Transformiert durch Mauerwerk

Ich hatte lange nicht gewusst, wie sehr sich die Stufen nach unten auflösten, während ich ihnen folgte. Einmal zählte ich sie sogar, aber ihre Zahl ist mir nicht in Erinnerung geblieben. Irgendwo in meinem Echoraum ist sie gespeichert, aber sie hat wohl keine numerologische Bedeutung. Könnte es nicht möglich sein, dass sich die Gebäude, in denen man gelebt hat, auflösen, bevor sie sich für einen neuen Bewohner zusammensetzen? Dass man sie auch von außen nicht mehr erkennt, obwohl man all ihre Poren studierte, um niemals zu vergessen, was sich anschickte, von drinnen nach draußen zu gelangen, transformiert durch die Dunkelheit innerhalb des Mauerwerks? Sicher bleiben Sätze hängen, die man mit einer speziellen Röhre abhören kann; die aber immer schwächer werden und irgendwann nur noch in ein allgemeines Summen übergehen, in ein Hintergrundrauschen des eigenen Urknalls. Ich höre mich sagen: “Bin unten!”, und beginne mit dem Zählen der grauen Stufen.

Dorfstraßen sind mächtige Wege; das heißt, sie waren es früher einmal. Heute gibt es nur noch Straßen, Wege aber sind kaum mehr zu finden. Der Unterschied besteht darin, dass Straßen irgendwo hin führen müssen, deshalb bewegt man sich auf ihnen, man will die Strecke schnell bewältigen. Ein Weg hingegen ist zum Flanieren gedacht, nicht allein, um anzukommen. Wo auch sollte man ankommen wollen?

Früher war alles besser; aber nur, wenn man heute lebt. Fortschritt ist doch nur das Fortschreiten – das sich-entfernen – vom Guten. Vergessen wir dabei nicht, dass ein Gutes kein Paradies ist, kein endgültiger Zustand des Bestmöglichen; das Bestmögliche nämlich meint keine Existenz. Im Leben kann die Grausamkeit nicht ausgeblendet werden, sie kann nur durch etwas Gutes gemildert erscheinen. In anderen Fällen erreichen wir das Gute überhaupt erst jetzt. Dabei gibt es allerdings kein Wir. Wer spricht, ist entscheidend. Früher war alles besser, weil die Illusion noch funktionierte und weil es etwas Natürliches gab – und das Analoge.

Tollhaus

almosengumpig hatte der italienische bischof Goffredo de Prefetti den plan, hinunterzusteigen ins Heilige Land, um dort die schwerter so singen zu lassen, dass ihre kehlen mit angedicktem blut geölt nie gekannte befriedung erfuhren und so tat er ein haus auf dort zu London und baute es über einer kloake, wo der strom der elenden hinterteile nie versiegte. Vorm wahnsinn fürchtet man sich noch am besten, die tänzer können nicht für ein verbrechen baumeln, die schwarzgalligen nicht für treulosigkeit verbrannt werden, dummes huhn, was krähst du in die ferne, schau putt putt da hast du tupp tupp

leider leider was schöner rauch das wäre neben den ungeliebten weibern, die milch bereits im euter quarken, brotleiber auf den hinterbacken kneten und den schlendrian im wald in ein loch purzeln lassen, dass er lande bei den elven

die finsterei wurde geflüstert, dämonisches ringen kuriert, schwefel- und zundermasken im feuer gesehen

wir sind der sache nicht gewachsen
wir wachsen nicht aus stahl heraus

Ich wusste nicht dem Hunger zu begegnen, also nahm ich mir einen Sessel, den ich aß. Sein Polster war mir rotes Trockenfleisch in einer dunklen Ecke voller Morasch. Dort spie auch ich danach, und spielte, „eine fliehende Ratte zu benetzen“, doch ich traf nur meinen Schuh. Das Holz war feiner Sensenstaub, von Wurmverwandschaften vorbereitet, ein Brot daraus zu backen schien mir fremd, zumal der nächste Ofen im Keller gerade Knochen verbrannte. Ich hatte keine Magie in meinen Adern, nur absonderliches Blut, abgestanden wie die Luft in den Gängen des alten Bedlam.

