Leichenfest

Der Briefkasten ohne Namensschild, als wäre er blind, nie jemand eingezogen seitdem. Das schlechte Gefühl des Reisenden, verlassenes Territorium verraten zu haben, die schicksalhafte Nacht (die Kreuzung hell bemondet), je in alle Richtungen trabend, paar Meter, dann wieder zurück zum Knoten, zukuckende Baumfamilien, die kein Auge zutun, ferne Landschaft, vages Schemen.

Wie den Abstieg in die Unterwelt erlebte ich das Verlassen des Gartens, terrassenförmig angelegt von Semiramis, dem Täubchen. Ich pflegte ihr damals jede Knabenerektion zu bringen; Daktari lief im Fernsehen, der Sommer schimmerte augusten mit einer ganzen Batterie an Ersatzsonnen. Ich vernahm das Prasseln ihres Duschmanövers. Ihre Mutter reichte mir Stachel- und Preiselbeeren, nass vom Küchenwasser, knackender Körper unter Jungzähnen; der schielende Leu äugte in die Wohnstube, ich aber kaute artig und dachte nur jede zweite Sekunde an das Schlüsselloch.

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Vor einem Regal der Toten

Ich könnte singen von den unheilvollen und drohenden Dingen, den toten und vergessenen. Doch werde ich je wieder reisen durch den vom Wahnsinn gelb gefärbten Nebel des Vergessens, zu den Gestaden fremder Wirklichkeit? Fände ich überhaupt den Weg zurück, der mir damals so zufällig erschien wie einst Rip van Winkle sich über das Auftauchen einer flämischen Gesellschaft verwunderte? Mir selbst wurden keine Jahrzehnte durch einen sonderbaren Schnaps gestohlen, noch nicht einmal Jahre, aber von den merkwürdigen Festen wie in den Tiefen des verhängnisvollen Venusbergs könnte auch ich berichten. Doch wüsste ich nie zu sagen, was sich daran mit mit meinen halluzinatorischen Träumen mischte, denn eines ist mir klar geworden: Es gibt unterschiedliche Arten des nächtlichen Gespinstes und mindestens eines davon eröffnet uns das Jenseits mit seiner unendlichen Weite. Es ist für mich gar nicht ausgeschlossen, dass, sobald wir unserer so stabiles Sternensystem verlassen würden, wir auch außerhalb unserer fleißigen Schlaftätigkeiten dorthin gelangen könnten, allein deshalb, weil wir unsere Körper nicht behalten dürften und stürben; d.h., es stürbe das, was wir in unserer Welt so sehr benötigen, und wenn wir es verlieren, geistern wir umher, unfähig, weiter zu träumen, weil wir in einem derartigen Zustand schlicht all unsere Erinnerungen für einen Traum halten. So nötig haben wir den Schutzschild der Materie, dass wir um seinen Verlust so sehr bangen wie um nichts anderes. Es mag sein, dass wir die Geister deshalb fürchten. Sie zeigen uns, dass wir auch im Tode nicht entkommen können und endlos weiterspielen müssen. Sie zeigen uns durch ihre finsteren Auftritte, wie wichtig die Wiederholung ist und wie sich eben alles so lange wiederholt, bis das Wort Ewigkeit seine Berechtigung erlangt.

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Robert Arthur – Alfred Hitchcock und Fledermäuse

Es gibt wohl kaum einen Hörer oder Leser, der Die drei ??? nicht kennt. Vor allem die heute schon etwas älteren „Kassettenkinder“ sind den berühmten Hörspielen von Europa, die seit 1979 ausgestrahlt werden, sehr treu. Natürlich ist es nicht so, dass die Serie nur bei uns bekannt wäre, aber irgendwie scheint es, dass Robert Arthur sie vor allem für uns erfunden hat, aber das wusste er natürlich nicht; und er hätte es auch nie erfahren, denn er starb 1969. Zu diesem Zeitpunkt hatte er zehn Bücher der Serie geschrieben und Dennis Lynds, der unter dem Pseudonym William Arden insgesamt 14 Bände beisteuerte, zwei weitere.

Die drei ??? und Robert Arthur
Robert Arthur am Radio. Foto aus dem Archiv von Elizabeth Arthur.

