Sieben Stunden / Megan Miranda

Megan Miranda ist eine feste Größe im Thriller-Geschäft. Erst im letzten Jahr hatten wir mit „Der Pfad“ einen atmosphärischen Thriller, der sich in den Appalachen abspielte. Mit „Sieben Stunden“, der im Original mit „The Only Survivors“ wieder einmal besser transportiert, was im Roman passiert, haben wir diesmal einen psychologischen Thriller vor uns, der nicht nur als fesselndes Mysterium funktioniert, sondern auch als komplexe Untersuchung von Trauma, Schuld und der Zerbrechlichkeit der menschlichen Erinnerung. In ihrem unverkennbaren Stil webt Miranda eine Geschichte in zwei Zeitebenen, die den Leser zwingt, sich an der Seite der Protagonistin Cassidy Bent durch Vergangenheit und Gegenwart zu bewegen. Was dabei herauskommt, ist weniger ein konventioneller Kriminalroman als vielmehr eine tiefgründige Meditation über das Überleben an sich – sowohl über den buchstäblichen Akt, eine Katastrophe zu überstehen, als auch über die psychologischen Kosten des Überlebens anderer.

Eine der größten Stärken des Romans ist seine strukturelle Komplexität. Miranda arbeitet mit wechselnden Zeitebenen, wobei sie zwischen dem Treffen im Strandhaus in der Gegenwart und Rückblenden auf den tragischen Unfall zehn Jahre zuvor wechselt. Diese bruchstückhafte Erzählweise baut nicht nur Spannung auf, sondern dient auch als Erkundung, wie ein Trauma die Wahrnehmung verzerrt.

Cassidy, die im Mittelpunkt des Romans steht, ist die unzuverlässige Erzählerin par excellence – nicht im Sinne einer offensichtlichen Lüge, sondern in der Art und Weise, wie sie darum kämpft, ihre Erinnerungen mit der Realität in Einklang zu bringen. Indem Miranda die Ereignisse durch ihre Perspektive filtert, lässt sie den Leser an der instabilen Psychologie einer Überlebenden teilhaben, die sowohl Opfer als auch mögliche Verschwörerin ist. Sie spiegelt die Unzuverlässigkeit eines kollektiven Traumas wider, in dem die gemeinsame Erinnerung ebenso sehr von Auslassungen und Verdrängungen wie von Fakten geprägt ist.

Die nichtlineare Erzählweise unterläuft natürlich auch die Erwartungen des Lesers. Während Thriller in der Regel auf eine finale Enthüllung angewiesen sind, die frühere Ereignisse in einen neuen Kontext stellt, bietet dieser Roman eine schleichendere Wahrheit: Es gibt keinen einzigen Moment der Erkenntnis, sondern nur eine allmähliche Entlarvung der Selbsttäuschung. Miranda zwingt ihre Figuren – und damit auch ihre Leser -, sich mit der unangenehmen Vorstellung auseinanderzusetzen, dass das Überleben selbst ein moralisch ambivalenter Akt ist.

Jedes Mitglied der immer kleiner werdenden Gruppe von Überlebenden verkörpert eine andere psychologische Reaktion auf das Trauma, so dass ihre Interaktionen von Paranoia und Spannung geprägt sind. Cassidy verkörpert die Vermeidung und versucht, die Verbindung zur Gruppe abzubrechen, bis sie durch Ians Tod wieder in die Gruppe hineingezogen wird. Andere, wie Amaya, setzen auf Kontrolle als Bewältigungsmechanismus und organisieren die jährlichen Treffen, als ob die Aufrechterhaltung der Struktur das Chaos in Schach halten würde. Grace hingegen spielt die Rolle der Friedensstifterin und klammert sich an eine Scheinharmonie, die die darunter liegenden Brüche ignoriert.

Diese psychologischen Profile spiegeln die klassischen Reaktionen auf ein Trauma wider – Kampf, Flucht und Schwäche -, was Mirandas akribische Herangehensweise an die Psychologie der Charaktere unterstreicht. Ihre gemeinsame Vergangenheit verbindet sie, doch anstatt Trost zu spenden, wirkt sie wie ein Käfig. Das Strandhaus, das normalerweise mit Entspannung und Flucht assoziiert wird, verwandelt sich in eine Arena der Klaustrophobie, in der alte Wunden wieder aufbrechen. Mirandas größter Triumph ist hier ihre Fähigkeit zu zeigen, wie die Überlebenden statt Dankbarkeit oft Schuldgefühle empfinden, die sich in einer toxischen Gruppendynamik manifestieren.

