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Schlagwort: Brouillon

Ein Morgen mit Dexter Gordon

Den frühen Morgen mit Dexter Gordon begonnen, der von meinen bewunderten Tenorsaxophonisten das vollste Organ besitzt.

Noch in der Nacht konnte ich den Volker Kutscher beiseite legen, durch seine Gereon Rath-Romane der Impulsgeber zur hervorragenden Produktion „Babylon Berlin“. Kutscher selbst kann Ideen haben, aber er hat eindeutig kein Erzähltalent, das liegt tatsächlich den wenigsten deutschen Autoren im Blut. Ganz anders der erste Highsmith-Band; die Dame bricht mit einer erschreckend einfachen Sprache ins Bewusstsein, die Finesse liegt in ihrer psychologischen Führung der Figuren.

Die Inselsprüche und was denn mitzunehmen wäre: Auffällig sind es bei mir vermehrt Kurzgeschichten und weniger Romane. Natürlich Cortázar (mitsamt Rayuela eben als einer der wenigen Romane); Poe, Bruno Schulz, Borges, Ligotti, Aickman. Gegen Romane entscheide ich mich nicht wegen der Form, sondern wegen der Fülle auf engstem Raum bei leichtem Gewicht.

Piglia: Man erzählt nicht, um sich zu erinnern, sondern um etwas Verborgenes zu zeigen.

Also bin ich ein Hybrid, ein Zwitterwesen zwischen Federhalter / Maschine und der elendigen digitalen Textur, die immer eine Umkehrung ist, eine Vernichtung, die täuschend echt mit Symbolen umgeht, aber am Ende nur von der reinen Vergeblichkeit kündet.

Es gibt wichtige Bücher und eine größere Masse unbedeutender, denen man in einem Leseleben begegnet. Die Verteilung scheint zunächst willkürlich. Die Zufälle, mit denen man seine persönliche Bibliothek füllt, sind, wie die Zufälle aller Begegnungen: es erschließt sich erst in einem Zwiegespräch die Tragweite.

Notizen zur unheimlichen Literatur

Natürlich hat das Leben keinen Sinn. Aber der Tod auch nicht. Und das ist eine weitere Sache, die das Blut in Wallung bringt, sobald man Lovecrafts Universum entdeckt. Der Tod seiner Helden hat keine Bedeutung. Der Tod lindert nichts. Er bedeutet in keiner Weise das Ende der Geschichte. Unerbittlich zerstört HPL seine Figuren und bring damit nur die Verstümmelung von Marionetten hervor. Gleichgültig gegenüber diesen erbärmlichen Wechselfällen wächst die kosmische Angst weiter. Sie schwillt und nimmt weiter Gestalt an. Der große Cthulhu erwacht aus seinem Schlaf.

  • Michel Houellebecq*

Ich habe das Gefühl, dass zu viele Menschen von Lovecrafts Monstern, Tentakeln, Polypen und Shuggoths besessen sind. Ehrlich gesagt, ich denke, dass sie den Kern nicht verstehen. Zumindest kann ich sagen, dass sie jenen Teil nicht verstehen, der den größten Einfluss auf mich ausgeübt hat. Da wäre die Wichtigkeit der Atmosphäre zu nennen, das gefundene Manuskript als narratives Element und HPLs Wertschätzung dessen, was Paläontologen und Geologen Tiefenzeit nennen. Tiefenzeit ist entscheidend für seinen kosmischen Schrecken, den existenziellen Schock, den ein Leser aus seinen Geschichten zieht. Unsere Kleinheit und Bedeutungslosigkeit im Universum insgesamt. In allen möglichen Universen. Im Konzept der Unendlichkeit. Nichts und niemand kümmert sich um uns. Niemand passt auf uns auf. Für mich ist das die Aussage Lovecrafts.