Robert Arthurs frühe Arbeit für Pulp-Magazine hatte großen Einfluss auf seinen späteren Schreibstil, insbesondere auf die Gestaltung rasanter, fesselnder Krimis und die Entwicklung überzeugender Charaktere. Seine Erfahrungen als Pulp-Autor, der in den 1930er und 1940er Jahren seine Blütezeit erlebte, schärften seine Fähigkeit, fesselnde Geschichten voller Spannung, Action und logischen Schlussfolgerungen zu schreiben.

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Die Legende der Bloody Mary

Die Legende der Bloody Mary wurde vor allem im englischsprachigen Raum von Generation zu Generation an experimentierfreudige Jungen und Mädchen weitergegeben. Vielleicht hat aber auch schon jemand als Jugendlicher die Herausforderung angenommen, in einem dunklen Badezimmer dreimal Bloody Mary in den Spiegel zu rufen und dann schreiend zu fliehen, bevor der böse Geist erscheint. Die einen sagen, dass die blutverschmierte Frau nur im Spiegel erscheint, die anderen, dass sie sich ein Leben lang an die Versen heftet oder den neugierigen Rufer sogar tötet.

Lange bevor diese böse Frau die Lebenden heimsuchte, hatte das ursprüngliche Ritual seine Wurzeln im Erwachsenwerden einer jungen Frau. Vor hunderten von Jahren gingen Mädchen in der Pubertät neugierig auf ihre wahre Liebe rückwärts eine Treppe hinauf und blickten dann in einem dunklen Raum in einen Spiegel, während sie eine Kerze in der Hand hielten. Auf diese Weise sollte sich das Gesicht des zukünftigen Ehemanns offenbaren. Manchmal erschien aber auch ein Totenkopf, der den Tod bedeutete, bevor sie heiraten konnten. Eine wissenschaftliche Erklärung für solche Visionen weist auf Halluzinationen hin, die unweigerlich entstehen, wenn man längere Zeit bei schlechtem Licht in einen Spiegel schaut. Oft scheinen sich die Bilder zu verzerren oder zu verschwinden. Kein Wunder also, dass das Ritual der Spiegelbefragung irgendwann eine unheimliche Wendung nahm. An die Stelle der jugendlichen Suche nach der wahren Liebe trat mit der Zeit die düstere Legende von Bloody Mary. Sie wurde zur Mutprobe für Jungen und Mädchen, zum Partyspiel mit schrecklichen Folgen. Die Identität der wirklichen Person, die als Bloody Mary bekannt ist, ist schwer zu bestimmen. Im Laufe der Zeit wurden mehrere Frauen mit der Legende in Verbindung gebracht. Die bekannteste ist Mary Tudor, Königin von England, eine römisch-katholische Herrscherin des 16. Jahrhunderts, die im ganzen Land wegen ihrer Verfolgung der Protestanten gefürchtet war, die sie häufig auf dem Scheiterhaufen verbrannte. Eine Variante des Rituals bestand darin, „I Stole Your Baby Bloody Mary“ zu rufen, in Anspielung auf die vergeblichen Versuche der Königin, einen Erben zu gebären.

Bild von shiprock

Eine andere Bloody Mary war die berüchtigte Elizabeth Bathory, auch bekannt als die Blutgräfin. Im Ungarn des 16. Jahrhunderts folterte, verstümmelte und ermordete Elizabeth junge Frauen und trank sogar ihr Blut, um jung zu bleiben. Eine neuere Version der Bloody Mary ist mit einem dunklen Moment der amerikanischen Geschichte verbunden. Die Hysterie der Hexenprozesse von Salem im 17. Jahrhundert schürte Angst und Aberglauben in ganz Neuengland. Die Kinder jener Zeit riefen, Ich glaube an Mary Worth, in Anspielung auf eine angebliche Anhängerin der dunklen Künste, die als Hexe lebendig verbrannt worden war. Es gibt nur wenige oder gar keine Beweise für die Existenz von Mary Worth. Tatsächlich wurde ihre Geschichte erst im 20. Jahrhundert erzählt. Viele werden Euch an dieser Stelle vielleicht erzählen, dass Mary Worth eine schöne Frau war, die bei einem Autounfall ums Leben kam, wobei ihr Gesicht stark entstellt und blutig war. Wenn sie beschworen wurde, erschien sie dem Beschwörer ganz in weiß gekleidet und ihr Gesicht war blutüberströmt. Auch Hollywood griff die Legende auf und verwandelte sie in eine männliche Figur für den Film Candyman von 1992. Indem man seinen Namen in einen Spiegel sprach, wurde der unheimliche Geist beschworen, der dann mit seiner Hakenhand erschien. Das Ritual der Bloody Mary weigert sich eindeutig zu verblassen. Wir warten mit angehaltenem Atem darauf, welche moderne Erscheinung als nächstes auf der anderen Seite des Spiegels erscheinen wird.

