Kemptener Tagelohn

Leseversuch in der Cucina Toscana

Cucina Toscana
Cucina Toscana, Hildegardsplatz, Kempten

Kaffee ist ein Stück Lebenskraft. Auch wenn ich meinen Konsum in den letzten Jahren etwas eingeschränkt habe, die Atmosphäre, die sich im besten Fall um den Kaffee dreht, war nie ganz von der Hand zu weisen. Bücher und kulinarischer Esprit haben sich schon immer gut vertragen, und was den Kaffee betrifft: Es gäbe tausend Geschichten zu erzählen. Dafür bräuchte man fast einen eigenen Blog. Nun wohne ich mit Kempten zwar nicht in einer kulturellen oder literarischen Hochburg (das ist Bayern und insbesondere das Allgäu im Allgemeinen nicht), aber es ist ein ganz außergewöhnliches Städtchen, in dem man sich wohlfühlen kann. Also dachte ich mir, ich schaue mir die kleinen Oasen, die es dann doch gibt, etwas genauer an. Vielleicht mit einem Buch in der Hand (ich habe mir inzwischen wieder angewöhnt, überall Bücher mitzunehmen und zu lernen, überall und in jeder Situation zu lesen, ob im Gehen oder Stehen). Das bedeutet eine völlige Veränderung meiner Lesegewohnheiten, denn mein Ausgangspunkt ist, dass ich sogar mit Ohrstöpseln in meiner Wohnung sitze, weil ich nicht den geringsten Lärm ertrage. Aber was wäre das Leben ohne Abenteuer?

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Journal

Freud als Krimiautor

Freud als Krimiautor
Sigmund Freud

Freuds Entdeckung der Psychoanalyse mag heute fast in Vergessenheit geraten sein oder nur noch selten praktiziert werden – zu zeitaufwendig, zu teuer, nicht ausreichend wissenschaftlich dokumentiert -, aber sein schriftstellerisches Können ist sicherlich immer noch da, um von uns nachgeahmt und genossen zu werden. Nicht umsonst hat er den Goethe-Preis erhalten. Besonders in seinen fünf berühmten Fallgeschichten, die sich wie Krimis lesen, können wir diese Kompetenz bewundern. Vielleicht ist die früheste seiner Fallgeschichten, die 1905 veröffentlicht wurde und als der Fall Dora bekannt ist, das beste Beispiel dafür. Dora, die in Wirklichkeit Ida Bauer hieß, entkam nach dreimonatiger Behandlung, was es Freud aufgrund der Kürze des Falles ermöglichte, ihn leichter aufzuschreiben. Dora, die die Behandlung verweigerte, gab ihm gewissermaßen das Geschenk der Fallgeschichte.

Schon in den ersten Zeilen des Falles macht Freud deutlich, dass er das Material beherrscht, indem er den Kern der Sache erst nach und nach enthüllt und die Informationen genau in dem Moment auftauchen lässt, in dem wir eine Frage stellen wollen. Die Fallgeschichte beginnt am Ende, oder zumindest in der Mitte, mit der Patientin und dem Geheimnis ihrer verschiedenen Symptome: Husten, körperliche Schmerzen, ein Abschiedsbrief, dessen Bedeutung unser Sherlock Homes herausfinden muss, während die Patientin selbst uns unseren Watson gibt.

Freud hat ein großartiges Gespür für Timing. Wie Dostojewski zu Beginn von Die Brüder Karamasow, wenn er vom Tod des Vaters spricht, „von dem ich [d. h. der Autor] an der richtigen Stelle erzählen werde“, führt uns Freud allmählich durch die komplizierte Auflösung dieses eng geknüpften und komplizierten Knotens. Wie Nabokov im Vorwort zu seiner Lolita fesselt Freud unser Interesse, indem er uns mitteilt:

„In dieser einen Krankengeschichte, die ich bisher den Einschränkungen der ärztlichen Diskretion und der Ungunst der Verhältnisse abringen, konnte, werden nun sexuelle Beziehungen mit aller Freimütigkeit erörtert, die Organe und Funktionen des Geschlechtslebens bei ihren richtigen Namen genannt, und der keusche Leser kann sich aus meiner Darstellung die Überzeugung holen, daß ich mich nicht gescheut habe, mit einer jugendlichen weiblichen Person über solche Themata in solcher Sprache zu verhandeln.“

Freud, Werke, Bd. 5

Wer von uns könnte einer solchen Einladung zum Weiterlesen widerstehen?

Sowohl Nabokov als auch Freud sprechen von der Notwendigkeit, die Identität ihrer Figuren zu verbergen. Nabokov kündigt an:

„Abgesehen von Korrekturen offenkundiger Flüchtigkeitsfehler und der sorgfältigen Ausmerzung einiger hartnäckiger Einzelheiten, die «H.H.»s eigenen Bemühungen zum Trotz in seinem Text als Wegweiser und Grabmale stehen geblieben waren (Hinweise auf Orte und Personen, die der Anstand mit rücksichtsvollem Schweigen zu übergehen gebietet), geben wir diese außerordentlichen Aufzeichnungen unverändert heraus.“

Vladimir Nabokov, Lolita, Vorwort, Rowohlt

Freud erzählt uns von seinen Versuchen, die Identität der echten Dora zu verbergen.

