Bartholomäus: 6 Wie heißt dieses Nest?

Bartholomäus suchte den Boden um die Telefonzelle herum nach Zigarettenkippen ab. Viele waren es nicht, aber einige von ihnen klaubte er in seinen Brotzeitbeutel, um sie später zu rauchen. Die meisten lagen schon etwas länger, waren nass geworden und wieder trocken – und erneut nass. Eine größere Beute machte er in den Kneipen, von denen es hier gleich drei gab. Aber ließ man man ihn überhaupt rein? Gestand man einem Verirrten zu, die Nachtwächter zu trinken und vielleicht auf dem Klo rumzustehen? Er versuchte es. Tatsächlich schenkte ihm der Wirt des Gasthofs zwei Krüge randvoll.

Als gehörte er weniger zu den Menschen als zur Straße, den Gebäuden, den Fassaden, als wäre er aus Staub gebaut und nur peripher zu erkennen, wenn der Blickwinkel eine bestimmte Position einnahm, tappte Bartholomäus die Stufen zum Gasthof hinauf, der auf den ersten Blick wie eine Räuberhöhle wirkte, wie ein vergessenes Relikt, das in der Zeit nicht mitgenommen wurde. Die Wände waren karg, eine Leinwand für Licht und Schatten. Die Schritte, mit denen Bartholomäus den Weg ertastete, erfüllten den letzten Winkel der großen Stube. Niemand saß auf den Holzstühlen, nur das Kühlaggregat ächzte und blubberte einen Willkommensgruß. Trampelnde Echos mutierten wie in einem Höllenstollen zu einer hallenden, hypnotischen Akustik.

»Sie gibt Ihnen also immer noch nichts?«

Woher die Leute doch so viel wussten. Er gäbe all das, was er freilich nicht besaß, dafür, auch nur einen Bruchteil davon über sich selbst zu wissen. In seinen Träumen wusste er alles, sah sich inmitten einer Flammenwand stehen, aber das brachte ihm nicht viel ein.

Bartholomäus blieb stehen, fasste in seine insektensteife Manteltasche und schüttelte den halb mit Kippen gefüllten Brotzeitbeutel. Asche raschelte, Kippen taumelten. »Seitdem es keine Zigarettenwerbung mehr im Fernsehen gibt, weiß ich nicht mehr, was ich rauchen soll.«

Der Wirt bückte sich, griff nach einem Zuber und stellt ihn vor sich hin. »Verstehe Sie nicht, gibt doch überall Werbeplakate. Die sagen es Ihnen.«

Die Nachbarhäuser wisperten, angefasst vom Wind. Hopfengeruch kräuselte aus den Fensterritzen.

»Aber niemand spricht mehr mit mir.« Bartholomäus packte das Aschegefäß mit beiden Händen und füllt seinen Beutel, trank das schaumlose Bier, das über Nacht in der Leitung gestanden hatte und verzog sich in Richtung Bahnhof, in dem an kalten Tagen der Ofen brummte. Niemand war da, der ihn schürte, aber heiß war er immer. Er zog sich dorthin zurück, um nachzudenken. Er mistete für Esrabella Gräf die Hühnerställe aus, klaubte fedrige Eier ein und durfte dafür in einer Hütte übernachten, die in den Wald hineinstach. Das war nicht weit von jener Stelle entfernt, an der das Undenkbare stattgefunden hatte. Aber auch diese Erinnerung ging ein in die Sphäre seiner Träume.

Die Witwe selbst wirkte, als er sie zum ersten Mal sah, weniger bedrohlich, weniger hexenhaft, wenn sie nicht in Begleitung dieser überaus verrückten Erscheinungen gewesen wäre, die sich wie Clowns in einem Pantomimenzirkus benahmen und die aufgetaucht waren, als er schon geglaubt hatte, dem Lynchmob nicht mehr entkommen zu können.

»Wie heißt denn dieses Nest?« Normalerweise interessierte sich Peter Krüger nicht dafür, aber wie es aussah, würde er hier etwas länger bleiben.

»Steht doch auf dem Schild«, sagte der Wirt.

»Ich kann nicht lesen. Kriegsverletzung.«

»Schwarzenhammer.«

Autor


Entdecke mehr von Die Veranda

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Schreibe einen Kommentar