Wie hätte er es anstellen sollen, dass es so schnell vor sich ging, er neben ihr saß, die Hände unter allem, was ihre Haut bedeckte? Hast du den Gestank bemerkt? Du wirst ihn nie wieder irgendwo sonst entdecken; ihn zu beschrieben bleibt eine Herausforderung, zu erraten, was es ist, wird dich schlaflos zurücklassen. Ihr Postfach belief sich auf die Ziffern 1, 1, 6, 6, was eine Quersumme von 14 ergibt, weiter 5, auch wenn man 11 mit 66 multipliziert, also 671 erhält, lautet die Quersumme 14. Die Doppelwoche, die von Vollmond zu Neumond reicht, oder die Anzahl der Teile, in die Osiris von seinem Bruder Seth geschlagen wurde.
Die Viole mit dem Blut Luzifers weiterlesenGuter heißer April
Ein Buch führt zum nächsten Buch, Upnek’hat, Enuma Elish, zog vorüber an Tagesblättern, Revuen, Broschüren, Postkarten, verschmähten Resten, die nach einer gewissen Zeit unauffindbar sein werden
sie hatten sich geliebt im Hochzeitsbett des Marduk, jetzt gibt es dort Weinbergschnecken und Entenmuscheln, Bordeaux im goldenen Glas
die Tür aufmachen und gehen, irgendwohin, einen Bau betrachten, innehalten in einem Kaufhaus, stocksteif stehen
ein guter, heißer April; kein Grund, jemals an das zu denken, was du heute vorfindest : einen kühlen April, einen April danach, Skizzen ordnen
der Fremde nickt den Bergen zu, der zweite Fremde weicht aus, die an der Kasse nimmt das lächelnde Geld mit den Schultern. Du.
Rufst jemanden an : »Wie verschwindet man spurlos?«
Unterschiedliche Töne und Szenarien, die lose von der Decke hängen wie Lappen, die auf einen Tisch geworfen wurden. Der bärtige Kontinent, der seine Magie an die Ränder hinausdrängt : Andalusien, Normandie, Bretagne, Irland, Skandinavien, Britannien, Griechenland.
Niemand betritt das Haus des Gestern
Dechiffriertes Bild : immer zur selben Zeit, ein Spuk am simulierten Tag, ein Winkel ist Schatten genug. Den Blick darauf zu richten oder den Blick nicht darauf zu richten, die Augen abwenden oder heimlich eine unmögliche Position einnehmen. Etwas Ungewöhnliches tun, das alles, bevor die Zeit abgelaufen ist. Der Instinkt eines weiteren unsinnigen Tages entvölkert alle Verpflichtungen, vielleicht mit Wasser in den Ohren oder einem Okular auf der Nase, hin und her gehen ohne Ziel, nur hin und her wogen, in Gedanken an das letzte Erlebnis ohne Körper, mit den Schafen Gras rupfen und mit einer Katze zusammen aus einer Regenpfütze trinken.
Diejenigen, die stehen bleiben, unterbrechen sich, begegnen ihren ungesehenen Winkeln. Die Verrücktheit ist ein fremder nasser Schoß, die einzige Rettung für den Gaumen, der das Dorf beherbergt, der Laden wird gleich schließen, niemand betritt das Haus von gestern oder wiederholt seine Worte.