„Ich habe eine Person ausgesucht, deren Schicksale nicht in Wien, sondern in einer fernab gelegenen Kleinstadt spielten, deren persönliche Verhältnisse in Wien also so gut wie unbekannt sein müssen.“

Freud, Werke, Bd 5

Geht es bei diesen Aussagen nur um die Wahrung der Privatsphäre? Oder sollen sie uns auch – in erster Linie sogar – neugierig machen? Wie viel Wahrheit verbergen sie? Wie auch immer, es wird ein Geheimnis geschaffen, und es werden Fragen in unseren Köpfen geweckt.

Es ist Freuds Fähigkeit, ein Geheimnis zu schaffen und uns gleichzeitig genaue Details zu geben, die uns Doras Dilemma sehen, hören und verstehen lässt. Wir fragen uns von Anfang an, was diese Siebzehnjährige, die Freud als „in der ersten Blüte der Jugend“ beschreibt, so tief beunruhigt.

Freud hat hier eine Geschichte mit hohem Einsatz gewählt. Man könnte sie sogar mit einem Seifenopernquartett gleichsetzen. Doras Vater, der von Freud erfolgreich gegen Syphilis behandelt worden war, bringt seine junge Tochter, ein intelligentes, lebhaftes Mädchen, zu ihm und erklärt ihm, sein Ziel sei es, sie zur Vernunft zu bringen. Er behauptet, sie sei durch ungeeignete Lektüre in die Irre geführt worden, und fügt hinzu, sie habe sich eine ganze Szene nur eingebildet, in der ein gewisser Herr K. versucht habe, sie zu verführen.

Herr K, so stellt sich heraus, ist in Wirklichkeit der Ehemann der Frau, mit der Doras Vater eine Affäre hat und die ihr Vater deckt, indem er ihm als Ausgleich seine Tochter anbietet. Freud steigert die Spannung, indem er sagt: „Ich hatte mir von Anfang an vorgenommen, mein Urteil über den wahren Stand der Dinge so lange aufzuschieben, bis ich auch die andere Seite [d. h. Doras] gehört hatte.“ Auch wir möchten natürlich die andere Seite hören und identifizieren uns mit dem unglücklichen Mädchen.

Es fällt uns leicht, uns in die Lage dieses Mädchens zwischen ihrem sechzehnten und achtzehnten Lebensjahr zu versetzen. Wir erkennen sofort, dass ihre Situation verzweifelt war. Die drei Erwachsenen, denen sie am nächsten stand und die sie am meisten liebte, verschworen sich offenbar – einzeln, im Tandem oder gemeinsam -, um die Realität ihrer Erfahrung zu leugnen. Freud hört zumindest zu und lässt auch uns zuhören bei dieser Geschichte, die auch heute noch schockierend ist. Wer würde nicht mit diesem verletzlichen jungen Mädchen mitfühlen, das als Spielball des Ehebruchs seines Vaters behandelt wird, als Teil eines teuflischen quid pro quo: „Du nimmst meine Tochter, und ich nehme deine Frau.“

Wie viele erfahrene Krimiautoren verwendet Freud oft eine binäre Struktur mit Wiederholungen und Umkehrungen. Wir erfahren von zwei Verführungsszenen: Die erste findet im Büro von Herrn K. statt, als Dora erst 13 Jahre alt ist, und er hat vorgeschlagen, sie zusammen mit seiner Frau zu treffen. Stattdessen kommt er allein, drückt sie an sich und beginnt sie gewaltsam zu küssen. Empört reißt sie sich los und flieht, ohne irgendjemandem etwas von der Szene zu erzählen.

Die zweite Szene findet zwei Jahre später an einem See statt, an dem die Familie ein Haus besitzt. Dora hat zuvor von der Erzieherin der K-Kinder erfahren, dass Herr K., während er der Erzieherin „leidenschaftlich den Hof machte“, geklagt hatte: „Ich bekomme nichts von meiner Frau.“ Die gleiche sexuelle Anspielung verwendet er bei Dora in einer ähnlichen Liebes-Ouvertüre. Beleidigt und traumatisiert von dieser plumpen Annäherung ohrfeigt sie ihn, flieht und berichtet schließlich ihrem Vater von seinem Verhalten. Als sie am selben Nachmittag von einem Nickerchen erwacht, findet sie Herrn K. wieder neben sich, der darauf besteht, dass er eintreten kann, wann immer es ihm passt. Doch der Vater bestreitet die Wahrheit von Doras Schilderung und führt sie darauf zurück, dass sie unpassende Literatur gelesen habe. Wir fragen uns, wo in all dem die Wahrheit liegt?

Wie in jeder gelungenen Novelle werden uns auch hier zwei Träume präsentiert, um die herum die Fallgeschichte aufgebaut ist.

Wie wunderbar suggestiv diese Träume sind, zeigt sich daran, dass sie von verschiedenen Schriftstellern immer wieder als Inspiration verwendet wurden, so auch in D.M. Thomas‘ „Das weiße Hotel“.

Henry James sagte einmal: „Erzähle einen Traum, verliere einen Leser“. Aber das ist nicht das, was hier geschieht. Wer könnte Doras ersten Traum von einem brennenden Haus und dem Schmuckkästchen, das gerettet werden muss, vergessen? Oder ihren zweiten Traum, in dem es um einen Bahnhof, einen Brief und den Tod ihres Vaters geht? Diese beiden Träume beschwören viele mysteriöse Gefahren herauf: Feuer, Tod, Reisen.