Darin ist Cassidys eigene Handlung besonders überzeugend. Sie ist keine klassische Krimiheldin, die aktiv ein Rätsel löst, sondern vielmehr gezwungen wird, sich selbst in Frage zu stellen. Sie ist gefangen zwischen der moralischen Gewissheit der Vergangenheit und der zwiespältigen Realität der Gegenwart. Am Ende des Romans hat sich ihr Verständnis des Unfalls – und ihrer Rolle darin – verändert, was Mirandas größeres thematisches Anliegen widerspiegelt: die Erinnerung als Beschützerin und Betrügerin zugleich.

Die Schuld des Überlebenden und die Bürde des Geheimnisses

Der Roman hat mehrere thematische Ebenen, wobei die Schuld der Überlebenden die wichtigste ist. Miranda hinterfragt die vereinfachte Vorstellung, dass das Überleben einer Katastrophe an sich positiv ist. Stattdessen untersucht sie, wie das Erleben eines Traumas zu einer anderen Art von Belastung werden kann, insbesondere wenn das Überleben mit moralischen Kompromissen verbunden ist.

Die jährlichen Treffen, die angeblich der Ehrung der Toten dienen, sind Rituale der Selbstbestrafung. Das Beharren der Gruppe auf Geheimhaltung dient nicht nur der Vermeidung von Konsequenzen, sondern ist ein Versuch, die Kontrolle über die gemeinsame Erzählung zu behalten. Der Begriff der „Wahrheit“ ist in diesem Roman fließend; was die Figuren erinnern, ist oft weniger wichtig als das, was sie glauben müssen, um mit sich selbst überhaupt leben zu können.

Jeder Überlebende hat sich auf seine Weise durch den Unfall definiert, ob er es zugibt oder nicht. Das gilt auch für Cassidy, die einen Großteil des Romans in dem Glauben verbringt, sich von der Vergangenheit lösen zu können, um dann festzustellen, dass ihr ständiges Ausweichen ihre eigene Form der Verstrickung ist.

Der Strand als Grenzraum

Das Strandhaus dient hier als physische Repräsentation der Kernkonflikte des Romans. Das weite und gleichgültige Meer symbolisiert sowohl die Flucht als auch die Auslöschung und spiegelt den Kampf der Überlebenden mit der Erinnerung wider. Es ist ein Ort, an dem Vergangenheit und Gegenwart aufeinandertreffen, an dem die Vergangenheit trotz ihrer Bemühungen nicht begraben werden kann.

Auch das Wetter spielt eine entscheidende Rolle für die Stimmung des Romans. Der heraufziehende Sturm ist eine Metapher für die Enthüllung von Geheimnissen – was als langsamer Aufbau von Spannung beginnt, steigert sich zu einer unausweichlichen Abrechnung. Der Strand, ein scheinbar friedlicher Ort, wird durch Mirandas sorgfältige Manipulation der Atmosphäre zu einem bedrohlichen Ort, der verdeutlicht, wie ein Trauma selbst die idyllischsten Orte in Orte des Grauens verwandeln kann.

Letztlich ist Mirandas Roman eine tiefgründige Erforschung der menschlichen Psyche unter Zwang, ein literarischer Thriller, der versteht, dass die schrecklichsten Geheimnisse nicht die sind, die wir vor anderen verbergen, sondern die, die wir vor uns selbst verbergen.

Glauben Sie an Gespenster? / Robert Arthur

Es ist nur eine kleine Geschichte in einem großen Buch. „Nichts Besonderes“, könnte man meinen, und gleich zur nächsten weiterziehen. Doch es lohnt sich, hier kurz innezuhalten und genauer hinzusehen. Robert Arthur war ein Schriftsteller, dessen Werke viele gelesen haben, ohne seinen Namen zu kennen. Während seiner Lebenszeit blieb das volle Ausmaß seiner Karriere weitgehend unsichtbar – insbesondere in Deutschland. Dort gab es lange Zeit nur einen schmalen Erzählband: Die Geister, die ich rief, der 1970 im Boje-Verlag erschien und 2024 von Kosmos neu aufgelegt wurde. Erst im März 2025 folgt ein zweiter Band – wohl ein Zeichen dafür, dass die moderne Literatur zunehmend an Reiz verliert und Leser sich mehr und mehr als Schatzgräber vergangener Meisterwerke versuchen.

Viele jugendliche Leser meiner Generation wussten nicht, dass Arthur der ursprüngliche Autor der drei ??? war, bevor er 1969 allzu früh verstarb und das Feld anderen überlassen musste. Die ersten Bände erschienen unter dem Namen eines gewissen Alfred Hitchcock – wohl der Hauptgrund, warum seine Bücher vor allem unter dieser Marke bekannt wurden. Einerseits garantierte das den Erfolg, andererseits überschattete es Arthurs eigenes Vermächtnis. Dabei war er ein äußerst produktiver Schriftsteller: Bevor er in seinem letzten Lebensjahrzehnt mit Hitchcock zusammenarbeitete, verfasste er Hunderte von Kurzgeschichten. Ihre Kooperation begann mit seiner Arbeit an Alfred Hitchcock Presents und der Adaption seiner Geschichte The Jokester für diese Sendung im Jahr 1958. Ursprünglich erschien The Jokester bereits in der März-Ausgabe 1952 des The Mysterious Traveler Magazine – mit Elementen, die an Glauben Sie an Gespenster erinnern, eine Geschichte, die über ein Jahrzehnt zuvor, im Juli 1941, in Weird Tales veröffentlicht worden war.

