22. Dezember 2024

Guy de Maupassant

Maupassant kümmerte sich nicht um die Ansprüche des Bürgertums, um ein geordnetes Leben, das für ihn voller Fäulnis war. Er entlarvte bewusst den Schein und die Täuschung der bürgerlichen Etikette, sowohl in seiner Prosa als auch in seiner Persönlichkeit. Doch das kostete ihn auch das Leben. Er starb 1893, geistig umnachtet, im Alter von 43 Jahren. Zu Lebzeiten hatte er den zweifelhaften Ruf eines skrupellosen Frauenverführers, der jeden zu seinem Vorteil zu manipulieren wusste. War Maupassants Haltung ironisch, pessimistisch oder einfach nur schockierend?

Er wurde 1850 geboren und hatte zeitlebens eine Abneigung gegen jede moralische Etikette. 1857 standen Flaubert und Baudelaire vor Gericht, weil sie mit Büchern wie „Madame Bovary“ und „Die Blumen des Bösen“ den öffentlichen Anstand verletzt hatten. Später nahm Flaubert den jungen Maupassant unter seine Fittiche und lehrte ihn die sanfte Kunst des bürgerlichen Benehmens. Sie besuchten ein Bordell, und der junge Guy, vom Sex besessen, brauchte keine weitere Belehrung. Flaubert, der sich jeden Gedanken verbot, der ihn von der Muse ablenken könnte, versuchte, seinen Freund zurückzuhalten, aber seine endlosen Ratschläge über die mönchische Rolle des Künstlers stießen bei Maupassant auf taube Ohren.

Maupassant

Aber seiner Mutter Laure konnte er nicht entkommen. Maupassant identifizierte sich so sehr mit ihr und so wenig mit seinem Vater, dass er oft nicht glauben konnte, dass er der Sohn seines Vaters war. Gustave war ständig untreu und konnte gewalttätig werden – und als Guy elf Jahre alt war, fuhr Laure mit den Kindern in den mondänen normannischen Badeort Étretat. „Nach diesem Tag änderte sich alles für mich“, schrieb er, „ich hatte die andere Seite der Dinge gesehen, die schlechte, und seitdem habe ich die gute Seite nirgendwo mehr entdeckt.

Obwohl „Der Horla“ zu seinen bekanntesten Erzählungen gehört, ist die Titelfigur ein immer wiederkehrendes Motiv, nämlich immer dann, wenn Einzelgänger auftauchen, die nicht im Einklang mit der Gesellschaft stehen. Sie hören Schritte und sehen sich bald einem geisterhaften Anderen gegenüber (Le Horla). Die paradoxe, fast schwebende Figur des Junggesellen und seines Doppelgängers, des Horla, wird in Maupassants Novellen vor allem als Krise der männlichen Identität im 19. Jahrhunderts gezeigt. Der Horla erscheint dabei mehr als eine phantastische Trope. Er ist vielmehr Ausdruck der Angst vor der Veränderung der Geschlechterrollen und der Unfähigkeit der Figuren Maupassants, sich damit zu arrangieren. Am Ende sind die meisten seiner Figuren gebrochene Männer, die keinen lebenswerten psychischen oder sozialen Ort mehr bewohnen.

Für Maupassant, der zahlreiche Begegnungen mit seinem Doppelgänger hatte, erwies sich die Geschichte als prophetisch. Am Ende seines Lebens wurde er 1892 nach einem Selbstmordversuch in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Im folgenden Jahr starb er. Man vermutete, dass die Doppelgänger-Visionen mit einer Geisteskrankheit zusammenhingen, die er sich als junger Mann mit Syphilis zugezogen hatte.

Seine blühende Karriere war bereits zuvor durch Kopfschmerzen, Erblindungsattacken und wahnsinnige Melancholie (wie man damals sagte) tragisch unterbrochen worden.