Freud führt das Geheimnis auch durch die Verwendung eines verschleiernden Erzählers in der dritten Person ein. So kann er behaupten, er wolle die Vertraulichkeit wahren, hat aber auch die Möglichkeit, Argumente vorzubringen, um uns von seiner Meinung zu überzeugen.

Im Wesentlichen gibt Freud wie ein unzuverlässiger Erzähler seine eigene Version dessen wieder, was ihm seine Patientin angeblich erzählt hat. Hier beschreibt er, wie Dora nach dem berühmten Kuss ihr Bein nachzieht:

„So geht man doch, wenn man sich den Fuß übertreten hat. Sie hatte also einen „Fehltritt“ getan, ganz richtig, wenn sie neun Monate nach der Szene am See entbinden konnte.“

Freud, Werke, Bd 5

Eine Vermutung, nämlich dass eine Schwangerschaft aus einem Kuss resultieren könnte, führt ihn zur nächsten, nämlich dem „falschen Schritt“. Akzeptiert Dora das alles? Wir wissen nur, was uns Freuds Ich-Erzähler erzählt: „Und Dora stritt die Tatsache nicht mehr ab.“ Die arme Dora!

Freuds Bedürfnis, sich zu beschränken und gleichzeitig das Wesentliche in der Darstellung seiner Analyse auszuwählen, wird, wie er uns sagt, durch die „Widerstände des Patienten und die Formen, in denen sie zum Ausdruck kommen“, verstärkt. Dieser Widerstand war natürlich für Freud als Krimiautor nützlich, auch wenn er seine Aufgabe als Therapeut vielleicht erschwert hat. Der Widerstand ermöglicht es ihm, Konflikte zu schaffen. Als er zum Beispiel das Schmuckkästchen in ihrem Traum mit ihrer Vagina vergleicht, sagt Dora in einem der wenigen Momente, in denen wir ihre Stimme direkt hören dürfen: „Ich wusste, dass Sie das sagen würden!“ Wir stimmen ihr sofort zu, denn was hätte Freud auch sonst sagen sollen!

Was auch immer „Widerstand“ klinisch bedeuten mag, er ermöglicht es Freud, seine Enthüllungen bis zum richtigen Zeitpunkt zu verzögern, nicht nur für den Patienten, sondern auch für den Leser. Wir werden in Spannung gehalten und allmählich dazu gebracht, wie Hänsel und Gretel, die den Krümeln im Wald folgen, das als Realität zu akzeptieren, was sonst vielleicht unglaublich erscheinen würde.

Und er enttäuscht uns nicht: hinter jeder Enthüllung steckt immer eine noch tiefere. Die vierte Hauptperson in diesem Quartett, die wir nach Dora, ihrem Vater und Herrn K. entdecken, ist die Frau von Herrn K. Alle drei Erwachsenen verraten Dora auf unterschiedliche und entsetzliche Weise. Schon früh erfahren wir, dass Frau K ein Schlafzimmer mit Dora geteilt hat, obwohl sie wusste, dass ihr Mann woanders schläft. Sie hat die Geheimnisse ihrer schwierigen Ehe mit Dora geteilt, die von ihrem „bezaubernden weißen Körper“ angetan ist. Wie sich herausstellt, fühlt sich Dora in Wirklichkeit zu ihr hingezogen und nicht zu ihrem Mann. Auf diese Weise schafft Freud eine viel interessantere und ungewöhnlichere Dreiecksbeziehung, die für ein so junges Mädchen sicherlich glaubwürdiger ist, und enthüllt dies geschickt zum richtigen Zeitpunkt. Auf diese Weise führt er das Thema der Bisexualität ein, das ihn damals sehr beschäftigte, wie aus den Briefen an Fließ hervorgeht, in den er selbst verliebt gewesen sein könnte.

Wie in einem guten Krimi ist nichts so, wie es scheint: Hinter jedem Gegenstand, jeder Geste, jedem Wort verbirgt sich sein Gegenteil. Letztlich führt uns Freud mit Wiederholungen und Umkehrungen wie jeder gewiefte Krimiautor. Was Dora als Ekel empfindet, ist, wie Freud uns versichert, Begehren. Liebe und Hass werden einander gegenübergestellt: das ist das Beste und das Schlimmste zugleich, wie in einer Dickens’schen Welt. Die Wahrheit bleibt schwer fassbar, aber was hier zählt, ist das Geschick des Autors, unser Vergnügen an dieser gut erzählten Geschichte und vor allem die tieferen Wahrheiten über die menschliche Natur, die wir hier wie Gold verstreut finden und die von unserem unzuverlässigen Erzähler, Freud, selbst herausgeholt werden müssen.

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Bouquinist

Die Bestie mit den fünf Fingern / W. F. Harvey

Wir gehen heute etwas in der Zeit zurück, um uns einen Klassiker aus dem Hause Diogenes anzuschauen. Ein Verlag mit einem überhaupt interessanten Profil, dessen Credo besagt: „Jede Art des Schreibens ist erlaubt, nur nicht die langweilige“. Zugegeben, das Buch, um das es heute geht, besser gesagt, die Sammlung von Geschichten, ist dort schon lange nicht mehr zu finden. Sie wurde 1979 veröffentlicht und so weit ich weiß, niemals nachgedruckt, aber antiquarisch ist das Taschenbuch nicht schwer zu finden: „Die Bestie mit den fünf Fingern“.