Darin sitzt der Protagonist Nick Deene mit Handschellen an ein altes Messingbett gefesselt – in der verlassenen Carriday-Villa, bewaffnet nur mit einer Taschenlampe, einer Bibel und einem Kruzifix. Er wartet auf die Ankunft des „Dings mit dem Gesicht einer Auster“ – einer amorphen, im Sumpf lebenden Abscheulichkeit, die seit über einem Jahrhundert den Carriday-Fluch ausübt. Doch die Wahrheit ist eine andere: Nick Deene hat sowohl das Monster als auch den Fluch selbst erfunden, was zu einigen Spannungen mit seinem technischen Assistenten, Fan Danny Lomax, führt. Fünf Millionen Zuhörer im ganzen Land lauschen ihm an den Radiogeräten.

Die Geschichte beginnt mit dem Haus selbst, das sowohl Schauplatz als auch ein eigener Charakter ist. Sie verortet das Carriday Mansion zwanzig Meilen nördlich von Hartford, von wo aus das Radiosignal nach New York übertragen wird. Damit könnte die Handlung irgendwo an der Grenze zwischen Connecticut und Massachusetts angesiedelt sein – möglicherweise sogar in Massachusetts, nicht weit entfernt von jenen seltsamen Orten, wie H.P. Lovecrafts Dunwich. Die Atmosphäre – dieses makabre Brot und Butter des Unheimlichen – trägt die Geschichte oft besser als jede Handlung.

Doch Glauben Sie an Gespenster bietet beides: Atmosphäre und eine ausgefeilte Erzählstruktur. Arthur lässt Nick Deene selbst den Schauplatz für die Leser definieren, bevor er die Geschichte erst zu einem falschen Höhepunkt, dann zu einem weiteren, endgültigen führt.

Im Zentrum steht die Idee der Massenhypnose, die Macht der Suggestion und die Fähigkeit des Denkens, Realität zu beeinflussen – Konzepte, die bereits 1941 keineswegs neu waren. Schon 1904 wurde ein ähnlicher Gedanke in J.M. Barries Bühnenstück Peter Pan sichtbar: Dort fordert Peter das Publikum auf, in die Hände zu klatschen, wenn es an Feen glaubt – eine spielerische, aber eindrucksvolle Demonstration kollektiver Gedankenmacht. Peter Pan besitzt zudem eine bemerkenswerte Fähigkeit: Er kann Dinge aus dem Nichts erfinden.

Die Ursprünge dieser Ideen über den Einfluss des Glaubens auf die Realität reichen weit zurück, und auch heute beschäftigen sich Forschungen erneut damit. Doch Glauben Sie an Gespenster ist nicht bloß eine Geschichte über diese Konzepte – sie ist auch eine meisterhafte Erzählung mit effektiver Atmosphäre und einem eindrucksvollen Monster. In der heutigen Weird Fiction sind solche Kreaturen längst Klischee, doch 1941 war dieses Motiv noch relativ frisch. Manche vermuten, dass H. R. Wakefields Geschichte Ghost Hunt Arthur beeinflusst hat.

Allerdings gibt es eine zeitliche Unstimmigkeit: Während die Internet Science Fiction Database Wakefields Geschichte auf 1948 datiert – sieben Jahre nach Glauben Sie an Gespenster –, nennen andere Quellen 1938 als Veröffentlichungsjahr. Falls Letzteres stimmt, war die Weird Tales-Ausgabe ein Nachdruck.

Unabhängig von der genauen Beziehung zwischen beiden Geschichten verfolgt Ghost Hunt ein anderes zentrales Motiv: das „böse Haus“ oder „böse Zimmer“, das seinen Bewohner in den Wahnsinn treibt. Dieses Motiv taucht in vielen Spukgeschichten auf – von Wakefields The Red Lodge über Shirley Jacksons Spuk in Hill House (1959) bis hin zu Stephen Kings Shining und seiner Kurzgeschichte 1408, das ebenfalls in der von Frank Festa herausgegebenen Anthologie Das Buch der Geister & Spukhäuser enthalten ist.

Interessanterweise – und vielleicht nicht zufällig – ist der Protagonist von 1408, der Schriftsteller Mike Enslin, eine verblüffende Parallele zu Nick Deene.

