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Hallo die Post

Für den Kanon kam heute Benjamin Percys „Roter Mond“ an. Die Postbotin klingelt mich verlässlich um 9 Uhr aus dem Bett, ich versuche dann, ohne in den Schrankspiegel zu fallen, zur Sprechanlage zu gelangen. Sie sagt: „Hallo, die Post.“ Sie sagt es ohne Komma: Hallodiepost. Und ich sage: „Ich komme!“ Dann drücke ich auf den Summer und mache mich auf den Weg. Von oben kann ich dann das Päckchen auf der ersten Stufe der Haustreppe liegen sehen.

Percy schrieb auch für Detective Comics und sehr erfolgriech für Green Arrow, aber auch für das Wall Street Journal oder den Esquire. Diese Verbindungen sind immer wieder amüsant, wenn man unsere eigene literarische Landschaft so betrachtet. Die Rezensionen über Jedediah Berry Handbuch für Detektive und Steven Ericksons Das Meer kam um Mitternacht für das Phantastikon sind geschrieben, ein Interview mit Berry habe ich übersetzt. Gegenwärtig sehe ich mir Kirsten Bakis und ihr Leben der Monsterhunde genauer an (in Wirklichkeit lese ich es). Man muss sich den Slipstream, also die Phantastik, die nicht unter dieser Kategorie firmiert, überall mühsam zusammensuchen und dann auch noch nachsehen, ob es überhaupt eine Übersetzung gibt. Manchmal überrascht mich das, manchmal enttäuscht es mich, der Punkt aber ist: ich werde fündig.

This is the wall of dolls
Secret world of smalls

– Golden Earring, The Wall of Dolls

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Radsfatz

Heute sind wir das erste Mal auf unseren Böcken den Berg hinunter zum Feneberg gezickelt. Um uns wasserlösliche Feennuggets zu kaufen, die so gut wie immer auf unseren Neonpostitz notiert sind, die wir uns in der Hoffnung eines in die Zukunft reichenden Weitblicks schreiben. Einer, der uns im Hier und Jetzt die Aura der Lebensmittel wahrzunehmen vermöge macht, die bald durch ihr Nichtmehrvorhandensein in unserer Kemenate glänzen werden. Klappt aber nicht immer. Hinzu kam noch ein Sack Kartoffln, zwei kleine ovale Bassins mit eingelegten Heringsfilets & ein O-Saft (o o). Wir waren schnell, radsfatz! Wie auch du es die letzten Wochen mit der SANDSTEINBURG warst. Wir haben nun über 800.000 Zeichen, wir sind jetzt bei Seite …, vermeldest du immer am Ende der verrichteten Arbeit eines Tages (manchmal auch einer Nacht) an ihr. Wir …: als ob ich sie mitgeschrieben hätte. Klammheimlich womöglich. Was ja feuchtversteckt bedeutet, denke ich über dieses Wort nach, das sowohl vom Wetter als auch von einer tiefen, engen Gebirgsschlucht erzählt, in der ein Wildbach fließt oder reißt. Die heimliche Nässe im Stoff und den Dingen. Denn: Vor allem aus Wasser bestehen wir. Sehr falsch dagegen, wie du erst kürzlich anmerktest, ist der Ausspruch: Bedenke Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst. Asche zu Asche usw.. Wieder zu Erde zu werden ist mir ja nachvollziehbar, jedoch ein Nymphenbad in ein Marienstaubbad zu verwandeln, würde aus uns ganz andere Wesen machen. Sehr trockene und flüchtige im Angesicht des Windes. Stets Verwehte wären wir, die nichts hält, solange kein Regen, kein Wasser uns bindet. Ähnlich den Orten und Wesen der SANDSTEINBURG. Wabernde, fragmentarische und doch ineinander verwobene Welten eines Kosmos, der sie ermöglicht und doch nicht inne hat. Faszinierende Erscheinungs- und Formenreichtümer, wie wir sie vom Mandelbrotmännchen kennen, die sich stetig wandeln und neuern. Welten, wie wir sie in der Welt vorfinden können, können wir es noch, wie es unserem eigentlichen Wahrnehmungsvermögen entspricht / entsprechen könnte, unterlägen wir nicht auch der Fähigkeit dieses Vermögen unseres Bewusstseins eichen und formen zu lassen.