William Fryer Harvey wurde in das faszinierende Zeitalter der Psychoanalyse hineingeboren. Als Arzt sind ihm die Unternehmungen Freuds um 1900 natürlich nicht entgangen. Die Surrealisten zogen ihren eigenen Spuk daraus, andere lehnten die Psychoanalyse rigoros ab. In der Kunstwelt fand Freud – wenig erstaunlich – den größten Anklang, aber Harvey ist einer jener Schriftsteller, die aus der Psychoanalyse Gespenstergeschichten ableiteten.

Harvey
Harvey

Es gibt neun Sammlungen von ihm, aber wir haben hierzulande leider nur eine bekommen: “Die Bestie mit den fünf Fingern“, die jedem nur ans Herz gelegt werden kann. Die Sammlung enthält neben der berühmten Titelgeschichte auch die anderen Meisterwerke wie “Augusthitze” und “Der Begleiter”.

Hier haben wir also die eine Sammlung psychologischer Gespenstergeschichten von W. F. Harvey vorliegen, die alle etwas anders sind als die bekannten Variationen. Zwar könnte man behaupten, eine Gespenstergeschichte sei immer auch psychologisch in ihrer Aussage und läge damit nicht falsch, aber uns interessiert hier die Frage nach der Einbildung. Wenn wir davon überzeugt sind, dass es in einer Geschichte um das Übernatürliche geht, nehmen wir als Leser eine andere Haltung ein, als wenn wir berechtigte Zweifel haben, die sich aber nie aufdecken lassen, weil der Autor uns in ein Grenzland schickt: Zufall? Einbildung? Grauen? Alles zusammen?

Es mag etwas überraschen, einen so sträflich vergessenen Autor wie William Fryer Harvey gleich neben einige der größten Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts zu stellen, denn kaum je hört man selbst aus Kreisen, die sich vermeintlich etwas mit der phantastischen Literatur auseinandersetzen, auch nur eine Silbe über ihn. 1955 lobte ihn die Times und betrachtete ihn als gleichwertig mit MR James und Walter De La Mare. Es ist nicht so, dass man immer etwas auf solche Aussagen geben müsste, aber man hätte erwarten können, dass sich das interessierte Publikum zumindest selbst davon überzeugt. Aber das geschah nicht, und so finden sich bis heute kaum nennenswerte Spuren von ihm. Obwohl Harvey dafür gefeiert wurde, im ersten Weltkrieg sein Leben aufs Spiel gesetzt zu haben, als er einen im lecken und vollgelaufenen Maschinenraum eines Zerstörers eingeklemmten Maat operierte, obgleich die Gefahr bestand, dass der Zerstörer auseinander brach – wofür er die Tapferkeitsmedaille bekam -, bleibt er doch eher für seine Geistergeschichten in Erinnerung, die zu den besten gehören, die je geschrieben wurden. Viele literarische Riesen haben sich diesem Genre verbunden gefühlt, und deshalb ist es umso bemerkenswerter, wenn man gerade in diesem Feld ein Zeichen zu setzen vermag; aber Harveys Stil fühlt sich an wie ein dunkles Schattenbild der Geschichten Sakis (Hector Hugh Munro) und verdienen es, gefeiert zu werden.

Nachdem Harvey im Krieg Lungenschäden erlitten hatte, blieb sein Zustand stets bedenklich während seines kurzen Lebens (er starb mit 52 Jahren), aber er begann, Kurzgeschichten zu schreiben, die das Irrationale und Unterbewusste mit kraftvoller Wirkung zur Geltung brachten. Obwohl sein Output relativ klein war, profitierten seine Geschichten von ihren modernen psychologischen Erkenntnissen und dem Mangel an einfachen Schlussfolgerungen.

“Die Bestie mit den fünf Fingern” wurde 1928 veröffentlicht, und fast zwei Jahrzehnte später wurde die Geschichte unter der Leitung von Robert Florey verfilmt.

“Die Hand krümmte sich in Todeszuckungen; wie ein Regenwurm an einem Angelhaken wand sie sich hin und her, vom Nagel auf dem Brett festgehalten”,

schrieb er in dieser Geschichte, in der Eustace Borlover entdeckt, dass die rechte Hand seines blinden Onkels Adrian begonnen hat, von selbst und ohne das Wissen des Trägers zu schreiben. Nach dem Tod seines Onkels erhält Eustace die abgetrennte Hand mit der Post zugeschickt. Nach Angaben des Anwalts wurde in Adrians Testament ein neuer Zusatz gefunden, der darum bat, ihm die Hand abzutrennen und als Teil seines Erbes Eustace zu schicken. Es zeigt sich bald, dass die Hand ein Eigenleben besitzt, intelligent, sehr beweglich und ein Meisterfälscher ist. Eustace und sein Sekretär gehen sofort davon aus, dass die Hand böse ist, aber um ehrlich zu sein, scheint sie eher schelmisch als bösartig zu sein. Bis Eustace die Hand auf ein Brett nagelt und es für mehrere Monate in einen Safe steckt. Denn aufgrund dieses Vorkommnisses schwört die Hand Rache.