Schrecken der Hygiene

Stellen wir uns vor, wir könnten in eine Zeitmaschine steigen und in vergangene Epochen reisen. Diese phantastische Reise würde schnell in einen Albtraum umschlagen, nicht etwa wegen technischer oder physikalischer Hürden, die unsere Rückkehr verhindern könnten, oder weil wir uns in einer gefährlichen, gewaltbereite Zeit landen. Nein, unser Untergang wäre weitaus subtiler, heimtückischer – und dennoch unvermeidlich.

Kaum angekommen, würden uns fremde Bakterien attackieren, die unseren Körper in Windeseile überwältigen. Die Luft, die Nahrung, das Wasser – all das, was uns einst am Leben hielt, würde nun zur tödlichen Bedrohung werden. Selbst der Gestank der Städte, den die Menschen jener Zeit wohl kaum noch wahrnahmen, könnte uns den Atem rauben. Ein unschuldiger Händedruck könnte die letzte Berührung unseres Lebens sein.

Wir wären fremd in einer Welt, die einst die Heimat unserer Vorfahren war, in einer Umgebung, die uns gnadenlos überfordert. Unsere Körper, gewöhnt an die Annehmlichkeiten und Schutzmaßnahmen der Moderne, wären nicht für die rauen Bedingungen der Vergangenheit geschaffen.

Es sind die Jahrhunderte, die uns trennen – Jahrhunderte, in denen sich die Praktiken der Hygiene mit dem Fortschritt in Technik, Medizin und Wissen weiterentwickelt haben. Einst galten merkwürdige Rituale als Gipfel der Reinlichkeit. Wer hätte damals ahnen können, dass die Verwendung von Urin als Desinfektionsmittel, oder die Gemeinschaftsbäder, in denen der Dreck geteilt wurde, eines Tages als absurde Relikte einer längst vergangenen Zeit belächelt werden würden?

Diese Praktiken, so sonderbar sie uns erscheinen mögen, sind Zeugnisse eines Weges, den die Menschheit in Richtung eines besseren Verständnisses von Hygiene und Gesundheitsfürsorge gegangen ist. Sie erinnern uns daran, wie weit wir gekommen sind – und wie viel wir der Weisheit und dem Wissen verdanken, das wir heute besitzen. Es ist eine stille, doch bedeutende Erkenntnis, dass wir heute nur noch unsere eigene Dummheit fürchten müssen.

Ach, die guten alten Zeiten, als das Leben noch so herrlich unkompliziert und nah an der Natur war. Wer braucht schon fließendes Wasser oder Abfallentsorgung, wenn man all die Freuden des mittelalterlichen Lebens haben konnte? Nehmen wir zum Beispiel die Flöhe und Körperläuse – kleine, pelzige Mitbewohner, die stets für eine Überraschung gut waren. Vor allem die ärmere Bevölkerung konnte sich über ihre Gesellschaft freuen. Nicht, dass sie viel Auswahl gehabt hätten – die karge Ernährung sorgte immerhin dafür, dass die entzündeten Bisswunden schön lange blieben, um das elendige Leben noch ein bisschen elender zu machen. Und als wäre das nicht genug, brachten diese kleinen Blutsauger oft noch ihre eigenen Gäste mit: Typhus, Bandwürmer und andere reizende Krankheiten.

Aber das wahre Highlight mittelalterlicher Hygiene waren wohl die Böden. Binsen oder Stroh, die man großzügig auslegte, um den sowieso schon dreckigen Boden zu bedecken. Man wechselte die oberen Schichten, ja, aber wer hatte schon Lust, die untersten zu entfernen? Schließlich bot diese Schicht aus verrottendem Pflanzenmaterial eine ideale Heimat für eine bunte Mischung aus Keimen und Parasiten. Wer braucht schon keimfreie Böden, wenn man sie auch einfach mit einem Hauch von Wildblumen und Kräutern parfümieren kann?

