Wes Craven: „Blut. Da schreien die Leute!“

Schauergenie Wes Craven verkündete der Gemeinde: „Als Horrorfilm-Macher sage ich: Ich werde euch die absolute Wahrheit zeigen, und sie ist blutig und scheußlich und gefährlich.“

Und genau nach der, so wusste die Regie-Legende, fiebert die hungrige Meute.

Blut. Es ist immer Blut. Da schreien die Leute.“

Wes Craven

Folgerichtig wurde bei ihm zerhackt, zerlegt, zerfetzt, zerschlitzt, gepeinigt, gefoltert und gefressen, im Regelfall immer hübsch blutig. Reines hohles Gemetzel freilich war das nie, die Story ist vorhanden, es wird (auch) erzählt. Und: Der Großmeister finsterer Absichten, der privat keine Horrorfilme mochte (er ängstigte sich), konnte auch durchaus leisere Töne anschlagen. Craven, der vor seinem Sprung ins Haifischbecken Hollywood als Dozent für Philosophie und „Writing“ an der Clarkson University in Potsdam, New York, die Brötchen verdient hatte, drehte 1999 mit der begnadeten Meryl Streep das Melodram „Music of the Heart“. Einfühlsam. Schön. Die Streep wurde für den Oscar und den Golden Globe nomiert. Craven war völlig zu Recht stolz auf seine Arbeit der etwas anderen Art, – Scream 2, ein starkes Genrestück, war zwei Jahre zuvor erschienen -, seine gewaltige Fan-Schar freilich bangte etwas, einige befürchteten Schlimmstes: Dass ein Horror-Maestro sein Gelübde ad acta legen könnte, um fortan mehr an die Psyche und weniger an unappetitlich Eingemachtes zu gehen.

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Femme Fatale (2): Unmoralisch, skrupellos, atemberaubend

Schöne Frauen verwelken, der ganze große Rest wird einfach nur alt. Und die Femme Fatale bleibt ein Bild. Ein Blick. Eine Ewigkeit. Unsterblich, weil sie nicht nur diesen einen speziellen Namen hat. Sie heißt Isabelle. Ava. Rita. Greta. Sharon. Pola. Lauren. Gloria. Manchmal auch Lolita. „Wir sind viele“, raunt sie. Faucht, weil sie einzigartig sein will, zieht an der Zigarette, fährt sich durchs Haar, schmeckt den Whisky, träumt sich in die Nacht und malt ihre Lippen an. Und kokettiert mit ihrem Böse-Mädchen-Image, wenn sie sagt:

Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, würde ich die gleichen Fehler machen. Aber ein bisschen früher, damit ich mehr davon habe. (Marlene Dietrich)

Marlene Dietrich

Die Femme Fatale definiert eine gewisse Unanständigkeit, auch Skrupellosigkeit als notwendiges Muss, wenn man nicht nur überleben, sondern grundsätzlich besser leben will. Sie verfolgt eigennützig ihre Ziele, schreckt nicht vor Täuschung und Betrug zurück. Sie ist Eva. Delila. Pandora. Helena. Circe. Aggrippina. Die Loreley. Sie stilisiert sich selbst zu einer Göttin. Oder lässt sich stilisieren.

Alma Mahler-Werfel (1879, Wien, – 1964, New York), verheiratet in Reihenfolge mit dem Komponisten Gustav Mahler, dem Architekten Walter Gropius und dem Dichter Franz Werfel, Geliebte des Malers Oskar Kokoschka und weiterer berühmter Männer, die sich um sie in der Wiener und New Yorker Künstlerszene versammelten, nannte sich selbst die „schöpferische Muse“ jener begnadeten Geister. Unzweifelhaft bewegte sie sich als vielleicht für jene Zeit typische Femme Fatale auf blankem Parkett so stilsicher wie im abgedunkelten Hinterzimmer, von sich selbst überzeugt und besessen, auf den einen bestimmten Nenner gebracht von ihrer Freundin Marietta Torberg:

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Soylent Green: Menschenfleisch

Das Hauptnahrungsmittel der zukünftigen Normalbevölkerung ist eine Mogelpackung. Darauf steht Plankton, darin ist Menschenfleisch.

Soylent
(c) id-iom

So läuft das in in Soylent Green, und damit wäre Wesentliches gesagt für diejenigen, die diesen wahrlich betagten Film nicht kennen und auch nicht gedenken, ihn sich anzuschauen. Die Aufklärung erfolgt (natürlich) zum Schluss. Bis dahin wird, wenn man sich denn auf das Abenteuer einlässt, geguckt, gefiebert, mitgelitten. Mit gewürgt. Vielleicht. Denn was da auf den Tisch kommt…gleichwohl, so soll das auch sein. Immer noch.

Es gibt etliche Filme, die so wahnsinnig gut verblüffend enden, dass man sich ärgert, sie schon gesehen zu haben. Wäre doch großartig, man würde in The Sixth Sense den kleinen Cole zum ersten Mal „Ich sehe tote Menschen“ flüstern hören. Ohne zu wissen, warum Bruce Willis die ganze Zeit so verdammt einsam ist. Norman Bates könnte sich in Psycho noch einmal die Perücke aufsetzen, und wir würden vor Schreck Colaflasche und Popcorn fallen lassen wie unsere Mütter, Väter, Großeltern. Sie im Petticoat, er mit Haartolle, schwer verliebt und völlig erstarrt. Stellen wir uns mal so vor.

