Brouillon

Traum vom Zahnarzt-Urinal

Zum Zahnarzt kam ich durch eine dünne, aber hohe Hintertür, die in einer billigen hellen Pappwand eingelassen war. Zunächst sah ich überall nackte Patienten auf Tragen und Tischen liegen, teils mit in die Höhe gereckten Extremitäten. Der Arzt erschien in Schweiß gebadet, mit fettigen Haaren und vollkommen übernächtigt.

Ich musste aufs Klo, betrat die Praxis also zunächst nicht, sondern das Damenklo, wo eine dicke Frau in der linken äußersten Kammer in einem schwarzen Kleid auf dem Boden lag und sich entleerte. Allerdings war nur ihr Arm zu sehen, der aus der Tür lugte. Ich pisste in ein Urinal, was in einem Damenklo merkwürdig fehl am Platze wirkte. Es erhob sich – aus braunem Sandstein – vor einem großen Schaufenster, an dem Leute auf der Straße vorbei gingen, die aber nicht ihren Kopf in meine Richtung wendeten. Später rutsche ich vom Dach, hielt mich fest und erinnerte mich, dass ich schon einmal da war, allerdings mit einem Freund, der mich wieder nach oben zog. Diesmal blieb mir nichts anderes übrig, als hinunterzuklettern. Ich wusste allerdings, dass es mir nicht gelingen und ich fallen würde.

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Das Ende eines Plattenspielers

Der Fisher, dessen Direktantrieb seit 1979 rotiert, hat nun Schwierigkeiten bekommen, mitzuhalten. Was sich so belanglos anhört, ist nichts weiter als das Ende eines alten Plattenspielers, der jetzt einem Pro-Ject weichen muss. Sicher könnte ich mir eine alte Maschine zum Ausschlachten besorgen – was ich zunächst auch wollte; aber auch dieser Motor wird 40 Jahre auf dem Buckel haben, das Ende also nur verschleppt. Außerdem wird es ohnehin Zeit für ein Lift-Off. Das war all die Jahre nicht klar, aber es stehen einige Blue Note-Veröffentlichungen an, die ohne eine Verbesserung der ganzen Anlage kaum ihren Preis wert wären. Mehr später.

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Jazz ist dem Dichter am nächsten

Jazz zu hören ist eine ganz andere Form des Lebens. Seine Geschichte ist ebenso dunkel wie lang. Und auch wenn Puristen die akustischen Traditionen bevorzugen (die es im Jazz tatsächlich nur schwerlich zu finden gibt, weil dessen Form alles destillieren und neu erschaffen kann), fühle ich mich auch in der Fusion-Welt recht wohl. Ich glaube, der Jazz ist jene Musikform, die dem Dichter am nächsten steht. Der Jazz hat es natürlich zu etwas gebracht, die Dichtung eher nicht. Ich bin mir nicht sicher, behaupte aber, dass John Ashbery der letzte war, dem man vertrauen konnte.

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Hermann Szobel, unbekannt

Andy Edwards erzählte mir von einem österreichischen Musiker namens Hermann Szobel, der 1976 im Alter von 18 Jahren ein einziges Album aufnahm. Beim Einspielen seines zweiten Albums wurde er verrückt und verschwand. Bis heute konnte er nicht aufgefunden werden. Ich habe die Platte gefunden und sie auch sofort im Amerika bestellt. Wenige Exemplare gibt es, aber warum das Album selbst in Jazz-Fusion-Kreisen so unbekannt ist, bleibt ein ebensolches Rätsel wie Hermanns verschwinden.

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Gedankenmätzchen (nicht das erste)

Ich käme an mit einer Tasche ohne Gold und würde mir das Weibchen abspenstig machen, so mit zwanzig mich besuchen, um mich nicht mich mögend wieder in die Vergangenheit zu verziehen.

Die Vergangenheit sah so aus: Ich schrieb Gedichte auf meinen Körper (so weit die Stifte trugen) und präsentierte sie der Fotolinse. Wir sprechen von 1991 und mein erster Buch kotete gerade die Stufen voll.

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Nachts sind alle Grauen katz

Es waren in den letzten Tagen viele Vorbereitungen zu treffen für ein erstes Aufschlagen im Fichtelgebirge. Für mich ist es eine Rückkehr nach sage und schreibe 10 Jahren. Veränderungen liegen geradezu in der Luft und es wird ein rechter Quark werden, mit der unsäglichen deutschen Bahn ins Ziel zu treffen (aber was ist in diesem Land eigentlich nicht unsäglich?)

Gestern begaben sich Albera und ich nach sehr langer Zeit einmal wieder ins Hopfenland. Der Schuldige bin ich, denn nach einem ausgiebigen und stundenlangen Musik-Mahl wurde es mir durstig ums Herz, und so stiefelte ich kurz vor 10 Uhr noch zur Tankstelle, allein der alten Sitten wegen. Eine Tankstelle hat immer etwas von Absturz und Niedergang. Solange man sie nicht braucht, um etwa sonntags sein Konterbier zu ergattern oder wenigstens einen Marsriegel zwischen die Kiemen zu schieben, um den Magen zur Räson zu bringen, ist so eine Tankstelle nur ein stinkender Haufen Mist, wo man samt und sonders Idioten mit ihren fahrenden Ravioli-Dosen antrifft. Keine letzte Bastion der unterlegenen Schicht. Man kann also sein Geschäft erledigen und sich eine Flasche Bier besorgen, nur um mal zu sehen, wie das so war – und heute ist. Vielleicht war es von vorneherein keine gute Idee, zu einer der elendigsten Abwasser (neben Heineken) überhaupt zu greifen: Becks. Andererseits wäre so ein Allgäuer Bier mit seinem Geschmack nach Maschinenöl und der Umdrehungszahl eines Mähdreschers nach Jahren ein Garant für augenblickliche Bauchrevolution.

Alles in allem war diese Aktion nur eine Pfuiteufelei, die zu lassen ganz ziemlich ist. Jedes Kind zieht heutzutage drei kleine Becks durch seine Kehle ohne mit der Pimper zu fucken. Wir nicht. Szex Witchery!

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Gegenwartsgewürm

Wo die Magie des Wortes nur das Moos beeindruckt, den Firn der völligen Verwesung, werde ich immer neue Blätter zu beschreiben wissen, und ignoriere das Gegenwartsgewürm, das mir nachstellt, um Hauer in mich zu schlagen, die vor Eiter triefen. Es muss da noch was Lebendiges geben, ohne versteinerter Zunge, ein säftewallendes Leben, begehrend und begehrt wie eine Frühlingsnacht, herzfassend, wie zur kalten Stund’ gewärmtes Bettenzeuch, nicht jene, die sich um Automatensprüche finden: stählern, synthetisch, verratzt, verseucht vom trögen Hingeschnodder, aufgewalzt und breitgehaun. Und ich gehe und bin der Quelle nicht mehr treulich, bei der nicht eine Undine wacht; und gehe und bin den Bergen nicht mehr treulich, in denen sich keine Querkel niedergelassen; und gehe und bin den Bäumen nicht mehr treulich, die keine hundert Jahr gestanden.