In den Speisesälen der Herrenhäuser und Schlösser bedeckten die Binsen den Boden, und es war ganz normal, dass der Überfluss an Speisen und Getränken großzügig verteilt wurde – natürlich nicht auf den Tisch, sondern auf den Boden. Die Hunde erledigten zwar einen Teil der Aufräumarbeiten, aber sie waren freundlich genug, noch Reste für die Ratten und Bakterien übrig zu lassen, um eine wahre Symphonie des Verfalls mitzugestalten.

Das romantische Bild eines hoch aufragenden Schlosses, das von einem klaren, glitzernden Wassergraben umgeben ist, ist nicht unbedingt das, was wir auf unserer Reise tatsächlich zu sehen bekämen. Vor allem nicht, wenn wir über Toiletten von vor Hunderten von Jahren sprechen. In den Häusern der Tudors wurden sie „Aborte“ genannt. Viele waren im Grunde genommen eine Schüssel mit einer Holzplatte darüber und einem in den Deckel geschnitzten Loch. Diese Schale wurde in eine Nische oder einen schrankähnlichen Bereich, den so genannten Garderobenschrank, eingesetzt. Manchmal bedeckte die Holzplatte auch nur ein Loch im Boden, durch das die Abfälle direkt in den Burggraben geleitet wurden. Es gibt quasi keine pittoresken Gemälde von niedlichen Bauern, die in einem Burggraben fischen, der menschliche Horizont endet dort, wo seine Fantasie endet.

Die Bauern, jene tapferen Seelen, hatten nicht einmal das zweifelhafte Vergnügen einer groben Toilette. Sie mussten sich Erleichterung dort verschaffen, wo es sich gerade anbot – sei es hinter einem Busch, einem Baum oder vielleicht in der Nähe eines grummeligen Misthaufens. Anschließend vergruben sie die Hinterlassenschaften mit der gleichen Sorgfalt, mit der man ein kostbares Geheimnis verbirgt.

Obwohl Toilettenpapier heute das weiche Wunderwerk der Moderne in jedem Haushalt ist, ist es eigentlich ein recht junges Produkt. Obwohl es Aufzeichnungen gibt, die darauf hindeuten, dass Papier bereits im 6. Jahrhundert in China verwendet wurde, wurde das saugfähige Papier, mit dem man sich im Badezimmer abwischt, erst 1857 in der westlichen Welt eingeführt, als Joseph Gayetty ein „Medizinisches Papier für das Wasserklosett“ auf den Markt brachte. Davor waren die Menschen ziemlich kreativ, was die Art und Weise betraf, wie sie sich reinigten. Lappen und nasse Tücher mögen die naheliegendste Wahl sein, aber andere benutzten auch Muscheln und Tierfelle, Schwämme an einem Stock, Blätter und sogar ihre eigenen Hände. Wer etwas besser betucht war, durfte sich den zarten Komfort der Schafwolle gönnen. Doch den wahren Gipfel der Exklusivität erklomm nur der König. War man ein Monarch, dann stellte man jemanden ein, der einem höchstpersönlich den königlichen Hintern abwischte.

Dieser ehrenvolle Posten trug den prächtigen Titel „Pfleger des Schemels“, und so abstoßend diese Aufgabe auf den ersten Blick erscheinen mag, sie war heiß begehrt. Die Adligen kämpften mit allen Mitteln – manchmal so schmutzig wie der Posten selbst – um diese Position für ihre Söhne zu ergattern. Denn wer einmal den königlichen Allerwertesten gepflegt hatte, stieg nicht selten zum engsten Vertrauten und Berater des Königs auf, vielleicht gar zum Privatsekretär, denn wer den Hintern des Königs kannte, kannte auch seine intimsten Geheimnisse. Und solch ein Wissen machte den bescheidenen Pfleger bald zu einem der mächtigsten Männer am Hofe. Ein wahres Sprungbrett in die höchsten Sphären der Macht – wenn auch über eine eher ungewöhnliche Route!

