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Schlagwort: Brouillon

Fangfrischer Meerrettich

Diesmal konnte ich mir für eine Reduktion zwei Tage Zeit nehmen. Freitags kochte ich stundenlang das Wurzelgemüse, Knochen und Fleisch I aus. Daraus wurde die samstägliche Gemüsesuppe. Mit der Hälfte der Reduktion kochte ich noch einmal ein neues Stück Fleisch aus. Daraus wurde am Sonntag das Kren. Leider hatte ich keinen fangfrischen Meerrettich. Diese Tiere sind sehr scheu und man erwischt sie meist nur, wenn man tagelang unter der Erde spazieren geht. Das tat der mörderischen Geschmacksästhetik jedoch keinen Abbruch. Für mich ist die deutsch-böhmisch-österreichische Küche die beste der Welt, dicht gefolgt von der mexikanischen, die allerdings oft an den Zutaten scheitert, obwohl ich hier zumindest schwarze Bohnen bekomme.

Königsberger Klopse

Das untergegangene Preußen hat sich viele seiner Begrifflichkeiten aus der französischen Mode abgeschaut. Eines dieser französischen Wörter, nämlich „escalope“ wurde zum „Klops“, gemeint ist damit natürlich ein Fleischbällchen. Die berühmten Königsberger Klopse gibt es in vielen Varianten, man kann aber davon ausgehen, dass die Ostpreußen in der Hauptsache Hering unter das Rinderhack mischten, während es bei Hofe unbedingt Sardellen sein mussten. Der Siegeszug dieses eigentümlichen Gerichts verlor mancherorts den Fischanteil ganz, was aber essentiell blieb, waren Estragon, Senf und natürlich Kapern. Laut der Legende wurde Fisch dem Hack nur dann beigemischt, wenn die damals teuren und luxuriösen Kapern nicht bei der Hand waren. Vergessen werden darf allerdings nicht, dass es das Hack, wie wir es heute kennen, erst seit 1850 gibt, da vorher kein Fleischwolf zur Hand war. Will man historisch zu Werke gehen, muss das Fleisch (in der ersten Stunde dieses Gerichts handelte es sich um Kalb) zunächst mürbe geschlagen und dann geschabt werden. Die französischstämmige Kapernsorte Nonpareilles dürfte dabei als das Nonplusultra gelten, und es versteht sich von selbst, dass es dann auch Dijon-Senf sein muss. Weißwein, Butter, Sahne, ein Hauch von Muskat und Zitronenschalenstaub runden das Bild dieses Klassikers ab.

Gewohnheit

Es war nie wichtiger, seine Lesegewohnheiten zu ändern, als dies heute der Fall ist. Zwar hat die Höhenkammliteratur nie etwas anderes getan, als die Form und das Verhältnis zur Sprache in abstraktes Terrain zu führen, die Erzählverweigerung aber, die daraus resultierte, brachte kein wirklich gutes Ergebnis. Es sollte darum gehen, Erzählformen zu finden, die mit dem Überkommenen brechen, die aber niemals das Erzählenmüssen der Menschheit torpetieren. So kann eine Geschichte, die nirgends hinführt, das Scheitern einer Lebensprognose viel besser aufzeigen als die plakative Verweigerung. Ein Text kann nicht abgeschlossen sein, so etwas ist unmöglich. Aber wenn er existiert, hat er etwas zu erzählen, und wenn es seine Entstehung ist.

Tarock der Läufer und Fänger

Im Titel stehts bereits, was ich sagen will. Aber das ist natürlich ne faule Aussage von mir. Das weiß ich. Ich bin weltfaul und der meisten meiner Artgenossen überdrüssig. Das wiederum lässt tief blicken. Stille psychoanalytische Fischrachenanalyse.

Zelfieblume

Ich entwerfe gerade ein Tarock für das, was bisher noch „Sandsteinburg“ heißt und irgendwo in Schubladen, unter Schränken und in meinem Schädel umherfledert. Genommen werden Figuren, Symbole und Szenen aus ihr. Das bedeutet zwangsläufig: Ich muss auch eine eigene Legende zu den Karten entwerfen. Ein absolut sinnloses Unterfangen, zu dem die Hochlebe-Luftpuppe der Kunst eine ihrer blonden Strähnen zwischen zwei ihrer Finger zwirbelt, um sie zwischen Nase und Oberlippe zu klemmen, sobald sie schweinsnaserümpfend ein Fischmaul mimt. Zimpel commonzenzes.

