Phantasmagorie – Die Horrorshow des achtzehnten Jahrhunderts

Künstler: Govard Bidloo.

In der Vergangenheit waren wir nicht so sehr vor dem Tod geschützt wie heute.  Der Tod war nicht in klinischen Umgebungen wie Krankenhäusern und Pflegeheimen sicher verstaut. Oh nein – er verfolgte uns auf der Straße, er war in unserem Haus, in unserem Bett und stand in unserem Gesicht.  Vielleicht haben die Menschen deshalb schon immer nach Antworten auf die Frage gesucht, was uns erwartet, wenn wir endlich unsere sterbliche Hülle ablegen.  Und während Theologen und Denker Trost spendeten und versuchten, Antworten in Form von Religion oder Philosophie zu geben, hatten die einfachen Leute Lust am Volksmärchen und Aberglauben, um das Unerklärliche zu erklären.  Und das Nebenprodukt davon war die Freude an einem guten Schreck!

Als aus schön schrecklich schrecklich schön wurde

Im 18. Jahrhundert kam das Genre des Horrors in Form von Geistergeschichten und der Gothic Novel auf: Das Schloss von Otranto von Horace Walpole 1765, Vathek von William Beckford 1786 und Die Geheimnisse Udolpho von Anne Radcliffe 1794, um nur einige zu nennen. Das 18. Jahrhundert bot nicht nur die Möglichkeit, sich mit der Lektüre von Büchern über übernatürliche Ereignisse zu vergnügen, sondern auch ein interaktives Erlebnis in Form der seit den 1760er Jahren sehr beliebten phantastischen Laterna magica.

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Nachgast-Omen (Erweiterung)

Gesättigt sind die Trauben nur dann, wenn sie von
vielen Gläsern erzählen können. Eine Fertigkeit krönt
sich selbst, wenn sie funktioniert, durch vibrierende
Nerven Kontakt aufnehmen kann. Die Bravour des
Zerquetschens auf die richtige Weise. Der Geschmack liegt um
die Zuckermoleküle herum, aber der Kern wird dennoch
verfehlt, außer bei der passenden Musik. Sie darf von
Blaskolben stammen, aus Blech geformt wie ein Rohr
oder aus den Mineralien der Schlacht um Aufmerksamkeit.
Der kleine Nebel und ein Schloss – beides dürfte genug sein.

Ich hätte mir durchaus vorstellen können, die Kluft zu
überspringen, aber wer würde dann an meiner statt in
die Klamm fallen, wer würde zerschmettern an den Pilzen,
Dornen und Stacheln, an den Fieberabenden, den
lerchenfreien Tagen, nur um etwas Abstand zu gewinnen
vor der eigenen Unbekümmertheit, auf einer Gartenparty
eingeladen zu sein heißt nicht, sein Haus verlassen
zu müssen, man schickt einen Geist, der nie ermüdet,
aber zum Lohn verlangt, den Dachboden unter sich
aufteilen zu dürfen. Man müsste allein aus Vernunftgründen
fähig sein, ein fremdes Gewissen zu belasten,
während man selbst versucht, seine Lampe zu reparieren.

In alten Zeiten drehten sie Filme vor einem Scheunentor
und standen selbst nicht einmal hinter der Kamera, sondern verloren
sich an die blauen Wiesen rund um das Gehege perlmuttern
glänzender Faksimiles. Manches währt ewig, wenn man
nicht aufpasst. Am besten eignen sich Ersatzteile, die man
nicht füttern muss. Dabei kommt nichts anderes heraus als eine
mittelscharfe Praline, angefüllt mit all den wilden Worten,
die nie den Staub durchdrangen, die Farben sind schmutzig
und gerade deshalb schön, alles in einem gönnerhaften
Schwarz gelagert, bevor es sich im Schrank verliert.