Wer sich jemals in die Zeit des alten Edinburgh zurückversetzen will, sollte sich auf den Ruf „garde loo“ gefasst machen. Wenn man nicht schnell genug war – oder wenn man nicht gemocht wurde – konnte es passieren, dass man mit dem Inhalt von Nachttöpfen überschüttet wurde, die aus den Fenstern der Mietshäuser geworfen wurden. Nachttöpfe dienten natürlich dazu, den Urin über Nacht aufzufangen. Der Begriff „garde loo“ stammt aus dem Französischen „garde l’eau“, was so viel bedeutet wie „Vorsicht vor dem Wasser“. Der daraus resultierende Gestank der Nachttopfinhalte war in der weiten Welt auch als „die Blumen von Edinburgh“ bekannt.

In der Zeit, als es noch keine Deodorants und kein häufiges Baden gab, können wir uns nur vorstellen, wie sehr es in dicht besiedelten Gegenden stinken konnte, vor allem in der Hitze des Sommers. Um zu versuchen, den eigenen Geruch in Schach zu halten, trugen die Menschen oft ein „Nasenstöckchen“ mit sich herum, ein kleines Bündel Blumen oder Kräuter. In der Hand gehalten, an die Kleidung geheftet oder einfach um das Handgelenk gebunden, halfen Nasenstöcke, den Körpergeruch zu überdecken oder zumindest den Gestank in der Umgebung des Trägers zu überdecken. Es wird sogar behauptet, dass die Bräute Blumensträuße in der Hand hielten, um ihren eigenen Geruch zu überdecken, wenn die Hochzeit zu lange nach dem Bad stattfand, was dann zu einer Tradition führte, die auch heute noch bekannt ist, auch wenn die Bräute heute viel besser riechen.

Früher hatten die Häuser nicht die schützenden Dächer, die wir heute haben. Es war nicht ungewöhnlich, dass Ungeziefer, Schädlinge und Kot vom Dach auf das saubere Bettzeug fielen. Daher wurden vier Stangen und ein Baldachin erfunden, um das Bett sauber zu halten, und daher stammen auch die Namen Himmelbett und Himmelbett.

Als Marie, Königin der Schotten, aus Frankreich in ihre Heimat zurückkehrte, war sie erstaunt und nicht wenig verärgert darüber, dass die Männer bei ihren Banketten weiterhin ihre Hüte trugen, während sie sich zum Essen hinsetzten. Die junge Königin wurde darauf hingewiesen, dass dies kein Zeichen von Respektlosigkeit ihr gegenüber sei, sondern eine Notwendigkeit. Die Männer behielten ihre Hüte auf, um nicht nur zu verhindern, dass ihre langen Haare das Essen berührten, sondern auch, dass Kopfläuse auf ihre Teller fielen.

Wenn es um ihr Aussehen geht, sind manche Frauen bereit, alles zu tun, um ihre Schönheit zu bewahren. Das gilt auch für frühere Zeiten – vor allem, wenn Frauen Urin sammelten, um ihr Gesicht zu waschen. Die Chirurgen der elisabethanischen Zeit rieten den Frauen, ihr Gesicht mit „starkem Essig, Milch und dem Urin eines Jungen“ zu waschen. Viele vertrauten auf die antiseptischen Eigenschaften des Urins und hofften, dass er das Gesicht frei von Flecken und Makeln halten würde. Außerdem glaubten sie, dass Urin straffende Eigenschaften hatte, die zu einem jugendlichen Aussehen beitrugen.

Die Menschen der Vergangenheit verwendeten Urin auch für andere Dinge. Während wohlhabende Familien den Luxus hatten, ihre Kleidung täglich zu wechseln, waren die meisten Menschen arm und mussten eine ganze Saison lang dasselbe Kleidungsstück tragen. Das bedeutete, dass die Kleidung nicht regelmäßig gewaschen wurde. Nachdem man mehr als einen Monat in denselben ungewaschenen Kleidern verbracht hatte, brauchte man etwas Starkes, um sie sauber zu bekommen. Auch hier glaubte man an die antiseptischen Eigenschaften des Urins und verwendete ihn als Waschmittel für die Wäsche. Er wurde auch als Mundwasser verwendet, aber das ist ein ganz anderes Thema.