Gliederlose Schweißperlen
Ich strecke die Hände aus, auch im Geiste, die Hände aus nach dir. Du windest dich, ich halte es für einen Tanz. Manchmal tanzt du, windest dich nicht, ergibst dich dir selbst, und ich mache mich über dich her, beuge mich nach vorne, zu dir hin, in dich hinein, durch dich hindurch. Ein Ort, an dem deine Kräuter wachsen. Ich bin verloren. Wie ich mich in deinen Gewittern winde, Blitzfinder im Regen. Ich gehe den Weg unaufhörlich, finde mich auf mich selbst wartend vor, nur um mir zu sagen, geh weiter, wer immer du auch bist. »Wer bist du?«, rufe ich und sitze bereits in dir, halte Kräuter in der Hand. Du wirst mich finden, die Orakel werden meinen Namen nennen, die Wurzeln werden nach dir greifen, die Vögel werden deine Ohrentrommel bersten lassen durch Lieder, Lieder, Lieder, die meinen Namen singen, die meinen Namen kreischen, die meinen Namen kennen. Stets du die Biene, der geöffnete Kelch, der von der Sonne trinkt. Stets ich das Aufflattern der Pollen, stets wir der Honig des Leibes, golden flüsternd die Unendlichkeit zweier Körper bedeckend, gliederlose Schweißperlen rinnenden Harzes, das überbordende Weltenall, das sich selbst erblickt. Auf Stufensteinen hinauf zum Mond, in den Tann, in rätselhafte Momente, in Staub, ewigen Staub, des Leibes Durst, der Kehle Durst, der Kehlen Durst. Die goldenen Eier des Widders. In den hinteren Auen, am Tanzplatz dort, an dir, nah an dir dran, dir dran. Ich komme aus allen Trögen, Flaschen, Fässern. O sprich mir in den Mund die Lieder, höre mir das Herz heraus!
Pupillenängste
Glotzende Gesichter. Pupillenängste; eine lachende Taube in einer nichtbeleuchteten Gasse; die Stille hat ein Gesicht, zeigt sich im kalten Stein, poliert, erinnert an die Vergänglichkeit. Unkraut umrankt eine Oase des Friedens, Verlassenheit lehnt sich aus einem dunklen Fenster. Die Tür ist schwer zu öffnen, es riecht nach gar nichts. Bilder vergangener Tage ziehen gleichmütig vorbei, kein Vogel pfeift : niemals; kein Blatt fällt: jemals. Irgendwann muss man eines Tages Tagwerk beginnen. Aufgeblasene Scham, pumpende Energie, wie ein Schiff, senkrecht angeordnete Zylinder, Schaufelräder gegen Wind und Flut. Wo wohnst du? Bei der Nachbarin im Bett. Stinkende Straßen, kalte Keller : dreh dich doch einfach mal um!
Ich rittere nach dem Gral, folge den Zeichen, plane nichts. Die Pfütze, die sich nach einem Tritt nicht leert, der Fuß, der darin verschwindet (die Wasserflut schwappt über den Schuh hinweg, rankt das Bein hinauf). Da ist ein Loch, ein verrücktes Loch (im Universum). Diese Löcher; wie wäre es mit uns? Abgetaucht, die Atemluft wird knapp, die See; sieht das denn niemand? Die See auf langer Wanderschaft. Sieht das denn niemand: da ertrinkt doch einer!
Die Sehkraft schwindet, aber der Wald ist da, durch den das Frühjahr gerade gezogen kommt. Obskurer Wechsel der Ortschaft, da blättert es, dort grünt es, Blick in das schlanke Rauschen (auch Tanzen der Zweige); beschlagene Räder, Deichsel der Zeit. Jemand macht sich auf, dem Geräusch entgegenzugehen. Unsere Welt, das ist eine Welt der Wahrnehmung; ändern wir die Wahrnehmung, ändern wir die Welt. Kommt mir bekannt vor, so dreckig hier unten.
»Sie zogen mich durch den Schweinepfuhl!« (Du erfindest dir Geschichten.)
Ich erinnere mich an die Speisen vor hundert Jahren, ich erinnere mich an dich und an die Bibliothek : jedes Buch hatte Flügel, aber keine Seiten. Alle Bücher schreiben sich selbst.
Sie kamen am hellichten Tag, wir bohrten Früchte aus dem Acker, der wenig hergab in diesem Jahr. Was übrigblieb (die Vogelscheuchen fielen um, so fragil erbaut), verschlangen die kehlenden Krähen, wie Totenvögel sahen sie aus, rissen den Strohkopf von deinem Leib. Mit der Axt wollten wir die Ernte retten, die Vögel klagten.