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Verlorene Vergangenheit

Heute kam nach sieben Jahren, die ich nun bereits wieder in Deutschland bin, der Rest meiner Manuskripte und Bücher an. Fabienne, die wirklich eine ausgezeichnete Archivarin ist, hat Bilder, Briefe, Romananfänge mitgeliefert, von denen ich gar nicht mehr wusste, dass es sie gibt, teilweise bis in die 80er Jahre zurückreichend, als ich noch für das Theater arbeitete. Es waren Studioberichte dabei, als ich meine ersten Hörbücher einlas, Zeitungsberichte und eine Menge skurriler Dinge mehr. Teilweise kann ich gar nicht glauben, dass dies wirklich mein Leben war – aber natürlich weiß ich es besser. Schließlich war auch das Manuskript einer Story von Christian Kind, dessen Nachlassverwalter ich ja bin, dabei.

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Tag des Venusbergs

Heute also Tag des Venusbergs. Die Venus selbst ist kurz vor drei los, um schon mal Vorarbeiten zu leisten, heißt, sich beschlüsseln zu lassen. Die Hitze treibt mir indes schon wieder die Wut hoch, Hitze macht bekanntermaßen blöde. Aber es ist alles noch viel schlimmer, denn der Venus sprotzte das Küchenwasser fontäniert um die Ohren, justamente in dem Moment, wo ich in Keselground verzweifelt und erfolglos nach Illustrierten aus den 70er Jahren fahndete. Tittenmagazine gäbe es zu kaufen, nix aber darüber, was die Gesellschaft dazumal so getrieben hat. Das ist überhaupt das Manko der Geschichtsschreibung, dass sie nur verklausuliert nachzuschlagen ist. Was dagegen ist ein Zeugnis at this point wert? Ich lese da manchmal vom Leben im Mittelalter, fantasiereich und mit allen literarischen Wassern gewaschen, aber wie spielten sich die Szenen zu den Begebnissen ab? Genügen hierzu Wahrscheinlichkeiten? Nie!, man muss sich hinein=kontemplieren, in den Gockel, den Tschukel, den Äpfeldieb. Wie fühlt sich ein Mühlrad an, wenn man aufgekeltert wird? Man träume davon!

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Touch my beauty Hall

Tock Tor Taj Mahal. Wegen der Scheiße, die abzugeben ist. Da habe ich gestern also in eine kleine Tupperschüssel gekackt; heute mußte alles in ein Röhrchen umgepackt werden. Die Praxis war aus Zurück in die Zukunft, der Teppich mit braunen Flecken übersät (gut, das ist übertrieben, er war nur fleckig, wie man das für ein gutes Stück von 30 Jahren erwarten kann). Tock Taj selbst wurde gespielt von Michael Horse, der gerade mit den Dreharbeiten zu Twin Peaks, The Return fertiggeworden ist.

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Sideboard im Loch

Mich aus dem Chaos zu befreien. Das Grün um mich herum deutet auf den Fluss, den ich quasi vor der Haustür habe. In den Nächten mit Starkregenfall rauscht mich die Energie zumindest vorerst in den Schlaf. Würde ich Schafe am Morgen hören können, wäre ich zuhause. Stattdessen höre ich natürlich Autos, jeder Auspuff ein anderes Ego. Ich selbst könnte mir gar nicht vorstellen, so ein Ding jemals selbst zu manövrieren, dazu fehlt mir dann doch der Geist. Psychisch bin ich natürlich wieder einmal angegriffen, aber in Anbetracht der Umstände ist das nicht eigentlich verwunderlich. Ich lebe in einer Klause, mit mehr Büchern auf dem Boden als im Schrank, bald werde ich klettern müssen. Und trotzdem fehlt mir ein Sideboard unter der Theke. Ein Loch, das eigentlich nur ich wahrnehme, weil es mehr eine freie Stelle ist als wirklich ein Loch. Und Blumen darauf könnten mir den Anblick des Küchentracktes ersparen, wenn ich in der Kiste fläze. Vorausgesetzt ich bleibe hier, das alles.