Wem bei Urin als Mundwasser mulmig wird, wird vielleicht nicht wissen wollen, was die Menschen in der Vergangenheit als Zahnpasta verwendet haben. Es wird angenommen, dass die erste Zahnpasta von den alten Ägyptern 3.000-5000 v. Chr. hergestellt wurde. Sie wurde aus pulverisierter Asche von Ochsenhufen, Eierschalen und anderen Zutaten hergestellt und mit Wasser vermischt. Die antiken griechischen und römischen Versionen von Zahnpasta waren nicht viel besser, wobei erstere zermahlene Austernschalen und letztere vermutlich püriertes Mäusehirn verwendeten. Im Mittelalter wurde die Zahnpasta aus Kräutern und Gewürzen hergestellt, was sie wahrscheinlich etwas schmackhafter machte, aber die minzfrische Zahnpasta, wie wir sie kennen, kam erst Mitte der 1870er Jahre auf den Markt.

Heute ist Lysol für seine Reinigungsprodukte bekannt, die 99,9 % der Keime und Bakterien beseitigen. Es gab jedoch eine Zeit im frühen 20. Jahrhundert, als es als „Frauenhygieneprodukt“ vermarktet wurde. Lysol wurde zu einem hochwirksamen Mittel gegen die Spanische Grippe im Jahr 1918, versuchte aber danach, seinen Namen zu ändern. In der Werbung war eine Frau zu sehen, die behauptete: „Ich benutze Lysol immer zum Duschen“, und es wurde auch als Verhütungsmittel eingesetzt. Wie nicht anders zu erwarten, kam es bei den Frauen zu Entzündungen und Brennen, und einige starben sogar, weil sie das Mittel in einem so empfindlichen Bereich verwendeten. Lysol wurde schließlich von der medizinischen Gemeinschaft als Frauenhygieneprodukt gemieden, ist aber immer noch ein starkes Desinfektionsmittel für andere Zwecke.

Frauen sind nicht die einzigen, die sich im Laufe der Zeit Sorgen um ihr Aussehen machen. Auch Männer, die unter Kahlheit leiden, haben mit seltsamen Methoden versucht, ihr Haar wieder wachsen zu lassen. Eine Empfehlung lautete: „Nimm die Asche von Culver-Dung, verühre sie mit Lauge und wasche den Kopf damit.“ Culver-dung wird mit Hühnerkot übersetzt, was bedeutet, dass sich die Männer eine Mischung aus tierischen Exkrementen auf den Kopf schmierten. Leider hat das wahrscheinlich nicht funktioniert, denn Lauge ist eine starke, giftige Alkalilösung, die jede mögliche Wirkung von Hühnerkot auf das Haarwachstum wieder zunichte macht.

Wenn Männer unerwünschte Haare an einer beliebigen Stelle des Körpers entfernen wollten, sollten sie außerdem eine Paste aus Eiern, starkem Essig und Katzenkot herstellen. Diese Paste sollte auf die Stellen aufgetragen werden, an denen die Haare entfernt werden sollten. Warum sie sich nicht einfach rasierten, ist nicht belegt.

Die blaue Stunde / Paula Hawkins

Seit ihrem Durchbruch 2015 mit „The Girl on the Train“ hat sich Paula Hawkins als meisterhafte Erzählerin psychologischer Spannungsromane etabliert. „Die blaue Stunde“ bleibt dieser Linie treu und bietet eine Geschichte, die sich langsam entfaltet, dabei aber zunehmend an Intensität gewinnt. Es ist kein klassischer Krimi oder Thriller, sondern vielmehr ein atmosphärisch dichter Roman, der einer kunstvoll geknüpften Intrige gleicht: Man weiß, dass man irgendwann das Zentrum erreichen wird, doch was einen dort erwartet, bleibt lange ungewiss.

Die Inspiration für den Schauplatz des Romans kam Paula Hawkins während eines Urlaubs, als sie wegen einer Verletzung ans Bett gefesselt war. Sie sah eine Insel und begann darüber nachzudenken, welche Geschichten sich dort abspielen könnten. Ihre Liebe zur Kunst spielte ebenfalls eine große Rolle bei der Entwicklung der Figuren und ihrer Beziehungen zueinander.