  • Caitlin Kiernan

In gewisser Weise ist [Lovecrafts] Ruf das Opfer seines Mythos. Er wurde als ein Gegenmittel zum konventionellen viktorianischen Okkultismus konzipiert – als ein Versuch, den imaginativen Reiz des Unbekannten zurückzugewinnen – und ist nur eine von vielen Möglichkeiten, wie seine Geschichten Schlimmeres oder Größeres suggerieren, als sie zeigen. Er ist auch nur eines seiner Mittel, um ein Gefühl der Verwunderung (Sense of Wonder) beim Leser zu erreichen, mit dem Ziel, die besten Werke des visionären Horrors hervorzubringen (und das ist keineswegs alles, was zum Mythos gehört). Seine Geschichten sind ein Tasten nach der perfekten Form für die Weird Tale, ein Prozess, während dem er alle Formen und Prosa-Stile ausprobierte, die er nur kannte.

  • Ramsey Campbell

Alles, was ich liebte, war bereits seit zwei Jahrhunderten tot … Ich bin niemals Teil von irgendetwas um mich herum – in bin in allen Belangen ein Außenseiter.

  • H. P. Lovecraft

Die besten Arbeiten heutiger „unheimlicher Literatur“ (und das schließt ältere Figuren wie Ramsey Campbell, Thomas Ligotti, T. E. D. Klein, Dennis Etchison und andere mit ein) wird zunehmend nur von einem kleinen Kreis von Kennern und nicht von der Allgemeinheit gelesen. Ich weiß nicht genau, was man dagegen tun kann; vielleicht ist es auch nur der Beleg dafür, dass, wie Lovecraft vor langer Zeit schrieb, die Weird Fiction wirklich nur für die „wenigen Sensiblen“ gedacht ist.

  • S.T. Joshi

Per definitionem basiert die seltsame Geschichte auf einem Rätsel, das niemals gelöst werden kann. Abgesehen von der Semantik ist für mich in einer so genannten seltsamen Geschichte das Wichtigste ein undurchdringliches Geheimnis, das die Handlungen und Manifestationen in einer Erzählung erzeugt. Ein gutes Beispiel ist Lovecrafts Lieblingsgeschichte „Die Weiden“ von Algernon Blackwood. Es gibt nichts in den Weiden selbst, das für die Phänomene verantwortlich ist, die die beiden Männer bedrohen, die auf einer Insel rasten, während sie die Donau hinunterfahren. Die Weiden sind nur ein Symbol für eine unsichtbare, unerkennbare Kraft, die nichts Gutes mit denen vorhat, die unglücklicherweise vom schlechten Wetter an diesen atmosphärischen Ort gefesselt werden. Diese Kraft ist offensichtlich übernatürlich – oder, angesichts von Blackwoods Sicht auf die Natur, überwirklich.

  • Thomas Ligotti

ALLE ZITATE ÜBERSETZT VON MICHAEL PERKAMPUS. *DAS HOUELLEBECQ-ZITAT WURDE AUS DEM ENGLISCHEN ÜBERSETZT.

Traum ohne Möbel

Traum: Ich in einem Raum ohne Möbel, außer dem Tisch, an dem ich sitze. Mir gegenüber ein Mann, der eine Zeitung studiert. Er ist mir fremd und wartet auf den Bus (oder auf den Zug). Derweil sind zwei Handwerker mit der Tapete beschäftigt. Sie schneiden Steckdosen und Lichtschalter aus. Sie ist weiß und augenscheinlich aus uralten Tagen, schwer mit einem stilisierten, leicht glänzenden Muster.

