Vom christlichen Satan über den islamischen Iblis und den hinduistischen Ravana bis hin zum zoroastrischen Angra Mainyu taucht die Idee eines singulären Wesens, dass das Böse repräsentiert, als kulturelle Allgegenwart immer wieder in den Annalen der Menschheit auf. Eine gegnerische Kraft, die sich im Kontext bestimmter Traditionen und Gesellschaften auf einzigartige Weise als Archetyp manifestiert.
Elizabeth Knapp starrt hinaus in die Dunkelheit, die nie so dunkel sein wird wie der Schatten des Codex Gigas, ein kollosales Ding von 75 Kilogramm, das in nur einer Nacht auf 160 Tierhäuten geschrieben wurde, das sie freilich überhaupt nicht kennt. Welche Magd hätte auch einen derart klugen Kopf besessen, hinter die Fassade der Furcht zu schauen. Es mag sein, dass die gefallenen Engel noch alles fest in ihren Krallen hatten und dass es dem Benediktinermönch Herman nur deshalb gelang, eingemauert im Kloster Podlaschitz den Teufel anzurufen. Gerufen hat wohl noch jeder, aber kam der Schwefelfürst denn auch? Hier wird es so gewesen sein müssen, denn die einheitliche Kalligraphie des Manuskripts, die sich durch den gesamten umfangreichen Inhalt zieht – darunter die gesamte lateinische Vulgata, medizinische Abhandlungen und magische Formeln -, lässt die Zeit von nur einer Nacht selbst für eine außergewöhnliche menschliche Willensanstrengung im Unmöglichen zurück. Was bedeutet es aber, etwas Unmögliches zu schaffen, wenn es doch unmöglich ist?
Die Schätzung gibt uns zumindest den Anhaltspunkt, dass ein Schreiber, der sich Tag und Nacht über das Papier beugt, in fünf Jahren einen letzten Punkt setzen könnte. Doch wer vermag so lange dem Schlaf zu entkommen? Und was, wenn doch die Aufgabe lautet, dieses Unding in nur einer Nacht zu schreiben, weil es sonst keinen Hals mehr geben würde, auf dem sich ein Kopf befindet, der die Finger anleitet, um zumindest fünf dieser Jahre durchzuschreiben, ohne auch nur ein einziges Mal abzusetzen?
Schließlich konnte der Mönch sein Gelübde nicht einhalten und steuerte seiner späteren harten Strafe bereits in den böhmischen Gassen einer sonderbaren Nacht entgegen, wo der weiße Schenkel einer Tochter Liliths ihn lockte. Wieder. Und wieder. Immer ein anderer Schenkel, aber immer der gleiche Lockruf.
Elizabeth Knapp hingegen fragt sich erneut: „Was wäre ich ohne den Teufel?“
Der Mönch, an den sie denkt, mag seit Jahrhunderten in der Tiefe der Erde ruhen, ein Pakt mit Luzifer mag ihn in jener Nacht vor der Verdammnis bewahrt haben, und es grenzt an ein Wunder, dass er sich durch das Schreiben der Teufelsbibel nicht noch tiefer in den Abgrund gestürzt hat. Er blieb eingemauert, aber lebendig. Und der teuflische Engel durfte sich sogar auf einer ganzen Seite selbst porträtieren, denn eine gewisse Eitelkeit kennt selbst die Pestblume, das Verderbnis unter schönem Schein. Für Elisabeth hatte der Teufel nur Böses im Sinn, aber das Versprechen von Reichtum, Jugend, und Freiheit bekam auch sie, bevor ihre Seele dann auf einer Kohlenrutsche nach unten fahren durfte, um im Heizraum der Hölle Kaffee zu kochen.