Natürlich erfahren wir auch, was es mit dieser „blauen Stunde“ auf sich hat:

wenn die Nacht langsam näher rückte und der Himmel sich allmählich mit Sternen zu füllen begann …

Im Mittelpunkt steht die Künstlerin Vanessa Chapman, die bereits seit fünf Jahren tot ist. Doch durch ihre Tagebücher, ihre Kunstwerke und die Erinnerungen der Menschen, die ihr nahestanden, bleibt sie weiterhin präsent. Einer dieser Menschen ist James Becker, Kurator am Fairburn House, der sich intensiv mit ihrem Werk beschäftigt. Als in einer von Vanessas Skulpturen ein menschlicher Knochen entdeckt wird, droht ein Skandal. Wer war der Tote? Und wusste Vanessa von der makabren Einlage in ihrer Kunst?

Die Spur führt Becker auf die abgelegene Insel Eris, wo Vanessa einst mit ihrer engen Freundin und Mitbewohnerin Grace lebte. Grace, eine ehemalige Ärztin mit schroffer Art, hütet die Geheimnisse von Vanessas Vergangenheit und zögert, Becker alle Antworten zu geben. Doch nach und nach fügen sich die Bruchstücke eines düsteren Puzzles zusammen: das mysteriöse Verschwinden von Vanessas Mann Julian, die Abgründe ihrer Ehe und die Spuren ihres inneren Kampfes, die sich in ihrer Kunst widerspiegeln.

Die Atmosphäre des Romans ist von einer ständigen Unruhe durchzogen. Vanessas Schlaflosigkeit, ihre nächtlichen Wanderungen am Strand, das bedrohlich glitzernde Meer – all das schafft eine surreale, traumartige Stimmung, die sich in ihren Werken manifestiert. Ihre Kunst ist düster, von persönlichen Tragödien geprägt und offenbart tiefe seelische Risse.

Gleichzeitig ist „Die blaue Stunde“ eine vielschichtige Charakterstudie. Nicht nur Vanessa, sondern auch Becker und Grace stehen im Zentrum einer psychologisch fein gezeichneten Erzählung. Während Becker versucht, die Wahrheit hinter Vanessas Leben und Werk aufzudecken, kämpft er mit seinen eigenen Dämonen: Seine Frau erwartet ein Kind, doch er ist zunehmend besessen von Vanessas Geschichte. Grace wiederum ist hin- und hergerissen zwischen ihrer Loyalität zu Vanessa und den düsteren Wahrheiten, die sie mit sich trägt.

Paula Hawkins gelingt es meisterhaft, die Spannung bis zum Schluss aufrechtzuerhalten. Das Buch verlangt (wie jedes gute Buch) Geduld – es entfaltet sich langsam, aber mit jeder Enthüllung werden die Leserinnen und Leser dann durchaus belohnt. Und letztlich stellt sich die entscheidende Frage: Was bleibt von einem Menschen, wenn er geht? In „Die blaue Stunde“ lebt Vanessa Chapman weiter – in ihrer Kunst, in den Erinnerungen anderer und in den Schatten der Geheimnisse, die sie hinterlassen hat.


Übersetzt von Birgit Schmitz
Erschienen am 9. Januar 2025

Die Titanic und das Paranormale

Was könnte in der mittlerweile überbordenden Geschichte der Titanic noch auf seine Entdeckung warten? Nun, das Paranormale. Und davon gibt es, wie sich herausstellt, eine ganze Menge.

Da sind zunächst die prophetischen Umstände des Untergangs selbst. Im Jahr 1898 veröffentlichte der Autor Morgan Robertson eine Novelle mit dem Titel „Futility“ (Vergeblichkeit), die verblüffende Ähnlichkeiten mit der Titanic-Katastrophe von 1912 aufweist. Von der Kollision mit einem Eisberg auf der Jungfernfahrt von Southampton bis zur angeblichen Unsinkbarkeit des Schiffes aufgrund wasserdichter Abteilungen und eines Mangels an Rettungsbooten – alles glich sich auf unheimliche Weise. Der wohl unheimlichste Aspekt war der Name des fiktiven Schiffes: Titan.

Ein weiterer paranormaler Leckerbissen der Titanic-Geschichte sind die Artefakte. Da diese sich weitgehend im Besitz einer einzigen Firma befinden und bald versteigert werden sollen, gibt es zahlreiche Berichte über Spukerscheinungen in den Ausstellungsstücken. Besucher berichten von unerklärlichen Erscheinungen, ein bekanntes Fernsehteam nahm merkwürdige Phänomene auf, und Angestellte erzählten von paranormalen Aktivitäten. Eine Mitarbeiterin fühlte plötzlich Hände in ihrem Haar, andere sahen schattenhafte Gestalten durch die Gänge huschen oder begegneten einer geisterhaften alten Frau in einer nachgebauten Kabine.