Die drei ??? und das Gespensterschloss / Robert Arthur

Das Gespensterschloss
Die drei ??? und das Gespensterschloss

Kommen wir noch einmal zu den drei Fragezeichen zurück. Am Anfang (und zu seiner Zeit) war das eine verdammt gute Serie von Robert Arthur, und neben Miss Marple und Sherlock Holmes sicherlich eine der Buchreihen die mich zum Krimi gebracht haben. Insgesamt gibt es 43 Originalbücher, die von 1964 bis 1987 erschienen sind, bevor die drei Detektive zu einer rein deutschen Angelegenheit wurden. Allerdings hören die guten Abenteuer ab Band 29 auf.

Die Grundidee, die Mitte der 60er Jahre das Licht der Welt erblickte, war, dass drei Jugendliche eine Detektei gründen. Sie hießen Jupiter Jones, Bob Andrews und Peter Crenshaw. Ihr Hauptquartier befindet sich auf dem Schrottplatz von Jupiters Onkel Titus in Rocky Beach.

Findet mir eine Gespensterschloss!

Terror Castle

Rocky Beach liegt in einer Ebene, die auf der einen Seite vom Meer und auf der anderen von einer Bergkette begrenzt wird, unweit von Los Angeles. Die Stadt selbst ist fiktiv, obwohl es ein echtes Rocky Beach im Indischen Ozean gibt, das heute allerdings Gilchrist Beach heißt. Und natürlich heißen die drei Detektive Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews. Die Hörspiele mit den drei Fragezeichen sind Kult, auch wenn sie nur rudimentäre Versionen der Bücher enthalten und nicht alle Bücher gleich gut sind, aber es lohnt sich, sie noch einmal zu entdecken. Die Abenteuer begannen mit dem Gespensterschloss, das 1964 im Original und vier Jahre später auch bei uns erschien. Es ist nicht gerade das beste Buch über die drei Detektive, aber immerhin das erste. Natürlich geht es um ihre blutigen Anfänge. Sie drucken ihre berühmten Visitenkarten und haben am Anfang noch nichts mit Alfred Hitchcock zu tun, der ihnen später immer wieder Fälle schickt. Er ist zunächst nicht begeistert, als sie sich in sein abgeschirmtes Studio einschleichen, um für ihn ein Geisterhaus für einen seiner Filme zu finden.

The Secret of Terror Castle – Endseite; von Harry Kane

Terror Castle

Von Anfang an hat man es hier mit einem herrlich trashigen Spaß zu tun.
Ein Clubhaus mit geheimen Eingängen und vielen Gadgets, die sie aus allerlei Schrott zusammengebaut haben.

Sogar ein vergoldeter Rolls Royce steht ihnen zur Verfügung, weil Justus bei einem Bohnenzählwettbewerb die richtige Anzahl genannt hat, inklusive Chauffeur, der im Original Worthington heißt, bei uns aber Morton, was wohl mit der Aussprache zu tun hat. Morton fungiert hier als der ausgewählte Erwachsene, wenn ein Erwachsener benötigt wird, was hier der Fall ist.

Das Haus, das sie finden, trägt den ominösen Namen „Terror Castle“ und ist das ehemalige Schloss eines Stummfilmstars, der vor vielen Jahren bei einem mysteriösen Unfall ums Leben kam. In der deutschen Übersetzung wurde der Name in „Schloss Terrill“ geändert.

Gespensterschloss

Das Haus scheint jeden zu beunruhigen, der es nach Einbruch der Dunkelheit betritt, was sich für das Trio bestätigt, als ihr erster nächtlicher Ausflug scheitert und sie vor Angst fliehen müssen.

Justus, der durch einen verstauchten Knöchel außer Gefecht gesetzt ist, ist fest entschlossen, nicht zu scheitern und drängt seine Freunde, die Burg noch einmal von oben bis unten zu erkunden und ihm jedes Detail zu berichten.

Justus ist der intelligenteste der drei. Er hat eine viel stärkere Persönlichkeit als die beiden anderen Jungen, die sich im Wesentlichen über ihre Rolle definieren. Bob ist der Bücherwurm, Peter der Sportler. Justus hingegen bekommt eine viel größere Hintergrundgeschichte, um einige seiner Fähigkeiten zu rechtfertigen, wie z.B. sein Talent, andere zu imitieren, das schon früh in der Geschichte auf recht amüsante Weise eingesetzt wird. Tatsächlich kommen auch die beiden anderen im Laufe der Abenteuer etwas besser weg, aber das war im ersten Band natürlich noch nicht abzusehen.

Sogar die Rivalität mit Skinny Norris, einem anderen Jungen aus der Schule, ist hier schon angedeutet und wird später in der Geschichte schön aufgegriffen.

Bei allem Spaß und der Tatsache, dass dieser Roman gut geschrieben ist, ist die Prämisse des ersten Abenteuers eher schwach.