 

 

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Neu bezahnt

Ich bin neu bezahnt, nachdem meine Lücken absonderliche Zischlaute hervorbrachten, die es mir unmöglich machten, einen vernünftigen Satz zu vertonen, wobei gerade das Vertonen mir jetzt gar nicht mehr wichtig erscheint, schließlich habe ich genug Beispiele, Nebenspiele, Hauptspiele und Unsinnigkeiten vertont. Zu schweigen von den Podcasts, die noch nicht alle in der Veranda angekommen sind. Das hat Zeit, scheint unwichtig, gerade weil die Veranda im stillen vor sich hin wächst, selbst ein absonderliches Konstrukt ist – ziellos und im Grunde nur dazu da, Tinte zu sparen, die gar nicht gespart werden müsste (denn ich schmiere ohnehin erst in ein Heft, bevor ich taste). Es ist sehr viel Wandel im Gange und paradoxerweise scheint mir nichts wichtiger als ein Gedicht. Als ich mit dem Lorebuch 2018 begann, war es ein Gedicht, das jetzt zu einem Langgedicht wird. Andererseits widerspricht das meinen Momentaufnahmen, der Vorstellung (alles ist Vorstellung), dass ich niemals den gleichen Ton treffe, nachdem ich den Stift beiseite gelegt habe. Das bedeutet: selbst wenn ich fünf Gedichte an einem Tag schreibe (was vorkam, wenn auch selten), sind sie nicht unbedingt in der gleichen Fason, wenn auch doch im gleichen Stil. Das hat mit Zähnen sehr wenig zu tun, spielt sich aber in der gleichen Luft ab, im gleichen Luftraum, insofern man seine Träume nicht auslüftet.

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Lungengrill

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Arbeitsatmosphäre (Lorebuch)

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Der Menschenfresser

Eine Insel wie Madagaskar, voller biologischer Wunder wie
der satanische Blattschwanzgecko, das nachtaktive Aye-Aye,
riesige Springratten und eigentümliche Blattkäfernymphen
nimmt sich den Platz, den es vorher nicht gab, um die zentrale
Bedeutung des Lebens zu feiern, als wäre das Universum
ein ausgedachtes Ressort, das uns immer wieder verspottet.
Fremd sind die Welten auch ohne den Klang des Nimmermüden,
die Ranken eines Gewächses, das sich um ein Opfer schlingt
und die Bewegung in den Rhythmus des kaum merklichen Windes
einstimmt.

Dünne, empfindliche Gaumen bebten einen Moment lang,
als würden sie von hungrigen Stricken umschlungen,
und legen sich dann, wie von einem Instinkt geleitet und
mit teuflischer Raffinesse, in plötzlichen Windungen
um ihren Hals und ihre Arme. Dann, während ihre
schrecklichen Schreie und ihr noch schrecklicheres Lachen
immer wilder wurden, um augenblicklich wieder
in einem gurgelnden Mittelmaß zu ersticken, erhoben sich die Ranken,
eine nach der anderen, wie große grüne Schlangen, mit brutaler Kraft
und höllischer Schnelligkeit, zogen sich zurück
und umklammerten sie immer fester, mit der grausamen Schnelligkeit
und wilden Hartnäckigkeit von Anakondas, die sich an ihre Beute sichern.

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Der Geschirrbeobachter

Hier habe ich zumindest ein paar Töpfe, sagte sie. Fürs Erste
müsste das reichen; ich stelle sie hier vor die Tür,
dann muss ich nicht reinkommen.
Ich nickte. Wie lange wird das vorhalten?
Das ist schwer zu sagen … Sie schielte die Töpfe an,
als habe sie sie noch nie richtig betrachtet. Ich würde
auf zwei Tage tippen, die Teller sind dagegen
nur Stunden, aber zusammen mit dem Besteck
nähert sich das wieder an. Das bekommen Sie dann alles morgen,
bevor die Zeit abgelaufen ist.
Ich suchte in ihrem ausgefallenen Gesicht nach einer Antwort,
fand aber nichts. Glichen ihre Augenbrauen nicht dem Futhark?
Bildeten die haarigen Runen nicht die eigentliche Botschaft für mich?
Mehr müssen Sie nicht wissen, sagte sie robust und kompakt,
sie war schließlich in der Überzahl
und konnte sich ihre Rindviehhaftigkeit leisten.