Der Film lässt aus dem blinden Onkel einen Pianisten werden, dessen abgetrennte Hand aus seinem Mausoleum zurückkehrt, um sich mit rachsüchtigen Attacken gegen den Sekretär zu wenden, der sich heimlich nach dem Vermögen des Toten sehnt. Der Film war ein großer Erfolg, auch wegen seiner exemplarischen Spezialeffekte. Luis Buñuel soll an ihrem Design beteiligt gewesen sein, und der surreale Anblick der Hand, die ein Klavier hinaufhüpft, deutet darauf hin, dass dies wirklich so war. Der Film rühmte sich auch der Musik von Max Steiner und bewahrt viel von seiner seltsamen, eindringlichen Kraft. Das führte zu einem erneuten Interesse an Harveys Werk, und es folgten einige Nachdrucke seiner Geschichten. Dieses kurze Auflodern war aber aus unverständlichen Gründen nicht bleibend.

Mit seiner Frau lebte er eine Zeitlang in der Schweiz, aber die Sehnsucht nach seiner Heimat führte zu seiner Rückkehr nach Weybridge in England. 1935 zog er nach Letchworth, wo er am 4. Juni 1937 auch starb. Nach einer Trauerfeier im örtlichen Friends Meeting House wurde Harvey auf dem Kirchhof von St Mary the Virgin in Old Letchworth begraben.

Die Frage, ob das, was Harvey vorlegt (bis auf wenige Ausnahmen) wirklich Gespenstergeschichten sind, drängt sich auf, und sie kann nur dann verneint werden, wenn man die Psychoanalyse von sämtlichem Spuk ausnimmt. Das Ungewöhnliche, Unheimliche und Seltsame spielt sich oft genug in unserem Kopf ab, oder wird von ihm gar erst ausgelöst. Und so ist es dann doch nicht verwunderlich, dass man Harvey als einen Meister der psychologischen Geistergeschichte interpretiert, in der das Übernatürlich nur verhalten, wenn überhaupt, auftaucht. Das Gefühl des Unheimlichen – wie Freud es formulierte – ist hier exemplarisch ausgeführt. Möglicherweise ist die Wirkungskraft dieser Geschichten dann auch der hohen Wahrscheinlichkeit geschuldet. Es könnte so gewesen sein.

Bouquinist

Was wir im Feuer verloren / Mariana Enriquez

Auch hier ist es wieder, das Phänomen einer literarischen Sprache, die unserem Land völlig abgeht. Das Buch erschien bereits 2017 im Ullstein-Verlag, ist aber bei uns völlig unbekannt geblieben.

Ein verlassenes Haus strotzt vor Regalen mit Fingernägeln und Zähnen. Ein dämonisches Idol wird auf einer Matratze durch die Straßen der Stadt getragen. Ein abgemagerter, nackter Junge liegt angekettet im Hof eines Nachbarn. Mitten in der Nacht klopfen unsichtbare Männer an die Fensterläden eines Landhotels.

Diese gespenstischen Bilder flimmern aus diesen Geschichten hervor. Ihre Figuren werden Zeugen von Gräueltaten oder deren Schatten oder Nachbildern. All diese Geschichten werden aus der Sicht einer Frau erzählt, oft einer jungen Frau, und sie scheinen dem Grauen, das sie lockt, nur so lange standhalten zu können, wie über es erzählt wird. Schließlich gehen die Mädchen und Frauen von Enriquez freiwillig auf das zu, was sie am wenigsten sehen wollen. Sie öffnen die Tür, öffnen den Schrank, überqueren die Grenze.

Die psychische Innerlichkeit der Auseinandersetzung mit der eigenen Dunkelheit ist die Hauptstütze der Horrorliteratur. Und doch verlagert Enriquez diese Innerlichkeit nach außen in eine Landschaft, die von politischen und wirtschaftlichen Kräften grauenhaft zerrüttet wurde. Kinder, die auf der Straße leben, ein Mädchen, das nach einer illegalen Abtreibung auf dem Bürgersteig stirbt, Gefangene, die in einer Haftanstalt gefoltert werden, machen keinen Unterschied zwischen dem hellen Tag und der tiefen Nacht. Das Grauen ist ständig um uns herum.

In Der schmutzige Junge schüttelt ein bettelndes Kind demonstrativ die Hand von U-Bahn-Fahrgästen und beschmutzt sie absichtlich. In ähnlicher Weise küsst in der Titelgeschichte ein grässlich verbrannter Bettler die Wangen von Pendlern, und begeistert sich an ihrem Unbehagen. Die Gewalt stellt sich zur Schau und dringt in den Alltag ein. Während die meisten vor ihr zittern, werden die Frauen von Enriquez von ihr angezogen, als ob sie sehen wollten, was sie damit anfangen können.

Enriquez verbrachte ihre Kindheit in Argentinien während der Jahre des berüchtigten Schmutzigen Krieges, der endete, als sie zehn Jahre alt war. Zehntausende wurden gefoltert, getötet oder „verschwanden“ unter Umständen, die später durch eine pauschale Amnestie aufgehoben wurden. Es liegt auf der Hand, dass diese Taten und die damit einhergehende wirtschaftliche Instabilität und Korruption den Boden für Enriquez‘ Erzählungen bereiten.