Originalausgabe; Harry Kane

Zunächst stellt sich natürlich die ganz nüchterne Frage, warum Hitchcock nicht weiß, dass es in seiner unmittelbaren Umgebung ein Haus gibt, das den Anforderungen seiner geplanten Produktion entspricht, und warum er ausgerechnet ein Haus sucht, in dem es wirklich spukt. Schließlich hat Hitchcock nie wirklich Horrorfilme gedreht, wie es etwas missverständlich dargestellt wird.

Glücklicherweise ist das titelgebende Gespensterschloss ansprechend und faszinierend genug, um über die problematische Konstruktion hinwegzusehen. Das Argument, es handele sich um ein Kinderbuch, zieht da an keiner Stelle. Man schaue sich nur die hohe Qualität an, mit der viele Jugendbücher geschrieben wurden und werden.

Die Antwort auf die Frage, warum das Haus in der Lage ist, bei den Menschen, die sich darin aufhalten, ein Gefühl der Panik hervorzurufen, ist faszinierend, und die Erklärung ist sicherlich akzeptabel, aber nicht wirklich überzeugend.

Auf dem Weg dorthin können wir einige recht solide Ermittlungen der Jungen verfolgen, die uns einige ziemlich gute Hinweise liefern.

Eine Begegnung mit einem Nachbarn sorgt für einige besonders eindringliche Beispiele, und auch wenn der erwachsene Leser wahrscheinlich an keiner Stelle beunruhigt sein wird, berührt diese Geschichte genau das Thema, das jeden in meiner Kindheit angesprochen hat und das auch heute noch eine gewisse Faszination ausübt.

Obwohl es sich – nach Erwachsenenmaßstäben – um einen einfachen Krimi und der Aufbau einige kindliche Aspekte aufweist, spricht Arthur nie von oben herab zu seinen Lesern. Wir sollen auch nicht etwa glauben, dass seine kindlichen Protagonisten übernatürliche Fähigkeiten (oder Glück) haben – stattdessen nutzen sie Beobachtungen und Schlussfolgerungen, um herauszufinden, was vor sich geht.

Auch wenn „Das Gespensterschloss“ nicht zu den besten Krimis der drei Detektive gehört, so ist es doch eine wirklich unterhaltsame und spannende Lektüre und vor allem eine wunderbare Vorbereitung auf die folgenden Abenteuer.

Die Nummerierung

Die Nummerierung der Serie ist nicht ganz unproblematisch, denn während Buch 1 mit der amerikanischen Originalausgabe identisch ist, so trifft das auch die Hörspiele nicht zu. Dort erschien Das Gespensterschloss erst als Nummer 11. Im Gegensatz zu den Büchern schneiden die Hörspiele ohnehin schlecht ab. Sie sind teilweise unglaublich schlecht zusammengestückelt und auch billig produziert, haben aber natürlich einen immensen Nostalgie-Faktor, bei dem es den meisten Hörern gar nicht auf etwas anderes ankommt.

Träume im Hexenhaus / H. P. Lovecraft

Walter Gilman, Student der Mathematik und Volkskunde an der Miskatonic University, zieht in ein Dachzimmer des berüchtigten „Hexenhauses“ in Arkham, das als verflucht gilt. Die düstere Geschichte des Hauses wird schon bald offenbar: Es gehörte einst Keziah Mason, einer Hexe, die 1692 aus einem Gefängnis in Salem auf mysteriöse Weise verschwand. Gilman findet heraus, dass zahlreiche Bewohner des Hauses in den letzten zwei Jahrhunderten frühzeitig und unter bizarren Umständen gestorben sind. Besonders auffällig sind die ungewöhnlichen Dimensionen seines Zimmers, das einer unheimlichen, nicht-euklidischen Geometrie zu folgen scheint. Er entwickelt die Theorie, dass diese Struktur Reisen zwischen verschiedenen Dimensionen oder Ebenen des Universums ermöglicht.

Moderne wissenschaftliche Forschungen, insbesondere in den Bereichen Quantenmechanik und Topologie, zeigen erstaunliche Parallelen zu Gilmans Erkenntnissen. Arbeiten über Wurmlöcher, extradimensionale Räume und Multiversum-Theorien bestätigen die damalige fiktive Prämisse auf neue Weise.

Träume im Hexenhaus / H. P. Lovecraft weiterlesen

Mord ohne Motiv in Edgar Allan Poes „Das verräterische Herz“

Die Geschichte „Das verräterische Herz“ wurde erstmals 1843 im Pioneer, einem Bostoner Magazin, veröffentlicht.