Nachdem sie wieder nach nebenan verschwunden war,
holte ich einen Stuhl, um die Töpfe zu beobachten. Die Tür
ließ ich geöffnet, eine andere Lösung hatte ich nicht,
ärgerte mich aber darüber, sie nicht darum gebeten zu haben,
die Töpfe in die Küche zu stellen. Jetzt würde es
die ganze Nacht Durchzug geben, weil man mir
noch keine Fenster eingebaut hatte. In der Probezeit
war das natürlich unüblich, man wollte erst sehen,
ob ich imstande war, die mir zugeteilten Aufgaben
zufriedenstellend zu erledigen. Gegen Abend
hörte ich meine Nachbarin eine Arie anstimmen und
war dankbar für das Gekreische, denn ich war
gerade mit der Innenfläche der Töpfe beschäftigt,
als ich kurz wegnickte. Mein Ziel war es, ein
für mich bestimmtes Muster zu finden,
die Beobachtung des Geschirrs etwas angenehmer zu gestalten,
sicher, dass mir das in den folgenden Tagen, wenn mir Teller,
Schüsseln und Besteck gebracht wurden, aufgrund
der unterschiedlichen Formen, leichter fallen würde.

Ich konzentrierte mich vor allem auf die ungleichmäßige Verarbeitung,
stellte mir vor, wie man in den Töpfen
die verschiedensten Gerichte zubereitete und ging
im Geiste die Rezepte durch. Zu jeder Delle
dachte ich mir eine weitere Geschichte aus und sah
die knetige Masse der Hände, die diese Töpfe
gegen die Kugelgestalt ihres Kopfes donnerte
so lebhaft vor mir, dass ich unter den Wogen
der hysterischen Musik
aufgrund der Eindrücklichkeit der Vision erschrak.

Aus den Fingerklumpen der Nachbarin
wurden meine eigenen, dagegen zarten, Dirigentenstäbe.
Ich hieb so fest auf ihr gebirgiges Gesicht ein,
dass mir sogleich ein gänzlich neuartiges Rezept in den Sinn kam,
das ich mir versprach, aufzuschreiben, sobald die Töpfe wieder
verschwunden waren. So weit ich das zu beurteilen imstande war,
gab es im Treppenhaus außer mir niemanden, der sich
mit der Beobachtung fremden Geschirrs beschäftigte,
aber es gab noch andere Tricks, die Miete zu begleichen. Ich
hatte von Wäscheschindern gehört, von Wandstreichlern
und Rundläufern, gesehen hatte ich das nie. Gleich fragte ich mich,
ob ich meine Arbeit mit meinen Brotzeitpausen verknüpfen könnte,
ob ich nicht die Wurst auf dem fremden Geschirr aufschneiden sollte,
denn es ging ja vor allem darum, das mir anvertraute Service
nicht aus den Augen zu lassen. Nur wie sollte ich anschließend
alles wieder sauber bekommen? Du könntest den Teller sauberlecken
und mit deinem Hemd polieren! Morgen war der Tag, an dem ich
das ausprobieren wollte.

Sie erschien recht früh, bückte sich und
nahm die Töpfe wieder an sich, ohne ein freundliches
Wort an mich zu richten.
Es wird heute schlimm werden, sagte sie
ohne Mitleid in der Stimme. Ich habe mehr Geschirr, als ich dachte.
Wann werden Sie es mir bringen?
Machen Sie sich jede Sekunde darauf gefasst.
Sie ging davon, und ich konnte endlich meine Türe schließen.
Todmüde setzte ich mich in den Gartenstuhl,
den ich am Straßenrand gefunden hatte.

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