Die Erscheinung der Mrs. Veal: Die erste Geistergeschichte

The Apparition of Mrs. Veal, veröffentlicht im Jahr 1706, ist eine der frühesten in englischer Sprache gedruckten Geistergeschichten. Geister gab es natürlich schon vorher in der englischen Literatur – man denke nur an den Geist von Hamlets Vater bei Shakespeare -, aber dies ist etwas anderes: ein Aufsatz, der vorgibt, die wahre Geschichte eines geisterhaften Besuchs bei einer realen Person zu sein. Wie soll man ihn einordnen? Handelt es sich um ein Werk der Fiktion, eine Kurzgeschichte, die dem Leser den Nervenkitzel verschaffen soll, für eine Minute an die Möglichkeit einer übernatürlichen Welt jenseits der Welt, die wir sehen können, zu glauben? Oder handelt es sich um ein Werk, das besser als Journalismus einzustufen ist, als aufrichtiger Bericht über ein Ereignis, das der Autor für wahr hält? Es ist schwer zu sagen; ein Teil der Kraft der Geschichte liegt darin, dass sie zwischen Fiktion und Wahrheit, dokumentarischer Realität und beunruhigenderen Möglichkeiten zu schweben scheint. Ein weiteres Rätsel dieser Geschichte ist die Identität ihres Autors.

Mrs Veal
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Lyonesse

Die Glocken läuten: ein Unterwasser-Gespenst. Davon gibt es
Viele in den Schäumen, dem Schaum der Vergänglichkeit, den platzenden
Blasen, freilassenden Blasen, Erinnerung freilassenden Blasen
Aufgesprungen wie ein junges Tier über den Löwenzahn springt
In einer anderen Welt landet, vorne zuerst
Bocksprung reinster Freude am Dasein, Hiersein, Jetztsein

An Cornwalls Küste hört man bei ruhiger See
Die Kirchenglocken von Lyonesse
Manchmal noch
Vom Meeresgrund her als schwere
Sonische Wellen läuten,
Während die stürmische See dann das doch zaghafte Klingen verschluckt.
Arthurs Geburtsland säuft – wie viele Kontinente und Errungenschaften –
Aus tonnenschweren Krügen, die erst wieder nach oben schwappen,
Wenn hundert Generationen in der Erde modern
Und ihrerseits dann Humpen um Humpen
Zu leeren versuchen, ganz ohne Erfolg.
Wo immer Merlin schläft,
Sein Zauber kennt nur einen Weg:
Mordred von Camelot fernzuhalten mit der schönen Strafe Meer

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Schlitter

Die Straßenlaternen haben zugenommen
So sichtbar wie eine Traube sich gegen eine Staffelei lehnt
Um dabeizusein wenn alles zusammenbricht
Oder nicht
Es wäre ohnehin so weit gekommen und die
Altertümlichen Schreine, die tagein tagaus mit der
Post versendet werden ohne je wirklich anzukommen
Meist stehen sie als Herde zusammen um
Eine alte Badewanne herum der Tradition wegen zwischen
Bohnenranken, die hinauf führen in unbekanntes Blau

Wir hörten der Welt beim Angeln zu, so mancher
Fisch ist hier zuhause und arbeitet seinen Schuppen entgegen
Nur die Hand krallt sich in die Nacht, die nur
In kurzen Hosen der Einladung Folgeleisten wollte
Aber ohne Dampf waren auch die Drüsen machtlos
Es gab kein Schlitterfest mehr – und in den Annalen
Taucht ein solches Fest zu keiner Zeit auf
Vielleicht unter anderem Namen, etwas mit Kufen
Gelinde gesagt

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Ein Toast auf Edgar Allan Poe

Zu Jahresbeginn ist der Himmel in Baltimore stets bewölkt, es ist kalt, und Schnee perlt aus einem dunklen Himmel. Im Schrank hängt eine nicht zu verachtende Garderobe, aber das darf es heute nicht sein, heute hat der etwas abgetragene Mantel seine große Stunde. Auf dem Kaffeetisch liegt ein Band der von James Albert Harrison herausgegebenen siebzehn Bände umfassenden Reihe der Complete Works of Edgar Allan Poe von 1902.

Die Nacht senkt sich schnell, es ist die perfekte Bühne für einen namenlosen Mann, der sich wie jedes Jahr am 19. Januar in einer frostigen Nacht aufmacht, um auf dem alten Westminster-Friedhof drei Rosen und eine Flasche Cognac auf das Grab der berühmten Gedenkstätte zu legen. So geheimnisvoll wie der Unbekannte er gekommen ist, verschwindet er auch wieder. Vielleicht ist sein Kopf angefüllt mit Gedichten, die einen unglaublichen Klang besitzen, wenn man sie laut ausspricht. Wie Zaubersprüche, nur noch wirksamer.