Mord ohne Motiv

In dieser Erzählung finden sich alle Elemente der Schauerliteratur auf engstem Raum: das unterschwellige Geheimnis, das unheimliche Gebäude (hier wird ein ganzes Schloss in einen einzigen Raum verwandelt, wir haben das schreckliche Verbrechen und das Oszillieren zwischen dem Übernatürlichen und dem Psychologischen). Auf nur fünf Seiten scheint es, als habe Edgar Allan Poe den Schauerroman des achtzehnten Jahrhunderts zu einer Geschichte von nur wenigen tausend Wörtern verdichtet. Doch was macht diese Geschichte so beunruhigend? Eine genauere Analyse zeigt, dass sich „Das verräterische Herz“ auf das Beunruhigendste überhaupt konzentriert: den Mord ohne Motiv.

Der Herzschlag eines Toten

Ein namenloser Erzähler gesteht, dass er einen alten Mann ermordet hat, offensichtlich wegen des „bösen Auges“ des alten Mannes, das den Erzähler dazu brachte, ihn zu töten. Dann beschreibt er, wie er sich in das Schlafzimmer des schlafenden alten Mannes geschlichen, ihn erstochen, die Leiche weggeschleift und zerstückelt hat, um sein Verbrechen zu vertuschen. Er unternimmt einige Anstrengungen, um alle Spuren des Mordes zu verwischen – er fängt sogar das Blut seines Opfers in einer Wanne auf, damit nirgendwo Blut verspritzt wird -, dann nimmt er drei der Bodenbretter des Zimmers und versteckt die Leiche seines Opfers darunter. Kaum hat er die Leiche versteckt, klopft es an der Tür: Es ist die Polizei, die von einem Nachbarn gerufen wurde, der in der Nacht einen Schrei gehört hatte. Der Erzähler lässt die Polizisten herein, um das Haus zu durchsuchen, und erzählt ihnen die Lüge, der alte Mann sei auf dem Land. Er bleibt ruhig, während er sie herumführt, bis sie sich in den Raum setzen, unter dem die Leiche des Opfers versteckt ist. Der Erzähler und die Polizisten unterhalten sich, doch nach und nach hört der Erzähler ein Geräusch in seinen Ohren, das immer lauter und eindringlicher wird. Er glaubt, es sei der Herzschlag des Toten, der ihn von jenseits des Grabes aus verspottet. Irgendwann hält er es nicht mehr aus und fordert die Polizei auf, die Dielen herauszureißen, denn der Herzschlag des alten Mannes drängt ihn, sein Verbrechen zu gestehen.

The Tell Tale Heart
(c) theemptykissofdeath

Der labile Erzähler

Der Erzähler von „Das verräterische Herz“ ist eindeutig labil, wie das Ende der Geschichte zeigt, sein psychischer Zustand ist von Anfang an fragwürdig, wie die ruckartige Syntax seiner Erzählung vermuten lässt:

„Es stimmt! – nervös – ich war und bin sehr schrecklich nervös; aber warum wollen Sie mich verrückt nennen? Die Krankheit hatte meine Sinne geschärft – nicht zerstört – nicht abgestumpft. Vor allem war der Hörsinn geschärft worden. Ich hörte alle Dinge im Himmel und auf der Erde. Ich hörte viele Dinge in der Hölle. Wie kann ich deshalb verrückt sein? Hören Sie zu! und beurteilen Sie, wie gesund – wie ruhig ich Ihnen die ganze Geschichte erzählen kann.“

Die mehrfachen Bindestriche, die ungewöhnliche syntaktische Anordnung, die Ausrufe- und Fragezeichen: Alles deutet auf jemanden hin, der zumindest leicht erregbar ist. Seine wiederholten Beteuerungen, er sei zurechnungsfähig und leide nur an einer „übermäßigen Schärfung der Sinne“, überzeugen nicht ganz: Zu viel in seinem Verhalten (ganz zu schweigen von dem grundlosen Mord an dem alten Mann) lässt auf das Gegenteil schließen.

Ich glaube, es war sein Auge!

Und in der Tat, was „Das verräterische Herz“ besonders erschreckend macht – und hier könnte man eine Parallele zu einer anderen von Poes bekanntesten Erzählungen, „Die schwarze Katze“, ziehen – ist, dass der Mörder offen zugibt, dass sein Mord an dem alten Mann ein Verbrechen ohne Motiv war:

„Ich liebte den alten Mann. Er hatte mir nie Unrecht getan. Er hatte mich nie beleidigt. Nach seinem Gold hatte ich kein Verlangen. Ich glaube, es war sein Auge! Ja, das war es! Er hatte das Auge eines Geiers – ein hellblaues Auge, mit einem Film darüber. Immer, wenn es auf mich fiel, wurde mein Blut kalt; und so entschied ich mich nach und nach – ganz allmählich -, dem alten Mann das Leben zu nehmen und mich so für immer von dem Auge zu befreien.“