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Diese Lust, Angst zu machen

Genial jung, gewünscht wild, gefühlt böse sind T.C. Boyle und seine Leute in Greasy Lake. Zu so einer großartigen Truppe habe ich nie gehört. Ich war schüchtern als Kind, viel zu vernünftig als Teenager und langweile mich als Erwachsene. Sofern ich nicht lese, schreibe und gucke, wonach mein Kopf giert. Das wäre somit geklärt. Boyle kann mich zwar verführen, aber wenn ich ihn zuklappe, brennt immer noch die Nachttischlampe meiner Großmutter, die mich an Milch mit Honig erinnert und an ihr klapperndes Gebiss.

Ich hatte Respekt vor diesen Zähnen. Damals war das, denke ich, tatsächlich sowas wie Angst. Ich fand es gruselig, wenn meine Großmutter sie vor meinen Augen aus ihrem Mund fischte, um sie in ein Glas mit sprudelnder Flüssigkeit zu tauchen. Sie wusste das. Wenn ich bei ihr übernachtete, sagte sie „Zeit für das Gebiss“, sah mich scharf an und sagte: „Nun hab dich nicht so. Bleib gefälligst sitzen.“ Ich könnte schwören, dass sie dabei boshaft gelächelt hat. Durchschaut hatte ich sie eh: Es bereitete ihr Spaß, mir diese Furcht einzujagen, die sie selbst wohl ziemlich albern fand, die ich aber ganz offensichtlich hatte. Warum auch immer, für mich war das nicht normal, ich hatte Gänsehaut. Durchaus. Und Punkt.

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Patrick Bateman: American Psycho

Da mordet jemand recht munter, sehr wohl böse und unverfroren, und während man zuschaut, denkt man sich, dass das nun wirklich grundsätzlich kein Popcorn-Kino ist. Trotzdem knistert es in der Tüte. Weil es zum Entertainment gehört. Vielleicht friert man dabei ein bisschen. Ein bisschen mehr vielleicht. American Psycho verlangt diesen gewissen frostigen Schauer im Kopf. Es bleibt eine ganze Weile kalt.

Verdammt kalt. Und das ist auch das brutal Gescheite an dem genialen Horror-Yuppie-Streifen aus dem Jahr 2000, gedreht von Mary Harron, die erfreulicherweise auf Christian Bale in der Rolle des chic durchgeknallten Wallstreet-Killers in den 1980ern setzte und nicht auf die gleichsam Gehandelten Leonardio Di Caprio oder Edward Norton: Beide phantastisch, aber anders.

Anders als Bale-Bateman, der den legendären Meisterpsychopathen Norman Bates, der in ihm die wirren Gedanken zu sortieren versucht, zum Paten hat. Die Namensgebung kommt nicht von ungefähr, den Blick des irren Beaus teilen sie, und vielleicht hätte sogar Hitchcock sein persönliches Interesse gehabt am zwanghaft wilden Töten, dessen Sinn sich zwar elegant verschlüsselt, aber denn doch auf die simpelst durchdachte Art ergibt:

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Wenn es aus heiterem Himmel knurrt und beißt

Ein Film. Genre mal zweitrangig. Zauberlandkulisse, von Sonne, Wind und Lust geküsst. Zwei junge, hübsche Frauen in knapp sitzenden Bikinis liegen am Strand. Eine Urlaubsbekanntschaft unter Paaren, die beiden Männer sind anderweitig beschäftigt. Gina, die Blondine raucht einen Joint und beschreibt ihr wildes, verrücktes Leben.

Cidney, die Dunkelhaarige, frisch verheiratet und just in den Flitterwochen, blickt verträumt und sagt: „Ich wünsche mir für die Zukunft einfach nur Kinder, ein Häuschen mit Garten, selbstgebackenen Kuchen im Ofen. Das ist für mich Glück pur.“ Gina schüttelt amüsiert den Kopf. „Glück ist relativ und im Regelfall bigott.“ Sie erzählt vom Pfarrer in ihrer Heimatstadt, den alle gerade heraus geliebt hätten.

„Ein rundum großartiger Mann“, sagt sie, „auf den niemand etwas hätte kommen lassen. Bis sich herausstellte, dass er kleine Jungs mochte. Seitdem muss mir niemand mehr etwas von heiler Welt erzählen.“ Sie grinst ironisch, sieht Cidney abwartend an. Die schweigt. Dreht spielerisch an ihren langen Locken. Dann sagt sie:

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Für den Fall der bösen Fälle: Augen zu, dann durch.

Erstaunlich, was prinzipiell sensible Zivilisten alles aushalten, wenn sie sich diese gewissen Filme angucken. Böse, blutige Filme. An Lötkolben, Kneifzange, Hammer, Schwert und Motorsäge im Folterkeller haben sie zwar nicht ihre helle Freude, verfolgen das alles aber recht entspannt, wachsam und mit diesem gewissen Einverständnis, das bei noch deutlich sensibleren Gemütern auf Unbehagen stoßen könnte.

Gilt die Vermutung, dass das Schlachten und Metzeln, zumal, wenn es verdient ist, insofern nicht sonderlich juckt, weil man sich, während man da so mit Knabberzeug im Sessel hockt, überhaupt nicht vorstellen will, dass einem selbst prinzipiell jederzeit abartig Schlimmstes widerfahren könnte. Möglich ist ja alles.

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