Regen in der Stadt
Regen in der Stadt, er bringt die Oberflächen zum Glänzen
(reinigt die Skulpturen menschlicher Behausung)
der Wetterbericht, der Sturm nicht angekündigt, der sich über Mülleimer hermacht, wie ein zorniges Kind Zweige von den Bäumen der Alleen bricht und die herabstürzenden Tropfen in jeden Winkel wirbelt, wer in den Betten liegt
– Es geht etwas vor
wird durch das Trommeln gegen die Fensterscheiben und heruntergelassenen Rolladen dazu ermuntert, sich tiefer in den Schlummer zu begeben, niemand wagt sich um diese Zeit freiwillig nach draußen, sag es mir, wo bist du gewesen
– Wo gehst du hin
wenn du dich aus dem Atelier schleichst, wenn du
(wie ich weiß)
im Werkzeug wühlst, was uns trennt, was uns noch nicht trennt, die Nacht das Zepter in der Hand, wie es aussieht, wird es einen neuen Tag nicht geben
-Ein Traum
wenn es gut geht, läuft es auf ein Unentschieden hinaus, die Sonne brennt ein diffuses Licht in die Schwärze, ohne sich auch nur einmal sehen zu lassen, das Ergebnis ist ein nebelverhangener Schleier, der wie eine Glocke über allem hängt
(kein Traum, sondern)
niemand ist da, um die Gestalt in dem knöchellangen Mantel zu beobachten, die dem Wind trotzt, ihre linke Hand faßt den Kragen enger, als würde sie sich selbst würgen, die rechte trägt einen hellen Ballon, torkelnd kommt das Wesen, sich weit nach vorne beugend die Straße entlang, hält im Torbogen kurz inne und müht sich weiter zum Rain, seit 1478 das Festgelände, dort findet es, was es sucht
– Da geht etwas vor sich und du wirst mir nicht erlauben, was es ist
(einen Pfahl, an dem noch lose ein paar Drahtreste hängen)
der Draht ist unwichtig, aber auf dem Pfahl soll das Ding, das der Mann mit sich führt, seinen Platz einnehmen
– Sei ruhig, sei wieder ruhig
vereinzelt tropft immer noch Blut aus dem abgeschlagenen Kopf, rinnt durch den Regen begünstigt das Holz hinunter als er aufgespießt wird
(werden es morgen wissen)
der Umfang des Pfostens ist wie eigens dafür geschaffen in den abgehackten Hals zu gleiten, kurz betrachtet der Unheimliche sein Werk, nickt
(und das Haus hat Schaden genommen)
und schlenderte an der Unteren Mühle vorbei Richtung Rotmoos, wo er verschwindet
– Es geht etwas vor
– Was denn
sei ruhig, es war nur ein Traum, ein Traum, der dich einlud, vor die Türe zu sehen, aber da war nichts
– Aber es geht etwas vor
– Aber da ist nichts, nur ein Wetter
nur das Wetter gegen das Haus, alter grober Wind, was bläst du so stark
(alter grober Wind)
wie eine übermütiges Kind
Andrè Breton
Breton in einigen wenigen Sätzen zu grundieren, ist ein unmögliches Unterfangen. Ob man ihn nun als den Begründer der einflussreichsten künstlerischen Bewegung, die es jemals gab, anerkennt, oder ihn zum letzten Vertreter der europäischer Intelligenz ausruft. Im Vordergrund steht kein literarisches Schaffen im herkömmlichen Sinn, was Breton sein wollte, war er ganz und gar. Es ist bezeichnend, dass der kontinentale Surrealismus durch ihn initiiert, verstörte und aufbegehrte, beinahe exaktamente mit seinem Ableben ebenfalls das Zeitliche segnete, während der Geist dieser Lebenshaltung – man kann sagen – nach Lateinamerika auswanderte, wo er nicht zuletzt durch Bretons Busenfreund Octavio Paz (aber auch durch Neruda) zu höchsten Weihen fand.
Auswahlbibliothek:
Die Manifeste des Surrealismus
Die magnetischen Felder (mit Soupault)
Nadja
L’amour Fou (in einer grottenschlechten Übersetzung bei Suhrkamp)