere Zeiten hinter sich und war nur noch ein Schatten der Edwardianischen Zeit, um nicht zu sagen, es war alt und heruntergekommen. Als die Kings ankamen, erfuhren sie, dass das Hotel für den Winter geschlossen war – die Saison hatte ohnehin nicht viel hergegeben – und nur noch eine Notbesatzung war übrig, die den sanften Puls des Gebäudes in Betrieb halten sollte. Zahlende Gäste konnte man jedoch unter keinen Umständen ablehnen, und schon gar nicht, wenn es sich um jemanden handelte, der die Aura einer mächtigen Zukunft ausstrahlte Das Paar wurde als einzige Gäste in der Präsidentensuite einquartiert, dem heute berühmten Zimmer 217. Während Tabitha King nur die Fortsetzung der Reise im Kopf hatte und sich bereits zu Bett begeben hatte, schlenderte King durch die langen, leeren Gänge und trank mit Grady (einem Barkeeper, dessen Existenz nie bewiesen wurde) einen Drink, bevor er sich ebenfalls für die Nacht zurückzog. Verwunderlich ist es nicht, dass sich ein Alptraum auf ihn stürzte, in dem sein Sohn von einem besessenen Feuerwehrschlauch durch die Gänge gejagt wurde. Möglicherweise wussten die Geister von der Ankunft eines berühmten Schriftstellers und wollten sich als eine eigene Geschichte aufdrängen. Dafür mussten sie nicht viel tun, nur ein wenig Atmosphäre erzeugen, auch wenn ein Feuerwehrschlauch, der ein Kind jagt, von einem abenteuerlichen Humor zeugt. Schweißgebadet erwachte der Autor und während er eine Zigarette auf dem Balkon mit Blick über die Rocky Mountains rauchte, hatte er die Grundzüge für seinen dritten Roman The Shining bereits in Gedanken ausgearbeitet, denn jede Geschichte beginnt mit einem Was-wäre-wenn.

Die Welle des Geistertourismus nach der Veröffentlichung des Buches im Jahr 1977 ist noch immer ungebrochen, auch dank der Verfilmung von 1980 unter der Regie von Stanley Kubrick und mit Jack Nicholson in der Hauptrolle. Dieser Film läuft in dem gehobenen Hotel nonstop auf einem eigens dafür vorgesehenen Kanal, ungeachtet der Tatsache, dass Kubricks Version erheblich von der Kings abweicht.Man nimmt aber, was man kriegen kann, und wenn gleich zwei berühmte Männer die Chance auf einen zweiten Frühling ermöglichen, warum nicht?

Auch wenn The Shining das Stanley wieder auf die Landkarte brachte, war das Hotel schon Jahrzehnte vor Kings Besuch als Ort paranormaler Aktivitäten bekannt. Im Sommer 1903 reisten der amerikanische Erfinder Freelan Oscar Stanley und seine Frau Flora in die Rocky Mountains, um Freelans Tuberkulose zu heilen. Die frische Bergluft wirkte Wunder für seine Gesundheit, und am Ende des Sommers hatte das Ehepaar ein Stück Land in Estes Park erworben. 1907 begannen sie mit dem Bau des Hotels.

Es gibt verschiedene Theorien über den Ursprung der paranormalen Vorkommnisse. Einige führen ihn auf die Ute- und Arapaho-Stämme zurück, auf deren Land das Hotel erbaut wurde. In den 1850er Jahren hatten die Arapaho ihre Sommerlager in der Nähe des Mary’s Lake aufgeschlagen, wo ihre Feuerstellen, Tipis und Tanzringe noch immer sichtbar sind. Aber die gängigste Meinung ist, dass die Geister, die heute durch die Hallen spuken, die Stanleys und ihre Angestellten sind, die dem Hotel für immer die Treue halten, denn nicht nur taucht Mr. Stanley regelmäßig an der Rezeption auf, auch seine Frau Flora, eine Pianistin, kann man manchmal im leeren Musikzimmer hören. Von den Bediensteten wäre Miss Wilson zu nennen: 1911 betrat die oberste Reinigungskraft des Hotels Zimmer 217 mit einer brennenden Kerze, deren Flamme den Dunst eines Gaslecks auffing und eine Explosion auslöste. Wilson überlebte und arbeitete bis weit über ihr 90. Lebensjahr hinaus im Stanley. Als sie starb gingen bald darauf im Hotel Berichte über ein geisterhaftes Zimmermädchen ein, das durch geschlossene Türen in den renovierten Gästezimmern schwebte. Unverheiratete Paare, die sich ein Bett teilten, klagten über eine unsichtbare Kraft, die sie im Schlaf auseinander drückte, und alleinstehende Männer wachten auf und stellten fest, dass ihre Koffer gepackt und vor der Tür abgestellt worden waren.

Und es gibt Paul, den Nachtwächter, der Zigaretten und Alkohol liebte und den Hotelgästen sagt, sie sollen sein Zimmer verlassen, wenn die Sperrstunde naht. Pauls Zimmer ist ein nicht gekennzeichneten Raum am anderen Ende des Flurs, der wie eine Abstellkammer aussieht und genauso muffig riecht. Die meisten Gäste, die diesen Raum betreten, berichten über Schmerzen in der Brust, was kein Wunder ist, schließlich starb Paul an einem Herzinfarkt.

Einige Orte sind spirituell aktiver als andere. Gäste sprechen stets von seltsamen Vorkommnissen, von schattenhaften Gestalten, von unheimlichem Gelächter, flackernden Lichtern und Gegenständen, die sich von selbst bewegen. Das alles geschieht quasi in jedem Raum des Hotelgeländes, zu dem auch eine jahrhundertealte Lodge und ein Konzertsaal gehören. In den letzten Jahrzehnten war der Campus Schauplatz unzähliger paranormaler Untersuchungen, unter anderem durch Teams professioneller Geisterjäger. Aber nicht nur Profis dürfen hier spielen. Übernachtungsgäste, die sich für die “Geister-Tour” entscheiden, erhalten ein Zimmer im berüchtigten vierten Stock, ein elektromagnetisches Feldlesegerät im Taschenformat und andere geisterhafte Accessoires, darunter eine Tasse mit der berühmten Aufschrift “REDRUM” – Mord rückwärts buchstabiert -, die dank Kings Roman in das Lexikon der Popkultur eingegangen ist.

Was den Spuk angeht, ist das Hotel eine Art Phänomen. Normalerweise haben Spukorte eine Geschichte mit viel Blut und Tod, aber im Stanley gibt es das nicht, was die Leute oft verblüfft. Tatsächlich gibt es hier im Durchschnitt genauso viele Todesfälle wie in jedem anderen Hotel.

Es überrascht nicht, dass das am meisten nachgefragte Zimmer des Hotels 217 ist, in dem King bei seinem schicksalhaften Besuch vor über 40 Jahren übernachtete – ein Zimmer, von dem es heißt, dass es Jim Carrey veranlasste, während der Dreharbeiten zu “Dumm und Dümmer” im Jahr 1994 mitten in der Nacht auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Das eigentliche Geisterzentrum des Stanley und der berüchtigtste aktive Ort befinden sich jedoch zwei Stockwerke höher. Als King das leere Hotel besuchte, hatte er angeblich freie Hand und spazierte hier hinauf, als es noch ein weitläufiger Dachboden war, der sich von Gaube zu Gaube erstreckte, spärlich beleuchtet und mit in Laken gehüllten Möbeln vollgestopft. Vielleicht hatte er dadurch seinen Alptraum ausgelöst. Heute beherbergt der Dachboden 25 Gästezimmer.

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