Sideboard unter sofortigen Bedingungen organisiert. Manchmal muss es schnell gehen.

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French Press

Nachdem mir heute morgen die French Press auf dem Boden zerschellte, musste ich mich aus dem Haus winden, um Ersatz zu besorgen. All unsere Filter körnen durch den Zellstoff (Pulp ist dann auch eher für Geschichten geeignet, die darauf geascht werden), da nützt der ganze Keramikkram nichts. Obwohl der angenehme Regen viele davon abhält, durch die Straßen zu wuseln, sind mir selbst die wenigen schon zu viel. Und dann wird mir eine vorgeführt, für die der Marketender fast eine Million Groschen will. Was für ein Planet! Bei uns auf der Erde war dies die Art der Kaffeezubereitung, auf die man in Dachstuben Zugriff hatte. Oft waren sie bereits Inventar, bevor man mit seinem Büchersäckel ankam; die French Press und eine Schreibmaschine. Bei Letzterem musste man sich nur noch um das Papier sorgen, auch wenn man erst einmal die Tapete von der Wand reißen konnte, um erste Gedanken niederzuschreiben. Es gab dann immer auch solche, die Schüler abpassten, um ihnen ihre Schulhefte abzuschwatzen, aber zu denen gehörte ich nie, ich benutze lieber Brotpapier, das man in den Bäckereien umsonst bekam. Heute musste ich also wieder Zellstoff-Filter für den Kaffee nehmen, und prompt körnte alles in den Kaffee. Die Partikel ließen sich aber mit dem Schraubenzieher herausheben.

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Temporallappen

Ich habe mir auf igittige Weise den Magen verdorben. Schuld daran ist eine Paprikawurst, die ich gestern im Feneberg kaufte. Die Wurst war nicht etwa verdorben, sie war einfach nur scheiße. Mein Kartenpulk zeigt indessen Die Liebenden. Siehe, siehe (oder doch eher: hört, hört?). Fast ein Temporallappen-Phänomen: Ich ertippe mir Dorothea aufs Neue. Die Erzählung ist dann auch fertig, kühl fast, ohne Wortkaskaden. Symbolisch freilich. Die Joyce-Biographie von Ellmann habe ich jetzt auch wiedergefunden.

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Der frühe Wurm

Dass ausgerechnet heute um 4 Uhr in der Früh nicht etwa der Wecker anbimmelte, sondern die Blase, und ich danach nicht mehr in den Schlaf finden konnte, weil die Helligkeit schon spürbar in den Raum drang und noch immer keine Vogelstimmen zu hören waren, veranlasste auch die erwachte Albera, mit mir zusammen nach dem frühen Wurm zu suchen. Die Krähen tauchten dann doch auf, und in Kempten gibt es davon die größte Population ganz Deutschlands.

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Der Weg, der wirklich zu einem Ziel führt

Der Weg, der wirklich zu einem Ziel führt, heißt: Offenbarung. Nur der, der im heimlichen Licht seine Warzen sehen läßt, seine Schuppen, seine Hexenhaare (die sich unter die Makellosigkeit mischen, und die Trotz der Folterbank des Toilettentischchens, auf der sie ausgerissen werden, immer wiederkehren, kann eines Tages von sich behaupten: Ich wurde geliebt wie Lady Olga Roderick, die bärtige Dame. Nicht mit kleiderraubender Leidenschaft, sondern mit dem stillen Einvernehmen des Makels, der die sonderbaren Gelüste anschürt wie einen Heizkessel in den 50er Jahren.

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Rauschhafte Zeremonien am Rande des Gartens

Der Einschlag geschieht in den richtigen Sektoren; die Woche hat ihren Mittwoch erreicht. Bereits jetzt schält sich aus gewissen Lichtungsergebnissen eine Reise in den neblichten Aspekt, anberaumt für das nächste Jahr, aus den Ereignissen heraus, die sich nicht nur mehr überschlagen, sondern, ganz famos, gleichzeitig sind. Ein Zustand also, den das Wort nicht erreicht, sobald es Raum betritt. Hier schichten sich Schichten zu neuen Schichten, verankern sich, bedingen sich und weben neues Sphärenmaterial.

