
Die Buchfotze (dritter Schnitt)

Possenspiele
Spürst du, dass du dich dort oben befindest? Mitten auf dem Marktplatz der Stadt. Bemerkst du das Ungleichgewicht? Dein linker Arm ist kräftiger als der rechte. Deine Augenbinde ist dir die eigentliche Obsession und hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun. Trotzdem haben sie dir einen falschen Namen gegeben. Das hat der Leibwächter im Anzug da unten überhaupt nicht geblickt. Auch er sieht, wie alle anderen, auf dem Weg in dein Haus, die Tauben, hat aber immer nur die gleiche Wahrnehmung von ihnen. Allenfalls deine freigelegten Brüste hat er, kurz einmal aufschauend, besehen. Anfassen kann er sie ja nicht, dafür stehst du zu hoch.
M: Sie sagten, Sie hätten rote Arbeit an ihm verrichtet. Wie meinen Sie das?
F: An seinem Körper.
Ich habe ihm die Kehle aufgeschnitten.
Habe meine Hände in sein noch warmes Blut getaucht.
Nur ins Blut, nicht in dich. Immer nur ins Blut, niemals in dich,
habe ich mir immer wieder gesagt, um es auszuhalten.
Aus der Borke der Zeit, einer Ewigtanne, schnitzte sich vor vielen vielen Jahren und Abermyriaden von Blüten und Bienenstaaten, die vergingen, ein Herbergsvater. Der Tanner eines Hauses, das stets versank, sobald die Sonne den Mond ablöste. Er tat es mit jenem Messer, das bis dahin fortdauernd den Broten überlassen war, die die Bewohner dieses von Eulen bewachten Hauses, in dem sie das Licht der Welt erblickten, zu ihren Lebzeiten buken, doch niemals von ihnen aßen.
Er, der Wirt dieser Seelen, die an das Haus gebunden, ihrem Hunger ergeben waren, wie es Vogelküken im Nest der ersten Lichtstrahlen sind, die sie wachläuten, trug sie des Nachts, nachdem er sie durch seinen Mund in sich aufgenommen hatte, durch das Dorf, um Wirbellose für sie zu sammeln. Nacktschnecken und Würmer, die er ihnen in ihre Münder gab, die sich trotz des Schlafes, der sie barg, weit in seinem Holzrücken öffneten. Er selbst aß niemals etwas. Aß nichts außer ihnen. Und er tat es auch nur, sobald sie der Müdigkeit anheimfielen, die sie tagtäglich ereilte. Was an ihren sich langsam schließenden Augen zu bemerken war, die den Möbeln und Wänden übergeben waren.
So musste er sich beeilen, geschwinde sein, da es bis zum Morgengrauen nicht mehr lange dauern würde und er rechtzeitig mit ihnen wieder im Haus, in der Küche, an selber Stelle sein müsse, um fest und stämmig zu werden. Damit sie in jenem Moment zurück wären, in dem Aurorah an ihm ihren täglichen Platz nehmen würde, auf dass ihre Geister abermals und erneut aus ihren Mündern in seinem Rücken in die Augen des Hauses entweichen könnten, in jene, die sich ihm in seinem Schlaf dann öffnen würden.
Wenn mich jemand fragen würde, wie es mir geht, würde dieses Bild es wohl am ehesten beschreiben. Womit festgehalten werden kann: Dies ist ein
„Existenzielles Selbstbildnis“.
kamst von den Sternen
unbehelmt hierher
denn was da war
war Werden
stauntest
bliebst
ein Astronaut auf Erden
Darüber hinaus verweist es auf eine meiner zurzeit stetn Sorgen: Bald hat jedes meiner geliebten Sockenpaare am Haxn ein riesiges Loch. Schuld sind meine Chucks. Abhilfe schaffen nur die dicken blauen Wollsocken meiner Omi, die sie mir gestrickt hat, die ich nun über die Schlüpflinge ziehe und die wiederum auch schon zwei kleine Löcher aufweisen. Neonfarben oder Muster Raubkatze ist einfach schwer aufzutreiben in den hiesigen Geschäften.
Über Löcher kann ich ganz generell mehr erzählen.
Vielleicht in nächster Zeit …
Ansonsten geht es mir ganz gut hier zwischen all den Sternen, den restlichen Frikadellen von gestern Abend, einer Flasche Rotwein aus der Pfalz und dem Livestreaming des KEEP IT TRUE-Festivals, das leider nicht makellos sendet. Jedoch geilerweise tut es das überhaupt.