Sie entstammt auch einer Tradition argentinischer Fabeldichter, beginnend mit dem verehrten Jorge Luis Borges. Borges und seine Freunde, die Schriftsteller Adolfo Bioy Casares und Silvina Ocampo, waren so sehr vom Horror angetan, dass sie mehrere Ausgaben einer Anthologie makaberer Geschichten gemeinsam herausgaben. Die Mischung aus Horror, Phantastik, Verbrechen und Grausamkeit hat einen besonderen argentinischen Stammbaum. Dabei handelt es sich nicht um Fantasy, die von der Realität losgelöst ist, sondern um eine schärfere Wahrnehmung der Übel, die wir durchwaten.

Die Protagonisten in Enriquez‘ Erzählungen sind sich meist ihres Privilegs bewusst, wenn man es es ein Privileg nennen kann, gerade so einen Ort zum Leben zu haben, genügend Nahrung und ein Gesicht, das nicht grotesk entstellt ist. Die Nähe zu jenen, die diese grundlegenden Annehmlichkeiten nicht haben, schafft eine Zerbrechlichkeit der vermeintlich Bessergestellten, was nicht daran liegt, dass diese Protagonisten ein Abgleiten in die Armut befürchten, sondern, dass die Vorzüge ihres Lebens so deutlich auf finsterem Dreck sitzen. Das hier Gebotene ist natürlich etwas völlig anderes als der Mainstream-Horrortrip, bei dem sich oft jemand unbekümmert dem Grauen nähert – die Begräbnisstätte unter der Wohnsiedlung oder das fade Mädchen, das nichts von den Klauen des Schlitzers ahnt. In der Welt von Enriquez ist niemand ausreichend abgeschirmt. Den verhätschelten Vorstädter gibt es nicht. Ihre Erzähler müssen sich im Alltag an fast unerträglichen Anblicken vorbeischleichen. Dadurch gewinnt der Akt des Schauens enorm an Bedeutung. Die Folgen sind schrecklich, aber es gibt dennoch ein Gespür für Handlungsfähigkeit, um zumindest den Blick in die richtige Richtung zu lenken.

Eine der herausragendsten Geschichte in der Sammlung ist wohl Tief unten im schwarzen Wasser, die einen lokalen Mord der Polizei an zwei Jugendlichen detailliert beschreibt. Indem sie die Staatsanwältin Marina Pinat einsetzt, um den Fall zu untersuchen, streift Enriquez das allgegenwärtige Problem der Korruption, der hoffnungslosen Kriminalität und der verantwortungslosen Verschmutzung, und erzählt eine eindringliche, schwarze und erschütternde Geschichte.

Einige der Frauen von Enriquez tauchen aus solchen Erfahrungen wieder auf. Die meisten tun das nicht. Aber sie zeigen sowohl Mut als auch Empörung über den schrecklichen Dreck, in den sie getaucht sind. In „Spinnennetz“ unternimmt eine Frau, die in einer missbräuchlichen Ehe gefangen ist, eine Reise über die Grenze nach Paraguay. Dort verbinden sich sowohl die Wildheit des Militärs als auch der ungezähmte Dschungel zu einer Geisterfalle, in der die Geschichte ins Paranormale abdreht und der Frau einige unerwartete Optionen eröffnet. Auch diese Erzählung bekommt einen plötzlichen Ruck, da der fein geschliffene Realismus plötzlich Fäden eines tieferen und mysteriöseren Ursprungs aufscheinen lässt.

Die Titelgeschichte knüpft fast dort an, wo „Spinnennetz“ aufgehört hat: Frauen protestieren gegen häusliche Gewalt mit eigener Gewalt. Silvina, die Protagonistin von Was wir im Feuer verloren, ist noch nicht ganz in der Protestbewegung engagiert. Die Geschichte endet mit einem verweilenden Blick auf ihren beispielhaften Gewaltakt, der bald folgen muss. Diese Pause vor dem Unvermeidlichen ist der Raum der fabulierfröhlichen Fiktion, die die starren Regeln der Realität aufdreht, um eine Lücke der Möglichkeit zu schaffen.

Das unermessliche Vergnügen an Enriquez‘ Fiktion ist die Schlüssigkeit ihrer Zweideutigkeit. Wir wissen nicht, wer ein verschwundenes Mädchen entführt, ein Kind ermordet oder einen Ehemann verschwinden ließ. Sie mussten einfach gehen. Die Welt verlangt ihr Opfer. Wir wissen nicht, was das schreckliche Gespenst ist, grau und triefend, das mit seinen blutigen Zähnen auf dem Bett sitzt. Aber wir wissen, dass es durch eine unausweichliche Logik, durch ein intensives Bewusstsein für die Welt und all ihr Elend da ist.

Bouquinist

Träume im Hexenhaus / H. P. Lovecraft

Das Buch der Geister und Spukhäuser
Natürlich gibt es die Erzählung in unfassbar vielen Auflagen, aber da ich gegenwärtig dabei bin, einige (aber längst nicht alle) Geschichten aus dem „Buch der Geister & Spukhäuser“, herausgegeben von Frank Festa, zu analysieren, war es an der Zeit, über sie an dieser Stelle zu sprechen.

