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Schlagwort: Brouillon

Andrè Breton

Breton in einigen wenigen Sätzen zu grundieren, ist ein unmögliches Unterfangen. Ob man ihn nun als den Begründer der einflussreichsten künstlerischen Bewegung, die es jemals gab, anerkennt, oder ihn zum letzten Vertreter der europäischer Intelligenz ausruft. Im Vordergrund steht kein literarisches Schaffen im herkömmlichen Sinn, was Breton sein wollte, war er ganz und gar. Es ist bezeichnend, dass der kontinentale Surrealismus durch ihn initiiert, verstörte und aufbegehrte, beinahe exaktamente mit seinem Ableben ebenfalls das Zeitliche segnete, während der Geist dieser Lebenshaltung – man kann sagen – nach Lateinamerika auswanderte, wo er nicht zuletzt durch Bretons Busenfreund Octavio Paz (aber auch durch Neruda) zu höchsten Weihen fand.

Auswahlbibliothek:

Die Manifeste des Surrealismus
Die magnetischen Felder
 (mit Soupault)
Nadja
L’amour Fou
 (in einer grottenschlechten Übersetzung bei Suhrkamp)

Sprache und Nichtsein

Es ist mir die Sprache das einzige Transportmittel, um in Regionen vorzustoßen, um die man kaum mehr zu kreisen wagt. Dazu aber muss eine bloße Erzählhaltung aufgegeben werden, die so sehr unsere Sinne beeinflusst und in den meisten Fällen auch einengt, wie alles, was man Gegenwart nennt. Nun ist Gegenwart nichts Endgültiges, man kann sie jederzeit verlassen, um sich außerhalb der Zeit zu positionieren, womit aber gleichzeitig auch die Schwierigkeit beginnt. Die Existenz ist ein Schreckenskabinett, und das war sie von Anfang an, und tatsächlich wäre es besser, nicht zu existieren, wie Silenos, der Erzieher des Dionysos es seinem Schützling gegenüber erwähnte. Drängt alles zum Leben hin, um gewesen zu sein? Oder wird das, was nicht ist, aus einem unbekannten Grunde dazu ermuntert, eines Tages zu sein, so dass alles irgendwann gewesen ist? Oder kann das Nichtsein nur daran gemessen werden, dass eines Tages einmal alles war? Diese Fragen sind der Sprache immanent.

Nyctanthes

Die Freiheit, die man gerne leugnet, besteht darin, sich in jeder Sekunde entscheiden zu können, was man als nächstes tut, ja, dass man bei einer Entscheidung oftmals ganz ohne Gedanken auskommt. Es mag uns scheinen, als dränge etwas wie ein Vulkan zur Eruption. Nur die Intensität markiert den Unterschied. Doch von Freiheit zu sprechen, wenn man voller Staunen zum ersten Male in das unbekannte Antlitz blickt, das so vertraut, weil vielleicht vor langer Zeit in allen Einzelheiten erträumt, weil vielleicht in einer anderen Zeit, in einem anderen Leben so verabredet – man mag sich einst nur verlassen haben, in dem man, wie im Irdischen auch, sich Bilder voneinander schenkte – ist nicht mehr möglich. Man kann sich auf seinen Pfaden, die durch unterschiedliche Landschaften führen, an etwas erinnern, ohne genau zu bestimmen, was es ist, das immer wieder die Gewissheit anstachelt. Man kann sich vormachen, man bilde sich aus und gehe dahin, wo es einen beliebt, man mag in einsamen Stunden der Illusion genügend Macht einräumen, wenn man für sich selbst versunken sitzt in lauen Lüften unterm Sternenzelt oder mit seinen Träumen einsam spaziert. Man mag so oft den Mut fahren lassen, wenn man plötzlich bemerkt, wie unwegsam das Gelände geworden ist; und man fragt sich nicht selten, ob man denn richtig abgebogen sei. Doch niemals wird sich verleugnen lassen, was gerade in unserer Zeit der Raison zum Opfer ward, dass sich zwei Herzen finden können, weil sie füreinander bestimmt, sich noch im unbekannten winden, nicht eigentlich unglücklich, doch an einer ganz bestimmten Stelle leer oder noch nicht angefüllt. Man liebt so dann und wann drauflos und hält es für die Höhenluft. Da kommt es kaum in den Sinn, dass auch die Liebe ihre Lehrjahre kennt, dass nicht jedes mit Freuden angenommene Gefühl gleich das Jauchzen der Ewigkeit verspricht. Wir pilgern stumm, auch wenn wir laut und tönend uns durchs Leben peitschen, rennen oder ziehen, wir entwickeln uns zu einem Menschen, dessen Vorgänger wir schon bald nicht mehr kennen. Dann sagen wir: Ich habe mich verändert und ich bin nun bereit für dies und das. Bis dann das Unbekannte eingreift, mit dem wir uns selbst vor langer Zeit in dieser Weise verabredet haben.