Das ist die Karte mit der es begann.

Zu den Kanon(-)en

Schon etwas länger plage ich mich mit dem Gedanken herum, einen Kanon zu gestalten, der sich ganz der spekulativen Fiktion widmet (’spekulative Literatur‘ hörte sich vielleicht gebräuchlicher an, aber die Fiktion ist per se ein Gedankenspiel, das der Literatur voran geht, also zuerst da ist. Außerdem gehört die spekulative Fiktion zur Literatur, wie auch die Lyrik, der Comic, das Drehbuch etc. Literatur ist demnach nicht teilbar, Fiktion schon.). Ob das nun Gewäsch ist oder nicht, dachte ich zunächst an eine ungefähre Liste von 100 Büchern, die in loser Reihenfolge vorgestellt werden, bevor die Grenze dann notgedrungen überschritten wird. Auf eine Zahl wollte ich mich eigentlich nicht festlegen, dachte aber heimlich immer an die 1001-Serie der Edition Olms. Natürlich gibt es da auch die 1001 Bücher, die man gelesen haben sollte, bevor das Leben vorbei ist – da aber weigere ich mich. Zu viel davon will ich nicht lesen, zu viel davon habe ich schon gelesen und für nicht weiter wichtig befunden, zu wenig habe ich auf dieser Liste entdeckt, das nicht der Torwächter-Geschmack vorgibt, zu viele bedeutende Werke sind gar nicht vertreten. Da meine Einstellung zu vielen Dingen die natürliche Rebellion ist, dachte ich natürlich zunächst an einen Gegenkanon, was aber sinnlos ist, da kein einziger Kanon wirklich Gültigkeit über sich selbst hinaus besitzt. So auch nicht meiner, sollte er denn je entstehen.

Gegenwärtig habe ich im Phantastikon (und auch schon hier) mit der Stoffsammlung begonnen, aber 1001 Bücher werden es natürlich nicht werden. Tatsächlich bin ich der Meinung, dass es nicht mehr als 300 Bücher (oder Werke, wenn man die Zyklen miteinbezieht) gibt, die wirklich in Stein gemeißelt werden sollten, und das unabhängig vom allesbeherrschenden eigenen Geschmack. Slipstream, Fantasy, Horror, Science Fiction, Magischer Realismus … da gibt es noch eine Menge zu sichten und in vielen Belangen gilt es auch, sich mit Experten auseinanderzusetzen. Was ich seit Jahren tue. Und was bereits vor zwei Jahren zu einer rudimentären Liste der 100 besten Fantasy-Werke geführt hat, die nach hinten dann doch sehr dünn und unhaltbar wurde, weshalb ich sie wieder vom Netz nahm.

Wie mein weiteres Vorgehen diesbezüglich auch sein wird, kann es vorkommen, dass zunächst Bücher in dieser Liste auftauchen, die später wieder entfernt werden. Aber ein Echtzeit-Abenteuer hat durchaus seine Bewandtnis. Man sieht die Leiden des alten Werther, wenn man so will, von einem, dem die Kugel nur das Gehirn gestreift, es aber nicht durchdrungen hat.

Mit Piglias „Letztem Leser“

So erstaunlich es sich anhört, habe ich eine irrationale Angst davor, Bücher könnte es eines Tages nicht mehr geben und diese Möglichkeit käme noch zu meinen Lebzeiten zum Tragen. Das mag vielleicht ein Grund für meine Besessenheit sein: kaum habe ich ein Buch in meine Sammlung integriert, fehlt mir ein anderes schmerzlich. Und das geht immer so fort. Als Leser hat man immer zu wenig Bücher, auch wenn man eines Tages so viel hat, sie nie und nimmer alle lesen zu können. Doch das spielt keine Rolle und kann nur der Einwand eines Nichtlesers sein, denn manchmal besteht die Aufgabe eines Lesers gerade darin, nur zwischen den Büchern zu verweilen und nicht zu lesen. Es gibt keine andere Möglichkeit, das Universum zu uns einzuladen; sobald wir in den Nachthimmel sehen, zieht es sich zurück. Nur in einer Bibliothek offenbart es sich, wie das Leben, das man sucht, aber nur noch in der Erinnerung findet, einer Erinnerung, die sich nicht zuletzt aus Gelesenem speist.