Once upon a midnight dreary, while I pondered, weak and weary…
Mitternacht umgab mich schaurig, als ich einsam, trüb und traurig…

Die Identität des Mannes wurde nie enthüllt, obwohl das Grabmal schon seit mindestens sechzig Jahren besucht wird. Nie war das Gesicht des Fremden zu sehen, Geschickt hielt er es unter einem schwarzen Filzhut und einem Schal verborgen.

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De Umbris Pactis

Alle Lichter verwandelten sich in eine strafende Ebbe. Ich saß von der windigen Dunkelheit eingehüllt auf der Brüstung des Rathauses und beobachtete die von hier aus einsehbare Fläche unter mir, denn wir alle waren abkommandiert, um die Schatten zu beobachten, die in unwahrscheinlichen Zahlen und Winkeln in die Stadt einfielen. Sie waren uns allzu ähnlich, und was wir zu berichten hatten, wurde mit großem Interesse verfolgt, wenn auch wir mit keinem unserer Auftraggeber sprachen, ein Beobachter ist nun einmal kein Sprecher.

Wir notierten alles in einer Sprache des Untergangs, denn das war es, was wir sahen. Bizarren Zwischentöne des Schreckens einiger Sekunden mussten wir zur Fiktion werden lassen, um ein Maß für das Unbegreifliche zu finden.

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Die Ruhe ist makellos

Die Ruhe ist makellos
Es ist das Entferntsein jeglicher Fleischmaschinen, keine Agenda führt sie zu mir

Zwanzig Jahre sind eine merkwürdige Zeitform
Die Vergänglichkeit habe ich sehr gut produziert;
Ich habe in den Tag hinein geschrieben
So als wären Wolken meine heimlichen Zusammenkünfte

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Die späte Mrs. Radcliffe

Um das spätere Leben von Mrs. Radcliffe ranken sich einige Phantasien. Während die Jahre schweigend vergingen, machten verschiedene Gerüchte die Runde. Es wurde behauptet, sie sei in Italien, um Material für eine neue Romanze zu sammeln. … Ein anderer hartnäckiger Bericht besagte, dass sie von ihren eigenen geisterhaften Schöpfungen in den Wahnsinn getrieben und in eine Anstalt eingewiesen worden sei. Ein unbedeutender Dichter jener Zeit brachte in aller Eile eine ‚Ode an Mrs. Radcliffe über ihren Wahnsinn‘ in Druck. Oft wurde öffentlich behauptet, sie sei tot, und in einigen Zeitungen erschienen Nachrufe auf sie. Das Lustige an der Sache ist, dass sie selbst sich nicht die Mühe machte, mehr als eine der irreführenden Meldungen zu widerlegen. In einer erstaunlichen Anekdote, die von Aline Grant, der Biografin von Mrs. Radcliffe, erzählt wird, wandte sich Robert Will, ein Schreiberling, nach einer Meldung über den Tod der Schriftstellerin an den Verleger Cadell und bot ihm eine Romanze – The Grave – unter dem Namen „The late Mrs. Radcliffe“ an. Daraufhin erschienen Anzeigen in den Zeitungen.

Amüsiert über diese lächerliche Nachricht kam Mrs. Radcliffe eines Abends am Soho Square an und stieg lautlos die steilen Stufen zum Dachboden von Robert Will hinauf. Sie öffnete geräuschlos die Tür und trat in eine kleine, schwarz verhangene Kammer, die mit Totenköpfen, Knochen und anderen Friedhofsutensilien geschmückt war. Eine Sanduhr stand auf einem Sarg, und ein Beistelltisch war mit gekreuzten Schwertern und einem Dolch geschmückt. Ein junger Mann in Mönchskutte arbeitete fieberhaft mit seinem Federkiel im Schein einer Kerze.

Mrs. Radcliffe setzte sich auf einen Stuhl ihm gegenüber und flüsterte: „Robert Will, was tust du hier?“

Dem jungen Mann standen vor Schreck die Haare zu Berge, als er die bleiche Erscheinung betrachtete, die im flackernden Licht grässlich wirkte. Ihre dünne, weiße Hand streckte sich langsam aus, ergriff das Manuskript und hielt es über die Kerzenflammen. Als es zu Asche zerfallen war, verließ die Besucherin den Raum so lautlos, wie sie ihn betreten hatte. Am nächsten Tag beeilte sich der verängstigte Robert Will, den Verleger zu informieren, dass der Geist von Mrs. Radcliffe das Manuskript verbrannt hatte.

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