Mord ist niemals zu rechtfertigen, aber manchmal ist es verständlich, wenn ein Mensch zu Extremen getrieben wird und nicht mehr klar denken kann. Aber Poes Erzähler tötet den alten Mann nicht einmal für etwas so Zynisches wie materiellen Gewinn. Selbst das Motiv, das er anbietet – das „böse Auge“ des Alten – ist eher schwach. Er muss sich selbst davon überzeugen, dass er es deshalb getan hat, indem er sagt: „Ich glaube, es war sein Auge, ja, das war es!“

Othello und Macbeth winken aus der Ferne

Das allein macht schon deutlich, dass wir es mit einem gestörten Geist zu tun haben, mit jemandem, der „ohne Grund getötet hat“. Motivlose Mörder sind oft die beunruhigendsten. Man denke nur an die „motivlose Bösartigkeit“ von Jago, Shakespeares vielleicht schlimmstem Bösewicht, der eine Reihe möglicher Motive für seinen Wunsch, das Leben von Othello und Desdemona zu zerstören, anführt und dabei offenbart, dass er höchstwahrscheinlich kein wirkliches Motiv hat – außer dem Wunsch, einfach nur Ärger zu machen.

Doch Othello ist nicht Poes wichtigste Inspirationsquelle für „Das verräterische Herz“. Betrachtet man die Geschichte genauer, wird der Einfluss von Shakespeares Macbeth deutlich.

In beiden Texten geht es um die Ermordung eines „alten Mannes“; in beiden Fällen wird der Mörder dazu gebracht, sich für sein Verbrechen schuldig zu fühlen, indem er von seinem Opfer aus dem Jenseits „heimgesucht“ wird (Banquos Geist in Macbeth, das schlagende Herz des alten Mannes in Poes Geschichte); sowohl Macbeth als auch Poes Erzähler zeigen Anzeichen, dass sie zumindest psychisch labil sind; in beiden Texten folgt auf die Ermordung des Opfers ein Klopfen an der Tür.

Das verräterische Herz
(c) Alex Kupczyk

Was Poes Erzählung jedoch besonders eindringlich macht, ist die Art und Weise, wie er die Verdoppelung einsetzt, um anzudeuten, dass es nur natürlich ist, dass der Erzähler paranoid wird, wenn das Geräusch von den Dielen kommt. Bevor er den alten Mann ermordete, hatte sich der Erzähler nämlich vorgestellt, dass sein Opfer „versuchte, sich zu trösten“, als er ein Geräusch vor seinem Schlafzimmer hörte:

„Ich wusste, dass er seit dem ersten leichten Geräusch, als er sich im Bett umgedreht hatte, wach gelegen hatte. Seine Ängste hatten ihn seither immer mehr übermannt. Er hatte versucht, sie sich grundlos vorzustellen, konnte es aber nicht. Er hatte sich gesagt: „Es ist nichts als der Wind im Schornstein – es ist nur eine Maus, die den Boden überquert“, oder „Es ist nur eine Grille, die ein einziges Zwitschern gemacht hat“, ja, er hatte versucht, sich mit diesen Vermutungen zu trösten: aber er hatte alles vergeblich gefunden. Alles vergeblich, denn der Tod hatte sich mit seinem schwarzen Schatten vor ihm herangeschlichen und das Opfer eingehüllt, als er sich ihm näherte.“

Aber natürlich ist es in Wirklichkeit der Erzähler, der sein eigenes Unbehagen anhand von Geräuschen projiziert; und so deutet sich seine spätere Paranoia vor dem vermeintlichen Geräusch an, das unter dem Dielenboden hervordringt – das Geräusch, das ihn dazu bringen wird, sein Verbrechen zu gestehen.