Dennoch möchte ich ein Wort zur Verteidigung der jungen Magd hervorbringen, die im 17. Jahrhundert in Groton, Massachusetts, als Hausangestellte dem örtlichen Reverend diente. Vielleicht war es ihre Gewöhnlichkeit, die sie ängstigte. Dabei hätte sie diese Eigenschaft als Segen auffassen sollen. Aber was wusste sie schon von der scheußlichen Welt, in der die Menschen hausen? Manchmal mag es nur ein kleines Ärgernis sein, das der Teufel registriert, ein widerspenstiges Streben, und sei es zu Beginn auch noch so harmlos. Das klingt vielleicht nicht nach einer Verteidigung, und doch: Im Alter von sechzehn Jahren begann Elisabeth, Symptome der Besessenheit zu zeigen. Es waren körperliche Schmerzen, die sie peinigten und deren Ursache sich nicht ermitteln ließ. Am heftigsten erschrak sie über die unnatürliche Stimme, die bei unpassenden Gelegenheiten aus ihrer Kehle kam. Aber kann es für dieses groteske Gebaren überhaupt eine passende Gelegenheit geben? Eine Besessenheit hört sich jedenfalls nicht nach der versprochenen Freiheit an, die ihr der Teufel bot. Vielmehr machte er sich selbst ans Werk, um ihre Hand gegen die Familie des Pfarrers zu erheben. Ihre Hand sollte mit Blut geschmückt werden, wie jetzt, da sie verloren im Wald umhertaumelt. Doch sie begann, sich zu weigern. Möglicherweise war sie nicht einverstanden mit einem zu frühen Betrug. Und also zögerte sie. Sie hielt mitten im Schwur inne, mitten im Fall – ein Augenblick der Weigerung, ein letztes Flackern menschlichen Widerstands. Und genau das, so sage ich, ist Grund genug, ihr zu vergeben – oder sie wenigstens anzuhören.
Reverend Samuel Willard dokumentierte die Ereignisse akribisch und zog Ärzte und Gelehrte zu Rate, um natürliche Ursachen auszuschließen. Erst nachdem er alle wissenschaftlichen Erklärungen ausgeschöpft hatte, schrieb er ihren Zustand tatsächlich einer dämonischen Besessenheit zu. Und Elisabeth trat als Zeugin ihrer selbst in den Ring. Sie gestand, dass der Satan sie in einen Pakt treiben wollte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich zu weigern, zur Mörderin zu werden, was zu einer Eskalation ihrer Anfälle führte. Der Reverend jedoch, dem wir diese Überlieferung zu verdanken haben, beendete seine Aufzeichnungen unbeschadet und Elisabeth Knapp entschwindet damit aus unserem Sichtfeld. Ich aber kann sie dort im Wald noch stehen sehen, und wie zu vermuten ist, wandert sie, mit einer kleinen Abfindung im Gepäck, die ihr der fromme Mann mitgegeben hat, in ein anderes Leben hinein.
Elisabeth ist außer Sicht. Ich vermute, sie wird ein Dorf gefunden haben und ihr Empfehlungsschreiben vorgelegt haben.
„Die Dame, die Ihnen das hier vorlegt, ist eine gute Christin. Stellen Sie sie ein.“
Schließlich weiß auch sie nur zu gut, was zwanzig Jahre zuvor in Salem geschah, gar nicht weit von hier. Der Reverend konnte sie unter keinen Umständen kurieren, also konnte er sie auch nicht behalten, ohne um das Leben seiner Familie zu bangen. Die Kladde, die der Teufel ihr zeigte, verbindet uns mit einem weiteren Schriftstück, das bis zum heutigen Tage nicht übersetzt werden konnte, auch wenn das Blutbuch, in dem Elisabeth sich neben vielen anderen Frauen eintragen sollte, keine einzige Zeile von ihm selbst enthält. Einen Seelenschwur scheint auch er nicht fälschen zu können, aber seine Handschrift haben wir trotzdem bekommen,und damit eine Kalligraphie seiner Klaue, die möglicherweise sogar seine Kenntnisse des Amharischen verrät, jener göttlichen und unveränderbaren Sprache also, die man im Garten Eden hören hätte können, wenn man sich damals in der Nähe des Baumes der Erkenntnis aufgehalten hätte, als Eva sie zum ersten Mal erklingen ließ, und die in ihrer Reinform noch immer in der Provinz Amhara in Äthiopien gesprochen wird.
Ihre ersten Worte richtete Eva allerdings nicht an ihren Gemahl, sondern an die Schlange, als sie ihr auf die Frage ‘Hat Gott wirklich gesagt, dass ihr von keinem Baum die Früchte essen dürft?‘ antwortete:
„Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet!“