Walter Gilman, Student der Mathematik und Volkskunde an der Miskatonic University, zieht in ein Dachzimmer des berüchtigten „Hexenhauses“ in Arkham, das als verflucht gilt. Die düstere Geschichte des Hauses wird schon bald offenbar: Es gehörte einst Keziah Mason, einer Hexe, die 1692 aus einem Gefängnis in Salem auf mysteriöse Weise verschwand. Gilman findet heraus, dass zahlreiche Bewohner des Hauses in den letzten zwei Jahrhunderten frühzeitig und unter bizarren Umständen gestorben sind. Besonders auffällig sind die ungewöhnlichen Dimensionen seines Zimmers, das einer unheimlichen, nicht-euklidischen Geometrie zu folgen scheint. Er entwickelt die Theorie, dass diese Struktur Reisen zwischen verschiedenen Dimensionen oder Ebenen des Universums ermöglicht.

Moderne wissenschaftliche Forschungen, insbesondere in den Bereichen Quantenmechanik und Topologie, zeigen erstaunliche Parallelen zu Gilmans Erkenntnissen. Arbeiten über Wurmlöcher, extradimensionale Räume und Multiversum-Theorien bestätigen die damalige fiktive Prämisse auf neue Weise.

Kurz nach seinem Einzug erlebt Gilman verstörende Träume. Er schwebt körperlos durch einen jenseitigen Raum voller unbeschreiblicher Farben, Klänge und fremdartiger Geometrien. In diesen Traumlandschaften begegnet er Wesen, die er instinktiv als intelligente Entitäten wahrnimmt. Dazu gehören schillernde, wuchernde, kugelförmige Blasen und eine sich ständig verändernde polyedrische Figur. Diese Erscheinungen agieren nicht nur eigenständig, sondern verfügen auch über ein verstörendes Bewusstsein.

Noch bedrohlicher sind jedoch seine nächtlichen Begegnungen mit Keziah Mason und ihrem teuflischen Vertrauten Brown Jenkin – einer rattenartigen Kreatur mit einem erschreckend menschlichen Gesicht. Brown Jenkin ist ein groteskes Wesen, das in der Folklore des Hauses immer wieder erwähnt wird. Er ist Keziahs Bote und Vollstrecker ihrer unheiligen Rituale. Er gleitet durch Wände und sucht Opfer auf grausame Weise heim. Gilman beginnt zu zweifeln, ob diese Begegnungen bloße Träume sind oder ob er tatsächlich zwischen den Welten wandelt.

Seine Erlebnisse spitzen sich zu und werden beunruhigend: Er wird in eine bizarre, fremdartige Stadt entführt entführt und bringt eine kleine Statue mit – ein Artefakt aus einem unbekannten Material mit einer seltsamen Legierung, das irdischen Wissenschaftlern Rätsel aufgibt. Die Lage eskaliert, als Gilman im Schlaf im schwarzen Buch des Azathoth unterzeichnet – unter dem Einfluss von Keziah, Brown Jenkin und dem unheilvollen „Schwarzen Mann“, einer Manifestation des niederträchtigen Nyarlathotep. Schließlich wird er in einen entsetzlichen Ritus verwickelt: Er findet sich in einem jenseitigen Raum wieder, wo er gezwungen wird, Azathoth am „Zentrum des Chaos“ zu huldigen und an der Entführung eines Säuglings teilzunehmen. Als er erwacht, entdeckt er Schlamm an seinen Füßen – und eine Zeitungsmeldung bestätigt tatsächlich die Entführung eines Kindes in der vergangenen Nacht.

In der Walpurgisnacht erreicht das Grauen seinen Höhepunkt: Gilman hat einen Alptraum, in dem Keziah und Brown Jenkin das entführte Kind in einem satanischen Ritual opfern wollen. In einem verzweifelten Akt stranguliert er Keziah, doch Brown Jenkin vollendet das Ritual, indem er dem Kind das Handgelenk durchbeißt und dann in einem dreieckigen Abgrund verschwindet. Als Gilman erwacht, vernimmt er ein lautes Geräusch, das ihn fast taub macht.

Er erzählt seinem Mitbewohner Frank Elwood von seinen Erlebnissen, doch in der Nacht wird Elwood Zeuge des ultimativen Horrors: Brown Jenkin frisst sich aus Gilmans Brust heraus. Kurz darauf wird das Haus verlassen und ein Sturm reißt das Dach ein. Jahre später machen Arbeiter bei dem Abriss des Gebäudes verstörende Funde: Keziahs Skelett, zerfallene Bücher der schwarzen Magie, eine Schale aus einem unbekannten Metall sowie Kinderknochen und ein rituelles Opfermesser. Besonders beunruhigend ist die Entdeckung einer deformierten Rattengestalt mit menschenähnlichen anatomischen Merkmalen – das Skelett von Brown Jenkin. Diese Funde werden im Museum der Miskatonic University ausgestellt und stellen die Wissenschaft bis heute vor Rätsel.