Ein Irrenhaus ist eine gute Wahl, wenn nicht irgendwo ein Krieg tobt, in dem man sich zermalmen lassen kann. Ich sehe sie noch vor mir, die duftenden Damen, die Besucher durch das Haus navigierten, damit sie nicht in ein Loch im maroden Boden fielen, sondern der peinlichen Therapie ihr vollgepumptes Gewissen übertragen können, ein Theater wie sonst nirgendwo zu sehen. Das bizarre Regelwerk der Spiele.

so viel war es nicht, das wir wussten
so viel war es nicht, das wir verloren

Wir setzten uns auf die ausgehärtete rostige Spucke und zählten die vergangenen Tage durch. Es waren immer gleich viele. aber ihre Zahnspangen hatten sich jedes Mal verändert. Die kühle Luft, früher undurchdringlich aufgrund abweisender Partikel, hatte sich in Gang gesetzt und schob uns die Karten für den Eintritt zu. Es war ein großes grabschen und nehmen, und am Ende folgten wir dem Parfüm in einen großen Blechraum, von dessen Decke ein Stuhl in der Mitte baumelte. Wer darauf festgebunden war konnte das nackte Auge nicht erkennen, so schnell wie er sich drehte, wie in einem Nebel verwischte die Gestalt und bald musste sie im Nichts verschwunden sein, in 43 Teile zerfallen und hinter ihr ein Schlosshof zu sehen sein. Wo war das noch? Ich kannte das Bild, merkte es mir jedoch nicht, weil sich die Wunde augenblicklich schloss und alles wieder Blech und Wahnsinn war.

Tempus fugit

Frühlingserwachen mit entferntem Honiggeruch, Kaffee weht schillernd durch den Flur, Schafscheiße ganz sanft im Rachen, prägnante Wolle, Pulloverpollen, der blühende Garten, tempus fugit.

Ich kann das Jetzt riechen, zumindest eine Femtosekunde lang, sogar die Linzer Torte von letzter Woche, deren Krumen im wasserblauen Kunstfaser-Flokati keimen. Und wer weiß: eines Tages hängen vielleicht Kuchennüsse an den jungen Trieben und man wäre bald von einem Schlaraffenland umzingelt, von dem mörderischen Wehklagen schmerzender Bäuche.

Ein unruhiges Flackern, wie es die Erinnerung manchmal inszeniert; der Versuch einer Verschleierung, weil all das Außen nur umgestülptes, ausgestülptes Innen ist – Nordgeschmack, erfüllt von diesen zutiefst entschlossenen Wassern; des Geistes Dämmerung sinkt nieder. Die Luft blaupauste für einen Sommerbrand.

Es ist immer das verlorene Paradies (Hy Brysail), das auch die Iren an klaren Tagen erblicken. Selbst in der zum Tausendsten Male gesehenen Häuserfront sehe ich ins Unendliche, sehe die Variation der Dinge.

Über dem Land liegt nichts als Raum, in den die Sonne an diesem Tag hineinstoßen wird, die ersten Vögel räuspern sich schon, das Hungergrollen der Mägen rollt von Wipf zu Wipf. Was vergangen ist, erwacht erneut, doch es weiß nichts von gestern und beginnt damit, alles so zu tun, wie es das große Unbekannte vorsieht.

Wenn nichts aus einem bestimmten Grund geschieht, dann ist der Anblick eines ruhenden Dorfes, bevor Eos erscheint, eine der schönsten Sinnlosigkeiten, die es gibt.

Ich schlafe nur, um mich zu rechtfertigen.

Ich komme aus vielen Generationen und Schmutz.

Der Zuchtstuten Zunder

Unser möbliertes Appartement. Zement und Plüsch, eine Achtzigerjahre-Höhle mit grellen Teppichen.

Nichts gehört uns hier, oder dir.
Nichts hört auf uns, oder dich.

Nichts hätte ich über dich, Lustloch, zu sagen, wenn nicht hier auf dem Abort das erste vieler saftiger Ereignisse geschehen wäre, meine Hand, potzblitz, konnte so viel des saftigen Lebens gar nicht halten, wie es sprang, über mich hinweg sprang, an den Kacheln klebte, rann rann, über die Finger rann, auf das Bodenplüsch regnete, das ich nach dem Baden zusammenknüllte wie nachts die Bettdecke, das Kopfkissen.
Die junge Frau, die mit Ludwig jeden Abend im Schlafraum verschwand : ich auf der Couch vernahm das Röhren der Hirsche, das Zwitschern der Vögel. Sie besaß schöne, schwarze Netzstrümpfe, die ich heimlich, heimelig in dir Lustloch trug, mein Arm die neue Belastung herrlich fand, und eines Tages (in der Nacht des Tages) schlug ich die Augen auf, die Blase drückte, ich blies, ich blies die Lichter an, zählte auf dem Boden Höcker um Höcker, zwischen denen ich wandelte in einem Fleischmeer, sog den Schweiß des femininen Stalls, der Zuchtstuten Zunder für immer in mein Gedächtnis.