Sicherlich ist Maupassant kein typischer Vertreter der phantastischen Literatur, aber wie alle großen Autoren hat auch er phantastische Kurzgeschichten geschrieben. Manche Kritiker haben versucht, seine Horrorgeschichten – etwa 39 an der Zahl – mit seiner fortschreitenden Geisteskrankheit zu erklären. Stilistisch ist das jedoch völliger Unsinn, der regelmäßig aus dem Ghetto der Feuilletons herüberschwappt. Maupassant mag nicht als der einflussreichste Taktgeber der phantastischen Literatur gelten – sieht man einmal von seinem Horla ab -, aber ein gewisser Einfluss ist dennoch vorhanden. So wurde Stephen Kings berühmter Roman „Shining“ mit Maupassants Erzählung „Das Winterquartier“ verglichen, was zugegebenermaßen etwas weit hergeholt ist. Eine Berghütte in den Schweizer Alpen, die im Sommer Reisenden als Unterkunft dient, wird im Winter von nur zwei Männern und einem Hund bewohnt. Völlig isoliert verbringen sie dort die nächsten vier Monate. Als der Ältere von der Jagd nicht zurückkehrt, verliert der andere den Verstand. Natürlich gibt es den Winter, der alles von der Außenwelt abschneidet, und es gibt den Wahnsinn. Aber das ist auch schon alles, was die beiden Werke gemeinsam haben.

Maupassants düstere Erzählungen machen also nur etwa ein Zehntel seines Gesamtwerks aus. Weil es in ihnen oft um Wahnsinn geht, hat man seine Texte auch mit denen von Edgar Allan Poe verglichen, dabei aber übersehen, dass Poe mehr der Schauerromantik als der Psychologie zugeneigt war.

„Eines Abends“ ist ein paranoider Alptraum: Etwas zwingt den Erzähler, durch die Straßen von Paris zu gehen. In „Wer weiß?“ leidet jemand unter Wahnvorstellungen über die Möbel in seinem Haus. „Tagebuch eines Mörders“ ist die Geschichte eines Richters, der aus reiner Neugier einen Mord begeht und dafür einen Unschuldigen zum Tode verurteilt. „Die Totenhand“, basierend auf seinen Jugenderinnerungen, inspirierte spätere Autoren und Filmregisseure.

Man merkt: So weit weg vom Phantastischen war der seltsame Franzose nie.

Nur wenigen Schriftstellern ist es gelungen, die unerforschten Regionen des menschlichen Geistes und die dunklen Tiefen des Herzens so tief auszuloten wie Guy de Maupassant. Zu den dunklen Realitäten, die Maupassant vor allem in seinen Novellen darstellt, gehören der menschliche Tod und die Illusionen seiner Zeit. Er schrieb über die Aristokratie ebenso wie über die Bourgeoisie, über die Reichen ebenso wie über die Armen, mit all ihren Fehlern und Verrücktheiten. Seine literarische Auseinandersetzung mit dem niederen Stand führte ihn zu den Tiefen seiner eigenen schöpferischen Kraft. Diese Haltung brachte ihm aber auch viel Kritik wegen seiner Darstellung und Bloßstellung aller Stände ein.

Solange der Künstler jedoch seinen Standpunkt zum Ausdruck bringt, ist es unerheblich, ob er Prüderie oder Sittenlosigkeit in Kauf nimmt, um sein Ziel zu erreichen. Maupassant entschied sich eindeutig für Letzteres. Wie ein wahres Genie behandelt er anstößige Themen nach den Maßstäben seiner Zeit, aber auf eine Weise, die niemals vulgär, beschämend oder schockierend ist. Es ist schwer, sich den Wahrheiten zu entziehen, die Maupassant dem Leser praktisch ins Gesicht drückt. Eine seiner größten Qualitäten besteht darin, dass er das Offensichtliche nicht auszusprechen braucht und den Leser dennoch spüren lässt, was er meint.

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