Nach vier Tagen mit interessanten Symptomen, die meine Stimme etwas in Mitleidenschaft zogen, geht es mir heute wieder etwas besser. Ich bin recht gut durch diese apokalyptische Stimmung gekommen, aber natürlich wird diese so schnell nicht enden. Es wäre aber falsch zu behaupten, die Misere, die sich seit einem Jahr zeigt, hätte mir gar nichts ausgemacht, schließlich muss ich doch dann und wann das Haus verlassen, um etwas einzukaufen. Ich kann mir nicht alles schicken lassen. Mir war der Kontakt mit vielen Menschen schon vor der Pandemie ein Graus, doch mittlerweile ist es schierer Ekel. Natürlich lege ich meine Einkäufe in die früheste mögliche Stunde, aber man kommt nie ganz davon. Ich wünschte mir eine eigene Infrastruktur für Hochsensible.

Durch die Rabenscheiße ins Glück

Zwischen dem Wort „Toilette“ und dem Wort „Leute“ gibt es eine ungemeine Verwechslungsgefahr. Doch der ähnliche Klang kommt nicht von ungefähr. Immer, wenn ich „auf die Toilette muss“, dann mache ich das, was Raben tun, wenn sie „auf die Leute …“, nämlich: scheißen.
„Ich muss mal kurz auf die Leute“, ist dann das Ergebnis einer gepflegt realistischen Wortwahl.

Mainstream-Mainstreet

Die Mainstream-Literatur hat mit ihrem Nobelpreis-Skandal einen Schlag in die Fresse bekommen, den ich ziemlich amüsiert zur Kenntnis genommen habe. Damit wird dieser Käse aber wohl nicht endlich beendet sein, der Mainstream lechzt schließlich nach Preisen. Apropos Preise: Das Phantastikon hat den Vincent Sonderpreis in diesem Jahr nicht gewonnen. Da dies ein Publikumspreis ist, war das auch nicht wirklich zu erwarten.

Manchmal suche ich etwas in den alten Notaten

Nur um die Maschine zu wechseln war ich in den Keller hinabgestiegen, aber wie immer, wenn ich in den Katakomben aus Büchern und Notizen krame, nehme ich etwas mit nach oben. Diesmal war es neben der Maschine eine Tüte, in die ich vor langer Zeit an mich gerichtete Briefe und Karten gestopft hatte; außerdem einige Notizbücher aus den 1990er Jahren, vorrangig jene, die meine „Mexikanischen Impressionen“ von 1993 enthielten.

Sie scheinen mir heute genauso wenig wichtig zu sein wie die Dokumente, die ich während meiner zweiten Europareise 1996 unterwegs verfasste, und doch zieht mich das billige Papier – zumindest ästhetisch – an. Manchmal suche ich etwas in den alten Notaten, etwas, das ich vergessen haben könnte, zum Beispiel den Grund meiner Rastlosigkeit und des Aufbruchs. Aber ich finde meist nur ein längst vergangenes Leben und schlecht geschriebene Phrasen. Mir fällt auf, dass ich vor 2005 zwar viel geschrieben, aber nichts fabriziert hatte, dessen man sich nicht schämen müsste. Immerhin war ich 35 Jahre alt, als ich die ersten Sätze zu Papier brachte, denen ich auch heute noch Gültigkeit zuerkenne, alles was vor meinem Leben in der Schweiz lag, ist nahezu eine Katastrophe.


Ich lese, um etwas über das Leben herauszufinden (um ehrlich zu sein, ist mir das bis heute nicht gelungen), eine andere Möglichkeit hat sich mir nie erschlossen. Ich hatte das Glück, viele Drogen nehmen zu können, was ein dürftiger Ersatz ist, aber ein Ersatz – einerseits für die Lektüre, andererseits für das Träumen. Heute gelingt mir letzteres auch am Tag und ich benötige keine Drogen mehr. Der Schlaf aber ärgert mich mittlerweile, weil ich in diesem Zustand nicht lesen kann, und an meine Träume erinnere ich mich nicht, weil ich schreibe, was ich schreibe, also einen Ersatz dafür habe. Erst wenn ich etwas aufgeschrieben habe, weiß ich, was ich geträumt hätte.