Der Druck auf meine rechte Körperseite, auf diese Extremitäten, die Knochen, die äußeren Flächen. Das Hervortreten der Schulterblätter. Die Unterbindung des Blutflusses der Beine. Das Gras berührt, die Wange den Boden. Das Klaffen der oberen Lippe. Die Beckenschaufel wieder und wieder in Erde bewegt. Die starkschnellen Schläge. Links, unter meiner Brust. Unter den Rippenbögen, die flache Atmung. Die Weite von vorn, von hinten Wärme. Die Haut deiner Hand. Das Blut schmeckt eisern. »Maybe the next one. Maybe the next one.«
(angelehnt an die Romanverfilmung "Crash" von David Cronenberg)
Ich kann nicht sagen, wie viele Hände ins große Spargelfeld meiner
zweiten Mutter gesickert sind, und ob sie dort noch liegen.
Ich erinnere nur das:
Stets zur Mittagszeit refelten sich feinflechtig, an vier schwebenden
Stühlen aufgespannt, zwei rote Beine auf.
Ich blieb, um zu sehen, wie sie sich verflüchtigten.
Konvex blieb um mich herum der Wald als große Lungenblase
berstend gegen die Ortschaft stehen.
Es dauerte bis in den Abend hinein bis die Spannung seiner
Oberfläche einen Riss bekam, und er mir so sein dunkles Nadelmeer vor Augen spülte.
Es war wie eine gewaltige Traube, die barst.
Ich fand mich unter den Rücken der Tannen wieder.
Von Weitem rief Edith nach mir.
Ich lief zu ihr.
Sie nahm mich an ihre rechte Hand, einen schwarzen
Eimer, gefüllt mit Spargeln, in der linken.
Mich mit ihren durch die dickwandigen Gläser, die sie trug, stark
vergrößerten Augen anschauend, nahm sie mich mit sich.
A: Sie sagten, die Mädchen wehen die Bäume. Schließen Sie die Augen und versuchen Sie sich zu erinnern. Um was ging es? Warum wehen die Bäume? Wir müssen wissen, warum die Bäume wehen.
P: Ich weiß nicht so genau. Erinnere mich nur an diese eine Patientin, über Fünfzig war sie. Sie hat mir davon erzählt. Es ging um irgendwelche Mädchen, die über ihr wohnten bzw. vorbeikamen, um dort eine Radiostation zu betreiben, mit der sie das Wetter beeinflussen konnten und durch die sie sich mit ihr unterhielten, sie aber auch beschimpften. Die Mädchen wehen die Bäume, hat sie immer wieder gesagt. Die lackieren sich die Nägel auf Russisch. Das wären nämlich Russinnen, die sie „fertig machen“ wollen. Sie wäre ihr Hund oder so. Hat auch recht viele Redewendungen benutzt, nur immer sehr eigensinnig abgewandelt. Das Interessante war, so abstrus das alles klang, nach einer Weile kamen immer mehr Informationen hinzu, die die Lebensgeschichte dieser Frau dahinter durchschimmern ließen. Sie hatte Germanistik studiert und war mal Lehrerin in einer reinen Mädchenklasse. Das hat auch viel über ihr Selbstbild als Frau und aus dieser Zeit erzählt. Sie sagte immer wieder: Die Mädchen. Die Mädchen wehen die Bäume. Ich weiß nicht, wieso. Was wollen Sie von mir?
Wieder lief ich des Weges, den ich einst nahm.
So oft warf ich meine Hände dabei ins Feuer.
Und jedes Mal in jeder Mitte dieses Waldes ließen
sie mein Haus, auf das sie mit ihren nachtlangen Fingern zeigten,
erneut in diesem großen Kessel versinken.
So lange habe ich dich hier nicht mehr gesehen.
Die Bäume brachen ihre Borken durchgehend stumm auf.
Fleischweiß ist es hier geworden. Einzig hinter der Tränenmauer
gingen Wölfe auf Zehenspitzen auf und ab.
Meine Hand, gespalten am Glas, wollten sie mir wieder schließen.
Ich sah hin und wusste:
das ist ganz und gar unmöglich,
schreibe ich und lese: Blut