Das Tribunal zu Wilem

So war es nicht erstaunlich, dass ein Riese mich vor die Tür setzen wollte. Energie war er, sonst nichts, unhaltbar groß, erschienen aus dem Nichts, durch Gedanken in die Materie gezwungen. Nun erbat ich mir aus, mich noch ankleiden zu dürfen, denn der Anstand gebietet Kleidung. Noch während ich mich bemühte, alle Kluft zusammenzurühren, um hineinsteigen zu können, erschien – ebenfalls aus dem Nichts – mein eigenes Energiespektrum, klingelte aber wohl an der Eingangstür, denn von dort aus hörte ich einigen Tumult. War es verwunderlich, dass zu meiner Verteidigung ausgerechnet ein Renommist erschienen war? Der freilich, denn er kam ja aus meinem eigenen Dunstkreis, man frage nicht, wie, war mir, obwohl ich ihn als relativ machtlos gegenüber der anderen Partei entlarvte, war mir kein bloßer Unsympath; abgesehen davon hatte ich nichts anderes aufzubieten. Durch sein Auftauchen war die Angelegenheit nicht mehr so einfach und schnell durchzusetzen, was meinem Energieverteidiger dann doch anzurechnen war. Es sollte zu einem Tribunal kommen, was mehr war, als ich erwarten konnte, und das mich gleichzeitig erstaunte. Zielort: Wilem; ein Zimmer dort, wie tausend andere Zimmer. Immer mehr Menschen drängten herein: Anwälte, Stenotypistinnen, solche und solche, deren Funktion gar nicht auszumachen war. Ich würde verlieren, mit Verzögerung zwar, aber verlieren würde ich. Oder auch nicht, denn ich hatte eine Verbündete, die zu erreichen das ganze Bestreben meiner Traumreise war.

Viehmarkt

In erster Linie mochte ich es gar nicht glauben. So leicht wäre es über die Jahre bereits gewesen, die Reiseschreibmaschinen gegen eine zünftige Büromaschine (ein Arbeitspferd) einzutauschen. Ich hätte wohl nicht eine derartige Leidensstrecke zurücklegen müssen. Die Monikas waren mir aufgrund ihrer Robustheit bereits mehr an die Finger gewachsen als die anderen, dennoch gab es Makel, über die ich immer wieder berichtete. Jetzt ist der Koloss Olympia SG vor Ort, eingeritten und für tragfähig befunden. Zudem habe ich, sollte einmal etwas im Argen liegen, einen Mechaniker dazugewonnen, der auch mein zukünftiges Schreiben mit der Maschine gewährleisten kann. Drama beendet? Es sieht leicht danach aus.

Honey Baby

Von der Backfront : noch gestern (dunkel war’s, kein Mond schien helle) in den Herbstduft gestiegen, mich hingetastet (obwohl ich doch ein Elektrokleingerät zum Kneten) an den perfekten Honigbatzen, von dreien zwei nach Rachen=Erkenntnis genuß=gut, für die nächsten hellen Tage : noch mehr Honig, noch mehr Zimmet, etwas weniger Nelkenpulver; ach : und Hirschhornsalz fehlte auch diesmal. (Ob ich da mal selbst im Wald?)

Durch die Rabenscheiße ins Glück

Zwischen dem Wort „Toilette“ und dem Wort „Leute“ gibt es eine ungemeine Verwechslungsgefahr. Doch der ähnliche Klang kommt nicht von ungefähr. Immer, wenn ich „auf die Toilette muss“, dann mache ich das, was Raben tun, wenn sie „auf die Leute …“, nämlich: scheißen.
„Ich muss mal kurz auf die Leute“, ist dann das Ergebnis einer gepflegt realistischen Wortwahl.