Frühstück auf dem Markt; im Künstlerhaus am Nachtmittag treffen wir Kokko. Das wir ist kein Zufall. Wie schnell man sich verdoppelt, wie schnell man sich wirklich verdoppelt und dann vierfach sieht. Ende für heute.

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Waterlily & Oil

„Wir sind uns schon einmal begegnet.“ „Ach ja?“ „Aber natürlich. In Ihrem Haus. Erinnern Sie sich nicht?“

  • Lost Highway

Wenn man Zug fährt steigt man ein; wenn man Zug fährt steigt man aus. Oil steigt aus, Waterlily am Ohr, kurz bevor der ganze Hades aus den Gleisen walzt und screamt und brät und bevorzugt bremst. Der olfaktorische Handkuß gerät zur selbstverständlichen Umarmung, die nie wieder nachlassen wird, die sich in ein Crescendo steigert, dem nur noch der Urteilsspruch besonders weiser Raben Einhalt gebieten kann. Die Raben, die den Wasserturm in Mannheim nicht bevölkern, wären weise, sind es aus Abwesenheitsgründen aber nicht. Waterlily lächelt wie ein Stern, der Wasser in Wasser gießt, sie gibt jeder Landschaft den Anstrich des Idylls, selbst wenn es sich um Beton und eine Straße handelt. Ihr Lächeln ist Liebes=Weise. Und Oil ist zum Holen auserkoren.

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Laß uns schön zueinander sein

Es ist das neue Gesicht des Immensen, das strahlend über Luna wacht. Ein Großer Strom reicht uns nicht mehr bis zum Hals, hat uns gebeten, Landunter zu tauchen. Werke entstehen unter Einsatz des Lebens oder des guten Rufs. Ein guter Ruf wie dieser: Laß uns schön zueinander sein. Was bedeuten uns die Wechselgänge des Morgens in der Kammer der Lust? Was bedeutet die Bedeutung fernab der möglichen Worte? Adam und Eva, der Ackerboden und die Belebte, sind Symbole, die es gilt, neu aus nassem Lehm zu formen. Kann nicht sprechen ohne zu sprechen, kann nicht atmen, ohne zu atmen, kann nicht berühren, ohne die physikalische Grenze zu überschreiten, kann mich nicht daran erinnern, jemals nicht für diese Woche gelebt zu haben, die – längst angelegt: wann? – wie der Garten der Hesperiden perlte und sich im eigenen Abglanz suhlte, bewacht von Ladon, der sich längst der ausgestreckten Hand ergab, glänzend, tropfend vom goldensilbernen Tau der Körperquellen. Der Urgrund aller Geburt, den ersten Worten ein Gesang: Laß uns schön zueinander sein. Das Lied der unendlichen Strophen. Unser Atem ist sich des Odems bewußt, unser Odem ist Selket, die atmen läßt, unsere Hände sind geschlossen um das, was sich im Innern befindet, das Zentrum nämlich des Leuchtkörpers, arretiert und doch nicht fest.

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Der olfaktorische Handkuß

Sinne schwinden (schwindet, Sinne!); so ein Lied der Früchte, so ein Lied der Frucht; aus deinem Füllhorn fließt stets und stets des Lebens Energie, der Boden säumt die ausbedungnen Schuh‘. Ein Schritt nur, und es wird die Späte richten, wie der Tag sich aus dem Tage schält. Das B des Bibberns, B des Bangens, B des Badens in olfaktorischen Genüssen. Auratisch schwebst in Windeseile, durcheilst den Luftraum windgeschwind und hebst dich in die offnen Arme, die Hände fächeln Tau herbei, und Kosung dreht sich zum Gerank, zum Wimperg über unsren Köpfen. Die Hand wird nur geküßt im Viert der Räume, auf den Steigen der Zeitenbahn. Uns ist das Fließen angedacht. Ich könnte, käme an, ich konnte, kam ich an, ich kann nicht von dir lassen, den Brautstein auf den Lippen tragend, der den Gesang des deinen Körpers in den Trichter des Gesagten, der Verheißung überführt.