Die brennende Stadt, Kapitel 2 (Enwor #2)

Im ersten Kapitel werden wir von Hohlbein direkt ins Geschehen geworfen und befinden uns mit einer Heldengruppe auf dem Weg nach Combat. In Kapitel 2 erfahren wir nun zumindest einen Teil der Hintergründe. Hohlbein webt uns die Vergangenheit und Combat selbst von Kapitel zu Kapitel ineinander. Allerdings gibt es hier nicht wirklich eine Einteilung in Kapitel, es finden sich nur kurze Trenner. Für unser Deep-Reading ist es aber besser, sich an (fiktive) Kapitel zu halten.

Enwor Karte
Enwor, Südosten

Wie eine Vision aus einer längst vergangenen Zeit liegt Combat jetzt vor ihnen, eine Stadt aus titanischen Säulen, gewaltigen Kuppeln und makellosem weißen Stein. Doch das Seltsamste ist nicht ihre Größe oder ihre Bauweise, sondern die Flammen, die sie umhüllen. Ein Meer aus Feuer lodert über den Straßen, schwappt gegen Mauern, umarmt die Türme – und doch bleibt Combat unberührt. Die Stadt, die dem Atem der Götter zum Opfer gefallen ist, steht noch immer, während die Flammen toben, als wären sie nichts weiter als ein Vorhang aus Hitze und Licht.

Skar steht am Rand des Plateaus und begreift, warum sie hier sind. Warum Vela, die geheimnisvolle Errish, alles daran gesetzt hat, Combat zu erreichen. Denn tief in der Stadt verborgen liegt eine Macht, die selbst die Flammen der Götter überdauert hat. Die Götter hatten die Erbauer Combats vernichtet, ihre Körper in Asche verwandelt und ihre Namen aus der Geschichte getilgt, aber vermutlich ist es der Stein der Macht (der Grund, warum sie alle hier sind), der die Stadt unversehrt hält. Wer ihn besitzt, wer seine Kraft entfesselt, wird nicht nur Combat beherrschen – sondern die ganze Welt, und genau darauf hat es Vela abgesehen.

Die brennende Stadt

Noch nie zuvor hat Skar so deutlich gespürt, dass er nur eine Spielfigur in einem viel größeren Spiel ist. Gowenna, die ihn bisher kaum eines Blickes gewürdigt hat, erklärt ihm, das es einen Weg in die Stadt gibt, ohne zu verbrennen. Tief unter Combat erstreckt sich ein uraltes Netz aus Tunneln, verborgen unter den Mauern. Einst aus dem Fels geschlagen von den Erbauern selbst, um die Stadt zu verbinden, um das, was tief in ihrem Kern verborgen liegt, zu bewachen. Doch Gowenna war schon einmal dort. Und sie weiß, was unten wartet. Wesen. Dinge, die nicht sterben können. Skar erkennt, was das bedeutet. Gowenna hat bereits versucht, den Stein der Macht zu erreichen. Und sie ist gescheitert. Aber sie spricht nicht darüber, so wie sie überhaupt einen abweisenden Eindruck macht.

Ikne

In einer Rückblende sehen wir Skar, der sich seit sechs Monaten in Ikne aufhält. Del und er blicken einem Stadionkampf entgegen, bei dem es nicht um Leben oder Tod geht, sondern im Grunde nur um Geld, das die beiden benötigen, um ihre Schulden zu bezahlen und dann weiterziehen zu können. Hier bekommen wir einen eingeflochtenen Hinweis auf den ersten Band, als Del und er versuchten, die Nonakesh-Wüste zu durchqueren, auf der Flucht vor den Quorrl. Man könnte zwar meinen, das seien die “Orks” in Enwor, aber weit gefehlt! Auch wenn sie als die größte Bedrohung für Enwors Zivilisationen dargestellt werden, bewegt sie doch etwas anderes. Was das ist, werden wir wohl erst später erfahren.

Raches Wacht
Rache, zwei betrunkene Soldaten und groß im Hintergrund: Gowenna

Der Sturm hat die Straßen leergefegt, der Regen prasselt in Sturzbächen auf die Stadt nieder. Selbst das Händlerviertel, sonst bis tief in die Nacht belebt, liegt verlassen da. Doch in einem Haus brennt immer Licht: In Raches Wacht. Die heruntergekommene Taverne ist der einzige Ort in Ikne, der rund um die Uhr geöffnet hat. Hier verkehren zwielichtige Gestalten, Soldaten, die sich an schlechtem Wein betrinken, und solche, die zu viel wissen. Skar betritt die Taverne in der Hoffnung, Del dort zu finden, schließlich sollten sie sich noch etwas ausruhen, bevor ihr Stadionkampf beginnt. Doch sein Kamerad ist nicht da, schlägt sich irgendwo in Ikne die Nacht um die Ohren. Stattdessen belauscht er ein Gespräch, das ihm eine neue Gefahr offenbart.

