Possenspiele

Kategorie: Brouillon (Seite 8 von 69)

der BROUILLON ist tagesgeschäft, nicht mehr als journaling über unwichtige persönliche befindlichkeiten.

Hottingers Gespenster

Endlich habe ich mit den Analysen zu verschiedenen Gespenstergeschichten beginnen können. Es ist auch diesmal so, dass ich das Thema interessant für ein eigenständiges Weblog halte, allein schon, um bei Interessierten keine Verwirrung zu stiften. Das ergeht mir bei den meisten Themen so, aber die Vergangenheit hat gezeigt, dass all diese Versuche sinnlos waren, das heißt, einer falschen Prämisse folgten, die dann natürlich hinaus ins Nichts flog (gut, es gibt gar kein „Nichts“, aber als Metapher taugt der Vergleich allemal).

Die einst verlustig gegangenen Hottinger-Gespenster sind wieder in der Bibliothek.
Einer der ersten „early morning’s dawn“ in diesem Jahr.

Darsteller

Man könnte sich mit der Natur verbinden, und wann immer ich – selten genug – einmal umringt bin vom Rauschen des Wassers, von Vogelstimmen und Bäumen – klärt sich mein Blick für ein Damals, das ich zur Gänze hinter mir weiß. Obwohl ich nicht mehr obsessiv an einer Erinnerungskunst festhalte, die für mein eigenes Schreiben essenziell war, bin ich weiterhin nur an der Vergangenheit interessiert. Und das, obwohl gerade jetzt die spannenden Dinge geschehen, wo die Wissenschaft am Boden liegt und zugeben muss, nichts erreicht zu haben. Gut, sie haben Schlaftabletten erfunden … und die professionelle Zahnreinigung.

Eine interessante Passage bei Paula Hawkins‘ „Die blaue Stunde“ (die ich jetzt am Morgen fertig gelesen haben werde), erinnert mich daran, wie ich von einem offensichtlich fremden Mann aus der geheiligten Schulstraße 5a geholt wurde, von dem man behauptete, er sei mein Vater. Das stimmte zwar, aber ich war die ersten drei (vielleicht nur zwei) Jahre nicht mit ihm konfrontiert gewesen.

Hawkins schreibt:

Als ihre Eltern sie am nächsten Morgen abholen wollten, bekam sie eine Riesenpanik. Sie wollte nicht mit ihnen mitgehen und klammerte sich heulend an die Stationsschwester. Sie war davon überzeugt, dass das nicht ihre wahren Eltern waren, dass ihre echten Eltern sie im Stich gelassen hatten, dass sie sie nicht mehr wollten und an ihrer Stelle diese Eltern-Darsteller gekommen waren.

Das Verhältnis zu meinem Vater war immer dies: er war nicht mein Freund, hätte vielleicht nicht einmal mein Vater sein sollen. Etwas ist schief gelaufen, ich selbst nahm einen falschen Platz ein. In einer Parallelwelt hatte meine Mutter überlebt, weil sie einen anderen geheiratet hatte. Einen Vater, den ich als solchen damals womöglich erkannt hätte.

Gedankenpaläste

Es ist die Gewissheit des Antiquarischen, des Vergangenen, das mich bei Laune hält. Es gibt ein unbestimmtes Gefühl, das im Jetzt schon seit Jahrzehnten nicht mehr existiert, eine Art Vertraulichkeit, die nicht aus der ersten Instanz abzuleiten ist (denn zum Beispiel zur Zeit der großen englischen Geistergeschichte habe ich nicht gelebt), sondern eher aus der später daraus resultierenden Form des Rezipierens (oder bereits des Präsentierens). Nehmen wir die drei Anthologien „Gespenster“, Mehr Gespenster“ und “ Noch mehr Gespenster“ – allesamt beim Schweizer Diogenes-Verlag erschienen (natürlich hat sie dort auch andere Anthologien hinterlegt). Der erste Band erschien in Übersetzung 1982 und deckte sich zu dieser Zeit auf denkwürdige Weise mit meinen Interessen. Je nachdem, wo man sich befand, hatte diese Zeit einen besonderen Charme. Für mich war zu jener Zeit alles geisterhaft, selbst die alten Micky-Maus-Hefte aus den 50er und 60er Jahren, die sich bei meinem Onkel in einer Truhe stapelten. Schon damals hatte alles Existierende einen Hauch des Vergänglichen und es war vielmehr das Abenteuer des Entdeckens. Es war mir ein Leichtes, den „Geist“ (eben das Geisterhafte“) in der Präsenz von Büchern, Hörspielen oder Comics (und selbst in den damals uns Kindern angedachten TV-Serien), zu erfühlen. Die Aufregung einer anderen Welt schwang da immer mit. Der wirklichen Welt, nicht der, von der wir ständig lauteren Unsinn erzählt bekamen. Ich glaubte zwar damals schon nichts, was man in der Schule erzählte, aber ich weiß eben erst jetzt, dass der Besuch einer solchen Institution (abgesehen von schreiben und rechnen) völliger Nonsense ist. Sicher, das macht einen gehörigen Teil meiner Wut aus. Man fügt sich und gibt wieder, was andere hören wollen, damit man sich keine Steine in den Weg legt (nun, in meinem Fall waren diese ganzen Geröllhalden dennoch präsent, aber das ist eine andere Geschichte). Aber die Gedankenpaläste!

Heute ignoriere ich die meisten Neuheiten, damals waren sie ein Vademecum. Es hat sich etwas daraus entwickelt, das mich heute auf die Suche gehen lässt. Und so habe ich die drei Hottinger-Bände neu entdeckt.

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