Eine neue Art Geistergeschichte

Tell Tale Heart 1

Neben der „Motivlosigkeit“ des Verbrechens des Erzählers ist der andere Aspekt von „Das verräterische Herz“, der es zu einer so eindringlichen Analyse des Wesens von Verbrechen und Schuld macht, die leichte Zweideutigkeit, die über dem Geräusch schwebt, das den Erzähler am Ende der Geschichte verspottet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieses Geräusch nur in seinem Kopf existiert, denn die Polizisten scheinen es nicht wahrzunehmen, während sie sich ruhig weiter mit dem Erzähler unterhalten. (Dies ist der einzige wirkliche Schwachpunkt in Poes Geschichte: Nachdem sie das Haus durchsucht haben, scheinen sie herumzuhängen und sich mit dem Erzähler zu unterhalten. Haben sie nicht Wichtigeres zu tun? Es sei denn, der Erzähler ist an diesem Punkt nicht so ruhig, wie er glaubt, und sie vermuten ein falsches Spiel und versuchen, ihn dazu zu bringen, etwas Belastendes zu enthüllen…). Aber wir können nicht sicher sein. Selbst wenn die Geräusche übernatürlichen Ursprungs sind – und Poe war offensichtlich ein Meister des Übernatürlichen, wie einige seiner anderen besten Erzählungen beweisen -, kann es sein, dass das Opfer den geisterhaften Herzschlag nur dem Erzähler zu Gehör bringt und er sich tief in dessen Geist eingegraben hat. Aber alles in allem sind wir versucht zu glauben, dass Poe, zusammen mit Dickens, etwa zur gleichen Zeit (vgl. die Analyse des Geistes des Mörders Jonas Chuzzlewit, als er vom Tatort flieht), hier eine neue Art der Annäherung an die „Geistergeschichte“ entwickelt – eine Annäherung, in der der „Geist“ nicht mehr als eine Halluzination oder ein Phantom des Geistes der Figur ist. Obwohl diese Mehrdeutigkeit von Shakespeare mit großem Erfolg eingesetzt wurde, ist es Poe, der in Erzählungen wie „Das verräterische Herz“ die Mehrdeutigkeit der Handlung nutzt, um eine tiefere und beunruhigendere Analyse der Natur des Bewusstseins zu liefern.

Der Schatz des Abtes Thomas / M. R. James

In M. R. James‘ literarischem Universum ist Latein die Sprache der Gelehrten – wer etwas auf sich hält, beherrscht sie fließend. Dies gilt nicht nur für James, sondern erinnert auch an Umberto Eco. Folgerichtig beginnt die Erzählung Der Schatz des Abtes Thomas mit einer umfangreichen lateinischen Passage, die der Antiquar und Gutsherr Mr. Somerton umgehend zu entschlüsseln versucht. Was er dabei entdeckt, ist ihm zunächst nicht völlig klar, doch die Hinweise locken ihn auf die Spur eines verborgenen Schatzes. Diese Schatzsuche führt ihn schließlich in eine ihm fremde Gegend, die den Leser nach und nach enthüllt wird.

Mr. Somerton lebt auf dem europäischen Festland, in der Nähe von Koblenz, und gerät dort in eine bedrohliche Lage. Sein treuer Diener, unfähig, ihm selbst zu helfen, schreibt einen dringlichen Hilferuf an einen befreundeten Pfarrer in England. Dieser erkennt sofort die Dringlichkeit der Situation, nimmt das nächste Schiff und findet seinen antiquarischen Freund in einem entkräfteten, verängstigten Zustand vor. Somerton ist nicht in der Lage, über die Ereignisse zu sprechen, die ihn derart erschüttert haben. Bevor er seine Geschichte erzählt, bittet er den Pfarrer jedoch, eine Aufgabe zu erfüllen, deren Natur zunächst unklar bleibt. Erst nachdem diese vollbracht ist, offenbart er die düsteren Geschehnisse.

Der Schatz des Abtes Thomas / M. R. James weiterlesen

Die Geister, die ich rief / Robert Arthur

Die Geister, die ich rief

Dankbarer Weise leben wir in einer Zeit, in der uns immer wieder längst vergessene Geschichten ins Haus flattern. Es besteht ein unbedingtes Interesse, altes wieder hervorzukramen, weil es in der Regel besser ist als all das Zeug, das man heute zu lesen bekommt. Robert Arthur wäre sicherlich einer dieser vergessenen Autoren, wenn er nicht die drei Detektive erschaffen hätte. Vermutlich gäbe es keinen Grund, in seinen zahlreichen Erzählungen zu stöbern. Viele wissen nicht einmal, dass er ein Experte seltsamer Geschichten war, eine regelrechte Größe wenn es darum ging, die größten Unwahrscheinlichkeiten mit herrlich gewöhnlicher Plausibilität zu erzählen. Der Kosmos-Verlag brachte bereits 2024 die deutsche Übersetzung des Originals mit dem Titel „Die Geister, die ich rief“ heraus. Das mag etwas Verwirrung stiften, denkt man doch unweigerlich an den Filmklassiker mit Bill Murray, dessen Vorlage Charles Dickens‘ Weihnachtsgeschichte war. Aber „Geister und mehr Geister“ ist auch nicht das Gelbe vom Ei, vor allem, weil das wieder Mary Hottingers Gespenster-Anthologien ins Gehege gekommen wäre. Natürlich hat der Kosmos-Verlag in Robert Arthurs Geschichten gekramt, weil er mit den drei Fragezeichen sozusagen das Flaggschiff des Verlags auf den Weg gebracht hat (was 1964 nun wirklich niemand ahnen konnte). Aber es handelt sich immerhin um einen Autor, der hierzulande noch entdeckt werden muss (wobei ich glaube, dass er auch in seinem Heimatland nicht mehr groß bekannt sein dürfte, außer eventuell bei den Pulp-Enthusiasten).

Die Geister, die ich rief / Robert Arthur weiterlesen