Lovecraft ließ sich bei der Geschichte ganz offensichtlich von Willem de Sitters Vortrag zur Größe des Universums inspirieren, den er drei Monate zuvor besucht hatte. De Sitter wird in der Geschichte direkt erwähnt und als mathematisches Genie bezeichnet. Die Erzählung greift Konzepte auf, die auch in Arbeiten von Albert Einstein und Arthur Eddington behandelt wurden – insbesondere die Nutzung höherdimensionaler Räume als Abkürzungen durch den normalen Raum. Das erinnert an Lovecrafts frühere Geschichte „Die Falle“ und zeigt eindeutig sein wachsendes Interesse an der Verbindung von Kosmologie und Horror. Auch Anleihen an Nathaniel Hawthornes unvollendetem Roman „Das Lebenselixier“ sind unverkennbar. (Dieses Fragment wurde später in den „Marmorfaun“ eingearbeitet).

Die Rezeption der Geschichte war gemischt. Zeitgenössische Kritiker empfanden die Handlung als entweder zu vage oder zu explizit. August Derleth bezeichnete sie als „schlecht“ und entmutigte Lovecraft so sehr, dass dieser sie nicht zur Veröffentlichung einreichen wollte. Doch ohne Lovecrafts Wissen tat Derleth es dennoch – und mit Erfolg. „Weird Tales“ veröffentlichte sie. Lovecraft lehnte sogar eine Radioumsetzung ab, da er befürchtete, die öffentliche Wahrnehmung (die über den platten Horror nicht hinaus kam) würde die Geschichte ins Lächerliche ziehen.

Spätere Kritiker bekräftigten Derleths Urteil. Lin Carter bezeichnete die Erzählung als „uninspiriert“, Steven J. Mariconda sprach von einem „großartigen Scheitern“, und S. T. Joshi nannte sie „eine der schwächsten späten Arbeiten Lovecrafts“. Viele monierten eine unzureichend durchdachte Handlung, die lediglich eine lose Abfolge bizarrer Bilder biete.

Neuere Bewertungen fallen eindeutig positiv aus, denn tatsächlich wird Lovecrafts kosmischer Horror hier so rein wie nie zuvor dargestellt. Michel Houellebecq zählt Träume im Hexenhaus ebenfalls zu den „großen Texten“ Lovecrafts und ordnet sie in den „definitiven vierten Kreis“ seines Werkes ein. Die Geschichte ist ein herausragendes Beispiel für Lovecrafts Ambition, Horror mit modernen wissenschaftlichen Theorien zu verbinden.

Bouquinist

Unheimliche Gesellschaft / Carlos Fuentes

Unheimliche Gesellschadt

Als einer der grundlegenden Autoren des „Booms“ hat der Mexikaner Carlos Fuentes in seinen wichtigsten Romanen – „Nichts als das Leben“ (1962), „Terra Nostra“ (1975), „Die Jahre mit Laura Diaz“ (1999) u.a. – eine interessante Reflexion über die kulturelle Vielfalt und Geschichte seines Landes angestellt. Gleichzeitig hat Fuentes, wie jeder Autor von Rang, mit Erzählungen wie jenen, die in seinem ersten Buch „Verhüllte Tage“ (1954) dargeboten werden, den Kurzromanen „Aura“ (1962) und „Das gläserne Siegel“ (2001), die Phantastik in seine Erzählungen einfließen lassen.

In diesem Sinne ist „Unheimliche Gesellschaft“ (2004) eine Sammlung von Rätsel- und Horrorgeschichten, ein Band mit sechs Geschichten und einer Schlüsselfrage: „Ist Leben diese kurze Spanne, dieses Nichts zwischen Wiege und Grab?“

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Journal

Die Vampirin vom Amazonas

Die Vampirin vom Amazonas

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Portraits

Richard Middleton

Richard Middleton

Richard Middleton, bekannt für „Das Geisterschiff“, war ein versierter Stilist der unheimlichen Literatur. Zu den Lobeshymnen für Middletons Werk gehört diese Passage aus „Horror Literature“ (1981), herausgegeben von Marshall Tymn:

„Middleton, einer der interessantesten Stilisten der britischen Schauerliteratur, ist reich und überschwänglich in seiner Art, klassische Geistergeschichten zu erzählen (insbesondere die humorvollen), aber knapp und präzise in seinen originelleren psychologischen Geschichten.“

Und in „Shadows in the Attic: Neil Wilson, Guide to British Supernatural Fiction 1820-1950“, schreibt er:

„Die unbestreitbare literarische Fähigkeit des Autors erlaubt es den meisten Geschichten, sich über das rein Morbide und Sentimentale zu erheben“.

Richard Middleton

Richard Barham Middleton wurde am 28. Oktober 1882 in Staines, Middlesex, England, geboren. Während seiner Schulzeit wurde der verträumte sensible Jugendliche von Gleichaltrigen gehänselt. Das waren  Erfahrungen, die ihren Weg in seine Geschichte „A Drama of Youth“ fanden. Er wurde an der Cranbrook School in Kent ausgebildet und verbrachte ein Jahr an der University of London. Er bestand die Oxford und Cambridge Higher Certificate-Prüfungen in Mathematik, Physik und Englisch. Trotz seines akademischen Hintergrunds nahm er eine Stelle als Angestellter bei der Royal Exchange Assurance Corporation in London an. In dieser Zeit begann er, Essays und Kurzgeschichten in verschiedenen Zeitschriften zu veröffentlichen, und er schloss sich den New Bohemians an, einer Gesellschaft literarischer Männer, denen auch Arthur Machen angehörte.

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