Der bevorstehende Kampf in der Arena ist eine Falle, heißt es da. Seit Wochen setzt die Stadt ihr Geld darauf. Skar und Del gelten als unbesiegbar, doch die Wettquoten sprechen eine andere Sprache. Eine Intrige ist gesponnen worden – wenn die richtigen Männer auf ihre Gegner setzen, werden sie reich. Und Skar? Er wird die Arena nicht lebend verlassen. Das Gerücht macht die Runde, dass der Scharfrichter bereits sein Beil geschliffen hat, falls die beiden Satai betrügen und wider aller Erwartung vorgeben, den Kampf zu verlieren.

Skar spürt die Blicke auf sich. Eine Fremde sitzt in einer dunklen Ecke, schlank, bewaffnet, und beobachtet ihn mit kalter Ruhe. Ihr Auftreten ist zu selbstsicher, zu kontrolliert, als dass sie nur eine gewöhnliche Besucherin sein könnte.

Die brennende Stadt - Priester

Als er die Schenke verlässt, folgt sie ihm in den Regen. Hier begegnet er also Gowenna zum ersten Mal. Mit dunkler Kapuze über dem Gesicht tritt sie aus den Schatten und fordert Skar auf, sie zu begleiten. Sie will mit ihm reden, doch nicht hier, nicht unter den Augen eines Wirtes, der zu viel weiß, und Soldaten, die sich alles zu ihrem Vorteil merken. Es gäbe einen Auftrag für ihn. Skar folgt ihr widerwillig, aber neugierig durch die dunklen Gassen, während der Sturm um sie tobt. Die Stadtmauer erhebt sich vor ihnen, und schließlich betreten sie ein verborgenes Haus, das tiefer in den Schatten liegt als alle anderen. Und dort wartet sie auf ihn: Vela, die Errish, eine der ehrwürdigen Frauen, die auch als Hexen bezeichnet werden. Geheimnisvollen Frauen, die aus den Schatten heraus die Geschicke der Welt lenken. Niemand kennt das wahre Gesicht einer Errish. Niemand weiß, woher sie kommen. Doch alle fürchten ihre Macht. Und jetzt steht eine von ihnen vor ihm und sieht fast aus wie ein junges Mädchen.

Skar musterte sie offen und mit einer Mischung aus Ehrfurcht und unverhohlener Neugier. Sie war noch jünger, als er im ersten Moment geglaubt hatte — vielleicht fünfundzwanzig, kaum älter, obwohl, wie er rasch in Gedanken hinzufügte, Jugend — äußerlich sichtbare Jugend — bei einer Errish nicht viel bedeuten mußte. Sie hatte ein hübsches, ehrlich wirkendes, rundes Gesicht. Um ihren Mund lag ein energischer Zug, und ihre Augen, dunkle Augen, blickten mit einer seltsamen Mischung aus Lebenslust und Ernst in die Welt. Ihr Haar war, wie bei den Errish üblich, im Nacken zusammengeknotet und von einer goldenen Spange gehalten; das einzige, was nicht grau war an ihr. Dunkles Haar, das sehr lang und sehr schön sein muß, wenn es offen herabfällt, dachte Skar. Aber was er sah, war nichts, denn ihr Äußeres war nur eine Maske, perfekt bis ins Letzte, doch nicht mehr als Schein. Niemand hatte je das wirkliche Gesicht einer Errish gesehen.

Doch Vela hat nicht vor, ihre Zeit zu verschwenden. Sie will, dass er den Stein der Macht aus Combat holt, und Skar hält das alles nur für Geschichten, die man sich am Lagerfeuer erzählt. Er lehnt ab, was Vela aber einkalkuliert hat. Sie gibt ihm Bedenkzeit, lässt aber durchblicken, dass sie ein Nein nicht akzeptieren wird.

Wir spüren hier also das Verhängnis bereits nahen. Wir haben einen anstehenden Kampf, der allem Anschein nach bereits abgekartet ist, obwohl Skar nichts davon weiß, wir haben eine Errish, die ein Ziel verfolgt und einen unnachgiebigen Satai. All das sind Voraussetzungen, die uns vorerst erklären, warum Skar durch ein eisiges Gebirge stapft, mit einem Lederbeutel um den Hals, der ein Gegengift enthält. Und auch wenn wir das alles erraten könne, ist es doch Hohlbeins Ausführung der Geschichte, die zwar ihre Schatten für den Leser stets vorauswirft, dann aber in eine Richtung mündet, die keineswegs so leicht vorauszusehen war.

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