Von Hirsch- und Bäckerhefe

Die Vererbung ist ein Speicher für alle Erfolge, die das Leben jemals errungen hat. Die Niederlagen werden vergessen. Kein Fehler bleibt im genetischen Code bewahrt. Durch diese Perseveranz lernt die Natur aus ihren Fehlern nicht und wiederholt sie andauernd.

Ein albinotischer Hirsch ist durch seine Auffälligkeit unterprivilegiert. Im Mythos – weg von der Natur, hin zur Kultur also – nimmt dieser jedoch einen besonderen Stellenwert ein.
Die „Fehler“ der Natur sind dem Menschen nicht selten heilig. Wie dem albinotischen Hirschen wird auch dem herausragenden Menschen ein ambivalentes Gefühl
von Verehrung und Abscheu zuteil.

Den Hirsch wählte ich hier aus, weil er nach der walisischen Tradition zu den fünf ältesten Tieren der Welt gehört. Seit Jahrtausenden haben Menschen versucht, an der Kraft und Würde des Hirschs und an seiner Verbindung der Anderswelt teilzuhaben, indem sie sich in Zeremonien und Tänzen als Hirsche verkleideten. Möglicherweise schreibe ich demnächst gar eine Erzählung über ein derart gestaltetes Symposium. Alle Lebewesen haben nur 20 verschiedene Aminosäuren. Allein das Cytochrom C durch Zufall zu reproduzieren entspricht dem Faktor 1 zu 10 hoch 130. Damit steht fest, dass der Enzym-Schlüssel Cytochrom C weder auf der Erde noch sonstwo ein zweites mal durch Zufall entstanden sein kann. Schauen wir mal etwas weiter: Seit dem Urknall sind erst 10 17 Sekunden vergangen.

Wenn also mit den 104 Perlen des CC seit Anbeginn der Zeit in jeder Sekunde einmal gewürfelt worden wäre, gäbe es heute erst 10 hoch 17 verschiedene Varianten. Im Universum sind nur 10 hoch 80 Atome vorhanden. Also selbst wenn alle Atome eine andere Variante des CC repräsentierte, wäre dieses nicht darunter. Das CC ist in allen Lebewesen vorhanden – Ameisen, Schimmelpilz, Bäckerhefe, Mensch…

Lit-Life

Mein Tag hat 24 Stunden. Ich muss davon abziehen die Zeit, die ich zum schlafen, zum kacken und für die Ernährung benötige. Warum ich dennoch nicht mehr Output habe: Ich pflanze die Worte, ich schreibe sie nicht. Natürlich wird das in erster Linie in der Lyrik offenbar; wie das im Roman ausschaut, wird man im März überprüfen können.

Ich habe nichts anderes vor, als mich völlig und außerordentlich in die Literatur hineinzubegeben, zu lesen oder zu schreiben. Tatsächlich verlasse ich das Haus nur wenn der Hund pissen muß und wenn, dann nehme ich einen Notizblock mit. Keine Sekunde darf mir entweichen.

Das ist auch der Grund, warum ich keine Zeit für Geselligkeiten habe. Ich will alleine sein, damit meine Gedanken nicht gestört werden.