Eine besonders hartnäckige, aber falsche Legende besagt, dass sich eine verfluchte Mumie an Bord der Titanic befunden habe. Dieser Mythos, oft im Zusammenhang mit dem angeblichen Fluch des Tutanchamun genannt, suggeriert, dass ein ägyptischer Fluch das Schiff ins Verderben gestürzt habe. Tatsächlich war jedoch keine Mumie an Bord, und die Geschichte geht lediglich auf einen Sargdeckel im Britischen Museum zurück, der sich nachweislich nie auf dem Schiff befunden hat.

Eine der bekanntesten Geisterlegenden im Zusammenhang mit der Titanic ist die „Lady in Black“. Zahlreiche Zeugen haben berichtet, dass eine mysteriöse Frau in schwarzer Trauerkleidung bei verschiedenen Ereignissen im Zusammenhang mit der Titanic gesichtet wurde, unter anderem auf Passagier- und Frachtschiffen, die den Atlantik befuhren, und an Orten, an denen das Schiff gesunken war. Oft sieht man sie weinen oder mit einem Ausdruck tiefer Trauer in die Ferne blicken. Manche spekulieren, dass sie der Geist einer trauernden Witwe sein könnte, die ihren Mann bei der Tragödie verloren hat. Die Lady in Black ist zu einer ikonischen Figur in der Geistergeschichte der Titanic geworden, deren Gegenwart ein Gefühl tiefer Trauer und Sehnsucht hervorruft.

Das vielleicht interessanteste paranormale Phänomen im Zusammenhang mit der Titanic ist das angebliche Spukhaus von Kapitän Edward Smith. Sein Geburtshaus in Stoke-on-Trent, Staffordshire, England, ein viktorianisches Gebäude, soll von seinem Geist heimgesucht werden. Bewohner berichteten von Sichtungen einer geisterhaften Gestalt im Schlafzimmer und plötzlichen Temperaturabfällen in verschiedenen Teilen des Hauses. Besonders beunruhigend ist die wiederkehrende mysteriöse Überschwemmung in der Küche, die ohne ersichtlichen Grund auftritt. Das Haus steht derzeit zu einem auffallend niedrigen Preis zum Verkauf – eine Gelegenheit für mutige Titanic-Enthusiasten, weitere Nachforschungen anzustellen.

Es ist kaum verwunderlich, dass ein so traumatisches und emotionales Ereignis wie der Untergang der Titanic Geistergeschichten hervorgebracht hat. Rund 1500 Menschen starben in jener Nacht unter schrecklichen Umständen. Paranormalisten und Hellseher behaupten, dass diese starken Emotionen sich auf die Artefakte und vielleicht sogar auf das Schiff selbst übertragen haben. Interessanterweise gibt es jedoch keine glaubwürdigen Berichte über Geistererscheinungen direkt am Wrack der Titanic. Dies könnte daran liegen, dass die meisten Opfer an der eiskalten Meeresoberfläche starben und nicht am Meeresgrund in der Nähe des Schiffes. Die schlechten Sichtverhältnisse in der Tiefsee, eingeschränkte Forschung durch Tauchboote und die logistischen Herausforderungen einer Expedition tragen ebenfalls zur Schwierigkeit bei, etwas dort zu entdecken oder wahrzunehmen.

Über individuelle Begegnungen und spirituelle Untersuchungen hinaus haben die Erzählungen über die Geister der Titanic auch in der Populärkultur Anklang gefunden. Bücher, Dokumentationen und Filme haben sich mit den übernatürlichen Aspekten der Geschichte der Titanic beschäftigt und die Faszination und den Mythos der Titanic-Geister aufrechterhalten. Von fiktionalisierten Berichten über geisterhafte Romanzen an Bord des Schiffes bis hin zu spekulativen Theorien über Zeitreisen und parallele Dimensionen regen die Geisterlegenden der Titanic weiterhin die Phantasie von Geschichtenerzählern und Publikum an.