Autoren bewegen sich in einem von ihnen selbst geschaffenen Universum

Diese schöne schriftstellerische Vision von Flaubert ist auch auf das Leben anwendbar, das im Rahmen des nicht dualen Verständnisses von Selbst und Welt gelebt wird.

Es ist eine köstliche Sache, zu schreiben, nicht mehr man selbst zu sein, sondern sich in einem ganzen Universum zu bewegen, das man selbst geschaffen hat. Heute zum Beispiel ritt ich als Mann und Frau, als Geliebte und Geliebter, an einem Herbstnachmittag im Wald unter den gelben Blättern, und ich war auch die Pferde, die Blätter, der Wind, die Worte meiner Leute, sogar die rote Sonne, die sie dazu brachte, ihre von der Liebe ertrunkenen Augen fast zu schließen. Ist das Stolz oder Frömmigkeit?

Ist es ein törichter Überschwang übertriebener Selbstzufriedenheit, oder ist es wirklich ein vager und edler religiöser Instinkt? Aber wenn ich über diese wunderbaren Freuden nachdenke, die ich genossen habe, wäre ich versucht, Gott ein Dankesgebet vorzutragen, wenn ich wüsste, dass er mich hören könnte. . . Lasst uns Apollo besingen wie in alten Zeiten und tief die frische, kalte Luft des Parnass einatmen; lasst uns auf unseren Gitarren klimpern und unsere Zimbeln schlagen und uns wie Derwische im ewigen Getümmel der Formen und Ideen herumwirbeln.

Aus einem Brief an Louise Colet, Dezember 23, 1853

Ulixes

Tatsächlich fetzten wir gestern mit einem Mietwagen über völlig verstopfte Autobahnen – was ja an sich eine glasklare Sache ist: SonntagSonne programmiert den Gehirnstamm auf die LandfraßStraßen. Wir aber hatten eine Mission, die wir dann hinter Ulm abbrechen mussten, klaustrophobische Zustände sagten also die Reise in den Odenwald ab (was ein Krankheitsbesuch geworden wäre). Um den Tag noch zu retten, rollten wir ins ehemalige Erdton-Studio, um etwas in meiner Vergangenheit herumzuwühlen und sie auf Gegenwärtigkeit zu testen. Es ist ein üppiges Land dort draußen, aber auch hier bleibt Vergangenes vergangen. Es gibt nicht einmal die Illusion von Gegenwart.

Andockbare Ziele

In vielen Textformen spüre ich nach der Essenz des Andockens. Man spricht so oft von dem, was zwischen den Zeilen steht, nur steht da nichts (ich habe nachgeschaut). Der wahre Autor weiss nicht, was er tut und kann deshalb auch nichts zwischen die Zeilen schreiben. Völlig absichtslos aber widerfahren ihm andockbare Ziele.

Hochdruckreiniger

Zuerst turnte der Mann in einem gelben Regenmantel mit einem Hochdruckreiniger über das Geländer des Balkons, um das Haus in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Wir zogen die schweren Vorhänge zu und das Geräusch, als führen wir in eine Autowaschanlage, war aushaltbar. Als wir so schön im schummrigen Dunkel saßen und Herbie Hancock hörten, brach plötzlich die Stromversorgung zusammen. Bis jetzt lässt sich der Hauptschalter auch nicht wieder nach oben arretieren. So musste ich sämtliche Dreifachsteckdosen zusammenstecken, um von der Steckdose im Flur Saft zu bekommen, denn Flur und Bad sind nicht betroffen. Selbstverständlich bekommen wir den zuständigen Elektriker am Freitag nicht mehr an die Muschel. Um später auch noch die Anlage und die Stehlampe zu versorgen, muss ich wohl auf die Schnelle eine Kabeltrommel organisieren. Es wird die Zeit kommen, da werden wir hier auf dem Boden ein Feuerchen machen müssen. Zumindest der Wasserkocher steht dort schon mal.